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Bern und seine Grands Projets
Neue Zürcher Zeitung

Zwei entschiedene Projektwettbewerbe für das Wankdorf-Areal

Die Bundesstadt plant den architektonischen Kick-off: Nach etlichen negativen Schlagzeilen um bedenklich anmutende Vorgehensweisen bei Wettbewerben und die Direktvergabe von Prestigeaufträgen scheint sich nun in Bern allmählich die Erkenntnis durchzusetzen, dass Architektur als Metier doch mehr als städtebauliche Kosmetik zu leisten vermag.

6. August 1999 - Beat Aeberhard
Der Entwicklungsschwerpunkt Bern Wankdorf weist eine besondere Ausgangslage auf: Mit der Messe, dem Fussballstadion und anderen publikumsorientierten Einrichtungen ist er Ort der Austragung verschiedenster Grossveranstaltungen. Eine städtebauliche Aufwertung und Verdichtung des nur einen Steinwurf vom wichtigsten Autobahndreieck des Kantons entfernt gelegenen und bestens durch den öffentlichen Verkehr erschlossen Areals bietet sich geradezu an. Gemäss dem Gesamtplan, der in Übereinstimmung mit dem räumlichen Stadtentwicklungskonzept erarbeitet wurde, soll entlang der Papiermühlestrasse - einer barocken Chaussee, die das Gelände als kilometerlange, gerade Allee mit der Innenstadt verbindet - ein zusammenhängender, attraktiver Stadtraum mit vorwiegend öffentlicher Nutzung gestaltet werden. Am südlichen sowie nördlichen Ende dieser Orientierungsachse konkretisieren sich nunmehr die Bauvorhaben.


Hotels und ein Stadion

Am stadtnahen Guisanplatz erarbeiteten sechs Architektenteams aus Bern und der Romandie einen Entwurf für eine Bebauung mit zwei Hotels. Gefragt waren neben der strikten Einhaltung funktionaler wie wirtschaftlicher Kriterien ein städtebaulich und architektonisch herausragender Akzent. Seitens der Bauherrschaft gingen die Vorgaben bis zum Layout der Hotelzimmer. Entstehen soll ein der 3-Sterne-Kategorie zuzurechnendes «Novotel» und das 1-Stern-Hotel «Etap». Gemessen an den einschneidenden Auflagen und Vorschriften verwundert es nicht, dass das Niveau der Arbeiten mit Ausnahme der mit dem ersten und zweiten Preis prämierten Projekte «Quarz» der Genfer Architekten Patrick Devanthéry und Inès Lamunière und «Novetap» der Architektengemeinschaft Rodolphe Luscher Architectes, Lausanne, und Schwaar & Partner, Bern, kaum zu begeistern vermag.

Bereits der städtebauliche Ansatz der übrigen Projekte war oft merkwürdig unbestimmt oder zu einfach, um den vielfältigen räumlichen Anforderungen der gegebenen Situation zu genügen. In der architektonischen Ausbildung blieben die Entwürfe häufig oberflächlich. Sie reihen positivistisch aneinander, ohne zu akzentuieren oder zu differenzieren. Mit anderen Worten: der bewusst geforderte vertikale Akzent erinnert zuweilen an abschreckend monotone Hochhauskolosse im Stil der sechziger Jahre, die mit Beschriftung und Werbung oder textilen Verkleidungen wie ihre modisch sanierten Vorbilder daherkommen.

Während das zweitplacierte Projekt von Luscher/Schwaar mit einem klaren Volumen den Übergang von der streng orthogonalen Ordnung der Papiermühle-Magistrale zur fein abgewinkelten Mingerstrasse thematisiert und diese Scharnier-Situation auch bewusst in der Architektursprache nachzeichnet, verfolgt das siegreiche Projekt «Quarz» von Devanthéry & Lamunière eine andere Strategie. Als Kontrapunkt zur Hauptachse der Papiermühlestrasse figurieren die offenen Raum bildenden Ensembles der Sport- und Messewelt Wankdorf. Zu diesen gesellt sich das als Solitär konzipierte 13geschossige Hotel, dessen Kanten keiner gegebenen Referenz folgen. Der Aussenraum ist geschickt gegliedert und verspricht eine Aufwertung des städtischen Kontextes. Eine aus klaren und opaken Glasscheiben zusammengesetzte Haut umspannt das Volumen und unterstreicht damit auch in der Fassadengestaltung den selbstreferentiellen Charakter des Objektes. Dabei erweist sich die Repetition der in der Grösse unterschiedlichen Fenster der Standardzimmer und der Konferenzräume für einmal nicht als Nachteil. Erstaunlich, wie sich der architektonische Ausdruck der in Form, Funktion und Grösse unterschiedlichen Räume scheinbar selbstverständlich zu einer Einheit formt.

