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13. Juli 2024 Der Standard

Euphorie im Baumhaus

Das neue Kinderkunstlabor in Sankt Pölten ist das erste seiner Art und begegnet seiner jungen Zielgruppe auf Augenhöhe. Das tut auch die Architektur des Hauses, die mit einem Füllhorn an Raumideen und robuster Feinheit zum aktiven Entdecken einlädt.

Nicht nur Wien, auch Sankt Pölten verfügt über eine Ringstraße, und auch sie ist gesäumt von großen Einzelbauten. Weniger glamourös als Staatsoper und Burgtheater, aber ebenso wichtige Gesellschaftsbausteine: Schule, Amtshaus, Versicherungszentrale. In der Regel lässt sich von außen die Funktion auf den ersten Blick erkennen.

Nicht so beim jüngsten Neuzugang. Eine Art niedriger Turm, gehüllt in Holzlamellen, hinter denen Fensterflächen dunkle Diagonalen zeichnen. Der Eingang ein Trichter aus Sichtbeton, gestaffelt wie das Stufenportal einer Kathedrale. Also eine Kirche? Wobei, die Holzfassade sieht eher nach einem Forschungszentrum aus. Aber wozu dann die riesige Loggia im zweiten Stock mit Blick auf den Park und seinen alten Baumbestand? Ein Beobachtungsposten für Eichhörnchenfans? Oder doch ein Museum? Aber was für eines?

Es ist ein bisschen von all dem, aber es ist auch etwas ganz anderes. Denn das Haus in Sankt Pölten gehört zu einem Typus, den es bisher nicht gab: Es ist ein – nein, es ist das Kinderkunstlabor. Dessen Idee ist es, junge Menschen an die bildende Kunst heranzuführen, systematisch und professionell, ernsthaft und spielerisch, und vor allem auf Augenhöhe. Die Kinder wählen selbst die Künstlerinnen und Künstler aus, die hier ausstellen, und in den Labors im selben Haus setzen sie ihre eigenen kreativen Ideen um.

Die Idee entstand, als sich Sankt Pölten als Kulturhauptstadt Europas 2024 bewarb. Das wurde dann letztendlich das Salzkammergut, doch man verzichtete aufs Beleidigtsein und führte die schon begonnenen Ideen einfach weiter: Neben dem Festival Tangente war dies das Kinderkunstlabor. Eine kluge Entscheidung, ebenso wie jene für den Standort, eine wichtige Wegmarke zwischen Altstadt und Kulturbezirk.

Beglückende Erfahrung

Den ausgelobten Architekturwettbewerb gewann das Wiener Büro Schenker Salvi Weber, und das, wie Michael Salvi erzählt, mit großer Freude. Denn wann hat man als Architekt schon Gelegenheit, einen Gebäudetyp zu entwerfen, für den es kein Vorbild, keinen Normenkatalog, kein Handbuch gibt? Hilfestellung kam vom Kinderbeirat, der den Entwurfsprozess fachlich begleitete, für die Architekten eine beglückende Erfahrung, sagt Salvi. „Wir wollten nicht didaktisch, sondern mit Freude an die Sache herangehen und die Ideen der Kinder ernst nehmen. Denn wenn Architektur den Kindern gegenüber wertschätzend ist, ist sie es auch für Erwachsene.“ Das spürt man vor Ort, von außen wie von innen. Hier ist nichts verniedlichend, nichts kindisch, nichts Rot-Gelb-Blau. Es ist ein Haus, das auf eine kantige Art behaglich ist und auf eine elegante Art robust. Kristallin in der Form, aber warm und berührbar im Material. Ein organischer, freundlicher Monolith. Die turmähnliche Form ergab sich daraus, dass die Architekten so viel wie möglich vom Park erhalten und diesem einen räumlichen Halt am Rand geben wollten.

Als Form wählten sie ein gleichseitiges Dreieck mit stumpfen Ecken, an allen drei Seiten knickt die Fassade leicht nach innen. Da der Weg durchs Haus an der Fassade entlangführt, ergibt sich so eine Sogwirkung im Bewegungsablauf, ein Kontinuum an einladenden Gesten und belohnenden Blickrichtungen, Futter für unstillbare Neugier. Es sollten, sagt Michael Salvi, euphorische, feierliche Räume werden. Das mag etwas sakral klingen, bedeutet aber einfach, dem Kind nicht eine Schrumpfversion der Welt anzubieten, sondern im Gegenteil besonders große Türen in diese zu öffnen.

Selbstbewusste Stütze

Dabei fängt es zunächst ganz ruhig an, in einem breiten, niedrigen Foyer, wo sich die Gruppen sammeln. Der Weg der Kinder zu Kunst und Labor wendet sich zunächst in eine der Dreiecksspitzen und dreht dann scharf um, um zwischen einer keilrahmenhaft holzgetäfelten Wand und der parkseitigen Fassade mit ihren luftig geschichteten Stützen und Stäben auf breiten Stiegen hinaufzueilen. Hier will man auch als Erwachsener am liebsten gleich mehrmals jauchzend hinauf- und hinunterjagen. Das passt, denn, sagt Mona Jas, die Künstlerische Leiterin des KKL, die Kinder dürfen und sollen hier „rennen, laut sprechen, neugierig sein, viele Fragen stellen. Das Signal ist: Ihr müsst euch nicht an das Museum anpassen, sondern das Museum wächst mit euch.“

Das, was das Museum zum Museum macht, der eigentliche Ausstellungsraum, bildet das Herz des Ganzen, das Dreieck im Dreieck. Nicht nur in der Kontur ein ungewöhnlicher Raum, sondern auch in der Struktur. Versuchen Architekten und Kuratoren normalerweise mit allen Mitteln, aus Museumsräumen stützenfreie White Cubes zu machen, wurde hier die Statik der komplexen Geometrie auf ganz naheliegende Weise gelöst: durch eine selbstbewusste dicke Stütze genau in der Mitte.

Die nächste euphorische Treppenflucht nach oben, jetzt etwas schmaler, fast dachbodenhaft, finden die Kinder einen ruhigen kleinen Raum des Luftholens, bevor sie in den zwei großen Laboren und auf der Loggia davor, neben den zum Greifen nahen Bäumen des Parks, malen, bauen, reden, lernen, lehren dürfen. Im obersten Stockwerk schließlich gelangt man in die Bibliothek, klein und versteckt wie ein Baumhaus im Geäst, mit Licht von oben und Fenstern zum Nach-unten-Spähen. Die Regale für die Bücher sind perfekt maßgeschneidert, wie auch das ganze Haus geradezu ein Fest des Tischlerhandwerks geworden ist. Wie ein weiches Futteral sind die Kästen, Sitzbänke, Türen, Fächer aus hellem Birkensperrholz in die eckige Geometrie hineingenäht worden. Auch das hat einen versteckten didaktischen Zweck, sagt Michael Salvi. „Wir wollen den Kindern verständlich machen, wie ein Haus entsteht und zusammengesetzt wird.“

So schafft es die Architektur, das ambitionierte Programm der Kunstvermittlung und des Kunstmachens zu begleiten, ohne sich mit simplen Botschaften einzumischen, sondern als gebauter Bildungsauftrag, der Spaß macht. Keine Frage: Aus dieser Laborerfahrung werden so einige künftige Künstlerinnen hervorgehen – und sehr wahrscheinlich auch ein paar Architektinnen.

29. Juni 2024 Der Standard

Die Geschichte weiterschreiben

Die fast ausgestorbene Altstadt von Hohenems wurde mit privatem und öffentlichem Engagement wieder zum Leben erweckt. Ein städtisches Gesamtwerk, das als eines von drei Projekten mit dem Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurde.

Marktstraße, Ecke Harrachgasse. Leise plätschert der Brunnen, auf dessen Kante der Blumenladen seine florale Ware arrangiert hat. Ab und zu biegt ein Auto langsam um die Kurve und bremst vor einem strategisch platzierten Busch ab. Ein Sommertag in der Vorarlberger Stadt Hohenems im Rheintal. So idyllisch war es hier nicht immer. „Vor zehn Jahren hieß es oft, das Ortszentrum sehe aus wie Ostdeutschland vor 30 Jahren“, sagt Markus Schadenbauer. Damals waren in der langen, schnurgeraden Marktstraße gerade mal vier Ladenlokale noch in Betrieb, der Rest stand leer, die Straße vom Autoverkehr gerädert und geschwärzt, 5500 Autos pro Tag quetschten sich hier durch, viele Bewohner hatten sich an den Ortsrand verflüchtigt.

Heute hat sich Hohenems komplett gewandelt. Der Durchgangsverkehr wurde dank Poller und Begegnungszone geviertelt. Viele der alten Häuser wurden saniert, einige neue sind dazugekommen und fügen sich unaufgeregt ein. In den Erdgeschoßen: Cafés, Restaurants, Kleiderladen, Blumenladen, Bioladen. Zählte das Ortszentrum am Tiefpunkt der Verödung gerade mal 30 Beschäftige, sind es heute 185. Das hat nicht nur, aber doch sehr viel mit Markus Schadenbauer zu tun.

Der Begriff „Investor“ wäre zu wenig zutreffend für das, was Schadenbauer in den letzten zehn Jahren in Hohenems in die Wege geleitet hat. Der Projektentwickler kaufte nach und nach einzelne Häuser der desolaten Altstadt auf und entwickelte ein Investorenmodell, das Sanierung und Einzelhandel zusammendachte. „Die Objekte wollte keiner angreifen, erst recht, nachdem das Denkmalamt den Straßenzug unter Ensembleschutz gestellt hatte.“ Sein Ziel: eine Perlenkette aus Geschäften zu bauen, und mehr noch: Geschichte zu schreiben.

Regionale Wertschöpfung

Für große Filialen als Frequenzbringer waren die Lokale zu klein und zu niedrig, und dies sei ohnehin nicht die Zielgruppe gewesen, da zu wenig nachhaltig. Wie aber bringt man Einzelhändler dazu, sich dieses Risiko anzutun? Mit sehr viel persönlichem Werben und mit einem gezielten Branchenmix, der darauf achtete, nicht nur Bioläden anzusiedeln, und mit regionaler Wertschöpfung: Die Blumen hier kommen nicht aus Holland, sondern aus dem Rheintal. „Wir haben uns Zeit gelassen, die Häuser sukzessive in enger Kooperation mit dem Denkmalamt saniert. So kann man die Entwicklung steuern und eine Aufbruchstimmung erzeugen, weil alle sehen, dass sich etwas tut.“ Und mit dieser Mischung aus kuratierter Planwirtschaft und marktliberaler Eigeninitiative wuchs Hohenems langsam und organisch wieder in seine Hülle hinein.

Das alte Rom kannte zwei Begriffe für „Stadt“: urbs für die gebaute Substanz und civitas für das Gemeinwesen. In Hohenems greift beides ineinander, mit jeder sorgfältigen Sanierung wuchs auch das Zusammensein wieder. Die für Vorarlberg unübliche geschlossene Bebauung der Altstadt ist zudem prädestiniert für das Ineinandergreifen von Nachbarschaft und Bausubstanz. Auch privates und öffentliches Engagement griffen hier fugenlos ineinander. Denn die Stadt setzte schon ab 2012 mit einer langfristigen Vision auf Bürgerbeteiligung, berichtet Bernd Federspiel, Leiter des Bereichs Stadtplanung. „Das Interesse der Bürgerinnen an ihrer Innenstadt war enorm, sie wünschten sich wieder Lebensplätze im öffentlichen Raum“, erzählt er.

Das alles ging natürlich nicht ohne Reibereien und mit viel Gesprächsbedarf. „Hohenems war schon immer eine streitbare Stadt. Aber in unserem Visionsprozess haben wir gemerkt, dass wir alle vom selben Ort sprechen und uns in vielem einig sind.“ So konnte der berühmte Donut-Effekt der ausgehöhlten Ortskerne umgedreht und Attraktoren im Zentrum geschaffen werden: Statt die Kinder per Elterntaxi zum Standrand zu fahren, bringen die Hohenemser ihren Nachwuchs in die Kinderkrippe im Stadtkern und können dort zu Fuß einkaufen oder ins Café.

Als vorausschauend erwies sich auch der Bebauungsplan, der in den Hinterhöfen Neubauten erlaubte und somit eine Querfinanzierung der Sanierung der Straßenfront durch neue Wohnbauten, die sich auch architektonisch freier entfalten dürfen. „Bei der Auswahl der Architekten haben wir darauf geachtet, dass es nicht zu einheitlich wird“, erklärt Markus Schadenbauer. Zum Zuge kamen Bernardo Bader, Nägele Waibel, Georg Bechter, Hein Architekten, Imgang Architekten sowie ma.lo mit Michael Egger; die Straßen, Gassen und Hinterhöfe wurden von den Büros Lohrer Hochrein und Stadtland geplant und gestaltet.

Keine Plastikfenster

All dies in auch für Vorarlberg hoher Qualität: keine Plastikfenster, keine Styroporfassaden, mineralischer Putz. Dabei ging es um weit mehr als um die Herstellung schöner Straßenkulissen: Auch die vielen Hinterhöfe wurden geöffnet, fanden neue Nutzungen. „Wir haben mit jedem einzelnen Eigentümer geredet und sie überzeugt, ihre Hoftore zu öffnen und Durchgänge zu ermöglichen“, sagt Schadenbauer.

Dieses hohe private und öffentliche Engagement über viele Jahre wurde bereits 2023 mit dem Bauherrenpreis belohnt, jetzt gab es obendrauf den Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit 2024, der am Dienstag von Bundesministerin Leonore Gewessler verliehen wurde. Aus 83 Bewerbungen hatte die paritätisch aus Architektur- und Nachhaltigkeitsexpertinnen besetzte Jury zehn Nominierungen ausgewählt, drei davon wurden Preisträger: Neben der Altstadt Hohenems sind es das erneuerte und aufgestockte Wien-Museum (Winkler, Ruck + Certov Architekten) und die kongenial sanierte und erweiterte Wohnanlage Wir In-HAUSer in Salzburg (cs-architektur und Stijn Nagels). Als Ausgangsbasis für die Nachhaltigkeitsbewertung wurden die Anforderungen des klimaaktiv Gebäudestandards herangezogen.

„Ich bin beeindruckt von der herausragenden Qualität der Einreichungen, und es freut mich besonders, dass die Zahl der Sanierungen und Weiterentwicklungen von Bestandsgebäuden stetig wächst“, freute sich die Bundesministerin. Denn bei Architektur und Nachhaltigkeit geht es oft nicht um Hightech-Lösungen, sondern darum, das, was man hat, zu pflegen und die Geschichte weiterzuschreiben.

15. Juni 2024 Der Standard

Mach dir die Stadt selbst!

Skater entdecken die Stadt stets neu und machen Kanten, Stufen und Rampen zu Spielgeräten. Die Skateszene hat die allerbesten Skills für perfekte Betonoberflächen. Mittlerweile ist sie ein Vorbild für die Stadtgesellschaft.

Matthew Collins fährt mit der Hand über den Beton: perfekt glatt, die Kanten sauber abgeschliffen, Radius eineinhalb Millimeter. Jeder Architekt würde neidisch aufseufzen angesichts dieser Ausführungsqualität. „Ja, wir bekommen auch Anfragen von Architekten. Aber wir sind Skateboarder und wollen uns auf das konzentrieren, was uns Spaß macht.“ Matthew Collins, der mit Wollhaube und löchrigem T-Shirt auf der Baustelle am Ortsrand von Vösendorf steht, ist Mitgründer der Firma Spoff Parks, die hier gerade ihren jüngsten Skatepark baut.

„Gegründet haben wir uns vor neun Jahren, aber wir skaten natürlich schon viel länger, da hat sich viel Wissen angesammelt“, sagt Spoff-Mitgründer Frido Fiebinger. Denn für die gute Fahrbarkeit zählt jeder Grad des Neigungswinkels. Die Werkzeuge: Schablonen für die richtigen Rundungen, eine optimierte Betonmischung, spezielle Kellen fürs glatte Finish. Das Wissen darüber, was Spaß macht, ist die beste Voraussetzung fürs perfekte Produkt.

Bewegte Geschichte

Die Entstehung von Spoff aus der Wiener DIY-Szene ist verknüpft mit einem besonderen Skatepark mit bewegter Geschichte, der „Alm“ am Wiener Nordbahnhofgelände. Die erste Anlage, entstanden 2014 in spontaner Eigeninitiative auf der damals ungenutzten Brachfläche, wurde vom Grundeigentümer, der ÖBB, abgerissen. Ein Nutzungsvertrag mit der ÖBB und die Unterstützung der Stadtverwaltung ermöglichten einen zweiten Park, der in unbezahlten freiwilligen Arbeitsstunden des Vereins Alm DIY entstand und auf dem sich Skater aus Wien und aller Welt trafen. Im September 2017, nach Ablauf des Vertrags, wurde auch dieses Werk zerstört.

„Emotionale Erinnerungen“, seufzt Alm-DIY-Gründer Ben Beofsich auf einer Parkbank am Nordbahnhof, mit Blick auf die Stelle, wo der legendäre Skatepark lag. Ein Trost: Direkt vor ihm schimmert der Beton des brandneuen Skateparks Alm 3, der nur noch auf die TÜV-Abnahme wartet. Auch hier steckt viel Herzblut drin, viel unbezahlte Arbeit. Er ist Teil der (nach Plänen von Studio Vlay Streeruwitz und Agence Ter) zur wildromantischen Grünanlage gewordenen Freien Mitte Nordbahnhof. Er darf bleiben, dank vieler Telefonate von Ben Beofsich mit der Magistratsabteilung 42. Inzwischen ist er Experte für Behördenvokabular und kennt die ÖNORM EN 14974, die Skateparks regelt, auswendig.

Ein DIY-Skatepark, gebaut von unten, genehmigt von oben. „Es ist, wie wenn die Eltern sagen, du darfst dein Zimmer einrichten, aber sie suchen die Farbe aus“, sagt Beofsich. Wien mit seiner Tradition der Rundumversorgung von oben und Suderei von unten ist nicht gerade für einen Geist der Eigeninitiative bekannt.

„Dabei bräuchten wir viel mehr Orte im öffentlichen Raum, die von denen geschaffen werden, die ihn benutzen“, sagt Beofsich. Dazu passt, dass der Vereinszweck von Alm DIY inzwischen „Eigeninitiative öffentlicher Raum“ lautet. Denn es geht nicht mehr nur ums Skateboarden, sondern um die Stadt als Ganzes.

Stufen, Stiegen, Gehsteige

Sich die Stadt aneignen: Das ist die Ur-Philosophie des Skatens, seit die Kanalrohre, betonierten Flussufer und leeren Swimmingpools im Kalifornien der 1960er- und 1970er-Jahre als Skate-Spots entdeckt wurden. Das funktionierte mit etwas Verzögerung auch in Wien, erinnert sich Michael Paul, Wiener Skater der ersten Generation. „Wir haben uns in der kleinen Szene ausgetauscht, was man wie benutzen kann: Stufen, Stiegen, Gehsteige. Unsere Spots waren in Heiligenstadt, unter der Nordbrücke, im Niemandsland der Industriegebiete, in den Wohnhausanlagen am Stadtrand.“

Denn eine Stadt besteht nicht nur aus den Skateparks – für die Streetskater ist sie ein einziger großer Spielplatz, eine Safari auf der Suche nach dem noch unentdeckten Spot. „Man eignet sich die Stadt an und braucht dazu nichts außer einem Board“, sagt Paul. „Wien ist dazu besonders gut geeignet, weil die Gehwege anders als in Paris oder Berlin meistens asphaltiert sind. Hier kann man das Skateboard als Transportmittel verwenden und damit durch die Stadt pushen.“

Das tut man nicht alleine, sondern fast immer in der Gruppe – und diese Gruppen sind keine geschlossenen Systeme, sagt Architekt Adrian Judt. Er ist Mitglied des Kollektivs AKT, das 2023 mit Hermann Czech den Österreich-Pavillon auf der Biennale in Venedig kuratierte, und leidenschaftlicher Streetskater. „Man findet über das Skaten sofort Anschluss in fremden Städten und lernt diese von anderen, nichttouristischen Seiten kennen. Die Skater-Community ist sehr divers und unelitär. Ich habe hier Freunde, die Bauarbeiter, Verkäufer oder Juristen sind. Mein Freundeskreis in der Architektur dagegen ist sehr akademisch.“

Die Skateszene gilt als inklusiv, klassenübergreifend und wenig rassistisch, allerdings ist die Ästhetik ihrer Coolness noch stark cis-männlich geprägt. Risiko, Härte, das stolze Zeigen von Verletzungen. „Bis heute ist es so, dass Jungs wilder spielen dürfen, bei Mädchen heißt es oft: Mach dir die Kleidung nicht schmutzig“, sagt die Skaterin Mimi Neitsch, Mitgründerin und Redakteurin des Magazins Brav, das sich (mit ironischen Anspielungen auf ein fast gleichlautendes Jugendmagazin) explizit an Flinta*-Personen richtet. Ein weiteres Beispiel für den Geist des Do-it-Yourself.

