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Villa am Attersee: Klimt hinter Gittern
Spectrum

Über Jahrzehnte hieß es „Wandeln auf den Spuren Gustav Klimts“ in der Allee des Schlosses Kammer am Attersee, doch damit ist Schluss: Betreten ist seit Herbst verboten. Hat das Land Oberösterreich kein Interesse daran, seine Kultur- und Naturdenkmäler als Allgemeingut zu bewahren?

29. Juni 2023 - Judith Eiblmayr
Der Attersee findet immer wieder Erwähnung, wenn es um den anhaltenden von Investorengeld befeuerten Bauboom geht, der die letzten freien Platzerln verbaut – je näher dem Gefilde, umso begehrter. Bauliches Prunkstück ist seit jeher das Schloss Kammer am nördlichen Ende des Attersees, ein seit 1165 bestehender, ursprünglich als Burg auf einer Insel gelegener Bau, der später durch Aufschüttung ans Festland „angedockt“ wurde. 1710 durch den Linzer Barockbaumeister Johann Michael Prunner zu einer prunkvollen Schlossanlage mit weitläufigem Park ausgebaut, verfügte diese über eine geschlossene Bebauung zur Straße hin, die speziell durch einen runden „Vorhof“ mit Torbögen als Durchfahrt imponierte. Hier lagen Stallungen und Remise, wie auf dem Plan von 1878 des Seebades Kammer ersichtlich, das die Schlossherrschaft etablieren wollte. Als übliches repräsentatives Element zwischen Vorhof und Schlosshof war den Park querend eine Lindenallee gepflanzt worden, die 200 Jahre später in die Kunstgeschichte eingehen sollte: Gustav Klimt hielt 1912 die Allee vor Schloss Kammer in Öl auf Leinwand fest, eines jener quadratischen Werke, die er während seiner Attersee-Aufenthalte zwischen 1900 und 1916 gemalt hat, und von denen sich so manches vielversprechende Stück in der Sammlung des Belvedere befindet.

„Klimt-Allee“ ist nicht mehr frei zugänglich

Der Klimt-Experte Alfred Weidinger attestiert dem Bild besondere Bedeutung, da es einerseits technisch von Klimts Beschäftigung mit dem Werk van Goghs zeugt, andrerseits durch die Darstellung der bildfüllenden Baumkronen mit der gelben Schlossfassade im Hintergrund unsere Erinnerungskultur bereichert hat. „Die Szenerie präsentiert sich heute noch weitgehend unverändert“, steht auf einer Stele des Klimt-Themenweges. Seit September 2022 präsentiert sich die „Klimt-Allee“ unverändert, ist aber nicht mehr frei zugänglich.

Ein Schockmoment, wenn sich an der Wegkreuzung von Parkpromenade und Allee plötzlich ein Einfahrtstor aufpflanzt und beidseitig ein simpler Gartenzaun das Feld der Herrschaft absteckt. Ein Blick nach links zeigt, dass ein Teil der Esplanade eingezäunt und so entlang des Atterseeufers kein Durchkommen in den Park mehr gegeben ist. Die Promenade wurde auf 1,5 Meter Breite zusammengeschrumpft, ein Flaschenhals im Wegenetz der Parkanlage von Kammer-Schörfling, der der Frequenz dieses Ortes spottet. Spaziergänger:innen, Fahrradfahrer und Läuferinnen werden mit der Schmalspur-Promenade ein Auskommen finden müssen – absurd, bedenkt man, dass es jahrhundertelang selbstverständlich war, sich in der Allee und der Wiese zum Wasser hin frei zu bewegen. Leider ist dies noch nicht alles, denn rechts des von Speerspitzen gesäumten, schmiedeeisernen Gartentors gibt es eine völlig neue Perspektive: Statt des verwilderten Parks steht nun ein Garagenbauwerk in Form einer überdimensionierten Scheune, euphemistisch als Remise bezeichnet. Wie konnte das passieren? Warum entzieht eine Industriellenfamilie, deren Schloss auf der Halbinsel an zwei Seiten über große Privatgärten verfügt, der Allgemeinheit Grünraum? In Zeiten der Klimaerwärmung wird ein Platz am Wasser eingezäunt und bebaut – warum lassen Entscheidungsträger im öffentlichen Interesse das zu? Die Umstände sind rasch recherchiert: Die Familie Max-Theurer, seit ca. 30 Jahren Eigentümerin der Schlossanlage Kammer, wollte ihren Grund reprivatisieren und den Pachtvertrag mit der Gemeinde Schörfling nicht verlängern. Es gab angeblich guten Grund dazu, weil die Pächterin verabsäumt hatte, ihrer Pflicht nachzukommen: Pflege der Grünanlage, Instandhaltung der Ufermauer, nächtliche Überwachung des Parks. Bürgermeister Gerhard Gründl meint hingegen, da könne man leider nichts machen, wenn die Besitzer nicht mehr verpachten wollen. Auf die Frage, wie ein fünf Meter hoher Garagenneubau in der Uferschutzzone des Attersees baubehördlich möglich sei, antwortet er: „Der Naturschutz hat‘s bewilligt! Es ist Privatgrund, und es besteht kein öffentliches Interesse an dem Park.“

Rein theoretisch könne der Park verbaut werden

Solch eine Aussage macht hellhörig: Selbst das Land Oberösterreich hätte übergeordnet kein Interesse, seine Kultur- und Naturdenkmäler als Allgemeingut zu bewahren? Wenn man gleichzeitig „Auf den Spuren Gustav Klimts“ als Teaser des Attersee-Tourismus liest? Die Aussagen der Behörden sind ernüchternd: Die Raumordnungsabteilung hat die Widmung wohl genehmigt. Die Kulturabteilung als Kulturförderungsinstitution wisse nichts vom Zaun und habe keine Handhabe, diesen zu verhindern. Das Bundesdenkmalamt kann nichts tun, denn nur das Schloss stehe unter Schutz, nicht jedoch der Park als „historischer Garten“. Die Aussage der Naturschutzbehörde ist desillusionierend: Das Gesetz sei in den vergangenen zehn Jahren aufgeweicht worden, man könne nicht mehr richtig dagegenhalten, und der Zaun sei nicht genehmigungspflichtig. Zudem liege der Schlosspark im Bereich der neuen „Attersee-Seeufer-Ausnahmeverordnung“, und rein theoretisch könne der Park verbaut werden.

Das ergibt mögliche Verwertungsszenarien: nette Chalets mit dem Château in Sichtweite, die Garage steht schon da; oder Glamping in der Jurte im Schatten der Alleebäume – das Aufnahmegebäude wäre leicht zu finden. Tatsache ist jedenfalls, dass die Exklusivität der Klimt-Allee hinter Gittern dem bislang verpachteten, daher kapitalistisch betrachtet wertlosen Parkgrundstück einen Wertzuwachs beschert. Das Gemeinwohl, eines der sechs Grundprinzipien der europäischen Staatslehre, hat offenbar wie das Subsidiaritätsprinzip des EU-Vertrages als gesellschaftspolitische Zielsetzung vielfach bei der Gestaltung und pfleglichen Weiterentwicklung des Lebensraums (Raumordnung, Städtebau, Seeuferschutz etc.) an Zugkraft verloren. Ein klarer Befund, denn es war die Gemeinde Schörfling, die es verabsäumte, den Pachtvertrag zu verlängern und die Erinnerungskultur in situ aufrechtzuerhalten. Und so wurde ohne politische Gegenwehr ein Park am Wasser der Öffentlichkeit entzogen – die Allee vor Schloss Kammer können Erholungsuchende nur mehr grau in grau malen.

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