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Novellen im Klimaschutz: Diese Bäume dürfen wachsen!
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Viel zu billig konnten Immobilienentwickler in Österreich bisher Bäume fällen, doch das ist nun vorbei: Zwei Gesetzesnovellen sollen Bäume, das Klima und Grundbesitzer schützen – und finden fast einhellig Anklang.

9. Februar 2024 - Stephanie Drlik
Der voranschreitende Klimawandel verlangt nach kühlendem Ausgleich für hitzegeplagte Städte – neben grünen Parkanlagen sind Bäume das effektivste Mittel der Wahl: Sie kühlen ihre Umgebung wie keine andere Pflanze und binden beachtliche Mengen an klimaschädlichem CO2. Doch die gewünschte Klimawirkung kommt nur dann zum Tragen, wenn der Baum gesund und vital eine gewisse Größe erreicht, nicht bis zur Unkenntlichkeit zurückgestutzt oder gar frühzeitig gefällt wird.

Um die richtigen Weichen zu stellen, hat die Wiener Stadtregierung nun ihr Baumschutzgesetz nachgeschärft. Beinahe zeitgleich und ebenfalls zugunsten des Schutzes und Erhalts unserer Bäume hat das Justizministerium auf Bundesebene einen Gesetzesentwurf zur Baumhaftungslösung in Begutachtung geschickt.

Im Gegensatz zu anderen Städten hatte Wien schon bisher ein strenges Baumschutzgesetz. Grundbesitzer:innen, egal ob Bauträger:innen oder Private, die ihren Baumbestand loswerden wollen, müssen sich das Vorhaben behördlich bewilligen lassen. Sofern der Baum nicht krank oder gefährdend ist, wird für jeden gefällten Baum eine Ersatzpflanzung vorgeschrieben; sofern aus Platzmangel nicht möglich, sind Ausgleichsabgaben zu leisten.

Der für Klimafragen und Bäume zuständige Wiener Stadtrat Jürgen Czernohorszky hat mit Amtsantritt 2020 eine große Baumoffensive angekündigt. Tatsächlich wachsen jährlich Tausende neue Bäume auf Wiens Straßen, Plätzen und in Parks. Verärgerung gibt es vonseiten der Wählerschaft nur, weil im Rahmen der Klimaoffensive an einem Ende der Stadt junge „coole“ Klimabäumchen gepflanzt und zeitgleich am anderen Ende klimawirksame Großgehölze bei Stadt- und Quartiersentwicklungen zu Hunderten gefällt werden.

Daher will der Stadtrat mit einer soeben in Kraft getretenen Novelle des Wiener Baumschutzgesetzes dafür sorgen, „dass mehr Bäume geschützt und weniger gefällt werden und die nachgepflanzten Bäume eine noch höhere Qualität haben“. Denn Bestandsbäume überleben größere Bauvorhaben auf dem Grundstück nur vereinzelt, und für Ersatzbäumchen gibt es zwischen den maximal dimensionierten Baukörpern auch nur bedingt Platz.

5000 Euro für jeden abgeholzten Baum

Der Baumbestand wurde den Immobilienentwickler:innen bisher viel zu billig zur Rodung überlassen. Schließlich konnten Fällungen mit Beträgen abgegolten werden, die in der Immo-Branche kaum der Rede wert sind. Mit dieser Praxis soll nun Schluss sein. Die Gesetzesnovelle schreibt Ersatzbaumpflanzungen mit größerem Stammumfang und Kronenvolumen vor, damit diese möglichst rasch klimawirksam werden. Eine angehobene Ausgleichsabgabe von 5000 Euro statt bisher 1090 Euro je gefällten Baum soll mehr zweckgebundenes Geld für den Baum- und Klimaschutz zur Verfügung stellen.

Auch sinnvoll scheint die nun eingeführte Möglichkeit, Ersatzpflanzungen nicht nur auf dem Grundstück oder im Bereich von 300 Metern unterbringen zu müssen, sondern auf freie Flächen im Bezirk zurückgreifen zu können. Schließlich macht ja auch der Klimawandel nicht an der Grundstücksgrenze halt. Gegen rechtswidriges Verhalten will die Stadt künftig noch schärfer vorgehen, etwa durch die Vorschreibung von Wiederherstellungsmaßnahmen und eine Erhöhung der Verwaltungsstrafen auf bis zu 70.000 Euro.