Frei von Diskriminierung

Die Gruppe engagiert sich dafür, dass sich nicht nur Cis-Männer auf den Skateparks raumgreifend bewegen dürfen, sondern alle. Das inkludiert simple Fragen der Infrastruktur wie das Vorhandensein von Toiletten in der Nähe, aber auch grundsätzliche Fragen der Gleichberechtigung. „Skate-Spots sind keine geschlossenen Räume, der Safer-Space-Aspekt entsteht hier durch die Gruppendynamik“, erklärt Neitsch. „Es geht darum, dass man sich wohlfühlt und frei ist von Diskriminierung.“

Wie das funktioniert, ließ sich Ende Mai beim dreitägigen Gnarathon-Festival beobachten, das vom Skateboard Club Vienna organisiert wurde, unter Beteiligung der Brav- Crew. Im Festivalzentrum am Brillantengrund, bei den Konzerten in der Arena, an den Spots in der Stadt: Eine diversere, buntere und freundlichere Gruppe von Menschen als hier dürfte man in Wien kaum finden. Sie haben sich ihre Stadt selbst gemacht. Alles in Bewegung.

25. Mai 2024 Der Standard

Räume, die warten

Die Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut lotet mit den Mitteln der Kunst das Potenzial von Bahnhofsgebäuden aus und erforscht die oft versteckten Probleme von Leerstand und Bodenversiegelung in der ganzen Region.

Ob man hier denn einen Kaffee bekommen könne, fragt die elegante ältere Dame und lugt durch das Loch zwischen den verblichenen Palmen. Das nicht, sagt die freundliche junge Frau in der schwarzen Trainingsjacke. „Aber ich könnte Ihnen ein Glas Angst anbieten. Oder Kontrolle.“ Was da denn drin sei? „Na, alles, was Sie brauchen, um die Kontrolle zu behalten!“ Das klingt überzeugend, und Xenia Lesniewski serviert ihrer Kundin ein Cocktailglas mit grüner Flüssigkeit auf einem Untersetzer, der mit den Worten „Your problems are far from over“ bedruckt ist. Währenddessen fährt hinter der Südseefototapete mit der wild hineingeschlagenen Öffnung der R3418 in Fahrtrichtung Obertraun ab. Ein ganz normaler Tag im Bahnhof Traunkirchen Ort.

Zumindest für ein paar Wochen, in denen die Künstlerin als Artist in Residence der Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 im ehemaligen Wartesaal des winzigen Gebäudes ihre Installation Apocalypso eingerichtet hat. Eine komplett ausgestattete Bar mit Flaschen, deren Etiketten mit Wörtern wie Crisis, Resilience, Fear oder Control bedruckt sind. Panic-Room und Eskapismus in einem. „Wir leben in Zeiten der Polykrise, und in Krisensituationen liegt der Alkohol nahe. Aber eine Bar ist auch ein Ort, an dem Menschen ins Gespräch kommen. Eigentlich sollte Apocalpyso immer offen sein.“ Aber viele Wirtshäuser und Bahnhöfe im Salzkammergut seien permanent geschlossen.

Die ältere Dame nippt an ihrem Glas und nickt. Sie wohne seit 46 Jahren in Bad Ischl, wo der Bahnhof zwar zentral liege, es aber kein richtiges Bahnhofsrestaurant mehr gebe, und auch keine Schließfächer, klagt sie.

Orte des Austauschs

Bahnhöfe sind Orte und Nichtorte zugleich, doch jene an der Salzkammergutbahn sind durch ihre Lage auch besondere Orte. Man wartet hier vor prachtvollstem Bergpanorama, doch an den meisten Bahnhöfen gibt es gerade einmal noch einen Fahrkartenautomaten und ein Dach über dem Kopf. Alles, was teure Personalkosten verursacht, ist wegreduziert. Die Bahnhofsrestaurants, die Bars, die Ticketschalter, manchmal auch die Wartesäle. Die Leerräume bleiben.

Gerade dadurch könnten diese Bahnhöfe auch zu Orten des Austauschs werden, mit Künstlerinnen als signalgebenden Reisebegleitern, sagt Kurator Gerald Priewasser-Höller. Er kuratiert im Rahmen der Kulturhauptstadt das Artists-in-Residence-Programm „Salt Lake Cities Stops and Stations“ in Kooperation mit der ÖBB für die Bahnhöfe zwischen dem Almtal, dem oberösterreichischen Salzkammergut und Tauplitz im Ausseerland.

Nächster Halt: Hallstatt. Tausende Touristinnen aus aller Welt steigen hier an Wochenenden aus und ziehen ihre Rollkoffer den holprigen Weg zum Seeufer hinunter, die Smartphones schon gezückt. Den Bahnhof selbst registrieren sie kaum. Kein Wunder, der alte Wartesaal ist permanent verschlossen, nur ein winziger Vorraum mit Ticketautomaten steht für den Alltagsgebrauch zur Verfügung. Dabei ist der an ein Bergrestaurant erinnernde lichtdurchflutete Saal zwischen Wiese und Felsen einer, in dem man wirklich sehr gerne warten würde.

Hallstatt unter Druck

Jetzt ist sie gerade etwas weniger leer geworden, denn Fabian Puttinger wuchtet gerade eine 120 Jahre alte Druckerpresse auf einen der Tische mitten im Raum. Der junge Architekt, der in Wien und am Grundlsee lebt, wird hier bis Ende Juni in Handarbeit Reliefpostkarten des Salzkammergutes herstellen und Kartenmaterial zeigen, das er in seinem Projekt kartografisches.at erforscht und bearbeitet. Im Juli werden Studierende am Fachbereich Wohnbau und Entwerfen der TU Wien, die sich unter Anleitung von Michael Obrist, Christian Nuhsbaumer und Carola Stabauer seit Jahren mit Hallstatt beschäftigt haben, hier ihre Ideen für den von Übertourismus und Leerstellen gleichzeitig betroffenen Ort präsentieren.

Dritter Halt: Bahnhof Bad Aussee. Groß und stattlich, doch den Reisenden bleibt nur ein kleiner Warteraum. Eine Gruppe verloren wirkender Touristen fragt nach dem Schienenersatzverkehr. Adriana Torres Topaga weiß die richtigen Antworten. Die Linzer Künstlerin mit kolumbianischen Wurzeln hilft gerne, denn schließlich ist sie hier, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen und Workshops mit den Mitarbeitern des im alten Wartesaal eingemieteten Beschäftigungsprojekts Sparta zu erarbeiten. Einprägsame Worte und Sätze aus diesen Dialogen affichiert sie an Wände und auf Sitzbänke. „Es ist mir wichtig, herauszufinden, was die Menschen denken, und das zu teilen“, sagt sie, Sprühdose in der Hand.

Die Stationen der Salzkammergutbahn sind Punkte auf einer Linie, die sich mitten durch die Region schlängelt und viel mit deren Räumen und ihren Nutzungen zu tun hat – auch mit dem Selbstverständnis des Großevents selbst. „Es war von Anfang an unser Ziel, dass für die Kulturhauptstadt nichts Neues gebaut werden sollte“, erklärt Eva Mair, die im Festivalteam für Baukultur und Handwerk zuständig ist. „Das war für viele überraschend, die sich an die letzten österreichischen Kulturhauptstädte Linz und Graz erinnerten und fragten, was denn die Murinsel des Salzkammergutes werde. Die Antwort ist, dass es hier schon so viele Räume mit Potenzial gibt, die man einfach nur nutzen muss. Die Bahnhöfe sind genau solche Räume.“

Wie viele Räume mit wie viel Potenzial es wirklich gibt, wurde schon im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres ermittelt. Unter dem Titel Curating Space unternahmen Priewasser-Höller, Simone Barlian und Elisa Schmid Leerstandsafaris in den 23 Gemeinden und fanden Geschäftslokale, Supermärkte, Wohnhäuser und Wirtshäuser. Vom Thema Leerstand ist es nicht weit zur Bodenfrage. Denn während an der einen Stelle die Türen für immer zugesperrt werden, wird woanders in die grüne Wiese hineingebaggert. Auf Initiative des Musikers Hubert von Goisern wurde daher das Projekt „Bodenschutz im Salzkammergut“ auf die Schiene gebracht, ein Bodenworkshop mit den Vertreterinnen der Gemeinden fand 2023 statt, dieses Jahr soll es weitergehen.

Man sieht: Auch in kleinen Warteräumen können große Ideen gedeihen, in vergessenen Winkeln wichtige Fragen gestellt werden und Stationen auf einer Linie viel über den Umgang mit Flächen erzählen. Darauf ein Glaserl Resilience.

Hinweis: Ein Wohngespräch mit Elisabeth Schweeger, künstlerische Leiterin Europäische Kulturhauptstadt, finden Sie im immobilienSTANDARD.

20. April 2024 Der Standard

Abgründe im Ackerland

Das Architekturnetzwerk ORTE in Krems zeigt in seiner Jubiläumsausstellung Cartoons und Zeichnungen zu Architektur und Baukultur. Am Fallbeispiel Niederösterreich wird deutlich, dass man die Realität kaum noch zuspitzen muss, um sie zur Kenntlichkeit zu karikieren.

Ein türkis leuchtender Teich in Herzform, umringt von zwei ordentlichen Reihen weißer Kuben mit kleinen Fenstern, eingebettet in ein breites graues Band aus asphaltierten Parkplätzen. Dazu als Garnitur am Rand: ein Kreisverkehr mit Sendemast und eine sechsspurige Autobahn im Lärmschutzwandkorsett, industriell gepflügte geometrische Äcker. Ganz klein hier und da ein kümmerliches Restgrün. Eine Zeichnung des Karikaturisten Bruno Haberzettl aus dem Jahr 2003, mit dem in vielfacher Hinsicht prophetischen Titel Wohnraum im Grünen – für „normal“ denkende Leute.

Eine plakative Zuspitzung, die heute wie ein dokumentarisches Abbild der nach dem bewährten Muster „Würfelhusten mit zentraler Lacke“ geplanten Siedlung Sonnenweiher im niederösterreichischen Grafenwörth, deren fragwürdiges Zustandekommen den dortigen Bürgermeister und damaligen Gemeindebund-Präsidenten Alfred Riedl 2023 in arge Bedrängnis brachte. Die Zeichnung beweist: Es gibt viele Grafenwörths, und es gibt sie schon lange.

Einischauen und ausblenden

Sie gedeihen besonders gerne in Niederösterreich, einem Bundesland, dessen quasi-genetische Prägung aus Feudalismus und Patriarchat immer noch spürbar ist. Spürbar in den Einfamilienhäusern, die als barockisierte Minipaläste die Architektur der ehemaligen Herrscher nachahmen, und in einer Politik, die Kritik gerne als Majestätsbeleidigung auffasst.

Ein Bundesland, das sich des baukulturellen Reichtums rühmt, und das nicht zu Unrecht: Weltkulturerbe-Landschaften, historische Orts- und Dorfkerne, Kirchen, Klöster und Kulturfestivals. Aber man muss schon durch ein sehr verengtes Papprohr in diese Welt einischaun, um all das auszublenden, was dazwischen herumsteht: Die Kreisverkehre, die West-, Ost-, Nord- und Süd-Umfahrungen, die flachen Baumarkt- und Supermarktboxen in ihren Parkplatz-Ozeanen, die Vollwärmeschutzfassaden mit billigen Plastikfenstern, die Achtlosigkeit vor der Umgebung, das geistlose Irgendwo-Hinstellen von Dingen, weil man es halt kann.

Sanfter Verweis auf Lichtblicke

Seit nunmehr 30 Jahren bemüht sich das niederösterreichische Architekturnetzwerk ORTE mit Sitz in Krems um eine Verbesserung dieses Zustands durch den sanften Verweis auf die Lichtblicke, die es schließlich auch gibt, und das in zunehmender Anzahl. Man tut dies mit vielen Führungen, Spaziergängen und Veranstaltungen, mit einem Artists-in-Residence-Programm, mit Vermittlungsarbeit an Schulen. Zum Jubiläumsjahr gönnt sich die engagierte und etablierte Institution eine Ausstellung. Da würden viele ein „Best-of 30 Jahre“ erwarten, doch das Gegenteil ist der Fall. Unter dem Titel Fingerspitzengefühl sammelte man Karikaturen und Cartoons zum Alltag der Baukultur und leistet sich so den wichtigen Luxus der Kritik.

„Nach 30 Jahren baukultureller Vermittlungsarbeit mit ORTE, in denen wir sehr viele Best-Practice-Beispiele gezeigt haben, tut es gut, dass man auch einmal etwas sarkastisch sein darf“, sagt ORTE-Geschäftsführerin Heidrun Schlögl. „Karikaturen überzeichnen die Realität, aber oft ist die Realität noch viel schonungsloser. Das gilt nicht nur für Niederösterreich.“ Konzipiert wurde die Ausstellung in Kooperation mit dem direkt benachbarten Karikaturmuseum. Mittels Open Call waren Karikaturisten und Architektinnen aufgerufen, sich mit Niederösterreich auseinanderzusetzen, dazu kamen ein paar direkte Anfragen. Fast 100 Zeichnungen kamen so zusammen, von denen 55 nun in Krems zu sehen sind. Unter den 32 Künstlerinnen und Künstlern finden sich bekannte Namen wie Manfred Deix, Gustav Peichl, Gerhard Haderer oder Tex Rubinowitz – und auch die Grafenwörth vorwegnehmende Zeichnung von Bruno Haberzettl. Zusammenfassende Kategorien wie Bodenraub, Landleben, Autofahren, „Loch“ sprechen für sich.

Leichte Beute

Fürs Karikieren ist das Motiv „gebaute Landschaft“ leichte Beute. Die Gegensätze aus Beton und Natur, aus anonymer Stadt und ersehnter Individualität, aus Grau und Farbe sind im kollektiven Bewusstsein so präsent, dass es nur eine leichte Übertreibung braucht, um einen Aha-Effekt zu erzeugen. In vielen Fällen muss die gebaute Realität nur leicht verdichtet werden, um sich selbst zuzuspitzen: der Vorstand-Speckgürtelhorror aus Fahrspuren-Asphaltspaghetti, den man als gegeben hinnimmt, weil man ja dauernd irgendwo hinfahren will, bevor man sich wieder hinter der Thujenhecke (die ebenfalls in einer Karikatur von Edith Payer gewürdigt wird) verschanzt.

Dazu kommen aktuelle Themen wie die Energiewende, die sich zur Frage überzeichnen lässt, ob monotone Einfamilienhausteppiche wirklich ökologischer werden, wenn sie mit Photovoltaikpaneelen übersät sind. Weniger cartoonhaft und ebenso treffend: Gernot Sommerfelds melancholische Stillleben in der Kategorie „Idylle Niederösterreich“. Menschenleere Landschaften aus Lagerhallen, Kabeln, Masten und Silos, die Infrastruktur alltäglicher Sachzwänge, hinter der sich Fuchs und Hase unsichtbar und vielleicht für immer gute Nacht sagen.

Das mag nach mahnendem Zeigefinger klingen, doch dann wären die Cartoons nicht lustig. Sind sie aber, bis auf ein paar, bei denen die komische Fallhöhe zu niedrig ausfällt. Vielmehr darf der Humor hier die Rolle des Erlösers spielen und die Erkenntnis vermitteln, dass man nicht allein ist. Denn die Alltagsdiagnosen sind schließlich kein Geheimnis. „Das hohe Besucherinteresse bei den ORTE-Veranstaltungen zeigt uns, dass Themen wie Zersiedelung, Bodenversiegelung oder der unsensible Umgang mit Bausubstanz brennender denn je sind“, sagt Heidrun Schlögl. Und auch der nie ganz fassbare Begriff Baukultur könne so mit Leben gefüllt werden. „Baukultur ist ein guter Begriff, weil er mehr beinhaltet als nur Architektur. Es geht uns nicht nur darum, schöne Bauten ohne Kontext zu zeigen, so wie es früher üblich war. Und Baukultur braucht Transparenz, wie man am Beispiel Sonnenweiher Grafenwörth leider zu spät sieht.“ Damit das Land nicht zur Karikatur seiner selbst wird.

6. April 2024 Der Standard

Alarmstufe Rot

Die Bauwirtschaft ist einer der größten CO₂-Sünder. Das heißt auch: Sie hat den Hebel zur Abwehr der Klimakatastrophe in der Hand. Kaum jemand kann diese Gefahren und die Chancen so sachlich erklären wie Ingenieur Werner Sobek. Ein Gespräch im Krisenmodus.

Werner Sobek ist als Architekt und Ingenieur weltweit an zahlreichen namhaften Bauten beteiligt, sein radikal-minimales Hightech-Wohnhaus R128 in Stuttgart sorgte für Aufsehen. Heute, im professoralen Unruhestand, ist der 70-Jährige unermüdlich als Missionar des materialsparenden Bauens unterwegs, berät die Politik und warnt vor den Konsequenzen der Klimakrise. Er ist Themenbotschafter der Architekturtage 24, die im Juni in ganz Österreich stattfinden.

STANDARD: Die Architekturtage finden dieses Jahr unter dem Motto „Geht’s noch?“ statt. Was ist Ihre erste Assoziation zu dieser Frage?

Sobek: Ich habe zwei Assoziationen. Die eine ist: Wie kann man nur fragen, ob wir so weitermachen können wie bisher? Die andere ist: Es ist doch schon lange klar, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Also müssen wir endlich die wesentlichen Fragen, vor denen wir stehen, behandeln, anstatt uns im Unwesentlichen wie den Details einer Heizungsverordnung zu verheddern. Wir müssen mit Distanz auf die Situation unserer Menschengesellschaft schauen, unser Handeln analysieren und die Werte, nach denen wir leben wollen, neu definieren.

STANDARD: Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass die globale Erwärmung die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts sein wird?

Sobek: Vor 20 Jahren ungefähr. Da wurde mir klar, dass sich durch die ungleiche Verteilung der Erderwärmung die Landflächen sehr viel stärker erhitzen als der globale Durchschnitt, am stärksten in einem Bereich zwischen dem 20. und 40. nördlichen Breitengrad, in dem viereinhalb Milliarden Menschen leben und in dem das Gros der Nahrung produziert wird. Genau dort stehen uns schlimme Trockenperioden und Hitzewellen bevor. Das kann man seit mehr als zehn Jahren im Mittelmeerraum oder in Kalifornien beobachten.

STANDARD: Was sind die Konsequenzen?

Sobek: Die Obst- und Gemüsegärten Europas beginnen zunehmend unfruchtbar zu werden. Das heißt auch, dass die Bauern dort ihre Arbeit aufgeben werden und anfangen zu migrieren. Dann müssen wir für diese Menschen eine neue Heimat bauen. Das bedeutet aber nicht, einfach hunderttausende Wohnungen irgendwo zu bauen, sondern diese Wohnungen plus der zugehörigen Infrastruktur zu errichten. Gleichzeitig wird sich durch das Steigen der Lebensmittelpreise die Schere zwischen Reich und Arm weiter öffnen. Und das, obwohl heute genügend Getreide produziert wird, um die gesamte Weltbevölkerung sehr sättigend zu ernähren.

STANDARD: Sie haben diese Erkenntnisse und diese Dringlichkeit in der Buchtrilogie „Non Nobis – über das Bauen in der Zukunft“ gebündelt, deren zweiter Teil vor kurzem erschienen ist.

Sobek: Das ist das Ergebnis von harter Arbeit, dem investigativen Thrill des Verstehenwollens, der Sehnsucht des Wissenschafters in mir. Band eins beschäftigt sich mit dem Status quo. Ressourcenverbrauch, Abfallaufkommen, Emissionen und was daraus folgt. Band zwei beschreibt die Randbedingungen für zukünftiges menschliches Handeln. Was sind die Konsequenzen, wenn wir weiterhin so viel, und was, wenn wir weniger emittieren? Was passiert mit einer Stadt, in der es zu manchen Jahreszeiten so heiß wird, dass sie für gewisse Teile der Bevölkerung nicht mehr bewohnbar ist?

STANDARD: Warum macht man sich als Architekt und Ingenieur solche Gedanken?

