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Hellas ohne Säulen
Neue Zürcher Zeitung

Griechische Architektur des 20. Jahrhunderts in Frankfurt

Als Tour d'horizon durch das neuzeitliche Baugeschehen Griechenlands will die jüngste Länderausstellung des Deutschen Architektur-Museums in Frankfurt verstanden werden. Auch wenn diesmal einige Schwerpunkte gesetzt sind, dämpfen die stereotype chronologische Reihung und eine lieblose Präsentation die Freude des Besuchs.

20. August 1999 - Hubertus Adam
Eines der zukunftsweisendsten Grussworte an die Teilnehmer des legendären CIAM IV an Bord der «Patris II», welche die heimatlosen Protagonisten der Moderne in der Zeit des europäischen Nationalismus durch das Mittelmeer beförderte, stammte von Anastasios Orlandos, dem Archäologen und Professor für Geschichte an der Technischen Universität Athen: «Unsere Schule, obwohl eigentlich konservativ, hat sich den gegenwärtigen Fragen gestellt und hat ‹Tod dem Akademismus› verkündet, bevor unser Gast Le Corbusier diese Forderung vorgebracht hat. Ich denke, Sie werden, wenn Sie in wenigen Tagen unsere zauberhaften Inseln in der Ägäis besuchen, nicht nur über die perfekte Einfachheit, den klaren Entwurf und die Reinheit der Linien bei den antiken Häusern auf Delos erfreut sein, sondern auch über den faszinierenden Anblick der Gebäude auf den Inseln ringsum, mit ihren harmonisch und pittoresk in die Landschaft eingebetteten weissen, streng geometrischen Volumina. Diese bescheidenen Inselhäuschen sind die Archetypen der modernen Architektur.» Orlandos sprach damit die beiden Pole an, die das Spannungsfeld, in dem die moderne griechische Baukunst entstand, abstecken: die antike Architektur und das traditionelle mediterrane Bauen.


Langsame Abkehr vom Akademismus

Mit «Architektur im 20. Jahrhundert: Griechenland» gehen die Ausstellungen von europäischen Ländern im Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt in die sechste Runde. 113 Gebäude werden diesmal abgehandelt, wobei man sich hinsichtlich der Ausstellungsfläche auf die Eingangsebene und das erste Obergeschoss beschränkte.

Durch den Philhellenismus zum Nationalstil avanciert, hielt sich der Neoklassizismus in Griechenland länger als im übrigen Europa. Ernst Ziller, einstiger Assistent Theophil von Hansens, wurde in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zum wichtigsten Exponenten des späten Klassizismus. Mit dem Pesmazoglou-Appartementblock in Athen (1900) schuf er einen auf das gehobene Bürgertum zielenden Bautypus, der fortan die Kapitale prägen sollte. Neue Architektur bedeutete jedoch weiterhin den verspäteten Import einer anderenorts entwickelten Formensprache, was Pietro Arrigonis Jugendstilvilla in Thessaloniki (1911/12) ebenso beweist wie Vasileios Tsagris' Efessios-Gebäude in Athen (1928), dessen Fassade von Otto Wagner inspiriert ist. Mit seinem vernakulären Eklektizismus wirkt das Haus, das Aristotelis Zachos 1924-27 für Angeliki Hadjimichali errichtete, wie ein Befreiungsschlag angesichts des weiterhin tonangebenden Akademismus. Mit der am Hang des Lykabettos gestaffelten Elementarschule (1932) realisierte Dimitris Pikionis ein Meisterwerk im Sinne des Neuen Bauens. Stamo Papadaki, dem Begründer der griechischen CIAM-Gruppe, hingegen war es vorbehalten, mit seinem Einfamilienhaus in Glyfada am Saronischen Golf die weissen Kuben der mediterranen Welt mit dem von Le Corbusier favorisierten Dampfermotiv zu verschmelzen. Le Corbusier und vor allem dessen Spätwerk blieb für die griechischen Architekten seither eine beinahe übermächtige Inspirationsquelle; noch Passagierterminal in Piräus von Yannis Liapis und Elias Skroumbelos (1962-69) und das Gerichtsgebäude in Livadia von Tassos und Dimitris Biris und Elias Papayannopoulos (1966-78) zitieren die Werke des Meisters fast wörtlich.