Von Grösse handelt auch das zweite Bauvorhaben im Wankdorf-Quartier. Das von den Spuren der Zeit gezeichnete Fussballstadion soll neu auferstehen. Da ein solches Projekt nicht genug Rendite abwirft, wird es mit einer Fläche von insgesamt 50 000 Quadratmeter unterschiedlichster Nebennutzungen garniert. Bereits im letzten Herbst erarbeiteten zwölf Projektteams auf Einladung der Marazzi-Generalunternehmung einen Entwurf. Aus diesem Wettbewerb ging das Architekturbüro Rebmann aus Zürich als Sieger hervor, was umgehend Proteste in der Fachwelt nach sich zog, da in der Jurierung das unternehmerische Kalkül und die betrieblichen Abläufe deutlich höher gewichtet wurden als die gestalterischen und inhaltlichen Themen. Letztlich sah sich die Stadt Bern - im Wissen um die Bedeutung eines Neubaus anstelle des legendären Wankdorfstadions - gezwungen, einen Studienauftrag unter den fünf bestplacierten Teams auf der Grundlage des Siegerprojektes zu verlangen.

Die Aufgabe bestand insbesondere darin, zwei architektonische und formale Fragen zu lösen: die Ausformulierung des Platzraumes, der durch das freistehende Stadion und einen langgezogenen Gebäuderiegel flankiert wird, und die Bewältigung der Zugänge zur Shopping-Mall und zum Multiplexkino. Der Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft Luscher/Schwaar wurde mit dem 1. Preis bedacht. Es gelang ihr, den Platz durch seine verschieden gewichteten begleitenden Bauten sowie die starke Platzöffnung hin zur Papiermühlestrasse im Osten und die räumliche Verengung mit Bäumen Richtung Westen subtil zu gestalten. Das Arrangement von Zugängen zur unterirdischen Einkaufsebene, zum Kinokomplex und zur Lobby des Hotels erweist sich als plausibel. Luscher/Schwaar blenden die Untergeschosse nicht aus, sondern machen sie zum Thema. Schliesslich verheissen sie eine spannende Wahrnehmung der unterschiedlichen Nutzungen durch eine klare Gliederung der Fassadengestaltung am Stadionbau.

Einen nicht minder interessanten Beitrag lieferten die jungen Berner Architekten Mathys & Stücheli, die bereits beim Projektwettbewerb mit einem vieldiskutierten, sich bewusst experimenteller Ansätze bedienenden Beitrag auf sich aufmerksam machten. Ihr Entwurf zeichnet sich durch die grosszügige Platzgestaltung entlang der Papiermühlestrasse aus, die mittels einer Vierteldrehung des Stadions erzeugt wird. Die angestrebte Urbanisierung dieser Achse verliert allerdings an Kraft durch die zu wenig markant ausformulierten Zugänge zu den Untergeschossen. Die Jury empfiehlt der Bauherrschaft das Projekt von Luscher/Schwaar zur Ausführung und geht davon aus, dass die Gewinner des Studienauftrages mit dem Büro Rebmann eine Arbeitsgemeinschaft bilden. Wie sich diese auf die Realisierung auswirken wird, muss sich erst noch zeigen.


Hoffnungsschimmer

Bern gilt nicht unbedingt als Mekka der zeitgenössischen Architektur. Die Vorzeichen für einen Wandel stehen aber nicht schlecht, wie die beiden grossen Bauvorhaben im Wankdorf-Quartier zeigen. Denn insbesondere der Direktauftrag für das geplante Klee-Museum an Renzo Piano (NZZ 21. 12. 98) und die missglückte Jurierung im Projektwettbewerb Stadion Wankdorf manifestierten die Diskrepanz zwischen den Interessen der Investoren einerseits und dem Recht der Öffentlichkeit auf gute Architektur andererseits. Es zeigt sich nun, dass Auftraggeber sehr wohl gewillt sind, sich für bestmögliche und nicht nur bequem realisierbare Bauten zu begeistern, wenn engagierte Behörden ein faires Wettbewerbswesen fördern und innovative Architekten Visionen entwickeln, um die zunehmend strengeren wirtschaftlichen Anforderungen mit klaren städtebaulichen und architektonischen Vorstellungen zu vereinbaren. Schliesslich sind - auch dies eine am Beispiel Wankdorf gewonnene Erkenntnis - Juroren unabdingbar, die nicht in vorauseilendem Gehorsam den Wünschen der Investoren nachkommen. In Bern tut sich einiges. Die beiden siegreichen Wankdorf-Projekte sind verheissungsvoll. Um so erfreulicher, dass diese «lueur d'espoir» von zwei Architektengemeinschaften aus einem Teil unseres Landes stammt, dessen architektonisches Profil östlich von Bern noch zu wenig wahrgenommen wird.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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