Sobek: Wir haben die Produktion menschlicher Heimat zum Beruf. Um diese Verantwortung tragen zu können, muss ich bereits heute Werkzeuge entwickeln, die ich in Zukunft, bei einem eventuellen Eintreten der extremen Situationen, einsetzen kann. Dazu muss ich heute in Szenarien darüber nachdenken, wie die Welt in 20 oder 30 Jahren aussehen könnte.

STANDARD: In den letzten Jahren wird auch in der Öffentlichkeit über Abrissstopp, Bodenversiegelung, Zersiedelung und das Bauwesen als CO₂-Sünder diskutiert. Wird den Fachleuten jetzt mehr Gehör geschenkt?

Sobek: Die Bauwirtschaft steht für über 50 Prozent der weltweiten Emissionen, für rund 60 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs und für etwa 50 Prozent des Massenmüllaufkommens. Sie stellt also einen großen Hebel dar, mit dem man Umweltprobleme deutlich reduzieren oder verstärken kann. Jener der Ingenieure ist dabei genauso groß wie jener der Architekten, wenn nicht sogar größer. Denn vieles können nur Ingenieure. Beispielsweise ein Haus so zu planen, dass es materialminimal ist. Oder so, dass man es später wieder in sortenreine Komponenten trennen kann. Leider sind die Ingenieure viel zu still und bringen ihr Wissen nicht in den öffentlichen Diskurs ein.

STANDARD: Heute hat die Architektur den Lehmbau wiederentdeckt und propagiert das einfache Bauen aus natürlichen Materialien.

Sobek: Wenn man aus einem Material, ohne Lüftungsanlage, ohne Sensoren und ohne dies und jenes baut und das mit Qualität hinbekommt, dann ist das eine wunderbare Leistung. Aber das heißt nicht, dass andere Lösungen schlechter sind. Die Frage ist aber, ob das im Einzelfall sinnstiftend ist. Es ist definitiv nicht sinnstiftend, sich ein Lehmhaus zu bauen und den Lehm dafür über Hunderte von Kilometern heranzuschaffen.

STANDARD: Nicht nur Ihre Bücher sind Teil der Vermittlungsarbeit, Sie beraten auch viele Politikerinnen und Politiker. Ist die Demokratie mit ihren Legislaturperioden und Kompromissen geeignet, mit einem Notstand wie der Klimakrise umzugehen?

Sobek: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir es mit der heutigen demokratischen Struktur nicht schaffen. Vor jeder Wahl ist Wahlkampf, nach jeder Wahl ist Einarbeitungsphase. Eine Demokratie muss sich Mechanismen schaffen, die über eine längere Periode kraftvolles Agieren ermöglichen, eine Konstanz. Das ist für mich keine Gefährdung der Demokratie, sondern eine Methode zur Erhaltung ihrer Gesundheit. Schauen Sie sich die Situation in Deutschland an. Das Bundes-Klimaschutzgesetz von 2021 ist das wichtigste Gesetz der neueren Zeit. Es wurde vom Gesetzgeber selbst und in Folge auch von der Bevölkerung seither einfach nicht beachtet. Jetzt soll es neu gefasst, das heißt inhaltlich geschwächt werden. Das sind vier verlorene Jahre im Kampf gegen das größte Problem unserer Zeit. So erreichen wir die Klimaziele aber nicht!

STANDARD: Was gibt Ihnen Hoffnung, dass wir es dennoch schaffen?

Sobek: Ich glaube, dass es bald in Teilen der Welt so kritisch werden wird, dass die Leute akzeptieren, dass sie sich die Dinge, die sie sich leisten können, nicht mehr leisten sollten. Und dass sie denjenigen, die sich selbst nicht mehr helfen können, helfen müssen. Die Erkenntnis, dass wir unser gemeinsames Haus, das über uns zusammenzubrechen droht, bewahren müssen. Aber zur Einsicht kommen wir wahrscheinlich nur durch existenzielle Angst, zum uneigennützigen Handeln nur durch das Eintreten massiver Katastrophen.

30. März 2024 Der Standard

Versöhnung in Rot-Weiß

Die Slowakische Nationalgalerie in Bratislava, ein so umstrittener wie großartiger Bau der sozialistischen Moderne, wurde mit großem Respekt renoviert. So ist sie mit Verspätung das kulturelle Zentrum geworden, das sie immer sein wollte.

Ein 70 Meter langes Bündel aus roten und weißen Balken, mit Wucht zwischen zwei Altbauten geklemmt, ein Gebäude als Abstraktion einer Brücke. Die Slowakische Nationalgalerie dominiert die Uferpromenade der Donau, wenn man sich vom Fluss her der Altstadt von Bratislava nähert. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass sich hinter dieser abstrakten Wucht ein barocker Innenhof verbirgt. Taucht man in diesen ein, unter der Brücke hindurch, sieht man hinter dem Dach wiederum rote und weiße Streifen hervorlugen. Ein architektonisches Nebeneinander mit harten Brüchen. Zu hart für viele.

Das barocke Herzstück ist das Überbleibsel einer 1763 erbauten Kaserne, deren donauseitiger Flügel in den 1940er-Jahren der verbreiterten Uferpromenade zum Opfer fiel. Kurz darauf, im Jahr 1948, zog die soeben gegründete Slowakische Nationalgalerie in den amputierten Funktionsbau ein. Im alten Gemäuer war sie nicht gerade sichtbar, und die sich in der Nachkriegszeit rapide vom Ländlichen in die Moderne entwickelnde slowakische Hälfte der ČSSR verlangte nach einem kulturellen Aushängeschild.

Nur Torso realisiert

Dieses lieferte die Planungsgruppe um den Architekten Vladimír Dedeček, der schon einige öffentliche Bauten realisiert hatte. Sein Entwurf schaffte es, mit großer Geste sowohl auf die Umgebung einzugehen als auch sie komplett zu dominieren. Nach zehnjähriger Bauzeit voller Probleme wurde der Bau 1979 eröffnet, und die meisten Slowakinnen und Slowaken hassten ihn. Auch Dedeček war zutiefst unglücklich, da von seinen Plänen nur ein Torso aus zwei Teilen realisiert wurde. Eine Tragik der Baugeschichte, denn in einer besseren Welt, in der das Bauwerk vollendet und die Architektur des Sozialismus nicht vom Westen ignoriert worden wäre, hätte die Nationalgalerie zweifellos als herausragende Ikone der Moderne gegolten.

Nach der politischen Wende war die sozialistische Moderne noch unbeliebter als zuvor, zudem war das Gebäude stark reparaturbedürftig und musste um die Jahrtausendwende geschlossen werden. Nicht wenige forderten den Abbruch. Stattdessen wurde das Unglück zum großen Glück. Denn 2005 wurde ein Wettbewerb für die Sanierung ausgelobt, den Martin Kusý und Pavol Paňak vom erfahrenen Büro BKPS gewannen. Der Baubeginn erfolgte nach wirtschaftlichen Krisen erst 2016, die Eröffnung mit pandemischer Verspätung im Dezember 2022. Mit 75 Millionen Euro ist das Museum das teuerste öffentliche Gebäude in der Slowakei.

Neu-alt und alt-neu

„Die Jahre des Stillstands waren im Nachhinein eine wichtige Denkpause“, sagt Pavol Paňak beim Gespräch im neuen Café der Galerie. So habe man genug Zeit gehabt, die Pläne mit Vladimír Dedeček zu besprechen, der 2020 im Alter von 91 Jahren starb und BKPS seine Autorenrechte vermachte. Dass sich das Denken und Reden ausgezahlt hat, sieht man sofort, denn in der strahlend neu-alten Galerie wurde offensichtlich nichts dem Zufall überlassen. „Wir haben bei der Annäherung an den Baubestand drei verschiedene Methoden kombiniert“, erklärt Paňak. „Das originalgetreue Replikat, die Interpretation und den Neubau.“ Erstere wurde beim Verwaltungstrakt angewandt, der bauphysikalisch generalüberholt werden musste, hier wurden die roten und weißen Lamellen durch neue vom selben Hersteller ersetzt. Ergebnis: alter Bau mit neu-alter Fassade. Als kompletter Neubau wurde ein Depot in den Hinterhof gesetzt, das wiederum mit den originalen rot-weißen Seventies-Lamellen verkleidet wurde, deren Patina ein lebendiges Muster zeichnet. Ergebnis: neuer Bau mit alt-neuer Fassade.

Eine Neu-Interpretation wählten Kusý und Paňak bei der stark sanierungsbedürftigen Brücke. Deren beeindruckender Innenraum mit seinen terrassenartigen Ausstellungsflächen gewann durch die Öffnung der Fassade zur Donau einen grandiosen Panoramablick dazu. Das bisher kaschierte mächtige Stahltragwerk wurde freigelegt und in gemütlichem Holz ausgefacht, was eigenartig klingt, sich aber vor Ort exakt richtig erweist. Ergebnis: ein neu-alter Bau, in dem das Alte zur besseren Version seiner selbst wird. Die wichtigste Entscheidung betraf jedoch die Art, wie das Museum auf die Stadt trifft. Die in den 1970er-Jahren nicht realisierte Eingangshalle wurde in abgewandelter Form realisiert; hier darf die rohe Barockfassade ihr würdiges Alter zeigen. Die bisher eng-labyrinthischen Gänge wurden geöffnet, neue Zugänge geschaffen.

Im obersten der wagemutig auskragenden Geschoße des Verwaltungstrakts sitzt Alexandra Kusá. Die Kunsthistorikerin, die über den sozialistischen Realismus promoviert hat, ist seit 2010 Direktorin der Nationalgalerie. „Der 1970er-Jahre-Bau eröffnete zur selben Zeit wie das Centre Pompidou in Paris, und beide waren sehr kontroversiell. Hier im Osten war das Urteil vielleicht noch härter, weil Architektur einer der wenigen Bereiche war, den man im Sozialismus hemmungslos kritisieren durfte. Die rote Farbe hat zur Abneigung wohl auch einiges beigetragen.“

Heute habe sich die öffentliche Meinung gewandelt, sagt Kusá, und sie weiß das, denn sie geht nicht nur selbst oft bei Führungen im Haus mit, sondern arbeitete auch während der Neueröffnung der Galerie zwölf Stunden inkognito an der Garderobe, um dem Urteil der Besucher zu lauschen. „Viele sagten: „Ich habe das Gebäude früher gehasst, aber jetzt ist es schön.“ Das freut uns, denn wir wollen, dass sich die Leute hier zu Hause fühlen.“

Für Award nominiert

Der Architektur kommt dabei eine besondere Rolle zu, denn in einem staatlichen Museum, das die Kulturgeschichte einer Nation widerspiegelt, erzählt das Nebeneinander von historischen Bauteilen diese Geschichte kongenial mit. Barock und Moderne werden miteinander und mit der Stadt versöhnt. Ein meisterhaftes Beispiel für den baukulturellen und sinnlichen Reichtum, den ein sensibler und einfallsreicher Umgang mit Bausubstanz eröffnet, wie es sich im Umkreis von Wien sonst nirgends findet – und eines, das völlig zu Recht für den EU Mies van der Rohe Award 2024 nominiert wurde.

„Jetzt zeige ich Ihnen noch etwas“, sagt Alexandra Kusá und deutet auf eine Fensternische im Foyer: Klein und versteckt hängt dort ein gerahmter Brief des greisen Vladimír Dedeček, in dem er sich für die Rettung seiner Idee bedankt. Auch er hat sich mit seiner Geschichte versöhnen können.

6. März 2024 Der Standard

Mit großer Leichtigkeit

Der Pritzker-Preis 2024 geht an Riken Yamamoto aus Japan

Der Architekt Riken Yamamoto ist, wie am Dienstag bekanntgegeben wurde, der Pritzker-Preis-Träger des Jahres 2024. Der 1945 in China geborene und in Japan aufgewachsene Yamamoto wird im Frühjahr den mit 100.000 Euro dotierten Preis in Chicago entgegennehmen – er ist der mittlerweile neunte Japaner und der 47. Mann unter den bisher 53 Preisträgern.

Anders als sein Vorgänger David Chipperfield gehört Yamamoto zwar nicht zu den sogenannten „Stararchitekten“ mit weltumspannender Präsenz, doch er kann mit seiner 50-jährigen Karriere auf ein Werk mit enormer maßstäblicher Breite verweisen: Wohnhäuser, Museen, Bibliotheken und Verwaltungsgebäude und vor allem Bauten für Hochschulen, die meisten in Japan und China. Die Future University in Hakodate und die Feuerwehrzentrale in Hiroshima (beide 2000) mit ihren filigranen Glasfassaden sind beispielhaft für die Leichtigkeit und Transparenz, die viele seine Bauten kennzeichnet.

Dabei ist Yamamoto alles andere als ein kühler Technokrat. Als Wesenskern seiner Architektur gilt das Gespür für Räume als Orte des Zusammenkommens, in denen es um mehr geht als um Privatheit und Egoismus. „Für mich bedeutet das Wahrnehmen und Teilen von Raum die Anerkennung einer Gemeinschaft“, sagt Yamamoto, der seine zahlreichen Reisen auf allen Kontinenten als prägend für sein Verständnis einer Architektur der Öffentlichkeit und Gemeinsamkeit bezeichnet, die sich in den großen, luftigen Hallen, Foyers und Zwischenräumen seiner Gebäude wiederfindet. Eine Haltung, die man in ihrer noblen Zurückhaltung durchaus typisch japanisch und in ihrer Offenheit global und inklusiv nennen darf. Eine Haltung, die auch die Pritzker-Jury in ihrer Begründung honorierte: „Seine Architektur schreibt keine Aktivitäten vor, sondern lässt die Menschen ihren Alltag mit Eleganz, Normalität, Poesie und Freude selbst gestalten.“

In Europa realisierte Yamamoto bisher nur wenig, darunter jedoch das bisher größte und teuerste Gebäude der Schweiz, den nicht unumstrittenen, 2020 eröffneten Komplex „The Circle“ am Flughafen Zürich, für den er sich vom mittelalterlichen Stadtkern der Schweizer Metropole inspirieren ließ.

24. Februar 2024 Der Standard

Die Ruinen des René

Die Signa-Insolvenz hat auch in Berlin alle Bauprojekte vorerst gestoppt. Manche sind fast fertig, andere im Planungsstadium. Sie alle waren jahrelang umstritten, denn Berlin ist geübt im Widerstand gegen aggressive Investorenprojekte. Ein winterlicher Spaziergang zu stillstehenden Baustellen.

Die ersten Fernsehteams bauen schon ihre Kameras auf dem Gehweg auf an diesem frühen Berliner Montagmorgen Ende Jänner. Bald werden sie ihre Mikros den Winterschlussverkaufskunden des Nobelkaufhauses KaDeWe unter die Nase halten. Wenige Stunden vorher war die Insolvenz der KaDeWe-Gruppe vermeldet worden, der letzte Dominostein im Kollaps des Signa-Imperiums, das Mehrheitseigentümer des Traditionstempels war. Innen stehen die Angestellten in der Parfümabteilung in Grüppchen zusammen, das Gesprächsthema ist nicht schwer zu erraten.

Völlige Stille dagegen auf der anderen Straßenseite, Passauer Straße 1. Ein halbfertiger Rohbau in der Morgensonne, gestapelte Container, ein Kran, keine Bauarbeiter. Auf dem Bauzaun locken gerenderte Bilder mit Bürowelten in Weiß, Beige und Terrazzo und die Aufschrift „No 1 Passauer. A foyer of its own class. A project by Signa. Get in touch“. 16.670 Quadratmeter Büro- und Handelsflächen sollen hier, wo früher das KaDeWe-Parkhaus stand, entstehen, Fertigstellung Ende 2024. Am 5. Jänner wurde für die Gesellschaft Berlin, Passauer Straße 1–3 Immobilien GmbH & Co. KG der Insolvenzantrag gestellt. Get in touch: kein Anschluss unter dieser Nummer. No one bei No 1.

Kaufhaus Karstadt, Prestigeadresse Kurfürstendamm 231. Hier wurden die Kräne noch nicht auf-, aber ein paar Metallboxen in eine Baulücke hineingestellt, gekrönt mit dem Schriftzug „POP“. Der verglaste Ausstellungsraum steht leer, nur vor dem Pop-up-Fast-Food-Container vergraben ein paar Hipster ihr Gesichter in ihren Pulled Burgern. Eigentlich sollte das „POP Ku’damm“ für ein Megaprojekt der Signa werben, die dafür herbeigeschafften Metallkisten sind das global bewährte Zubehör einer von Konzernen verordneten Zufälligkeit und von PR-Agenturen kuratierten Subkultur-Simulation.

Coolness-Mimikry

Diese Berlin-ist-cool-Mimikry konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Projekt Kudamm 231 eines der umstrittensten Großinvestments der Signa war. Vor allem, weil das Entwicklungskonzept City West des Berliner Senats eigentlich hier keine Hochhäuser vorsah. Das änderte sich nach dem Regierungswechsel, die neue Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt ordnete Anfang 2022 ein Werkstattverfahren an, in dem „bis zu zwei Hochpunkte“ plötzlich möglich sein sollten, im März jenes Jahres präsentierte Kahlfeldt dem Ausschuss das Signa-Projekt, was von der Berliner Presse als fragwürdiges Naheverhältnis beurteilt wurde, und auch die FAZ titelte: „Neue Kunsthalle POP Kudamm – Das trojanische Pferd eines weiteren Investors“. Im September 2022 wurde eine Kooperationsvereinbarung zwischen Stadt und Investor abgeschlossen. Was genau hier gebaut werden sollte, wurde weitgehend der Signa und ihrem Wettbewerb überlassen. Diesen gewann im Juni 2023 das dänische Büro Henning Larsen gegen prominente Konkurrenz. Neun Gebäude, bis zu 134 Meter hoch, als Marke mitgeliefert der zähneziehend originelle Name Ku’lturhof.

Doch was für den Tiroler René Benko und sein Firmenimperium in anderen Städten eine g’mahde Wiesn ist, erwies sich auf dem harten Berliner Pflaster als Hindernislauf. Denn das Projekt am Ku’damm und die Quasi-Übernahme der Stadtplanung durch den Investor führten im Jänner 2021 zur Gründung der Initiative „Berlinerinnen gegen Signa“, auf deren Website man die Chronologie aller Signa-Projekte detailliert nachlesen kann. Nun sind Konflikte mit Investoren in dieser streitbaren Stadt nichts Neues, doch hier handle es sich um einen besonders unverfrorenen Fall, sagt Architektin Theresa Keilhacker, Mitglied der Initiative, auf Anfrage des ΔTANDARD. „Die Pläne der Signa-Gruppe wurden immer größer, und die Standorte befanden sich an zentralen Verkehrs- und Einkaufsknoten, mit wichtiger Scharnierfunktion für ihre jeweiligen Quartiere und die gesamte Stadt“, sagt sie. „Demzufolge wäre es wichtig, Fachexpertise und eine kritische Stadtbevölkerung einzubinden. Eine gigantische Herausforderung, die leider viel zu viel hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde.“

Klamme Kommune

Die hochfliegenden Pläne der Signa-Gruppe, kritisiert Keilhacker, wirkten komplett abgekoppelt vom realen Alltag der Berlinerinnen. „Hinzu kommt, dass die klamme Kommune mit der notwendigen Transformation zu einer klimagerechten Region nicht hinterherkommt und die Projekte immer mehr Ressourcen banden, die man dringender für andere Aufgaben gebraucht hätte.“

Welchen enormen Aufwand die Signa-Gruppe in Berlin trieb, um ihre Pläne durchzuboxen, sieht man am besten am Hermannplatz, an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln. Hier wurde 1929 das damals größte Kaufhaus Deutschlands errichtet, mit dramatisch vertikal emporstrebenden Art-déco-Türmen und einer fürstlichen, vom Kaufhaus finanzierten U-Bahn-Station. Von den Türmen ist nur noch einer übrig, daneben ein Karstadt-Funktionsbau in grauem Alltagsdesign der Nachkriegszeit. Nach den Signa-Plänen sollte Architekt David Chipperfield den alten Art-déco-Glanz wieder aufleben lassen, doch das geschönte Bild eines Roaring-Twenties-Berlin kollidierte mit der Realität von Gentrifizierung, multikulturellem Kiez-Stolz und engagiertem Bürgertum.

