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„Müssen beim Wohnen grundlegend umdenken“
Der Standard

Wie wir künftig leistbar und zugleich nachhaltig wohnen können, war Thema beim STANDARD-Zukunftsgespräch. Der Tenor auf dem Podium: Alte Vorstellungen müssen über Bord geworfen werden, es braucht neue Konzepte.

16. Juni 2023 - Lisa Breit
Wie sieht die Zukunft des Wohnens aus? Lassen sich leistbares und nachhaltiges Wohnen vereinen? Müssen wir vielleicht künftig auf weniger Fläche wohnen oder womöglich unser Zuhause mit anderen teilen? Über diese und andere Fragen wurde am Dienstagabend beim STANDARD -Zukunftsgespräch im Theater im Park diskutiert.

Auf dem Podium saß eine Runde von Fachleuten: Architekturtheoretiker Friedrich von Borries, der auch die Eröffnungsrede hielt, Wohnsoziologin Christine Hannemann und Wohnbauexperte Justin Kadi. Außerdem zu Gast war ein Mitglied der Hausbesetzergruppe „Zwangsräumung verhindern“, das unter dem Pseudonym Kai Nemiete auftrat. Philip Pramer, Leiter des Ressorts Edition Zukunft im STANDARD, moderierte die Diskussion. Zunächst drehte sie sich darum, wie sich der Wohnungsmarkt in Wien entwickelt. Denn obwohl die Stadt lange als internationales Vorbild in Sachen Wohnpolitik galt, gehen auch hier die Preise in die Höhe.

Dennoch wohnt es sich in Wien immer noch vergleichsweise günstig, wie auch Experte Justin Kadi betont. Verantwortlich dafür ist der geförderte Wohnbau. Jeder zweite Haushalt wohne im sozialen Wohnungsbau, erklärt Kadi. „Das ist besonders.“ In London etwa würden die geförderten Wohnungen nur etwa 20 Prozent ausmachen, in Berlin etwa zehn Prozent. Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen in Wien seien nicht nur günstiger, nämlich um 25 bis 35 Prozent, sondern böten zudem eine hohe Lebensqualität.
Internationales Vorbild

Auch für Christine Hannemann, Professorin für Architektur- und Wohnsoziologie an der Universität Stuttgart, ist Wien nach wie vor ein Vorbild in Sachen Wohnpolitik. Sie fahre regelmäßig mit ihren Studierenden hierher, um sich die Konzepte anzusehen. „Ich zeige ihnen, dass es auch anders sein kann als in deutschen Städten üblich.“ Sie hoffe, dass die Situation in Wien noch auf längere Sicht so bleibe.

Kleiner und dichter wohnen

Wenn es darum geht, was sich in Zukunft beim Thema Wohnen ändern muss, kommt schnell die Wohnungsgröße zur Sprache. Friedrich von Borries: „Wir werden in Zukunft kleiner und dichter wohnen müssen.“ Nicht nur, weil Wohnen teurer wird, sondern auch der Umwelt zuliebe.

Was den Experten stört: Kleiner zu wohnen sei im öffentlichen Diskurs stets negativ behaftet, dabei sei manches Mal „gemeinschaftliches Wohnen mit geteilten Räumen, geteilter Verantwortungen, mit Solidargemeinschaften über bestimmte Zeit wesentlich förderlicher für ein glückliches Leben“. Aktuell werde Wohnen noch sehr „altmodisch“ gesehen. „Da müssen wir grundlegend umdenken und Neues ausprobieren“, appelliert von Borries. Soziologin Hannemann wiederum kritisiert, dass der durchschnittliche Wohnraum groß ist, etwa 46 Quadratmeter pro Person in Österreich, dort aber vor allem Besitz angehäuft werde. „Viel Fläche wird für die Lagerung von Dingen benötigt.“ Allerdings: Wohnungsgröße sei sozial ungleich verteilt. Das unterstreicht auch Kadi: „Es wohnen beileibe nicht alle gleich groß. Die obersten zehn bis 15 Prozent haben sehr viel Wohnraum, besitzen mehr als eine Wohnung und nehmen Miete ein. Andererseits gibt es manche, die überhaupt keine Wohnung haben.“

Für Kai Nemiete ist Leerstand Teil des Problems. Zwischen 10.000 und 20.000 Wohnungen stünden in Wien derzeit leer. „Es gibt also Räume, die genutzt werden könnten.“ Nemiete und ihre Gruppe besetzten Gebäude, um darauf aufmerksam zu machen. Es gebe politische Maßnahmen, um Leerstand unattraktiver zu machen, etwa Abgaben. Andere europäische Städte wie Zürich seien Vorbilder.

Was tun gegen die Hitze?

Schließlich kam auch noch die Frage auf, wie man Wohnraum nachhaltiger gestaltet, und so, dass es sich bei zunehmender Hitze noch gut darin aushalten lässt. Nemiete hat dabei eine klare Vision: Fassaden begrünen, „aber auch Parkplätze wegreißen, um Bäume zu pflanzen“. Kadi hält es ebenfalls für unerlässlich, „in Grünflächen zu investieren, um eine dichte Stadt lebenswerter zu machen“.

Das nächste Zukunftsgespräch findet am 24. Juli 2023 im Theater im Park statt. Dabei geht es um die Frage, wie die Klimawende in Österreich gelingt.

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