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Die Architektin für Mond und Mars
Der Standard

Gebäude aus Mondstaub, aufblasbare Raumstationen und Gewächshäuser für lebensfeindliche Orte: Seit über 20 Jahren entwirft Barbara Imhof mit ihrem Wiener Architekturbüro Liquifer Raumkonzepte und Gebäude für den Weltraum.

20. September 2023 - Martin Stepanek
Wie und wo werden wir in Zukunft leben? Auf einer von Klimaextremen und Ressourcenknappheit gebeutelten Erde? In Raumstationen, die um unseren Planeten kreisen? Oder gar in futuristischen Städten auf dem Mond und dem Mars? „Solche Fragen haben mich immer schon fasziniert“, sagt Barbara Imhof. Im Laufe ihres Architekturstudiums an der Technischen Universität und der Ausbildung an der Universität für angewandte Kunst Wien mit Zwischenstopps in London, Los Angeles und Straßburg sei es immer wieder darum gegangen: „Wie muss ein Lebensraum in einer extremen Umgebung gestaltet sein, damit Menschen sich dort wohlfühlen?“

Als sie zusammen mit Waltraut Hoheneder und René Waclavicek Anfang der 2000er-Jahre ein Büro für Weltraumarchitektur gründete, sei das „etwas Unerhörtes gewesen“, erinnert sich Imhof. Noch heute ist ihr Büro namens Liquifer mit Firmenstandorten in Wien und Bremen global eine Ausnahmeerscheinung. Doch das Risiko und die harte Arbeit haben sich ausgezahlt. Von den Weltraumorganisationen Nasa und Esa, zu der auch das österreichische Klimaschutzministerium finanziell beiträgt, bis hin zu Technikkonzernen wie Airbus und Thales Alenia Space nutzen alle die Expertise der österreichischen Firma.

Ein besonders spannendes Projekt ist die Gestaltung der geplanten Raumstation LOP-G (Lunar Orbital Platform-Gateway), die schon in wenigen Jahren den Mond umkreisen soll. Für die Station, die vier Personen Platz bieten und als Umsteigepunkt für die Mondoberfläche dienen soll, entwickelte Liquifer mit Airbus einen Entwurf für das Wohnmodul. Seit 2020 arbeitet das Büro mit Thales Alenia Space an der konkreten Umsetzung. In einem vereinfachten 1:1-Modell, das gerade in Turin aufgebaut wird, wird nun überprüft, ob es sich in den Räumlichkeiten tatsächlich wohnen und schlafen lässt und einfache Tätigkeiten, wie sich einen Tee zu kochen, unkompliziert möglich sind.

Im Raum schweben

„Wenn man einen Raum für die Schwerelosigkeit entwirft, muss man komplett umdenken“, erklärt Imhof. Während auf der Erde alles an Oberflächen und der x/y-Achse ausgerichtet sei, habe man in der Schwerelosigkeit vergleichbar mit Unterwasser beim Tauchen ein viel größeres Raumerlebnis. „Oben, unten – das ist plötzlich alles nicht mehr so eindeutig. Wir können überall hinschweben, müssen nicht mehr auf einem Sessel sitzen, an einem Tisch arbeiten oder in einem Bett liegen. Das wirft vieles über den Haufen, was bei herkömmlicher Raumplanung eine Rolle spielt.“

Dazu komme, dass das Gesichtsfeld durch den in der Schwerelosigkeit nicht mehr ganz geraden Rücken verändert sei. Da sich die Beine beim Schweben eher hinter als unter einem befinden, müsse man Gegenstände und Einrichtung so platzieren, dass man sich nicht versehentlich verletze. Gleichzeitig würden Astronautinnen und Astronauten auch in der Schwerelosigkeit gewisse gewohnte Verhaltensmuster an den Tag legen – etwa sich bei einem Gespräch gegenüberstehend in die Augen sehen zu wollen. Auch solche sozialen Gepflogenheiten müssten berücksichtigt werden.

Technisch noch komplexer und in vielerlei Hinsicht komplettes Neuland ist der Bau permanenter Basen auf Himmelskörpern wie Mond oder Mars. Das beginnt beim Baumaterial, das selbst zum relativ leicht erreichbaren Mond nicht beliebig transportiert werden kann. Ausweg für das Dilemma bietet der auf der Oberfläche in Hülle und Fülle verfügbare Regolith, auch Mondstaub genannt. „Regolith ist fein, scharfkantig und leicht magnetisch, ist jedoch auch formbar und klebt zusammen, nachdem man ihn angeschmolzen hat“, erklärt Imhof.

Auf dem Mond könne das Material verwendet werden, um eine selbsttragende Hülle oder Kuppel zu bauen und sich so vor der hohen kosmischen Strahlung und den ständigen Mikrometeoritenschauern zu schützen. Um den Regolith zu schmelzen, könnte man die Sonnenstrahlung zu einem wenige Zentimeter dicken Laserstrahl bündeln.

Der Aufbau der Gebäudestruktur wäre über 3D-Druck möglich, wie Liquifer zusammen mit Forschungspartnern für den Mond bereits unter Beweis stellte. Aber auch auf dem Mars könnte 3D-Druck-Technologie zum Bau von Modulen verwendet werden, wie das im Rahmen eines Nasa-Wettbewerbs vorgestellte Projekt Lava Hive aufzeigt.

Völlige Autarkie notwendig

Um auf permanenten Basen leben zu können, müsse das System komplett autark sein. Wasser und Sauerstoff muss aus der Atmosphäre oder eben auch aus Mond- oder Marsgestein gewonnen und in praktisch endlosen Schleifen recycelt werden. Dass selbst aus Urin Trinkwasser werden kann, hat die Besatzung der Internationalen Raumstation ISS längst unter Beweis gestellt. Auch dass künstliche Gewächshäuser an unwirtlichen Orten funktionieren, konnte nicht nur im Weltraum, sondern bereits auf einer von Liquifer mitkonzipierten Station in der Antarktis gezeigt werden.

Und dann ist da noch das psychische Wohlbefinden. „Die Besatzung ist auf sich allein gestellt und kann auch nicht wieder weg. Es braucht daher Aktivitäten, die die Gemeinschaft stärken, wie gemeinsam essen oder Filme ansehen, aber auch Rückzugsorte, die persönlich gestaltet werden können“, sagt Imhof. Gerade für Langzeitprojekte müsse dies architektonisch noch viel stärker berücksichtigt werden.

Wer noch tiefer in solche Überlegungen und die Hürden der Weltraumarchitektur eintauchen möchte, kann dies mit dem Buch Liquifer. Living Beyond Earth tun, das in Kürze im Verlag Park Books erscheint. Den Nachwuchs will das Liquifer-Team im Rahmen des Forschungsprojekts „This is (not) Rocket Science!“ des Technischen Museums Wien abholen, das über die Bildungsagentur OEAD mit Mitteln des Wissenschaftsministeriums gefördert wird. Im Zentrum der Aktivitäten steht ein Rollenspiel, bei dem eine Marsmission simuliert wird.

Die Begeisterung, die bei Kindern und Jugendlichen beim Thema Weltraum zu beobachten ist, ist auch Imhof nicht fremd: „Ich würde sehr gerne einmal auf die ISS fliegen, dann aber noch weiter das Raumschiff Richtung Mond nehmen.“ Dass die Architektin bei einem ihrer Projekte für Bauaufsicht und Geländeinspektion ins All darf, ist aber unwahrscheinlich: „Das wird alles automatisiert ablaufen.“

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