Um dieses zu umschmeicheln, hatte die Signa alle Register gezogen. Eine „HRMNNBOX“ mit gecasteten Graffitikünstlern und Urban Gardening, eine Website namens „Nicht ohne Euch“, die einen Dialog auf Augenhöhe versprach, aber nicht hielt: Das Grundlagendokument der verkündeten Bürgerbeteiligung wurde monatelang unter Verschluss gehalten. Währenddessen entzog der Senat dem Bezirk, der sich deutlich gegen das Projekt ausgesprochen hatte, die Planungshoheit. Die Berliner Mentalität, seit jeher mit guten Bullshit-Detektoren gegen scheinheiligen Schönklang ausgestattet, ließ sich nicht täuschen, eine eigene Bürgerinitiative formte sich gegen das Hermannplatz-Projekt.

Heute ist die Box verschwunden, in der warmen Wintersonne sitzen dauerjunge Menschen in North-Face-Jacken mit dem Bier vor dem Späti, im Hintergrund lärmt eine Pro-Palästina-Demo. Und Berlin ist so lebendig, hässlich, widersprüchlich und aufregend wie immer.

3. Februar 2024 Der Standard

Das vergiftete Geschenk

Die Idee, Mietern von Sozialwohnungen den Weg zum Eigentum zu bahnen, wird immer wieder vorgebracht. Das 1980 von Margaret Thatchers Regierung beschlossene Right-to-Buy-Gesetz zeigt, welche Folgen eine solche Idee haben kann.

Aufrecht wie eine Soldatin, starr wie Porzellan, die Hand fotogen an eine offensichtlich leere Teetasse gelegt, saß die Premierministerin in der bunt tapezierten Küche von James und Maureen Patterson. Seit 18 Jahren bewohnte das Paar mit seinen drei Kindern das Haus in Harold Hill im Osten von London. Margaret Thatcher, seit etwas mehr als einem Jahr im Amt, hatte ihnen ein Geschenk mitgebracht: ein Gesetz namens 1980 Housing Act, besser bekannt als „Right to Buy“. Es erlaubte den Pattersons, ihre Kommunalwohnung mit 40 Prozent Rabatt für 8315 Pfund (heute rund 52.000 Euro) zu erwerben. Sie waren nicht die Einzigen. Zwei Jahre später wurden 167.000 Häuser und Wohnungen privatisiert, während Thatchers Amtszeit waren es rund 1,5 Millionen.

Right to Buy sollte aus Thatchers Sicht ein voller Erfolg werden, und es war alles andere als eine spontane Idee. Schon 1946 hatte der spätere Premierminister Anthony Eden seine Tories auf das Ziel einer „property-owning democracy“ eingeschworen, und selbst sein Labour-Rivale James Callaghan räumte ein, dass das Wohneigentum ein ureigener Wunsch der meisten Menschen sei. Gleichzeitig sank die Zahl neuer Sozialwohnungen rapide. Waren es zwischen 1975 und 1980 noch 627.830, waren es in den ersten fünf Thatcher-Jahre nur 215.580, gegen Ende der 1980er-Jahre schrumpfte die Zahl praktisch auf null.

Bus nach Birmingham

Rund 40 Jahre nach der Teetassenbegegnung in der Küche der Pattersons. Stratford High Street, im Osten Londons, unweit des Olympiageländes. In diesem früher unattraktiven Viertel hat die Stadtentwicklung den Turbo eingeschaltet, die Kräne drehen sich um neue Hochhäuser. Wie jeden Samstag stehen die Frauen von Focus E15 an ihrem Infostand. Die Aktivistinnen haben sich 2013 zusammengeschlossen, als 29 alleinerziehende Mütter aus einem Wohnheim mit der Aufforderung delogiert wurden, sich ein Zuhause in Städten zu suchen, die hunderte Kilometer entfernt sind und in denen sie niemanden kennen. Als die alleinerziehende Sara Abdullah 2018 dagegen protestierte, sich mit ihrem kleinen Sohn in einen Bus nach Birmingham zu setzen, wurde sie als „absichtlich wohnungslos“ deklariert und ihr die Wohnbeihilfe gestrichen. Es gebe zu wenig leistbares Wohnen in London, so eine Sprecherin der Behörde, da könne man eben nichts machen. Sie hatte leider nicht unrecht. Im Jahr 2023 fanden sich in London 323.827 Haushalte auf der Warteliste für eine Sozialwohnung, die Obdachlosigkeit steigt seit Jahren an.

Was eher wie eine düstere Szene aus einem viktorianischen Charles-Dickens-Roman als nach dem 21. Jahrhundert klingt, ist eine der vielen Folgen von Right to Buy. Zwar wurde die Idee, kommunales Wohnen in privates zu wandeln, in vielen Staaten umgesetzt und zuletzt vorige Woche von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wieder einmal ins Programm genommen, doch auf der Insel ging man am radikalsten vor. Hier lassen sich auch die Folgen am deutlichsten ablesen.

Vermieter profitieren

Fragen wir also zuerst: Wer profitiert davon? Antwort: nicht wenige, aber nicht alle. Schon 1988 wies eine Studie der Regierung nach, dass vor allem die Mittelklasse-Familien vom Kaufrecht Gebrauch gemacht hatte. Alleinerziehende, Alleinstehende, Jüngere und Arbeitslose blieben außen vor. Am meisten profitieren jedoch die Vermieter, denen heute 40 Prozent der Right-to-Buy-Wohnungen gehören, mit Mieten, die mehr als doppelt so hoch sind wie jene in kommunalen Wohnungen.

Wer davon nicht profitierte: Das waren zum einen die Kommunen, die ihren Wohnbestand unter Wert verkauften und denen eines weiteren Thatcher-Gesetzes von 1980 wegen das Schuldenmachen für neue Wohnbauinvestitionen verboten war. Auch die Steuerzahler, von deren Geld die Sozialwohnungen errichtet wurden, stiegen schlecht aus: Vom Verkauf hatten sie nichts, dafür zahlten sie nicht nur den Right-to-Buy-Rabatt, sondern auch die Wohnbeihilfe für jene, die sich das Wohnen allein nicht leisten können, heute rund ein Viertel aller Mieter im Land. Nach Schätzungen beträgt der Verlust für die öffentliche Hand seit 1980 rund 75 Milliarden Pfund, während die Wohnbeihilfen letztlich in den Taschen der Vermieterinnen landen.

Politisch ging das Ziel der Konservativen, mit ihrem verführerischen Geschenk die Arbeiter- und untere Mittelklasse zu spalten und die Wohneigentümer zu Tory-Wählern zu machen, auf. Diese Spaltung spürt man bis heute in den Wohnbauten: jene, die für Käufer attraktiv waren, und jene, in denen die Ärmeren verblieben. Letztlich führte Right to Buy zu einer Stigmatisierung des sozialen Wohnbaus an sich, denn wer sich kein Eigentum leisten konnte, musste schließlich ein Verlierer sein. Noch Thatchers Nachfolger David Cameron sprach 2016 verächtlich von den „sink estates“ und meinte damit nicht nur die „heruntergekommenen Betontürme“, sondern implizit auch deren Bewohnerinnen und Bewohner.

Wenig Gutes

Dabei hatte das Vereinigte Königreich in den 1960er- und 1970er-Jahren Wohnbauten von hervorragender Qualität realisiert, die zu den besten in Europa gehörten. Einer davon ist das in helle Ziegel gekleidete Dawson’s Heights, das seit 1972 auf einem Hügel in Südlondon thront. Entworfen wurde es von der jungen Architektin Kate Macintosh, die sich auch heute noch im Alter von 86 Jahren hochaktiv in Diskussionen über Wohnbaupolitik einmischt. Sie hat wenig Gutes über Right to Buy zu sagen: „Es hätte funktionieren können, wenn man eine Obergrenze festgelegt hätte, aber das hat man nicht. Die Folgen waren katastrophal. Der günstige Kaufpreis wurde direkt aus öffentlichen Geldern finanziert und die Wohnungen nach und nach von immer größeren Vermietern aufgeschnappt, nicht selten Parlamentsabgeordneten oder deren Verwandten. Es ist ein direkter Transfer von öffentlichem Reichtum in private Hände. Man könnte es Diebstahl nennen.“

Und die Pattersons? Sie hatten nicht viel Glück mit ihrem Eigenheim. Das Ehepaar ließ sich scheiden, Mrs. Patterson konnte sich angesichts steigender Zinsen die Hypothek nicht leisten und zog in einen Wohnwagen und sagte: „Hätte ich das vorhersehen können, hätte ich nie von Right to Buy Gebrauch gemacht.“ Alle späteren Eigentümer dagegen profitierten vom Wertzuwachs, 2013 wurde das Haus für das 20-Fache seines Preises von 1980 weiterverkauft. Wie hatte es Margaret Thatcher damals angekündigt: „Die Wirtschaft ist die Methode, aber das Ziel ist es, die Seele zu verändern.“

5. Januar 2024 Der Standard

„Stuck her, oder es knallt“

Architektur wird in den sozialen Medien immer öfter von Traditionalisten und Rechten als Mittel für einen Kulturkampf für das christliche Abendland missbraucht. Aber warum? Und warum gerade jetzt?

Am 17. Dezember musste sich Tucker Carlson sehr aufregen. Das ist an sich nichts Besonderes, denn der ultrarechte Fernsehmoderator verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Anfachen von Erregung. Doch dieser Aufreger war besonders: das Globe Life Field Stadium in Dallas, Spielort der Texas Rangers. Dieses sei, so Carlson, so hässlich, dass man den Architekten ins Gefängnis stecken müsse. Schön ist das Stadion in der Tat nicht, eine wilde Kollision aufgeblähter Formen. Aber das ist für US-Sportstätten nichts Außergewöhnliches. Die Frage ist: Warum beschäftigt sich ein Trump-affiner Agitator, der bislang nicht mit kulturellem Interesse auffiel, plötzlich mit Architektur?

Die Antwort: Er folgt einem Trend. Vor allem in den sozialen Medien wird „moderne Architektur“ heutzutage mit wahllosen Rundumschlägen geprügelt. Meistens mit dem einfachen, aber effektiven Rezept, zwei Bilder nebeneinanderzustellen, die einen vermeintlichen Kulturverlust illustrieren: Links Stein, rechts Beton. Links Ornament, rechts kein Ornament. Links gut, rechts böse. Vor allem die Plattform X, vormals Twitter, ist zum Spielfeld dieser Polarität geworden. Zahllose Accounts wie etwa @archi_tradition (579.000 Follower) posten Bilder gotischer Kathedralen mit der Frage, warum man so etwas heute nicht mehr baue. Oder @Arch_Revival_ (142.000 Follower), der Neubauten feiert, die aussehen, als wären sie 200 Jahre alt, was als Qualitätsmerkmal offenbar ausreicht. Nebenbei wird gerne auch die moderne Kunst als „degeneriert“ bezeichnet.

Keine Kulturkritik

Ganz weit vorn: @culture_crit, eine Million Follower. Barocke Skulpturen, Opernhäuser, Kathedralen, dazu Bibelverse und Sprüche wie „Architektur und Kunst sollen Ehrfurcht erzeugen“. Bauten der Moderne fehlen ebenso wie die gesamte arabisch-islamische Kultur. Der Gipfel menschlichen Schaffens, wird deutlich suggeriert, sei ausschließlich der westlichen Kultur zu verdanken, insbesondere gottesfürchtigen Männern, deren Hände heroisch Stein auf Stein schichteten. Mit echter Kulturkritik hat all das nichts zu tun, und doch teilen Tausende, darunter auch eigentlich vernünftige Menschen, begeistert die verführerisch aufbereiteten Inhalte. Die Bildunterschrift von @culture_crit zu einem Kitschbild eines märchenhaft verschneiten Moskau im Schnee: „What’s preventing you from moving to Russia?“

Auf Facebook wiederum breitet sich das Netzwerk „Architecture Uprising International“ schnell aus. Initiiert von Peter Olsson, einem Systemadministrator aus Schweden, gibt es inzwischen regionale Gruppen von Island bis Israel, die deutschsprachige „Architektur-Rebellion – Lasst uns wieder schöner bauen“ hat als Motto: „Gemeinsam machen wir der klotzigen Neubau-Hässlichkeit ein Ende und bringen wieder Schönheit, Lebensqualität und Nachhaltigkeit in unsere Städte!“

Dass sich eine breite Bewegung für mehr Schönheit in den Städten einsetzt, dagegen lässt sich nichts sagen. Dass hier vieles im Argen liegt – etwa ein Vernachlässigen von Handwerk, Dauerhaftigkeit und Detail –, stimmt ebenso. Die Gründe dafür sind vielfältig. Doch die Kritik an der Banalität des gebauten Alltags beschränkt sich meist auf das Einsortieren der gesamten Baugeschichte in zwei Töpfe: traditionell und modern. Befeuert von einem Grundton aggressiver Dauererregung: Menschen schreien Fotos im Internet an. Die Sanierung eines Gründerzeithauses in Ostdeutschland, der der Fassadenschmuck zum Opfer fiel, kommentiert der architekturrebellische Administrator so: „Bringt den Stuck wieder an, aber dalli! Sonst knallt’s, versprochen!“, gefolgt von drei Feuer-Emojis.

Was ist das Problem daran? Zum einen, dass es so etwas wie „klassische“ und „traditionelle“ Architektur nicht gibt. Unterschiedlichen Baustilen liegen unterschiedliche Haltungen zugrunde. Gotik, Barock und Historismus durchliefen Phasen, in denen sie als hässlich galten, und die anonyme Alltagsarchitektur ist ein ganz eigenes Kapitel. Die Boulevards von Paris und das Wien der Gründerzeit zerstörten die Stadt des Mittelalters und Biedermeiers, waren also im Grunde antitraditionell. Der sich als modern verstehende Otto Wagner hätte sich gegen eine Einordnung als Traditionalist mit Händen und Füßen gewehrt.

Reaktionäre Ideen

Auch die Moderne lässt sich nicht in einen Topf werfen: Die Massenproduktion des Bauwirtschaftsfunktionalismus, der bildhauerische Brutalismus, die bunt-verspielte Postmoderne, der wilde Dekonstruktivismus, das regionale Bauen oder der Holzbau haben nur wenig gemeinsam. Auch die Kritik an der Moderne und dem städtebaulichen Kahlschlag der Nachkriegszeit ist bereits 50 Jahre alt.

Sich im Jahr 2024 an Le Corbusier, Mies van der Rohe und dem Bauhaus abzuarbeiten und Barrikaden an Frontlinien aufzustellen, die längst obsolet sind, ist, als würde man heute noch Beethoven gegen „langhaarige Beatmusiker mit Stromgitarren“ ausspielen. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich manche Rebellen gar nicht wirklich für Architektur interessieren. Aber was steckt dann dahinter? „Schönheit und Tradition sind Codewörter für weiße Suprematisten geworden, die an den Großen Austausch glauben, an das Ende des christlichen Europa durch Immigration“, schrieb der britische Architekturkritiker Robert Bevan 2022. „Klassizismus ist an sich nicht politisch rechts, aber traditionelle Architektur wurde zu einem Vehikel für die Rechte und die extrem Rechte.“ Extrem rechte Gruppen wie die in den USA beheimatete Identity Evropa werben mit antiken Statuen, die National Rifle Association (NRA) prangerte moderne Architektur 2017 als Symbol liberaler Dekadenz an, die Verschwörungstheorie-Website Infowars ein Video mit dem Titel Why modern architecture SUCKS.

Agitatoren wie Tucker Carlson haben hier offenbar genau hingesehen und sich ein Beispiel genommen. Es ist schließlich so einfach: Ein paar Bilder und ein paar Schlagworte genügen als Trigger für die Erregung, mehr Auseinandersetzung mit Architektur braucht es nicht. Die Baugeschichte der Menschheit ist endlos faszinierend, widersprüchlich, kompliziert und natürlich auch kritikwürdig. Sie für einen Kulturkampf zu instrumentalisieren ist nicht nur gefährlich, sondern schlicht: kulturlos.

16. Dezember 2023 Der Standard

Fifty-fifty mit Fix und Flex

Wohnen und arbeiten unter einem Dach: Klingt einfach, ist aber sehr kompliziert, vor allem wenn man bei null beginnt. Im Wiener Nordbahnhofviertel hat eine engagierte Gruppe gemeinsam mit Architekten und Bauträger ein Pionierprojekt gestemmt, das es so noch nicht gab. Ein Hausbesuch in der Hauswirtschaft.

Der Wuzler steht schon da, die Sitzmöbel und die Theke für die Rezeption fehlen noch. Nebenan dröhnen noch die Bohrer, hier wird bald ein Veranstaltungssaal inklusive Bar täglich seine Türen öffnen. Vor der Glasfront stehen auf dem Boden die Großbuchstaben H und W. Daneben steht Peter Rippl, und auf seinem Sweatshirt prangt ein Logo, das ebenfalls aus den Buchstaben H und W besteht. „Wir sind vor drei Monaten eingezogen, aber es gibt immer noch viel zu tun“, sagt er. „Das Haus in Betrieb nehmen, für das Haus werben und dann auch noch selbst einziehen, mit allem, was dazugehört.“

Peter Rippl ist vieles gleichzeitig: Er ist Ein-Mann-Unternehmer und Teil eines Schwarms. Denn der Shiatsu-Praktiker ist Mitgründer der genossenschaftlichen Baugruppe „die Hauswirtschaft“, bei der er heute gemeinsam mit Angela Kohl als Geschäftsführer agiert. Sie alle haben etwas geschafft, das es in Wien bisher noch nicht gab. 48 Wohnungen und 3500 Quadratmeter Gewerbe unter einem Dach, selbst organisiert. Das Mischverhältnis aus Wohnen und Nichtwohnen ist es, was Gründerzeitvierteln ihren städtischen Charakter gibt, doch eine solche Mischung in einem neuen Quartier aus dem Nichts zu zaubern, das ist eine Königsdisziplin. Vom Sonnwendviertel bis Transdanubien hat man gesehen, wie schwer sich die Wohnbauträger damit tun.

Sockel und Würfel

Als Partner fand man die bereits baugruppenerfahrenen Architekten Einszueins (Wohnprojekt Wien, Gleis21) und den Bauträger EGW. Ein Forschungsprojekt der TU Wien namens Open Haus Wirtschaft lieferte erste Erkenntnisse. Als Ort für das Experiment fand sich ein dreieckiges Grundstück im Nordbahnhofviertel, eingeklemmt neben einem Hochhaus mit schmalem, aber unverbaubarem Blick auf den grünen Park der „Freien Mitte“. Von außen erkennt man die Zwei-Komponenten-Idee auf den ersten Blick: ein rotbrauner dreigeschoßiger Sockel unten für die Wirtschaft, ein cremeweißer Kubus obendrauf fürs Haus. Im Inneren merkt man jedoch schnell: Es ist kompliziert.

Das beginne, sagt Peter Rippl, schon bei der Frage, welche Türen von wem geöffnet werden können. Das 280-Quadratmeter-Foyer empfängt Wohnende, Werkende und Gäste, bevor sich die Wege dann im Haus verzweigen. Noch dazu werden die Büros, Studios und Werkstätten sowohl von Bewohnern als auch von externen Mieterinnen genutzt. Da freut man sich über das freundliche und farbenfrohe Leitsystem an den Wänden.

Wir steigen hinauf in den ersten Stock. Schmale Korridore mit Zimmerfluchten rechts und links gibt es hier ebenso wenig wie uferlose Großraumbüros, stattdessen ein in vielen abendfüllenden Sitzungen von Baugruppe und Architekten ausgetüfteltes System aus sogenannten Fix- und Flexräumen. Dessen Vorteil liegt im Teilen und Anpassen. Teilbar sind: Besprechungsräume, Kojen für Zoomkonferenzen und fürs Telefonieren, Garderoben für Therapiepatienten, Kaffeemaschine, WCs.

„Früher hatte meine Shiatsu-Praxis 40 Quadratmeter, jetzt brauche ich die Hälfte“, erklärt Rippl. Besonders attraktiv ist die Fix-Flex-Kombi für Unternehmen, die je nach Saison oder Projekt schnell wachsen und schrumpfen – sie können für Stunden, Tage oder Wochen in die Flexräume hinein expandieren; natürlich in Abstimmung mit den mitspracheberechtigten Hauswirtschaftlern. Ein summender Bienenkorb der Schwarmintelligenz. Die Einnahmen aus der Vermietung an Externe finanzieren wiederum die Gemeinschaftsräume und Aktivitäten der Baugruppe.

