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Die Kunst des gebauten Nichts
Neue Zürcher Zeitung

Neue Museen in Japan

In den letzten zwanzig Jahren sind in Japan zahlreiche Museen entstanden. Sie zeigen Elemente, die uns typisch japanisch erscheinen: die Einbindung in die Natur, eine - wie auch immer geartete - Spiritualität und die Ausweitung des traditionellen Museumsbegriffs. Nicht immer unproblematisch ist dabei das Verhältnis zwischen Form und Inhalt.

9. August 1999 - Marc Zitzmann
Anfang der neunziger Jahre kostete ein Quadratmeter Baufläche im Zentrum von Tokio mindestens 150 000 Dollar. Angesichts solcher Grundstückspreise fielen die Gagen der 30 000 hier tätigen Architekten kaum ins Gewicht. 1991 platzte die ökonomische Seifenblase; und im Land der aufgehenden Sonne wurde es - wirtschaftsmetaphorisch gesprochen - Nacht. Der Architekt Arata Isozaki bedauerte 1996, dass wegen der Rezession kaum mehr kulturelle Projekte verwirklicht würden. Doch ein Blick in die Jahrbücher von «The Japan Architect» widerlegt diese Ansicht. So kamen in den letzten Jahren zu den sieben nationalen Institutionen zahlreiche Museen hinzu, die von den Präfekturen, den Gemeinden oder von privater Hand finanziert wurden. Allein 1995 entstanden 24 architektonisch relevante Museen, und noch immer wird jedes Jahr eine stattliche Anzahl neuer Museen gebaut, die meisten - so der Architekturhistoriker Hiroyi Suzuki in einem kürzlich vom Louvre organisierten Kolloquium - in einem funktionalen, konservativen Stil. Daneben finden sich aber immer wieder auch Beispiele von überragender Qualität.

Am Anfang der modernen japanischen Museumsarchitektur steht Le Corbusier. Er hat mit dem 1959 eröffneten Museum für westliche Kunst in Tokio direkt und durch das Wirken seiner Schüler indirekt Generationen von Architekten beeinflusst. So erklärte Toyo Ito, von dem lichte, sich auf nautische Formen berufende Stadtmuseen in Yatsushiro und in Shimosuwa stammen, dass er unbewusst immer wieder an Le Corbusier anknüpfe. Tadao Ando hat seinerseits die Werke seines geistigen «Übervaters» ausführlich in Europa studiert, und Kenzo Tange, der Schöpfer des Friedensmuseums in Hiroshima, war bereits in den dreissiger Jahren in Maekawas Büro mit Le Corbusiers Prinzipien konfrontiert worden. Mindestens so wichtig wie der Einfluss westlicher Architekten (u. a. auch der von Frank Lloyd Wright) ist allerdings das traditionelle japanische Formenerbe, das während der Edo-Zeit in strenger Abgeschlossenheit ausreifte. «Klassische» Elemente sind die steilen Satteldächer, die Torbogen vor jedem Shinto-Schrein, auf die sich etwa Pritzker-Preis-Träger Fumihiko Maki beim Kunstmuseum in Kyoto besann, und die Gittermuster, die man in Kisho Kurokawas symbiotischen, «west-östlichen» Kunstmuseen von Nagoya und Hiroshima wiederfindet.

Eine spirituelle Dimension ist vielen der neueren Museen eigen. Besonders deutlich wird dies in den Werken von Ando, dem Autor eines buddhistischen «Wassertempels» auf der Insel Awaji und eines Meditationsraums auf dem Pariser Unesco-Gelände. Auffällig ist bei vielen seiner Museen der raffiniert inszenierte Zugang, der wie bei religiösen Bauwerken schon vor dem Betreten des Gebäudes eine andächtige Stimmung erzeugen soll. So wird der Besucher des Holzmuseums in der Präfektur Hyogo, nachdem er einer zweihundert Meter langen Rampe durch den Wald gefolgt ist, am Eingang des ringförmigen Gebäudes gebeten, seine Schuhe auszuziehen - wie in einem Tempel. Im Fall des «Gräberwald»-Museums in Kumamoto gelangt man vom fern gelegenen Parkplatz durch einen Wald von Pflaumenbäumen auf eine Dachterrasse, von der aus man über einen kreisförmigen Weg ins Innere des halb unterirdischen Gebäudes hinabsteigt. Am spektakulärsten zum Zug kommt dieses Konzept im Museums- und Hotelkomplex auf der Insel Naoshima, einem «work in progress», das die ganze Insel in ein Kunstwerk zu verwandeln trachtet.