Die Frist, bis wann eine Ersatzpflanzung als erfüllt gilt, wird von fünf auf zehn Jahre ausgedehnt, wodurch der Bestand der Ersatzbäume länger gesichert werden soll und ein größeres Bemühen hinsichtlich Baumqualität, Anwuchspflege und Ausfallsnachpflanzungen erwartet werden kann.

Lob zur Novelle gab es von Baumfachleuten, aber auch vom pinken Koalitionspartner und den Grünen. Die geäußerte Skepsis der Bauträger:innen, insbesondere jener, die laufende Projektvorhaben abwickeln, war erwartbar. Sie stoßen sich daran, dass die Novelle rückwirkend mit Jänner in Kraft getreten ist und sie nun auf Basis der neuen Gesetzesgrundlage kalkulieren müssen. Das könnte Projektbudgets empfindlich belasten. Berechnet man beispielsweise die Ausgleichsabgabe für 50 gefällte Bestandsbäume, so kann sich im Wechsel zwischen alter und neuer Regelung eine Kostendifferenz von rund 200.000 Euro ergeben.

Zudem bleiben Fragen offen, die sich wohl erst in der angewandten Praxis klären lassen. Denn laut Novelle liegen manche Entscheidungen im „Ermessungsspielraum“ des zuständigen behördlichen Sachbearbeiters, der „nach örtlichen Gegebenheiten“ beurteilen kann.

Grundlos zurückgeschnitten

Die „Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern“ ist Teil des türkis-grünen Regierungsprogramms. Auch wenn dieses im Wahljahr wohl nicht mehr allzu viel wert ist, hat sich die umsetzungszuständige Justizministerin Alma Zadić dennoch die Mühe gemacht und eine lange und mit Nachdruck geforderte Gesetzesnovelle zu den bundesweit gültigen Baumhaftungsbestimmungen vorgelegt, mitgetragen vom Koalitionspartner. „Überstrenge Haftungsregelungen führten bislang dazu, dass Bäume oft frühzeitig und ohne gewichtigen Grund zurückgeschnitten oder gar gefällt wurden“, so Zadić. Mit der Novelle sollen Bäume und ihre wichtige Klimafunktion nun besser geschützt werden.

Derzeit orientiert sich die Haftung für Bäume in Ermangelung einer eigenen gesetzlichen Regelung an jener der Gebäudehaftung. Diese sieht eine sogenannte Beweislastumkehr vor, wonach – anders als im Schadensersatzrecht – nicht der Geschädigte das sorgfaltswidrige Handeln des Baumbesitzers nachweisen muss. Vielmehr haben Baumeigentümer:innen im Schadensfall zu belegen, dass Kontrollen und Schnittmaßnahmen durchgeführt wurden. Besonders im stark frequentierten städtischen Bereich, in dem Stadtgartenämter für Zigtausende Bäume verantwortlich sind, wird daher vorsichtshalber eher zu viel als zu wenig geschnitten oder im Zweifel gefällt.

Die geplante Gesetzesnovelle, die noch bis 21. Februar in Begutachtung ist, sieht eine Aufhebung der umstrittenen Beweislastumkehr vor. Somit müssten künftig also Geschädigte die Verletzung der Sorgfaltspflichten beweisen. Zudem soll zwischen Bäumen in stark frequentierten Bereichen und solchen in abgelegeneren Gebieten unterschieden werden. Wälder sind nicht von der Gesetzesnovelle betroffen, für sie gelten die Regelungen des Forstgesetzes, das erst Ende 2023 hinsichtlich Klimafitness novelliert wurde.

Erstaunt haben bei den Vorlagen beider Gesetzesnovellen der fast einstimmige Zuspruch seitens der Fachwelt sowie der politische Konsens. So einig sind sich Parteien in Umwelt- und Klimafragen selten.

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