Sisyphus-Felsbrocken

Das Konzept basiert auf einer doppelten Analyse der Marktsituation. Zum einen hatte die Gruppe erkannt, dass für viele Kleinunternehmerinnen weder teure, enge Co-Working-Spaces noch der Schreibtisch zu Hause geeignete Firmensitze sind. „Der Markt bietet diesen Leuten nur wenig bis nichts an“, sagt Rippl. Zum anderen war offensichtlich, dass die Nachfrage nach Wohnraum in Wien praktisch unstillbar ist – also kann man Bedingungen stellen. In diesem Fall: Leute, die im selben Haus auch arbeiten wollen. „Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg war, dass wir die Wohnungen vorrangig an Leute vergeben haben, die auch Gewerbeflächen nutzen wollten.“ Damit das kleinmaßstäbliche Wirtschaften in möglichst produktiver Harmonie vonstattengeht, wurde genau auf die richtige Zusammensetzung geachtet. „Auch die Interessenten wollten wissen, wer schon dort angesiedelt ist, weil es ihnen wichtig war, dass sie sich vernetzen können, dass es Synergien gibt.“

Räume und Nutzerinnen, die permanent in Bewegung sind – ein hehres Ideal, doch baurechtlich kommt das einem simultanen Jonglieren mit mehreren Sisyphus-Felsbrocken gleich. Denn die strengen Normen für Luftwechselraten, Belichtung, Fluchtwege und Brandschutz verlangen nach unveränderbarer Eindeutigkeit. „Brandschutz und Haustechnik haben uns so einige schlaflose Nächte bei der Planung bereitet“, sagt Markus Zilker von Einszueins Architektur.

„Im Rückblick gab es vielleicht auch eine methodische Übertreibung, was die Komplexität des Ganzen betrifft.“ Die Bewältigungsarbeit aller Normen und Vorschriften drängt sich auch hier und da in die Räume. Grobe Brandschutztüren, gordische Knoten aus Lüftungsrohren. Angesichts der Energie, die der ganze Prozess kostete, war wenig Luft für Feintuning im Design. Die Bürde der Pioniere besteht darin, die Regeln des Möglichen zu schaffen. Die Nächsten, die das Modell umsetzen, dürfen es dann optimieren und feinschleifen.

Handbuch in Arbeit

Mit dem Lift ins oberste Stockwerk, vom Wirtschaftstrakt in den Wohntrakt, und das komplexitätsbeladene Hirn darf sich entspannen. Hier wird das Können des gemeinschaftliche Wiener Wohnbaus entspannt ausgespielt, mit großen Gemeinschaftsräumen, die dem dicht gepackten Haus, das seinen Bauplatz fast zu 100 Prozent auffüllt, die nötige Luft verschaffen. Eine riesige Gemeinschaftsküche für Bewohner und Arbeiterinnen mit Dachterrasse, und ganz oben die Sauna mit dem wohl besten Ausblick der Stadt.

„Eigentlich haben wir alles, was wir uns vor sieben Jahren gewünscht haben, jetzt hier im Haus“, sagt Peter Rippl. Die ersten potenziellen Nachahmer haben ihren Besuch schon angemeldet. Sieben Jahre Engagement, Gespräche, Verhandlungen und schlaflose Nächte: Lässt sich das Modell Hauswirtschaft so leicht reproduzieren? Ein Handbuch, sagt Markus Zilker, sei schon in Arbeit. „Aber man muss es sich wirklich trauen, man muss es wirklich wollen. Und es hängt alles an den einzelnen Personen, die das Ganze tragen.“

2. Dezember 2023 Der Standard

Muskelspiel im zarten Kleid

Das neue Wien-Museum am Karlsplatz wird eröffnet. Ein in großen Teilen gelungenes Weiterbauen der Fünfzigerjahre, mit stahlbetonierter Wucht im Inneren und Eleganz in der Fassade – und einem unglücklich überdimensionierten Eingang.

Dreieinhalb Jahre lang war das Wien-Museum am Karlsplatz die vielleicht öffentlichste Baustelle der Stadt. Das Ausräumen, der Bauzaun, der Abbau der Fassade, der Aufbau des 1150 Tonnen schweren Stahlgerüsts neben der Karlskirche, dessen Einkleidung in rauen Beton, all das ließ sich wie auf einer Bühne mitverfolgen und wurde vom Publikum kommentiert. Eine bewusste Entscheidung, den Prozess des Umbauens nicht, wie in Wien üblich, hinter schönen Schleiern zu verbergen. Als der Bau von Oswald Haerdtl zwischendurch auf seine osteoporotischen Knochen von Stahlbeton und dünnem Mauerwerk reduziert war, schrieben die Zeitungen von „Ruine“, und nicht wenige Passanten meinten, jetzt könne man den Bau auch gleich abreißen. Tat man natürlich nicht.

Jetzt ist die Baustelle abgeschlossen, die Exponate der Dauerausstellung sind eingezogen, am 6. Dezember wird termingerecht eröffnet. Das „Wien Museum Neu“ zeigt eine selbstbewusste Präsenz zwischen den Nachbarn Künstlerhaus, Musikverein und der alles dominierenden Karlskirche.

Zum ersten Mal, denn der Ursprungsbau von Oswald Haerdtl, im April 1959 eröffnet, wirkte immer etwas verzagt, wie ein Tourist vom Stadtrand, der sich ins Zentrum verirrte. Mit seinen Fensterreihen, dem Ausstellungsbetrieb eher hinderlich, ähnelte es mehr dem Verwaltungsbau einer kleinen Gewerkschaft als einem Museum.

Moderat modern

„Der Bau ist bis heute ein ungeliebtes architektonisches Kind der Stadt“, urteilte der Kritiker Friedrich Achleitner in seinem Standardwerk zur österreichischen Architektur. „Die frühen Fünfzigerjahre waren eine denkbar schlechte Zeit für den Bau und die Konzeption eines Museums.“ Dafür spielte das Haus seine Qualitäten im Inneren aus, dessen handwerkliche Details ein erstes Wiederaufblühen von Eleganz in der frühen Nachkriegszeit versprachen. Es war „moderat modern“, wie es 2005 eine Ausstellung im Wien-Museum nannte. Solide statt revolutionär. Spätere Umbauten verwässerten die Intention Haerdtls allerdings.

Nach langwierigen Standort-Debatten wurde beschlossen, das Museum am Karlsplatz zu belassen, der 2013 beschlossene und 2015 durchgeführte Wettbewerb sah die dringend nötige Erweiterung der Ausstellungs- und Lagerflächen vor. Es war die Ära, in der sich Architektinnen und Architekten gerade bei Museumswettbewerben in Spektakel-Großformen überboten, doch gewann unter den 274 internationalen Einreichungen ein relativ moderater Entwurf. Das Team aus Roland Winkler, Klaudia Ruck und Ferdinand Certov stellte Haerdtl keinen Konkurrenten vor die Nase, sondern setzte ihm einen maßgeschneiderten Deckel auf.

„Ich denke, wir haben Oswald Haerdtl lieben und schätzen gelernt“, erinnert sich Roland Winkler. „Wir wollten das, was uns das Gebäude mitgeteilt hat, nicht verstecken oder verbauen, sondern betonen, unterstreichen, vielleicht sogar ein bisschen zelebrieren. Ein Haerdtl in der zweiten Reihe war für uns keine Option. Wir wollten ihn wieder nach vorne holen, sozusagen in die energetische Präsenz des Karlsplatzes.“

Energetische Präsenz

Die Respektsbekundungen vor Haerdtl waren glaubhaft, und das zeigt sich jetzt im Ergebnis – vor allem in der Arbeit mit dem Material. Die alt-neue Fassade beantwortet die Frage, wie viel Originalsubstanz in einem Denkmal stecken muss, wohlüberlegt. Die in den 1980er-Jahren ersetzten Steinplatten wurden durch hellen Kalkstein ersetzt, der dem ursprünglichen Charakter nahekommt. Die Fenster-Trilogie aus Aluminium, grauem Kalkstein und blaugrauem Marmor wurde harmonisch-historisch abgestimmt, die denkmalgeschützte Stiege im Inneren elegant mit den heutigen Normen in Einklang gebracht, an sich eine Unmöglichkeit.

Doch die „energetische Präsenz ist vor allem den zwei neuen Geschoßen zu verdanken, die das Museum endlich zu angemessenem Selbstbewusstsein im Stadtraum verhelfen. Die Fassade der ganz oben thronenden Halle für Wechselausstellungen, verkleidet in Sichtbeton mit unregelmäßig geriffelten vertikalen Graten der Bretterschalung, verbindet rurale Handwerklichkeit mit urbaner Industrie. Im offiziellen Wording ein „Schwebegeschoß“, weil im Wettbewerb eine Aufstockung nicht gewünscht war. Zwar können tausend Tonnen Stahl nicht schweben, doch die Entscheidung, dem Altbau keinen Zweitbau aufzusetzen, sondern einen oberen Abschluss zu geben, war richtig.

Während sich dieser Kubus ganz nach innen wendet, ist das darunterliegende verglaste Fugengeschoß das große Geschenk an die Wiener, denn von hier aus lässt sich die unklare Gegend namens Karlsplatz erstmals visuell erfassen. Selfies von hier werden künftig die sozialen Medien fluten, so viel ist sicher.

Dass von Schweben wirklich nicht die Rede sein kann, spürt man sofort, wenn man den ehemaligen Lichthof im Herz des Museums betritt. Hier wird die ganze Last von Stahl, Beton, Besuchern und Exponaten mit solch sichtbarer Wucht mitten durch Haerdtl und 40 Meter tief in den Wiener Boden transportiert, dass man die stählernen Muskelstränge in den massiven Betonwänden ächzen zu hören glaubt.

Das neue Stiegenhaus, das als Halbzylinder oben in den Raum hineinragt, ist ein skulpturaler Bonus dieses Festivals der Lastabtragung. Das ist visuell beeindruckend – und doch wünscht man sich beim erlebnisdichten Gehen durch die Räume zwischen diesen Massen, dass diese um 20 Prozent größer wären. Viel Luft bleibt, trotz einer Fast-Verdopplung der Ausstellungsfläche, nicht.

Diese innere Hochverdichtung soll der neue Vorbau am Karlsplatz ausbalancieren, doch tut er dies mit einem Zuviel an Leerraum. Mit seinen großen Flächen aus finsterem Sonnenschutzglas wirkt der übergroße Kubus wie das Entree einer südamerikanischen Bank und bringt mit seiner Grobheit die von Winkler, Ruck und Certov fein austarierte Maßstäblichkeit des betonüberschwebten Haerdtl-Baus durcheinander, im Inneren degradiert der überhöhe Raum das sorgsam polierte alte Fifties-Portal zum Schlupfloch.

Hier gilt künftig: Augen zu und durch, denn nach diesem bombastischen Auftakt wird das Ineinandergreifen von Alt und Neu zur idealen Entsprechung des Selbstverständnisses eines städtischen Museums.

[ Eine Publikation zur Architektur des Hauses ist bei Müry Salzmann erschienen. ]

11. November 2023 Der Standard

„Jedes Gebäude hat seinen eigenen Klang“

Er baut wenig und langsam, er nimmt sich Zeit. Seine Bauten sind eher leise als laut. Kommende Woche gastiert der 80-jährige Schweizer Architekt Peter Zumthor beim Festival Wien Modern. Ein Gespräch über Musik und Räume – und über die Emotionen, die mit beidem verbunden sind.

Man muss nicht Schopenhauers fast zu Tode zitiertes Bonmot von der Architektur als gefrorener Musik bemühen, um auf die Parallelen zwischen diesen beiden Disziplinen zu verweisen. Harmonie, Rhythmus und Raum gehören für Architektinnen und Musiker zum Handwerkszeug. Der Schweizer Architekt Peter Zumthor, seit seiner Kindheit Musikliebhaber, hat in Zusammenarbeit mit dem Wiener Musikverein und dem Festival Wien Modern anlässlich seines 80. Geburtstags ein Programm mit 13 Konzerten und acht Werkstattgesprächen zusammengestellt. der STANDARD traf ihn vor seinem Wien-Gastspiel zum Gespräch.

STANDARD: Nächste Woche gastieren Sie beim Festival Wien Modern. Welche Rolle spielt Musik für Sie? Hören Sie Musik, während Sie entwerfen?

Zumthor: Architektur und Musik sind bei mir nicht getrennt. Es gibt aber Arten von Arbeit, bei denen ich keine Musik brauchen kann. Wenn ich gut drauf bin und zeichne, höre ich am liebsten das Miles-Davis-Quintett aus den späten 50er-Jahren. Das ist zwar keine Neue Musik wie bei Wien Modern, aber es hat eine spannungsgeladene Energie, die ich schätze. Dann gibt es besinnliche Stunden, in denen ich andere Dinge höre.

STANDARD: Eigentlich assoziiert man mit Ihrem gebauten Werk eher Stille als Musik. Ist es ein Ziel Ihrer Architektur, Stille zu evozieren?

Zumthor: Nein, überhaupt nicht. Jedes Gebäude hat seinen eigenen Klang. Es gibt verschiedene Arten von Stille, und es gibt auch Musik, die Raum produziert. Wurde die Orgel für die gotische Kirche erfunden? Oder wurde die gotische Kirche erfunden, damit man gut Orgel spielen und singen kann? Musik ist eine Kunst, die uns sehr direkt und unmittelbar berühren kann. Vielleicht kann ich das auch mit meinen Räumen erreichen.

STANDARD: Sie haben oft erwähnt, dass Ihre frühesten musikalischen Prägungen die Gesänge in der Kirche waren. Also eine Einheit von musikalischem und räumlichem Erlebnis.

Zumthor: Meine Mutter hat als junge Frau zu Hause bei der Arbeit immer gesungen. Mir gefiel ihre Stimme. In der katholischen Kirche hat mich als Bub immer beeindruckt, wie die ganze Gemeinde gemeinsam am Ende des Gottesdienstes „Großer Gott, wir loben dich“ sang. Singen als Gemeinschaftserlebnis. Das war ein schöner Kontrast zu allen anderen Dingen, die im Gottesdienst gesagt wurden, bei denen ich immer das Gefühl hatte, es ist eine große Heuchelei. Aber die Musik war davon unberührt. Musik bewusst erlebt habe ich etwas später, als ich begann, Jazz zu hören. Das war ein großes Erlebnis in der biederen Schweiz der 1950er-Jahre, als die Lehrer und Eltern ihre Kinder noch aus erzieherischen Gründen schlagen durften. Und da war diese Übertragung des Amateur-Jazzfestivals in Zürich, da spielte ein junger Schweizer Trompete wie der liebe Gott persönlich, wie eine Mischung aus Chet Baker und Miles Davis. Das hat mich umgehauen. Das war ein Fenster in eine neue Welt.

STANDARD: Wie schafft man als Architekt emotionale Räume, wenn Emotionen etwas sehr Individuelles sind? Gibt es dafür ein Handwerkszeug?

Zumthor: Ein Handwerkszeug gibt es ganz sicher, aber wenn man das Handwerk gut beherrscht und sich ganz viel Mühe gibt, heißt das ja noch nicht, dass die Musik oder die Architektur automatisch gut wird. Es gab Zeitgenossen von Bach, die haben den Kontrapunkt wohl gleich gut verstanden wie er, aber konnten ihm trotzdem nicht das Wasser reichen. Wenn ich meine Arbeit anschaue, denke ich, dass ich ein Talent geschenkt bekommen habe, für das ich gar nichts kann. Na ja, das klingt jetzt ein bisschen zu schweizerisch bescheiden. Oder vielleicht zu großspurig?

STANDARD: In der medialen Darstellung gelten Ihre Bauten oft als puristisch. Doch viele Details wie die in Mahagoni und Leder ausgeführten Umkleiden der Therme Vals sind geradezu opulent und theatralisch. Resultiert das aus Ihrer Erfahrung als Katholik in der protestantischen Schweiz?

Zumthor: Für Vals haben wir die alte Bäderkultur studiert. Die Sportbäder, die damals viel gebaut wurden, haben uns nicht interessiert. Wir reisten nach Budapest und in die Türkei, besuchten Hamams, Dampfbäder, Mineralbäder, wir erlebten Baden als uraltes Reinigungsritual. Die Therme Vals ist das erste zeitgenössische Bad, das sich zurückbesinnt auf diese ursprünglichen Baderituale. Der Besucher der Therme verwandelt sich Schritt für Schritt in einen ganz besonderen Badegast. Das Ablegen der Kleider, das Hinabsteigen in die Landschaft der Bäder, das Erlebnis von Licht und Schatten, von Wasser in verschiedenen Temperaturen – all das hat etwas Theatralisches, aber vor allem etwas Sinnliches. Stein, Wasser, Licht und Schatten. Schöne Hölzer, Messing, Leder, nackte Haut.

STANDARD: Welche Rolle spielt der Begriff der Schönheit für Sie?

Zumthor: Vor 20 Jahren habe ich in einem Essay geschrieben: „Hat die Schönheit eine Form?“ Sie hat tausend Formen. Ich suche nicht nach Objektivität, ich suche nach persönlicher Berührung. Wir alle empfinden Schönheit in der Natur. Wenn man Peter Handke liest, hat man das Gefühl, er würde wohl am liebsten Bücher schreiben, die die gleiche Selbstverständlichkeit haben wie ein Baum, der im Wald gewachsen ist. Die natürliche Schönheit der Natur ist auch mir ein Vorbild.

STANDARD: Derzeit entsteht in Los Angeles Ihr größtes Projekt, der Neubau des Los Angeles County Museum of Art (LACMA). Ein völlig anderes Umfeld als das europäische, in dem Sie sonst bauen. Eine interessante Abwechslung oder sogar eine Befreiung für Sie?

Zumthor: Meinen Entwurf für das LACMA kann ich mir nirgends in Europa vorstellen, schon gar nicht in der Schweiz. Die Geste und der Maßstab des neuen Gebäudes passen in die Landschaft von L.A. Wir versuchen, einen Ort zu schaffen, wo es noch keinen Ort gibt. L.A. ist ein filmischer Ort, in dem die Häuser an einem vorbeiziehen. Mit dem Museumsneubau machen wir eine städtebauliche Setzung, öffentlicher Raum soll entstehen. Ich glaube, das wird uns gelingen.

STANDARD: Zahlreiche US-Künstler und -Architekten haben das kuratorische Konzept des Museums und das horizontale Raumkontinuum kritisiert. Was ist Ihre Reaktion darauf?

Zumthor: Innovative Neubauprojekte werden immer kritisiert, weil man das Neue nicht versteht und auch nicht sieht. Diese Kritik zu ertragen gehört zum Geschäft des Architekten. Steht das Gebäude einmal da und hat die Ausstrahlung und Präsenz, die wir uns erträumt haben, gewinnt es Liebhaber. Die kritischen Stimmen werden weniger. Das habe ich immer wieder erlebt. Gott sei Dank. Und es gibt auch jetzt schon Lob. Als ich im Frühjahr dort war, gab es ein Barbecue für die Bauarbeiter, und dann haben 350 Bauarbeiter zu meinem 80er Happy Birthday für mich gesungen. Ich mag die Melodie zwar überhaupt nicht, aber das war ein berührender Moment.

STANDARD: Ein Echo der Kirchenchöre aus der Kindheit, am anderen Ende der Welt.

Zumthor: Ja, könnte man so sagen!

STANDARD: Das Wien-Modern-Programm findet unter anderem im Musikverein statt, der als einer der akustisch besten Räume der Welt gilt. Ein Konzerthaus fehlt noch in Ihrem Werkverzeichnis. Würden Sie gerne noch eines bauen?

Zumthor: Ja, ich würde gerne einen Raum für zeitgenössische Musik oder Kammermusik entwerfen oder ein schön gelegenes Berghotel aus Holz. Wer weiß?

Peter Zumthor, geboren 1943 in Basel, gründete 1979 sein Architekturbüro in Graubünden, wo er bis heute mit einem kleinen Team arbeitet. Zu seinen Bauten gehören die Therme Vals, das Kunsthaus Bregenz und das Kunstmuseum Kolumba in Köln. 2009 wurde er mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet.

4. November 2023 Der Standard

Ornament und Zukunft

In Taschkent kombinierten sowjetische Architekten die Moderne mit Elementen aus der traditionellen Architektur zu einem zentralasiatischen Futurismus. Jetzt werden die Bauten jener Zeit wiederentdeckt. Ein Reisebericht aus Usbekistan.