Die Einbindung in die Natur gilt als ein Charakteristikum der japanischen Architektur von heute. Das Verhältnis ist grundsätzlich ein anderes als im Westen - etwa was den fliessenden Übergang von Aussen und Innen betrifft oder die Raumbehandlung, die geprägt ist von religiösen Vorstellungen, denen Reduktion und Leere als Ideale gelten: die Kunst des gebauten Nichts.

Doch entspricht das japanische Naturverständnis im Idealfall dem eines Gesamtkunstwerks, in dem Landschaft und Architektur miteinander verschmelzen. Auch hier hat Ando Massstäbe gesetzt. Seine neueren Museumsbauten beziehen anhand von Dachgärten, Wasserbecken, in den Himmel ragenden Lichtschächten und sensibel arrangierten Aussichtspunkten die Natur in den Ausstellungsverlauf mit ein. Extremfälle sind in dieser Hinsicht das Oyamazaki Villa Museum, in dem ein vierzig Meter langer, äusserst schmaler und hoher Glas-und-Beton-Korridor durch eine wildromantische Tallandschaft führt, oder der Garten der schönen Künste in Kyoto, ein aus den Grundstoffen Beton, Glas, Wasser und Landschaft komponiertes Freilichtmuseum. Freilich stellt sich schnell die Frage, ob nicht in manchen Fällen die Form den Inhalt zu verdrängen droht.

Das Verhältnis der Architekten zu den Exponaten in ihren Museen ist facettenreich. Während etwa Masakasu Bokura konzediert, dass seine Heimat mit einer Vielzahl kleiner, formal ansprechender, aber inhaltlich oft konzeptionsloser Institutionen eine heikle Sonderposition besetzt, und Yoshio Taniguchi aus eben diesem Grund seine Bauten möglichst unaufdringlich und «rezeptiv» zu gestalten sucht, macht Ando kein Hehl daraus, dass er die Künstler während der Konzeptionsphase am liebsten im Fernsehen sieht, und schildert humorig sein Entsetzen angesichts einer von Richard Long spontan «vollgepinselten» Wand in Naoshima: «Ich hoffe, er wischt das wieder weg.»

Der Ausweitung und -höhlung des westlichen Konzepts vom (Kunst-)Museum ist freilich auch die Schaffung ungewöhnlicher Institutionen zu verdanken. So arbeiten Bokura und Paul Andreu an einem Meermuseum, das wie eine 40 Meter hohe, leuchtende Seifenblase in der Bucht von Osaka schwimmen soll. Von Itsuko Hasegawa stammt das Früchtemuseum am Fusse des Fujisan in Yamanashi; und Osamu Ishiyama hat ein Areal geschaffen, in dem Blinde Begriffe wie «Panorama» und «Geschwindigkeit» erspüren können, ein Thermalbadmuseum, das man mit dem Handtuch um die Hüfte durchquert, und ein Eismuseum, das bei Tauwetter wegschmilzt. Taniguchi plant seinerseits - ein Symptom für einen Mentalitätswandel der japanischen Wegwerfgesellschaft? - die Verwandlung einer Verbrennungsanlage am Meer in ein «Müllmuseum». Wer da ans Ufer will, muss erst eine immense Galerie im Herzen des Gebäudes durchqueren, hinter deren Glasfronten haushohe Maschinen unablässig mahlen, glühen und dampfen . . .

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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