Ihren eigentlichen Höhepunkt erreichte die moderne griechische Architektur in den fünfziger und sechziger Jahren. Vier Namen beherrschten die Szene: Nicos Valsamakis mit seiner hocheleganten, an die kalifornischen Case Study Houses erinnernden Villa Lanaras in Anavyssos (1963), Takis Zenetos mit dem mächtigen Riegel der streng funktionalistischen Fix-Brauerei in Athen (1957-63), Aris Konstantinidis mit seinen puristischen Strukturen aus Stahlbeton und Stein sowie der vom Rationalismus der Vorkriegszeit zu einem sensiblen Traditionalismus konvertierte Dimitris Pikionis. Seine einfühlsame Gestaltung der Erschliessungswege um die Akropolis und den Philopappos-Hügel in Athen (1954-57) vereint souverän antike und regionale Elemente und mutet mitunter fernöstlich-kontemplativ an.


Ohne Fragen keine Antworten


Anders als bei der Vorjahresschau zum Thema Schweiz suchten die Ausstellungsveranstalter - in diesem Fall das für die Konzeption verantwortliche Hellenic Institute of Architecture - zumindest beiläufig Akzente zu setzen. Valsamakis, Pikionis, Konstantinidis und Zenetos rahmen mit jeweils drei Arbeiten das Atrium im Erdgeschoss. Die herausragende Position dieser Architekten wird zwar niemand bestreiten, doch ist man nach der allzu egalitären Schweiz-Ausstellung für derlei Schwerpunkte schon beinahe dankbar. Allerdings krankt auch die Griechenland-Schau wie die vorangegangenen Präsentationen unter dem lexikalischen Zwang, alles oder vielmehr von allem etwas zu präsentieren. Die Konsequenz dieses Prinzips besteht in einer groben chronologischen Reihung der Werke, die sich als ermüdend erweist und in der amorphen Frankfurter Ausstellungssituation kaum plausibel zur Geltung kommt.

Wären nicht strukturelle Fragen stärker zu akzentuieren? Beispielsweise die nach der Orientierung am traditionellen heimischen Bauen oder am Neoklassizismus? Böte nicht die Frage nach den Bauaufgaben interessante Erkenntnisse? Etwa die, dass sich - von Universitäten, gegebenenfalls Museen abgesehen - derzeit nur noch gewisse Neureiche für Architektur interessieren und ihre luxuriösen Domizile in die hellenische Küstenlandschaft setzen lassen - wahlweise, wie der im Obergeschoss des Deutschen Architektur- Museums präsentierte Ausstellungsteil belegt, in postmoderner oder dekonstruktiver Formensprache? Und schliesslich: Weswegen suchen Architekturausstellungen wie diese die Historie zu marginalisieren? Spiegelt sich Griechenlands politisches Geschick nicht auch in seiner Baugeschichte? Warum glaubt der Besucher, durch ein einziges Gedicht von Jannis Ritsos mehr über dieses Land zu erfahren als durch eine Ausstellung, die als Tour d'horizon durch hundert Jahre Architekturgeschichte verstanden werden will?

Einmal mehr scheinen in Frankfurt die Belange der Architektur von den Sachwaltern verhandelt zu werden. Dass der Katalog auf Grund der desaströsen Finanzsituation des Deutschen Architektur-Museums und mangels Interesses der griechischen Sponsoren an einer deutschsprachigen Edition nur auf englisch (und neugriechisch) erscheint, mag zwar einige Kaufinteressenten abschrecken, liesse sich aber verschmerzen. Deprimierender ist, dass sich die Ausstellungsmacher bei der Auswahl der Dokumente wenig Mühe gegeben haben. An die Stelle von Originalen treten meist Reproduktionen; Bildlegenden und Massstäbe werden als überflüssig erachtet, und Photos sehen vielfach so aus, als ob Shift-Objektiv und farbechter Film noch nicht erfunden seien. Vom Reiz der mediterranen Landschaft, von der Faszination des architektonischen Raums findet sich keine Spur. Zur Architektur verführt man so kaum jemanden. (Bis 17. Oktober)


[ Katalog: 20th Century Architecture: Greece. Hrsg. Savas Condaratos und Wilfried Wang. Prestel-Verlag, München/York 1999. 288 S., Fr. 137.- (DM 78.- in der Ausstellung). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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