Ein dunkles Rechteck in den hellen Fliesen markiert die Stelle, wo er stand: Wladimir Iljitsch Lenin, sechs Meter hoch. Heute ist die riesige Halle leer, aber immer noch aufgeladen mit quasireligiöser Bedeutsamkeit, auch wenn die Statue längst entsorgt wurde. 1970 wurde das Lenin-Museum in Taschkent, Hauptstadt der usbekischen Sowjetrepublik, eröffnet. Bald sollte jede Republik eines haben, doch dieses hier sei besonders, sagt Farkhod Rikhsiev, Professor für Architektur an der Ajou University Taschkent. „:innen ein geschlossenes Atrium und außen eine luftige Fassade, das sind Elemente der traditionellen Architektur in Usbekistan.“

Schaufenster des Orients

Das ist kein Zufall, denn die damaligen Architekten Jewgeni Rozanow und Wsewolod Schestopalow ließen sich von den Panjaras inspirieren, den verzierten Gittern, die im heißen Wüstenklima als Sonnenschutz fungieren. Nur eben in zeitgenössischem Fertigteilbeton, dem sie eine erstaunliche Filigranität abluchsten. „Bei Nacht strahlt das Innere durch dieses Gitter wie eine festliche Laterne“, sagt Rikhsiev. Es ist nicht die einzige erstaunliche Symbiose aus Moderne und Bautradition in der 2,4-Millionen-Einwohner-Stadt. Auch die Fassade des 17-stöckigen Hotel Uzbekistan (1974) erinnert an eine Panjara, monumental und zart zugleich.

Warum spazieren dutzende Architektinnen, Architekturforscher und Journalisten an diesen warmen Oktobertagen durch die usbekische Hauptstadt? Es ist ein Testlauf auf künftigen Touristenrouten. Das hofft zumindest die 2017 vom Staat gegründete Art and Culture Development Foundation (ACDF), die sich dem Kulturtransfer zwischen Usbekistan und der Welt widmet. Während historische Städte wie Samarkand und Buchara längst Touristenmagneten sind, wird Taschkent meist nur als Transferstation genutzt.

Denn dessen Altstadt wurde 1966 durch ein Erdbeben stark beschädigt, was ehrgeizige Planer zum Anlass nahmen, auch die Reste zu beseitigen und ihre großen Visionen zu realisieren: breite Straßen, riesige Plätze, Prestigebauten für das „Schaufenster des sowjetischen Orients“ – dies war die Rolle, die man in Moskau der damals viertgrößten Stadt der UdSSR zugeteilt hatte. Das schnelle und multikulturelle Bevölkerungswachstum Taschkents nach 1966 stärkte diese Position als Knotenpunkt der Weltregionen noch.

Heute gehört die Ära der Sowjetmoderne (der das Architekturzentrum Wien 2012 schon eine vielbesuchte Schau widmete) zum Kulturgut, und die relativ kleine usbekische SSR hat hier einiges beigetragen: der bombastische Palast der Volksfreundschaft von 1981, der hektargroße Flächen aus tiefblauer Keramik und wie KI-generiert wirkende traubenförmige weiße Kronleuchter in einem Kubus aus zipfeligem Beton unterbringt. Die beiden mosaikverzierten Ufo-Scheiben von Zirkus und Basar. Die Kinos, die Museen, die Restaurants, Kaufhäuser und Theater.

Jenseits aller Typologien

„Wir wollen Taschkent wieder zur Kulturdestination machen“, sagte Gayane Umerowa vom ACDF bei der Eröffnung der dreitägigen internationalen Konferenz „Where in the world is Tashkent?“. Für 2024 plant man eine Buchpublikation, eine Ausstellung am Schweizer Architekturmuseum in Basel und nicht zuletzt die Bewerbung als Unesco-Weltkulturerbe.

Ein Team um die Forscher des Politecnico di Milano, die Architekturbüros Grace und Laborio Permanente, der Fotograf Armin Linke sowie der in Usbekistan geborene Architekturhistoriker Boris Chukhowitsch erstellten ein Inventar aus 40 Bauwerken, von denen 23 als besonders schützenswert ausgewählt wurden. „Nach 1966 war Taschkent so etwas wie das Experimentierlabor in Zentralasien“, sagt Architektin Ekaterina Golowjatuk von Grace. „In der UdSSR gab es besondere Bautypen, die in vielen Städten reproduziert wurden. Haus der Jugend, Hochzeitspalast, Basar, Zirkus, Lenin-Museum. Dabei kam es aber immer wieder zu regionalen Abwandlungen.“ Auch Einzigartiges jenseits aller Typologien, wie die 1987 eröffnete Heliocomplex-Anlage in den Bergen außerhalb Taschkents, die durch die Bündelung von Sonnenstrahlen Temperaturen von 3000 Grad erzeugt und wie die Zentrale eines Bond-Bösewichts futuristisch auf den Felsen thront.

Aber auch ganz gewöhnliche sozialistische Wohnblocks wurden von ambitionierten Architekten orientalisiert, mit farbenfrohen Mosaiken an den Stirnseiten und fast schon postmodern verspielten Fensterformen, weit jenseits des Klischees vom banalen Plattenbau.

Erst recht meilenweit von der Serienproduktion entfernt geriet das 16-geschoßige Wohnhochhaus Zhemchug (1979–85), dessen durchsetzungsstarke Architektin Ophelia Aydinowa sich dem Fertigteildiktat verweigerte und eine organisch-runde Formen realisierte. Auch sie fusionierte das vernakuläre Bauen mit der Zukunft. Sie stapelte die Mahallas, die privaten Wohnhöfe der niedrigen Altstädte, konzeptionell in die Höhe: Jeweils drei Wohngeschoße orientieren sich zu einem Innenhof hoch über den Dächern der Stadt. Hier spielen Kinder Fußball, hier hängt die Wäsche von den Leinen, und inzwischen haben die Bewohner die Fronten ihrer Wohnungen mit kreativem Eigensinn ausgestaltet, als wären es tatsächlich Einfamilienhäuser. Ein wilder Individualismus, der die Architektur keineswegs stört. Ein Wohnhochhaus ganz ohne Anonymität: Daran arbeiten sich heute wieder weltweit die Architekten ab. Aydinowa war ihrer Zeit weit voraus.

Metro zum Weltraum

Zum Schluss taucht unser Spaziergang ab in den Untergrund, denn auch hier warten Prestigebauten. Die Stationen der Metro Taschkent, der ersten in Zentralasien, wurden mit großem Aufwand ausgestaltet. Besonders far out: die Station Kosmonavtlar (1984). Ein weißes Leuchtenband in der Mitte evoziert die Milchstraße, an den Wänden winken Juri Gagarin und seine kosmischen Kollegen aus runden Bildern wie durch die Bullaugen eines Raumschiffs. Die von Blau zu Weiß changierenden Keramikwände sollten laut Architekt Sergo Sutjagin das Auflösen in die Endlosigkeit des Weltraums evozieren. Ornament und Zukunft, vereint in gebranntem Stein.

Hinweis: Die Reise nach Taschkent erfolgte auf Einladung der ACDF.

21. Oktober 2023 Der Standard

Tirol liegt am Fjord

Eine Ausstellung im Kunsthaus Mürz zeigt Bauten des Büros Snøhetta, die sich an die Ränder der Wildnis vorwagen, sowohl in Norwegen als auch in Österreich. Ein Paarlauf in alpin-nordischer Disziplin.

Es ist ein Betriebsausflug der besonderen Art, den diese Firma alle zwei Jahre veranstaltet. Die mittlerweile 400 Architektinnen und Architekten, die an neun weltweiten Standorten ar-beiten, versammeln sich im Dovrefjell-Gebirge in Mittelnorwegen und stapfen in Funktionskleidung durch Schotter und Schnee, um einen Berg zu besteigen. Der Name des Berges: Snøhetta. Der Name des Büros: Snøhetta. Eine naheliegende Idee also, könnte man sagen. Doch, sagt Bürogründer Kjetil Thorsen, so einfach war es dann doch nicht mit der Namensgebung.

Natürliche Erhabenheit

„Unser erstes Büro in Oslo war über einer Bierstube namens Halle von Dovre“, erzählt Thorsen. Die gleichnamige Bergregion ist mittels der Formulierung „til Dovre faller“ (bis Dovre fällt) seit 1814 in der norwegischen Verfassung als nationaler Gedanke ewiger Unabhängigkeit verankert. Ein feierlicher Schwur, auf den sich schon der eine oder andere Humpen heben lässt; und von dort war es nur ein Assoziationseck weiter zum schönen Namen Snøhetta.

Städtische Feierlaune und natürliche Erhabenheit, dieser Paarlauf zieht seinen Slalom durch das ganze Werk des 1989 gegründeten Büros, das mit dem schneeweißen Opernhaus in Oslo in die Weltliga aufgestiegen ist. Heute hat man Niederlassungen in Oslo, Paris, Innsbruck, New York, Hongkong, Shenzen, Adelaide, Melbourne und San Francisco.

Ausschließlich dem natürlichen Aspekt hat sich eine monografische Ausstellung verschrieben, die derzeit am Kunsthaus Mürz zu sehen ist. Arctic Nordic Alpine macht einen Bogen um die spektakulären Kulturbauten und versammelt stattdessen vor allem kleine Projekte, die dort angesiedelt sind, wo sich Wanderwege ins Nichts verlaufen und die Elemente die Kontrolle übernehmen. Im Hochgebirge, im Schnee, am Fjord.

Insgesamt 26 Bauten sind als feingezeichnete Planskizze auf dicht nebeneinandergehängten Papierbahnen zu lesen, zwischen denen man sich behutsam durchschlängeln muss. Spurenelemente und Skizzen von Architektur wie der Panoramaweg hoch über Innsbruck mit seinen in die Landschaft gezeichneten Aussichtsbalkonen oder die 55 knapp unter der Wasseroberfläche gesetzten Steine in Brønnøysund, die nur bei Ebbe begehbar sind.

„Es sind Bauten an sensiblen Orten, die die Architektur nur begrenzt verbessern kann“, sagt Kjetil Thorsen. Die Minimierung des Fußabdrucks wird so zur entscheidenden Entwurfsaufgabe. So wie bei der gerade mal 30 Quadratmeter großen Schutzhütte am Akrafjorden, deren Baumaterialien bis auf einen Stahlträger alle per Pferd transportiert wurden. „Was wir Architekten tun können, ist, mit architektonischen Mitteln auf die Natur zu zeigen und Bewusstsein bei den Menschen zu schaffen. Es geht uns immer darum, die Landschaft zu lesen. Wichtig ist es, die Grenzlinie zu definieren, ab der die Natur in Ruhe gelassen werden soll.“ So wie bei der Aussichtshütte Tverrfjellhytta, die mit Blick auf den Snøhetta genau an die Grenze zwischen Mensch- und Rentier-Territorium gesetzt wurde. Eine Art kleine Glasschatulle mit behaglicher Sitzlandschaft, ein nordisches Sofa in einem Schaufenster, mit der Gebirgskulisse als Fernsehprogramm. Didaktik, verpackt als Ästhetik. Oder auch: Natur als Konsumgut.

Frage des Fußabdrucks

Bei aller Schönheit wird der Weg ins Nordische und Alpine zur Gratwanderung, bei der sich die Frage stellt: Soll man noch mehr Besucher an Orte locken, die an sich schon fragil sind, um den Besuchern die Einsicht in ebendiese Fragilität zu vermitteln? Ist ein kleiner Fußabdruck akzeptabel, wo gar kein Fußabdruck noch besser wäre?

Diese Frage stellt sich Snøhetta auch selbst; als Antwort hat das Büro das System Powerhouse entwickelt. „Powerhouse-Gebäude produzieren ihre eigene Energie und haben daher die graue Energie, die sie für den Bau verbraucht haben, schnell amortisiert“, erklärt Patrick Lüth, langjähriger Leiter des Innsbrucker Büros. Inzwischen wurden sechs Powerhouse-Projekte realisiert. Das erste davon war das kreisförmige Hotel Svart knapp über dem Polarkreis, das pro Jahr etwa 85 Prozent weniger Energie verbraucht als gewöhnliche Hotels.

Etwas weniger landschaftlich hochsensibel ist die Lage des Hotels, das Snøhetta in Tschagguns im Montafon errichteten. Hier bestand direkt daneben schon ein Kraftwerk, was Maßstäbe in puncto visueller Massigkeit setzte. Im Alpbachtal wiederum errichtete das Büro in einem neu erschlossenen Skigebiet eine Skilift-Bergstation inklusive eines konsumfreien Selbstversorgerraums. „Das Prinzip Jause ist auch sehr typisch für Norwegen – das verbindet beide Länder“, sagt Patrick Lüth. Die „Bergjuwel“ genannte Bergstation im Alpbachtal lässt sich als Versuch deuten, eine ausgebeutete Landschaft zu lesen und ihr etwas Ruhe und Respekt abzuringen. Schöne Holzoptik inmitten der Zerstörung, Konsumfreiheit inmitten der Unersättlichkeit goldgegerbter Tiroler Liftkaiser. Auch eine Gratwanderung.

Oder, wie Kjetil Thorsen sagt, auch ein Modell für die nahe Zukunft. „Das 1,5-Grad- und eigentlich auch das 2-Grad-Ziel sind nicht mehr erreichbar. Wir spüren in Norwegen die Klimaveränderung, und in den Alpen genauso. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als adaptiv zu denken. Die Architektur kann hier Ideen liefern, denn sie war immer schon ein vorausdenkender Beruf.“

Im eisigen Permafrost

Schlusspunkt und Extrempol des alpin-arktischen Dialogs: Longyearbyen, 1300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Eingegraben im eisigen Permafrost befindet sich das Svalbard Global Seed Vault, in dem die Samen der Erde aufbewahrt werden, um eine wie auch immer geartete Katastrophe zu überdauern. Ein unsichtbares Riesenbauwerk, dem Snøhetta Sichtbarkeit an der Oberfläche verschafften. Zuerst in Form eines Servicegebäudes, in dem die Samen registriert werden. Eine flache, kantige Box aus schwarzem Stahl, auf dünnen Stelzen über dem Schnee; unaufdringlich, ohne banal zu sein. Der nächste Schritt, das Besucherzentrum Svalbard, wird Fußabdruck und Aufmerksamkeit vergrößern. Ein archaischer weißer Kegelturm, in dem man eine momentan geometrische Schneeverwehung oder einen aus der Erde gepressten Bohrkern sehen kann. Eine Einladung, sich den Extremen zu stellen. Architektur als menschliche Grenzerfahrung. Kalt und schön wie der Snøhetta.

[ „Arctic Nordic Alpine“, Kunsthaus Mürz, Mürzzuschlag, bis 19. 11. ]

18. Oktober 2023 Der Standard

Luftiges Wohnzimmer

Mit 1100 neuen Wohnungen in der Campagne Reichenau will Innsbruck ein Zeichen gegen die hohen Mieten in der Stadt setzen

Seit Jahren hält Innsbruck den zweifelhaften Posten als teuerste Stadt Österreichs bei Wohnungsmieten. Spielraum für bauliche Erweiterungen gibt es im Inntal kaum. Umso größer die Erwartungen an eines der letzten großen Neubauprojekte: die Campagne Reichenau, wo neuer, leistbarer Wohnraum geschaffen werden soll – und schon ist. Auf dem 84.000 Quadratmeter großen Areal sollen rund 1100 überwiegend geförderte Mietwohnungen errichtet werden, das Vergaberecht liegt bei der Stadt. Die ersten Wohnungen wurden 2022 übergeben, Bauträger sind die IIG und die Neue Heimat Tirol (NHT).

Dies erfolgte keineswegs überstürzt, sondern nach Innsbrucker Tradition mit städtebaulichem System: Die ersten konkreten Schritte wurden mit einem kooperativen Planungsverfahren gesetzt; mehrere internationale Architektenteams entwickelten gemeinsam ein Leitprojekt. Den folgenden internationalen Architekturwettbewerb gewann das Büro bogenfeld Architektur aus Linz mit der Idee eines „Freiluftwohnzimmers“, in dem die Gassen und Plätze eine besonders wichtige Rolle spielen. Die Architekten realisierten neben dem Städtebau die Bauteile A und B, die zweitplatzierte ARGE eck.architektur & christoph eigentler architektur & Arch. Harald Kröpfl die Bauteile C und D.

„Ganz wesentlich war schon beim kooperativen Verfahren das Ziel, hier ein Stück Stadt zu bauen“, sagt Architektin Birgit Kornmüller von bogenfeld Architektur. „Daher gibt es im Sockelgeschoß keine Wohnnutzung, und die Freiräume wurden besonders hochwertig gestaltet.“

Bunt gefüllte Erdgeschoße

Angeregt wurde die Wohnzimmer-Idee durch die Innsbrucker Altstadt, deren gepflasterte Gassen als Vorbild dienten. Anstatt mit Wohnungen ist das Erdgeschoß schon jetzt bunt gefüllt: Supermarkt, Friseur, Pizzeria, Krabbelstube, Lebenshilfe und Kulturverein.

Die Miete für eine Dreizimmerwohnung mit Fußbodenheizung und Komfortlüftung im Bauteil der NHT beträgt 566 Euro inklusive Betriebs- und Nebenkosten. Eine „echte Kampfansage für den Innsbrucker Immobilienmarkt“, betonte die Tiroler Wohnbaulandesrätin Beate Palfrader bei der Übergabe.

Das geht sich naheliegenderweise nur aus, wenn man besonders dicht und hoch baut, und das wiederum funktioniert nur, wenn die Qualität stimmt. Daher hat man in Innsbruck besonders auf die Freiräume geachtet: Straßenpflaster, Bäume, Sitzmöbel, Gärten auf den Dächern – und als eine Art Wahrzeichen ein filigraner Steg von Dach zu Dach. Ein Freiluftwohnzimmer mit Klettersteig: typisch Innsbruck.

7. Oktober 2023 Der Standard

Zerlumpter Gürtel, wilder Rand

Die Kleingartensiedlungen Wiens sind heiß begehrt, nicht nur bei Politikern. Doch viele von ihnen haben eine illegale Vergangenheit. Zwei Forscher der TU Wien haben die komplizierte Zähmung dieses widerspenstigen Siedelns analysiert.

CHAOTISCHER STADTRAND: DAS GROSSE ORDNUNGSPROBLEM“ stand in anklagenden Großbuchstaben auf einem der Plakate der Ausstellung Die Stadt von Heute und Morgen und ihr Umland . Man schrieb das Jahr 1956, und beim XXXIII. Kongress für Wohnungswesen und Städtebau in Wien zerbrachen sich Stadtplaner die Köpfe darüber, wie man den wilden Stadtrand bändigen könnte. In den Donauauen des Ostens, an den Wienerwaldhängen des Westens, auf den Äckern des Nordens und Südens wuchsen die illegalen Siedlungen heran, meist abseits der Infrastruktur und in völliger Ignoranz aller Ideen der Stadtplanung für Wiens Zukunft.

Schon 1952 bilanzierte der Magistrat nach einer Ortsbeschau in der Siedlung Oberlisse, man habe eine „unwirtschaftliche Längslage der Parzellen an Wegen, die zu geringen Abstand zueinander haben“ vorgefunden. Der Versuch, das Formlose mit ordentlichen Straßen und Plätzen in Form zu bringen, scheiterte. Der Rand scheint sich jeder Ordnung zu widersetzen.

Die Causa um die Grundstückserwerbe von SPÖ-Persönlichkeiten wie Ernst Nevrivy in der Gartensiedlung Breitenlee haben diesen Rand wieder ins Bewusstsein gerückt. Auch die derzeit für Schlagzeilen sorgende Siedlung am Gewässer mit dem naturidyllischen Namen „Krcalgrube 2“ war bis in die 1970er-Jahre eine Gstätten, mit illegal errichteten Selbstbauten im Grünland. Es folgte ein Pingpong-Spiel aus Umwidmungsansuchen und wildem Bauen, ein Ringen um nachträgliche Legalisierung. Bis heute. Das ist kein Einzelfall – im Gegenteil.

Denn im Wien des 20. Jahrhunderts lebten zeitweise bis zu 100.000 Menschen in illegalen oder halblegalen Siedlungen, erzählen Andre Krammer und Friedrich Hauer vom Institut für Städtebau der TU Wien, die seit Jahren intensiv über den „wilden Stadtrand“ Wiens forschen. Eine Geschichte, die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg beginnt, als die Siedlerbewegung dem Notstand auf eigene Faust trotzte.

