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Vom Wohnen im Hügel
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Spectrum

Das Fertighaus ist ein architektonisches Stiefkind. Technische und Kostenvorgaben scheinen nur wenig gestalterischen Spielraum zu lassen. Gustav Peichls Entwurf verwirklicht indes eine Reihe klassisch moderner Postulate und genügt auchbaukulturellen Ansprüchen.

21. August 1999 - Walter Zschokke
Ein oberflächlicher Blick in einen Fertighauskatalog könnte glauben machen, die Moderne sei in dieses nicht unbedeutende Segment des Eigenheimbaus noch nicht eingezogen. In der Bauorganisation, der Vorfertigung und der Abwicklung jedoch hätten sich die Protagonisten des Neuen Bauens keine rationalere Praxis vorstellen können.

In den Anpreisungen tönt es allerdings wieder anders. So scheint es in der Fertighauswelt beispielsweise den Begriff „Beton “nicht zu geben. Das Gemisch aus Zement, Zuschlagstoffen und Wasser wird in einem Fall, da nicht Kies und Sand, wie sonst üblich, sondern – der besseren Dämmwerte wegen –Blähtonkügelchen als Zuschlagstoff dienen, so beschrieben: „Aus völlig naturbelassenem Ton werden ohne chemische Zusätze beizumengen, kleine, keramische Tonkügelchen gebrannt. Unzählige dieser Tonkügelchen sowie zu Zement veredelter Kalkstein (!) werden unter Anwendung modernster Fertigungstechnologien zu massiven Wand- und Deckenelementen geformt. “Wenn man diese Werbetexte liest, möchte man glauben, es seien biozertifizierte Heinzelmännchen am Werken.

Der äußere Eindruck ist fast durchwegs bieder, manchmal sogar ungestalt und plump. Ein diffuses Gemisch aus überkommenen und modischen Stilelementen, die oft reichlich ungeschickt amalgamiert werden, herrscht vor. Was dabei herauskommt, ist dennoch nicht unbewohnbar. Wirklich architektonischen Pfiff haben aber die wenigsten dieser effizient und kostengünstig hingestellten Häuser.

Doch gibt es seit geraumer Zeit Bestrebungen, auch im Fertighaussektor höheren architektonischen Ansprüchen zu genügen. Hans Kollhoff, Roger Diener, O.M.Ungers und andere lieferten entsprechende Entwürfe. In Österreich wird ein Vorschlag von Matte Thun angeboten.

Nicht ohne widerstrebende Gedanken hat sich nun Gustav Peichl mit seinem Partner Rudolf F.Weber dazu entschlossen, einen Entwurf für ein Fertighaus zu entwickeln. Die Vorgaben der Fertighausfirma legten die Systematik und den Wandaufbau fest. Die Grundrißgestaltung und die architektonische Wirkung stammen von den Architekten. Einschränkungen ergaben sich bei den Elementgrößen wegen der Transportierbarkeit mit Lastwagen.

Eine gewisse Flexibilität im Grundriß, etwas länger der kürzer, je nach Familiengröße und Bauherrnwunsch, war Bedingung. Dennoch sollte das Haus Charakter haben. Diesem Anliegen kam Gustav Peichl, der einen klar erkennbaren Personalstil pflegt, mit seinem Entwurf entgegen.

Längsschnitt und Seitenansicht folgen einem flachen Kreissegment. Hauptwohnebene ist das Erdgeschoß; im Obergeschoß bleibt unter dem Bogenscheitel Raum für eine Wohnzimmergalerie, eine windgeschützte Dachterrasse sowie einen der Terrasse zugewendeten Dachraum.

Der Erdgeschoßgrundriß ist langgezogen und unterscheidet sich damit vom Gros der Fertighausgrundrisse, deren Räume sich in aller Regel aneinander drängen. Ein langer Gang an der vorzugsweise nach Norden orientierten Eingangsseite bildet eine Art Rückgrat, von dem die Räume erschlossen sind. Ein kubischer Anbau enthält den Windfang. Er bildet zusammen mit dem locker angekoppelten Zylinder, der das Bad enthält, die stark plastische Charakterisierung der Eingangsseite. Das lange Rechteck des Grundrisses ist in der Mitte geteilt. Die westliche Hälfte enthält das Wohnzimmer mit dem Aufgang zur Galerie, die Küche und die Nebenräume.

Die östliche Hälfte ist den privateren Räumen,den Kinderzimmern und dem Elternschlafzimmer, vorbehalten. Besonderheit und zusätzliche Erschließung zieht sich an der Südseite vom Wohnraum bis zum Elternschlafzimmer ein gangartiger, mit Lamellen beschatteter Glasvorbau, der mittels Schiebetüren entsprechend dendahinterliegenden Zimmern unterteilbar ist. Fenster und Lamellenwände lassen sich zum Teil beiseite schieben. Nach Westen wie nach Osten ist jeweils ein geschützter Außenwohnplatz vorgelagert.

An diesem Grundriß ist einiges bemerkenswert: Da ist vorab der langgezogene Zuschnitt, der innerhalb des Hauses Distanzen schafft. Dies ermöglicht den individuell gewählten Rückzug ins Private. Die doppelte Erschließung, eine gleichsam offizielle vom Gang her sowie eine eher familiäre durch die Schiebetüren im südorientierten Glasvorbau, bietet ebenfalls Wahlfreiheit.

Mit über zwölf Quadratmetern sind die Kinderzimmer gut bemessen, und die differenzierten Außenwohnbereiche bieten für jede Jahres- und Tageszeit und für jede individuelle Stimmung Raum. Das Haus weist einige Exklusivitäten auf: die Wohnzimmergalerie, die Dachterrasse und nicht zuletzt das runde Bad. Da nicht anzunehmen ist, daß die Häuser batterieweise situiert werden, sondern vermutlich einzeln inmitten anderer (Fertig-) Häuser stehen, bleiben diese Eigenheiten identitätsstiftende Bes0nderheiten.

Man könnte nun einwenden, daß es dem Haus an Radikalität mangle, kein Loft, keine offenen Grundrisse und so weiter. Dem ist entgegenzuhalten,daß sich der Entwurf erstens an eine breitere Käuferschicht wendet und daß er zweitens eine ganze Reihe klassisch moderner Postulate verwirklicht, die bei den sonst üblichen Fertighäusern nicht berücksichtigt sind. Es steckt einiges an Lebensweisheit und Familienerfahrung indiesem Grundriß –und an kulturellem Bewußtsein auch.

Natürlich mag es etwas erstaunen, daß die wärmegedämmte Holzständerkonstruktin an der Außenseite mit Heraklitplatten verkleidet und mit zwei Zentimetern mineralischem Verputz versehen wird; doch ist dies nicht nur eine Konzession an die Wünsche der Konsumenten nach einer äußeren Anmutung von Dauerhaftigkeit, es entspricht auch dem Personalstil von Gustav Peichl, der seine Bauten schon immergern weiß verputzt hat. Und besser als der längerfristig bauphysikalisch problematische „Vollwärmeschutz “mit dem millimeterdünnen, elektrostatisch wirkenden Kunststoffverputz, der den Staub anzieht, ist diese Fassade allemal.

Die Qualität dieses Entwurfs liegt in seinem modernen Selbstverständnis – kombiniert mit ein paar zeitgenössischen Elementen wie den Sonnenschutzlamellen, versteht sich. Gustav Peichls Fertighaus: ein Pr0jekt,zudem demnächst in der „Presse “noch mehr zu lesen sein wird.

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