„Es gab 1919 und 1921 große Demonstrationen am Ring und vor dem Rathaus, wo von über 100.000 Leuten die Rede ist,“ erzählen die beiden Forscher im ΔTANDARD-Gespräch. „Das heißt, es gab eine Masse und einen sozialen Druck, mit dem man irgendwie umgehen musste. Eine Tabula-Rasa-Politik der Räumung wäre politisch nicht durchsetzbar gewesen. Man hatte damals den Armen schließlich auch nichts anzubieten, weder Sozialwohnungen noch ausreichend Nahrung.“

Eine Reporterin des National Geographic , die 1922 investigativ den Wiener Stadtrand durchstreifte, nannte diesen einen „zerlumpten Gürtel“, und Adolf Loos diagnostizierte in der bürgerlichen Presse der „Schrebergärtnerei“ 1921 eine „Psychose“. Die Siedlerbewegung ist gut recherchiert und gilt in der Geschichtsschreibung als Vorläufer zum Gemeindebau des Roten Wien, der alles in schöne Ordnung brachte. Doch das, stellten Hauer und Krammer fest, stimmt nicht ganz. Denn Ordnung und Chaos existierten jahrzehntelang nebeneinander her.
Brettldorf vs. Bruckhaufen

Die beiden Forscher analysierten die Siedlungen und reihten sie nach Grad der Illegalität. Die Ackersiedlungen entstanden auf Parzellen, die von Bauern verpachtet wurden, in den Gemengesiedlungen vermischte sich reguläres und irreguläres Siedeln, und am wildesten ging es vor allem an steilen Wienerwaldhängen und im Schwemmland der Donau zu, wo sich die Siedlungen Brettldorf, Biberhaufen und Bruckhaufen breitmachten. Doch auch hier gab es feine soziale Unterschiede, sagen die Forscher: „Die Siedlung am Bruckhaufen lag etwas höher und war weniger hochwassergefährdet als das benachbarte Brettldorf, das zudem Schritt für Schritt der städtischen Mülldeponie weichen musste. Die Bruckhaufner haben dann schon auf die Brettldorfer heruntergeschaut.“

Auch die Wiener Sozialdemokratie wusste nie so recht, wie sie sich zum anarchischen Acker-und-Sumpf-Proletariat verhalten sollte und pendelte unschlüssig zwischen strengem Ermahnen und Laissez-faire. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Hochphase der großen Stadtplanungsideen, versuchte man mit dem Aufstellen von Plakaten, mit Radioansprachen und Werbefilmen gegen das wilde Siedeln zu kampagnisieren. Ohne viel Erfolg.

„Also beschloss die Magistratsdirektion 1965 eine Art Generalamnestie“, so die beiden Forscher. „Damals arrangierte man sich mit dem, was da war, und von den tollen Ideen im Planungsdiskurs aus den 20 Jahren davor hörte man von da an nichts mehr. Man strebte nach einem langwierigen Prozess der Legalisierung von oben.“ Eine Politik der Konfliktvermeidung und österreichischen Lösungen, womit man bisweilen auch die eigenen Beamten zur Verzweiflung trieb. „1982 wendet sich ein Beamter an die höhere Verwaltungsebene und berichtet, dass ihre Erhebungen viele Objekte ergeben haben, für die man den Abbruch anordnen musste, was dann aber oft durch Weisungen und Berufungsverfahren verschleppt wurde“, erzählen die Forscher. Von den 1700 Abtragungsaufträgen illegal errichteter Bauten seit 1974 waren bis 1982 nur 620 umgesetzt worden. Der Beamte wies darauf hin, dass man sich entscheiden müsse, ob man den Regeln folgt oder die Regeln den Zuständen anpasst.
Aufgepimpte Favelas

Man entschied sich für Letzteres. Die Novelle 1992 erlaubte erstmals das ganzjährige Wohnen im Kleingarten, und die grünen Erholungsgebiete wurden zu aufgepimpten Nobel-Favelas mit schmalen Rasenstreifen zwischen Thujenhecke und Einfamilienhaus mit über 100 Quadratmeter Wohnfläche. Trotzdem waren die Magistratsabteilung 21 und das „Referat zur Bekämpfung des wilden Bauens“ bis zur Jahrtausendwende immer noch damit beschäftigt, das wilde Siedeln zu zähmen. „Man könnte die These aufstellen, dass man in Wien auch deswegen so konziliant mit dem wilden Siedeln umgegangen ist, weil man über acht Jahrzehnte kaum Wachstumsdruck hatte“, vermuten Hauer und Krammer.

Das hat sich geändert. Seit 2009 ist Wien um die Größe von Graz gewachsen, und das vor allem an den Rändern. In der Seestadt Aspern, in Floridsdorf und Liesing wird hochverdichtet gebaut, und in Rufweite der ehemals illegalen Siedlung Rustenfeld (heute in Niederösterreich) wird bald mit Rothneusiedl ein komplett neuer Stadtteil auf dem Acker entstehen.

Die Gartensiedlung an der Krcalgrube 2 liegt heute direkt neben der U2- und Schnellbahnstation Aspern Nord und bald auch an der umstrittenen Stadtstraße. 2021 wurde sie vom Erholungsgebiet in eine Kleingartensiedlung mit ganzjähriger Nutzung umgewidmet. Die Gstätten wurde zur Prime Location, und der ehemalige Rand der Stadtgesellschaft ist heute von den Mächtigen der Stadt besetzt. Aber wirklich städtisch wurde er nicht.

9. September 2023 Der Standard

Situationselastische Architektur

Das umstrittene Heumarkt-Projekt steht bei der Unesco-Sitzung erneut auf dem Prüfstand. Wienerisches Laissez-faire kollidiert dabei mit klaren Positionen, und nach zehn Jahren des Verschiebens von Kubaturen ist die Architektur selbst zur Nebensache geworden.

Wenn an diesem Sonntag im saudischen Riad die 45. Sitzung des Unesco-Welterbekomitees eröffnet wird, wird eine Abordnung aus Wien mit Architekturplänen als diplomatische Mission vor Ort sein. Denn die nie endende Saga des umstrittenen Hochhausprojekts am Wiener Heumarkt geht in die nächste Verhandlungsrunde. 2013 beschäftigte sich die Unesco bei ihrer Sitzung in Phnom Penh damit, 2015 in Bonn, und 2016 in Istanbul. 2017 in Krakau wurde Wien auf die Strafbank der Roten Liste gesetzt, dort blieb es auch während der Sitzungen 2018 in Bahrain, 2019 in Baku und 2021 in Fuzhou sitzen. Jetzt hofft die Wiener Delegation auf Lob für ihr vermeintliches Entgegenkommen. Der Koalitionspartner Neos hat sich vorsichtshalber schon vom Projekt distanziert, um sich nicht wie vormals die Grünen in die Abgründe der Verantwortlichkeit zu manövrieren.

Denn laut dem Resolutionsentwurf (Draft Decision) der Unesco wird Wien auf der Roten Liste bleiben. Konsequent, denn das Entgegenkommen der Stadt ist überschaubar. Seit 2012 hält das World Heritage Committee (WHC) an der Gebäudehöhe des bestehenden Hotel Intercontinental als Obergrenze fest. Diese wurde von verschiedenen Seiten mal mit 43, 44 oder 45 Metern beziffert, beträgt ohne Dachaufbauten aber in Realität 38 Meter. Keine der bisherigen Bebauungsvarianten hält dieses Limit auch nur annähernd ein. Das Ignorieren der Unesco ist der Geburtsfehler des Investorenprojekts. Die Auszeichnung Weltkulturerbe Historisches Zentrum heftete sich Wien wie einen imperialen Orden an die Brust. Dann merkte man, dass ein Weltkulturerbe kein Werbegeschenk ist, sondern ein völkerrechtlicher Staatsvertrag, mit dem Pflichten einhergehen, die sperrige Namen wie Heritage Impact Assessment oder Managementplan tragen.

Projektionsfläche Unesco

Aus Sicht der Stadtregierung wurde so die Unesco zur Projektionsfläche mit wechselndem Programm: mal die liebe Gönnerin, mal die gestrenge Mutter, die zur Erledigung der Hausaufgaben mahnt, mal ein Konglomerat irgendwie lästiger Ausländer, die unserem souveränen Österreich in seine Privatangelegenheiten hineinreden wollen. Mal wurde der Unesco vorgeworfen, keine klaren Vorgaben zu machen, mal, dass sie zu starr und unflexibel sei, oft von denselben Personen.

Dabei ist der Standpunkt der Unesco nicht schwer zu verstehen, aber schon beim kooperativen Verfahren 2012 und beim Architekturwettbewerb 2013 verkündeten Stadt und Investor Wertinvest, man werde sich schon einigen, später dann, irgendwann. Noch 2019 bekundete Ernst Woller, das WHC werde schon nicht auf dem „lächerlichen“ Höhenlimit bestehen. Tat es aber. Kurz vor der Abreise nach Riad klagte er, die Unesco solle nicht immer sagen, was sie nicht wolle, sondern was sie wolle, obwohl sie genau das seit nunmehr zehn Jahren in aller Klarheit tut. Aber Klarheit und Konsequenz sind keine Grundbausteine der Wiener Mentalität. Hier schätzt man die Situationselastizität des „Schaun-mer-mal-geht sich-eh-aus“ und kollidiert so seit zehn Jahren in endloser Wiederholung mit der ganz und gar unwienerischen Unnachgiebigkeit der Unesco.

Die Gestaltwandlungen, die der Entwurf des Architekten Izay Weinfeld durchmachte, sind das Abbild dieses Herumlavierens. Die eigentlich steinerne, kantige Kubatur wird zu einer weichen, formbaren Masse, zum situationselastischen Hochhaus. Die Stationen dieser Verformung: beim Wettbewerb noch bestehendes Intercont-Hotel und neuer 73-Meter-Turm. Nach der von der Stadtregierung verkündeten „Nachdenkpause“ im Jahr 2016, die deckungsgleich mit dem Zeitraum zwischen zwei Bundespräsidenten-Stichwahlen war, schrumpfte der Turm auf 67 Meter, die Hotelscheibe schwoll dafür auf einen verbreiterten Neubau mit 48 Metern an. Dieser bleibt, leicht verändert, bei der bislang letzten Überarbeitung 2023 erhalten, dafür wurde der Turm zu einem langgestreckten „Wohnriegel“ mit 56,6 Meter Höhe gedrückt und gedehnt, immer noch stattliche 21,6 Meter über der Hochhausgrenze der Wiener Bauordnung.

Dafür wurde in den Visualisierungen die bislang steinerne Rasterfassade überbordend begrünt, was aussieht, als sei ein Gen-Experiment mit Petersilie furchtbar schiefgelaufen. Wen das besänftigen soll, ist nicht ganz klar. Jede Änderung von Kubatur und Fassade bleibt eine rein defensive Reaktion auf die gleichbleibende Position der Unesco. Architektur und Stadtbild und deren Kriterien wie Proportion, Angemessenheit und Raumbeziehungen gerieten dabei komplett aus dem Blickfeld. Es zählen nur die Machbarkeit und die Bruttogeschoßfläche.

Kritik der Architekten

Viele Architekten, Architektinnen und Architekturinitiativen formulierten damals scharfe Kritik und tun es bis heute. Im August 2013 mahnte die Architektenkammer, das Fehlen einer klaren Positionierung der Stadt Wien zum Weltkulturerbe Innere Stadt und dasjenige klarer Angaben zur Gebäudehöhe berge die Gefahr, dass die Höhenentwicklung einiger Wettbewerbsvorschläge nicht mit den Vorgaben der Unesco korreliere. Genau so sollte es dann auch kommen.

Kurz vor dem Start in Riad wenden sich jetzt die Architekturstiftung Österreich, Bauten in Not, Docomomo Austria, die IG Architektur, die Österreichische Gesellschaft für Denkmalpflege und Ortsbildschutz und die Österreichische Gesellschaft für Architektur an das World Heritage Committee: „Seit 2013 weisen wir darauf hin, dass das WHC die Rahmenbedingungen unmissverständlich festgelegt hat: Eine Neubebauung auf dem Areal solle möglichst niedrig und dürfe keinesfalls höher ausfallen als der Bestand. Diese Vorgabe deckt sich mit unserer wiederholt dargelegten Expertise zum Regelwerk der Bauhöhen im historistischen Bestand der Ringstraßenanlage und zu den gründerzeitlichen und barocken Blickachsen, die den Projektstandort unmittelbar betreffen.“

Die Initiativen fordern daher das World Heritage Committee auf, Wien auf der Roten Liste zu belassen. Falls in Riad keine Überraschungen im Wiener Diplomatengepäck auftauchen, dürfte das auch geschehen. Und wenn die Stadt Wien nicht, wie schon angeklungen, versucht, das lästig gewordene Welterbe wieder loszuwerden, wird sich das situationselastische Hochhaus wohl weiter verbiegen und verformen, bis in alle Ewigkeit.

29. Juli 2023 Der Standard

Last Exit Kreisverkehr

Eine Gemeinde im steirischen Speckgürtel sucht ihre fehlende Mitte und will dabei die Zersiedelung und die Abhängigkeit vom Autoverkehr einbremsen. Mit Engagement, Expertise und Transparenz. Ein Ortsbesuch in Hart bei Graz.

Schön ist anders. Bewegt man sich durch den südlichen Speckgürtel von Graz, streiten sich im Kopf die Botschaften „Augen zu und durch“ und „Augen auf die Fahrbahn!“. Es gibt sehr viele Fahrbahnen im südlichen Speckgürtel von Graz, wo sich in der Murebene die Verkehrswege von und nach Wien, Slowenien und Kärnten verschlingen, ein ausgebreiteter Nudelauflauf aus Abbiegespuren, dazwischen Shoppingcenter, Baumärkte, Autohäuser, Parkplätze. Nach vielen Abbiegespuren, am Rand des Hügellands: ein Ort namens Hart bei Graz.

Ein Ort, dem bis vor kurzem etwas fehlte, was man von Orten gewohnheitsmäßig erwartet: die Mitte. Noch vor 20 Jahren bestand Hart aus willkürlich verteilten Häusern zwischen Bahn, Pacher-Hauptstraße und Südautobahn, irgendwo dazwischen ein Supermarkt, am Ortsrand ein Logistikunternehmen mit 4000 Mitarbeitern. Wie viele Speckgürtelkommunen in Österreich ist Hart eine reiche und schnell wachsende Gemeinde, in den letzten 30 Jahren hat sich die Einwohnerzahl fast verdoppelt.

Und inzwischen hat Hart dort, wo vor wenigen Jahren nur eine Wiese war, auch so etwas wie eine Ortsmitte. Ein Geschäftszentrum in schnittigem Rot, ein Hotel in Cremeweiß, ein überdimensionierter Wohnbau in Lila, ein besser dimensionierter Wohnbau in Blassgrün, in den auch das Gemeindeamt eingezogen ist. All dies mit viel Gestaltungslust umgesetzt, mal kantig-schnittig, mal gekurvt, ein Freiluftmuseum aller architektonischen Moden der letzten 25 Jahre. Zwischen all dem: ein Kreisverkehr, der jeden Tag von 10.000 Fahrzeugen umkurvt wird. Eine Umfrage unter den Bewohnerinnen und Bewohnern, was sie als Ortszentrum definieren, ergab zwei Antworten: erstens Kreisverkehr, zweitens Parkplatz.

Café statt Parkplatz

Das, sagt Bürgermeister Jakob Frey im Besprechungsraum des blassgrünen Gemeindeamts, muss sich ändern. Seit der Gemeinderatswahl 2015 ist er im Amt, seit 2020 ist seine Bürgerliste Lebenswertes Hart bei Graz stärkste Fraktion. Ihre wichtigste Mission: dem Ort ein Zentrum zu geben, und zwar ein richtiges. Zu Beginn stand ein Bürgerbeteiligungsprozess, der erste Ziele lieferte: die Zersiedelung bremsen, kurze Wege per Fuß und Rad fördern, die parkenden Autos möglichst von der Oberfläche entfernen, dafür eine Bäckerei, ein Café und ein Wirtshaus hinzufügen. Das heißt auch: weg mit dem Kreisverkehr!

„Wir wissen, dass das ein langwieriger Prozess ist“, sagt Frey. „Aber wir wollen den Fatalismus, dass hier nichts mehr zu machen ist, nicht akzeptieren. Wir wollen ein Zentrum mit Aufenthaltsqualität.“ Das heißt auch: die Mitte baulich verdichten, anstatt an den Rändern auszufransen. Die Baulandreserven in Hart sind enorm, und anstatt sorglos noch weitere auszuweisen, hat man sich selbst eine Sperre auferlegt. „Die Frage ist, wie wir den Leuten vermittelt, dass wir im Ortszentrum noch dichter und vielleicht höher bauen und dass ein weiteres Einwohnerwachstum nicht mit mehr Belastung gleichzusetzen ist“, weiß der Bürgermeister. Das Risiko ist real: sein Vorgänger wurde als „Zubetonierer“ betitelt und abgewählt.

Rat von Experten

Andere hätten hier zurückgesteckt, doch in Hart tat man das Gegenteil: Man holte sich Rat von Expertinnen und Experten in Form eines städtebaulichen Wettbewerbs. „Wir brauchen einen gebildeten, aufmerksamen Blick und eine Kultur, die anerkennt, dass Architektur einen Wert darstellt, so wie es in anderen Ländern wie der Schweiz ganz selbstverständlich ist“, sagt Robert Gölles, Projektleiter bei der Gemeinde und selbst Architekt.

Acht Büros inklusive Landschaftsplaner wurden geladen, im April wählte die mit den Architektinnen Silja Tillner und Aglaée Degros (TU Graz) hochkarätig besetzte Jury das Projekt „Stadtterrassen“ von Volker Giencke aus Graz aus, den mit Abstand landschaftlichsten aller Entwürfe, der den Kreisverkehr durch eine terrassierte Grünfläche mit zwei Stadtplätzen und Begegnungszone ersetzt und so die stilistisch wild wuchernde Architektur aus dem ersten Zentrumsversuch der frühen Nullerjahre in einen Zusammenhang bringt. „Der Wettbewerb war ein wirklich wegweisendes Verfahren, das alle Themen beinhaltet, die uns im Moment beschäftigen: Verkehr, Klimaresilienz, Freiräume, Nachverdichtung, leistbarer Wohnraum“, so Silja Tillner. „Das Siegerprojekt gibt eine Antwort auf die Frage, wie wir mit unseren Ballungszentren umgehen: Muss alles urban werden? Oder schaffen wir lieber gute Freiräume und versiegeln den Boden nur dort, wo es unbedingt sein muss?“

Beispielhaft transparent

Beispielhaft ist neben der Tatsache, dass sich eine 5400-Einwohner-Gemeinde einen solchen Wettbewerb leistet, auch die Transparenz des Prozesses: Die Ergebnisse wurden öffentlich ausgestellt und sind alle auf der Gemeindewebsite einsehbar, ein Vorbild für jene Gemeinden, Magistratsabteilungen, Bundesländer oder Ministerien, die noch der Meinung sind, zu viel Information würde die Bevölkerung beunruhigen oder gar, Gott bewahre, für Diskussionen sorgen. Vor Diskussionen hat man in Hart bei Graz keine Angst. Auch Volker Giencke stand den Hartern während der Ausstellung Rede und Antwort und resümiert zufrieden: „Es gab sehr viele Fragen, und wir haben sie auch beantworten können. Es herrscht eine sehr gute Stimmung in der Gemeinde.“

Noch steht man am Anfang, und die Verlegung der Landesstraße aus dem Ort heraus, ohne die sich eine Begegnungszone nicht umsetzen lässt, ist noch nicht in trockenen Tüchern. Aber der Mut, mit dem hier versucht wird, das Wachstum des Stadtrandes in verträgliche Bahnen zu leiten, zeigt, dass es auch anders geht als etwa im niederösterreichischen Grafenwörth, das derzeit aufgrund des in jeder Hinsicht fragwürdigen, vom dortigen Bürgermeister betriebenen „Sonnenweiher“-Megaprojekts in der Diskussion steht. Und es ist eine Mahnung an die höheren Entscheidungsebenen, die im Juni aufgrund von Zaghaftigkeiten und Befindlichkeiten vorerst gescheiterte österreichische Bodenstrategie wieder anzugehen. Damit man jene Gemeinden mit guten Ideen, wie Hart bei Graz, nicht allein kämpfen lässt.

27. Mai 2023 Der Standard

Fluchtpunkt Architektur

Wir alle sind auf der Suche nach Schutzräumen, vor Krisen, vor dem Alltag. Wir stellen fünf von ihnen mit den dazugehörigen Psychogrammen vor. Alle Personen sind frei erfunden, doch die Räume, in die sie sich zurückziehen, sind es nicht.

Von der Stadt in den Bunker

Schon Jahre vor dem Ausbruch der Pandemie hatte Markus (44) mehrere Survival-Magazine abonniert. Terrorismus, Stromausfall, elektromagnetische Impulse, ungünstig einfallende Meteoriten, darauf wollte er vorbereitet sein. Corona bewies ihm, dass er recht hatte: Man lebte ganz offensichtlich in Endzeiten. Kein Ort auf der Erde war sicher, aber manche waren sicherer als andere, und man konnte sie sicherer machen, wenn man Abonnent mehrere Survival-Magazine war. Nach langer Suche fand er auf Willhaben die passende Immobilie für den Aufbau seines Prepper-Paradieses:

Einfamilienhaus aus den 1970er-Jahren, 300 Quadratmeter Wohnfläche, gerichtliche Zwangsversteigerung, hinteres Waldviertel, also günstig. Dass der Grundriss, den sich die Vorbesitzer hatten bauen lassen, so unbrauchbar war wie die Heizkosten des viel zu großen Hauses astronomisch, stört Markus nicht. Für ihn zählten andere Werte: großer Keller, abgelegenes Grundstück, einsehbare Zufahrt. Schritt für Schritt füllt sich der Keller an: Goldbarren gegen die Inflation, selbstgebauter Kompass, Fluchtrucksack („Bug-Out Bag“) für den Notfall, für den Tag X, an dem die Welt untergeht. Der bayerische Komiker Gerhard Polt, der 1982, am Höhepunkt des Kalten Krieges, in einem Fernsehsketch die Zuseher stolz durch seinen atomsicheren Bunker führte, würde sagen: Reschpekt.

Vom Land ins Dorf in der Stadt

Das handwerkliche Talent haben Harald und Sonja (beide Anfang 30) aus ihrer oberösterreichischen Heimat mitgebracht. Dort hat jeder zwei rechte Hände, man greift ohne Umschweife zu Säge, Hammer, Schlagbohrer und zimmert sich aus Holz etwas zusammen. Zuerst die Küche in der kleinen Wiener Wohnung, und bald auch auf der Gasse. Dank ihrer fröhlich-ruralen Direktheit haben die beiden schnell Freunde in der Nachbarschaft im vierten Bezirk geschlossen, vom Magistrat einen Stellplatz für eine Grätzloase genehmigt bekommen, die nun umgehend und kompetent aus alten Holzpaletten zusammengeschraubt wird.

Ein paar gebrauchte Blumenkisten lassen das Urban Gardening erblühen, bald trifft man sich zum Grätzlstammtisch, und das Dorf in der Stadt ist fertig, noch perfekter als das Dorf, aus dem man kommt. Der US-Soziologe Richard Sennett dachte in den 1970er-Jahren über die Frage nach, wie dörflich die Stadt sein sollte, und beantwortete sie mit: nicht so sehr. „Die Stadt ist das Instrument nichtpersonalen Lebens, die Gussform, in der Menschen, Interessen, Geschmacksrichtungen in ihrer ganzen Vielfalt zusammenfließen und erfahrbar werden. Die Angst vor der Anonymität zerbricht diese Form.“ Aber, lieber Richard: Von Greenwich Village über Berliner Kieze bis zu den stillen Gassen von Tokio hat jede Stadt ihre dörflichen Inseln. Und wenn die Krise kommt, weiß man, von wem man sich das Werkzeug borgen kann.

Von der Katastrophe in die Wüste

Vorige Woche standen in Venedig 23 Architekten und eine Architektin stolz wie eine in dunkelblau und schwarz gewandete Fußballmannschaft vor der Kamera. Große Namen wie Jean Nouvel, Ben van Berkel und Massimiliano Fuksas waren darunter. Um „World-Leading Architects, Designers und Future Thinkers“ handle es sich hier, stand unter dem Foto auf der Website des Megaprojekts Neom: The Line in der saudischen Wüste. Dessen Auftraggeber hatte anlässlich der Eröffnung der Architekturbiennale einen Palazzo gemietet, um mit allen visuellen Mitteln für das 140 Kilometer lange, verspiegelte Bauwerk zu werben, kurz vor der geplanten Hinrichtung dreier Stammesangehöriger, die gegen den Bau protestierten.

„Zero Gravity Urbanism“ werde hier entstehen, so Neom-CEO Nadhmi Al-Nasr, und auf Videos turnt tatsächlich eine junge Frau fast schwerelos durch lichtdurchflutete und grünberankte Canyons. Doch so luftig und ökologisch ist The Line nicht. Es ist kein Modell für die Zukunft, sondern das Aufbäumen der Vergangenheit, denn wenige Meter vor dem Abgrund der Klimakatastrophe ist ja eh schon alles egal, oder?

Es ist das letzte Aufkeuchen einer Architekturgeneration, die einmal noch mit großen Formen und Gesten spielen möchte. Sollte The Line tatsächlich fertig werden, können die 24 Future-Thinkers ihren Fünftwohnsitz im Fluchtpunkt des Canyons beziehen und dort in der eigenen Monografie blättern, während draußen bei 50 Grad die Karawane der Klimaflüchtlinge vorbeizieht.

Von der Stadt in den Speckgürtel

Aus dem Autoradio singt Andreas Gabalier seinen Song Bügel dein Dirndl gscheit auf, als Angelika (36) gerade von der A5 auf die S1 einbiegt, um dann die Ausfahrt zum G3 Shopping Resort Gerasdorf zu nehmen.

Nach dem Nachtdienst in der Klinik braucht sie etwas Zeit, um runterzukommen, bevor sie nach Hause fährt. Die große Einkaufsmall ist perfekt dafür. Manchmal kauft sie Gewand, meistens nur einen Americano in Large zum Mitnehmen, den sie dann auf dem hektargroßen Parkplatz im Auto trinkt, so langsam, dass er kalt wird. Dann startet sie den SUV, eine halbe Stunde braucht sie nach Hause, über Schnellstraße, Kreisverkehr, Bundesstraße, Kreisverkehr, Landstraße, Kreisverkehr, Kreisverkehr, Kreisverkehr, Siedlung. Vorbei an Gewerbegebieten, Logistikparks, Umspannwerken. Lagerhaus, Bauhof, Kläranlage. Das große Freiheitsversprechen des amerikanischen Westens, hineingefaltet ins kleine Österreich.

Eine Weltflucht am Feierabend auf gewohnten Pfaden, mit Wegweisern, die zeigen, wo es langgeht. Und durch die Windschutzscheibe kann man ins Land einischaun. Heimat.

Von heute in die Vergangenheit

Inzwischen hat Reinhold (65), pensionierter Lehrer, mit dem Ansammeln von neuem Wissen weitgehend abgeschlossen. Er weiß schließlich sehr, sehr viel. Genug, um daraus einen fugenlosen Kokon zu bauen, in dem er Meinungen ausbrüten kann, an denen er die Welt gerne teilhaben lässt.

Die Stadt, die sich Reinhold erträumt, ist ein Amalgam aus Erinnerungen seiner Jugend und der Stadt des 19. Jahrhunderts. Die Fassaden der Gründerzeit, kombiniert mit der vollmotorisierten Stadt der 1980er-Jahre, in der man überall parken konnte und in der er noch Lederjacke tragen konnte, ohne peinlich auszusehen, damals mit 30.

Reinhold ist Administrator der Facebook-Gruppe „Pro Stadtbild“; dort fordert er eine Rückkehr zur „klassischen Architektur“, obwohl er nicht weiß, was das ist. Irgendwie alt eben. Gerne postet er dazu Bildpaare: Links Barock, rechts Beton, 70 Prozent der Befragten finden das linke Bild besser, also Betonklotz weg, und alles wird wieder schön.

Diese Schönheit, hm, was mag das sein? Ausgewogenheit, Harmonie und Proportion? Oder eher ein warmes Gefühl der Vertrautheit? Was hinter den neo-neohistoristischen Fassaden seiner Traumstadt passiert, ist Reinhold weniger wichtig als eine Kulisse ohne Störfaktoren, perfekt für die Weltflucht in eine Vergangenheit, in der nicht so viele Radler auf der Straße fuhren und nicht gegendert wurde. Das war schön, damals, denkt Reinhold.

13. Mai 2023 Der Standard

Spuren menschlichen Lebens

Diese Woche wurde in Deutschland der Europäische Architekturfotografie-Preis verliehen. In Zeiten, da Bilder von künstlicher Intelligenz generiert werden, bietet das den Anlass für Standortbestimmungen und für die Blickwechsel einer neuen Zeit.

Ein Radweg in rotrosa Pflasterung, darüber quergeschwungen zwei parallele gelbe Linien. Eine provisorische Umleitung, deren Umleitungsanlass schon wieder aus dem Bild und der Welt verschwunden ist. Das passiert jeden Tag in irgendeiner Stadt, aber aus der Vogelperspektive und in menschenleerem Zustand erscheint die aus der Pragmatik entstandene Linienführung zart, elegant, absichtsvoll skizziert. Provisorium lautet der Titel der Bildserie des Hamburger Fotografenduos Nicole Keller und Oliver Schumacher. „Uns interessieren vor allem die absurden, irritierenden, komischen Provisorien“, sagen sie. „Es sind erfrischende Brüche in der sonst so perfekten Welt. Sie machen Unmögliches möglich. Zugleich zeigt sich da auch etwas Unschuldiges, als hätten Kinder ihre Hand im Spiel.“

Die Provisorien der Hamburger wurden an diesem Freitag mit dem Europäischen Architekturfotografie-Preis ausgezeichnet, der seit 2003 vom deutschen Verein Architekturbild in Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum (DAM) und der Bundesstiftung Baukultur verliehen wird. „Der zarte Humor, der bei jedem Motiv mitschwingt, und das subtile Farbspiel binden die Aufnahmen trotz aller Verschiedenheit zu einer intellektuell-ästhetischen Serie zusammen“, lobt die Juryvorsitzende Dea Ecker.

Architektur als Hintergrund

Gesucht und honoriert wird hier nicht jene Fotografie, die den Auftrag hat, Architektur zu bewerben und im besten Licht darzustellen. Stattdessen halten die Bilder im Idealfall eine Spannung zwischen dokumentarischem Reportagegestus und der Architektur als Schauplatz oder Hintergrund, ohne in hübsche Gefälligkeit abzugleiten. Sie lenken den Blick auf das, was stört und irritiert, aber wahrhaftig ist, auf die Kollision mit dem Alltag, auf den Gegensatz zwischen dem Geplanten und dem Geschehenen und auf die Komik, die aus dieser Fallhöhe resultiert. Sie rücken das, was sonst retuschiert oder ausgeblendet wird, wieder ins Bild. Reparaturen, Behelfsmäßiges, Workarounds. Spuren menschlichen Lebens.

Zwei weitere Preise gingen an Katharina Roters und an Hiepler, Brunier (alle aus Berlin). Roters zeigt in Schwarz-Weiß Hinterhofwände aus Armenien, über die Jahrzehnte zu einem Fleckerlteppich gewachsen, darauf in weißer Kreide markiert große und kleine Fußballtore, Spuren des Homo ludens. David Hiepler und Fritz Brunier hielten in der Serie Gap Stop neue Wohnbauten am wachsenden marokkanischen Stadtrand fest, die fast nur aus Rückseiten bestehen. Abstrakte Geometrien in der Terra incognita, in Sandbeige und Terrakottarot, wie surreale Bausteine einer Stadt, die noch nicht zusammengesetzt ist, verstreutes Lego. Wohnen hier schon, oder noch, Menschen?

Andere dokumentieren subtil Brüche in der Gesellschaft und Spuren von Katastrophen, die in den Alltag eingebrochen sind. Besonders eindrücklich: Matthias Jungs nächtliche Szenen von schlammigen Ruinen, umgekippten Bahntrassen, halbierten Häusern, wie aus einem David-Lynch-Albtraum auftauchend. Sie wirken zeitlos, sind aber hochaktuelle Ruinen aus der Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021, über die schon niemand mehr redet, die aber einen Landstrich zerfurcht und Wohnraum unbewohnbar gemacht hat, eine Zerstörung, die noch lange nicht repariert ist.

Thomas Kummerow wiederum widmet sich in Makeshift Life ganz anderen, weniger heiteren Provisorien: den Selbstbau-Unterkünften von Wohnsitzlosen in Madrid. Es sind rührend präzise angefertigte Schutzräume für Privatheit und Würde, in Nischen, auf Parkplätzen und auf Terrassen. Hier ein ordentlich platzierter Besen. Dort ein Aktenkoffer als Nachttisch, ein gelber Farbkübel als Trittstufe vor einem Betonpodest.

Kunst oder KI?

Die Preisverleihung 2023 fällt genau in eine Zeit des Umbruchs, was Preisverleihungen für Fotografie betrifft. Im April gab der deutsche Künstler Boris Eldagsen bekannt, dass er jenes Bild, für das er den Sony World Photography Award bekommen hatte, von künstlicher Intelligenz hatte generieren lassen, um auszutesten, ob die Jury es bemerken würde. Sie bemerkte es nicht, Aufruhr und Selbstreflexion folgten.

1935 publizierte Walter Benjamin sein einflussreiches Werk über das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit und beschrieb den Verfall der Aura des Einzigartigen, die epochale Veränderung der Malerei durch die Fotografie – den anderen Blick des 20. Jahrhunderts. Fast ein Jahrhundert später könnte der nächste Umbruch anstehen: das Kunstwerk im Zeitalter seiner Transhumanität.

Kann eine Maschine so kreativ sein wie ein Mensch, möglicherweise sogar noch kreativer? Der Sänger Nick Cave beantwortete das im Jänner auf Anfrage eines Fans, der ihm einen Nick-Cave-artigen Song aus KI-Feder geschickt hatte, mit einem passionierten Nein. „Einen guten Song zu schreiben ist nicht Mimikry, sondern das Gegenteil.“ Ein Werk zu schaffen, das transportiere die Künstlerin über ihre eigenen Grenzen, an ihre Verletzlichkeit und Vergänglichkeit. Das mag für manche zu viel des Pathos sein, doch für die Fotografie lässt sich die Frage auch weniger dramatisch beantworten.

Denn wenn gerade die Fotografen, die ihren Blick zur leicht konsumierbaren Clickbait-Marke machen, jene sind, die sich gerade dank ihrer Unverwechselbarkeit am leichtesten von einer KI reproduzieren lassen, wird der überraschende Blick, das Hinschauen dorthin, wo der algorithmische Durchschnitt eben nicht hinschaut, um vieles wertvoller. Das Unerwartete, das Inkongruente, den gelben Kübel, der als Trittstufe vor dem Behelfslager eines Wohnsitzlosen dient, all das werden Midjourney und andere vielleicht weniger überzeugend nachahmen. Vielleicht können sie es doch, und vielleicht ist es dann gar nicht erschütternd, einzugestehen, dass Datenbanken schöpferisch tätig sein können. In jedem Fall werden wir den Blick auf die Spuren menschlichen Lebens noch weiter schärfen und justieren müssen.

2. Mai 2023 Der Standard

Welcome to Musklândia!

Elon Musk baut vielleicht eine neue Stadt für seine Angestellten. Damit ist er nicht der Erste. Firmenstädte gab es immer wieder, mal utopisch, mal realistisch – und oft gescheitert. Eine Weltreise zu den Corporate Cities der Geschichte.

Es ist ja nicht so, dass Elon Musk in den Nachrichten zu wenig vorkäme. Doch im März berichtete das Wall Street Journal Überraschendes vom verhaltensauffälligen Milliardär: Dieser plane seriösen Quellen zufolge, in Texas eine neue Stadt namens Snailbrook neben dem Sitz seiner Firmen Space X und Boring zu bauen. Die ersten Fotos und Pläne waren eher unvisionär und ähnelten einer Barackensiedlung aus dem Bergbaumilieu. Musk dementierte per Twitter, doch die texanischen Nachbarn waren bereits nervös. Eine Utopie hinter ihrem Gartenzaun, sagten sie, fänden sie nicht so reizvoll, denn Utopien seien in der Menschheitsgeschichte schon oft schiefgegangen.

Vielleicht war die Aufregung umsonst und Snailbrook nur eine der vielen Tageslaunen des kindlichen Raketenkaisers. Doch er wäre nicht der erste Firmenboss, der sich zum Stadtgründer aufschwingt. Denn wenn Chefs zum Glauben kommen, dass ihre „Firmenphilosophie“ tatsächlich eine Philosophie ist, wird es gerne utopisch. Und was ist visionärer als eine Stadt, erschaffen aus dem Nichts?

Gummi und Stiefel

Das wohl berühmteste Scheitern einer solchen Hybris ist im brasilianischen Dschungel zu besichtigen. Hier wollte Autogigant Henry Ford in den 1920er-Jahren eine Alternative zum britischen Kautschukmonopol aufbauen und gründete für die Plantagenarbeiter die Stadt Fordlândia mit Kraftwerk, Schwimmbad, Kino, Feuerwehr und Krankenhaus. Brasilianische Zeitungen lobten Henry Ford als „Jesus Christus der Industrie“, doch das Vorhaben war von Anfang an ein Desaster. Das Land war für Kautschuk-Anbau völlig ungeeignet, Gelbfieber und Malaria grassierten, die Arbeiter rebellierten gegen Fords strengen Puritanismus (kein Alkohol, keine Damenbesuche) und das amerikanische Essen und schlugen die Stechuhren in Stücke.

Erfolgreicher als die Stadt des Gummis sollte die Stadt der Schuhe werden. Im mährischen Zlín ließen die Brüder Tomáš und Jan Antonín Baťa in den 1920er-Jahren von Architekten wie dem Otto-Wagner-Schüler Jan Kotěra eine Werksiedlung für ihr Schuh-Imperium errichten, die die Ideale der Moderne umsetzte: Licht, Luft, und Sonne, Funktionstrennung und Rundumversorgung. Es wurde zum Aushängeschild des Hightech-Lands Tschechoslowakei und zum Mekka für Architekten. „Zlín ist ein leuchtendes Phänomen. Ich bin viel durch die ganze Welt gereist, und dennoch fühle ich mich hier wie in einer neuen Welt,“ jubelte Le Corbusier bei seinem Besuch 1935. Heute noch zu besichtigen ist das legendäre Direktorenbüro, das sich Jan Antonín Bat’a in den Aufzug des Verwaltungshochhauses bauen ließ.

Von der Moderne zur Postmoderne: Die heimelig-sauberen Kleinstadtideale des New Urbanism fanden in den 1990er-Jahren ihre Gestalt in Celebration, der Traumstadt der Walt Disney Company in Florida. Ein Truman Show -Traum in Weiß und Pastell, in dem das Aussehen von Haus und Garten ebenso wie das Verhalten der Bürger vertraglich bis ins Detail festgelegt ist. Von Kritikern wurde Celebration wegen mangelnder Diversität gegeißelt, doch die Gegenwart hat einen Plot-Twist parat, denn im Konflikt mit Floridas protofaschistischem Gouverneur Ron DeSantis wird Disney plötzlich zur Enklave der Freiheit inmitten der bücherverbietenden Repression.

Smarte Tech-Bros

Eine wahre Stadtgründungseuphorie erfüllte die Welt im Zuge der digitalen Revolution im 21. Jahrhundert. Viele Tech-Konzerne fanden in der informationsbasierten Smart City die perfekte Form für ihre Forschung und Entwicklung und können sich so Einfluss in jenen Städten und Staaten sichern, in denen sie Steuern zahlen (oder auch nicht). Nicht immer funktioniert das. Als der Alphabet-Konzern 2015 das Konzept Sidewalk Labs vorstellte, sollte Toronto zum 300-Hektar-Pilotprojekt werden. Leider wollten die Bürger von Toronto partout nicht die Daten ihres Alltags in die Hände von Alphabet legen, 2020 wurde das Projekt begraben. Möglicherweise, weil viele Tech-Bros sich nicht für Soziologie, Geschichte und Architektur interessieren und eine naive Vorstellung davon haben, wie Menschen zusammenleben wollen.

Für ähnlich smart hält sich die Autofirma Toyota, die im Februar 2021 die Stadt Woven City am Fuße des Fuji-san gründete. Praktischerweise auf Firmengrund, daher musste man sich nicht mit lästigen Bewohnern herumschlagen. Woven City soll eine Art Teststrecke für Mobilität in Stadtform werden: Straßen für Fußgänger, für Selbstfahrer und für Automated Driving werden miteinander verflochten, aus all dem werden Echtzeitdaten ausgelesen, die künstliche Intelligenz wird weiterentwickelt. Mit 360 Bewohnern ist das Starter-Kit für eine echte Stadt eher bescheiden, doch für die gibt es genaue Pläne: In Kooperation mit Nissin Foods wird ein Ernährungsprogramm entwickelt, das auf jeden Bewohner individuell zugeschnitten ist. Henry Ford lässt grüßen.

Mit dem Menschen beginnen

Die Hauptzielgruppe Toyotas dürften jedoch weniger die Bewohner sein als andere Firmen. Diese sollen gelockt werden durch die Stadtbilder des dänischen Architekten Bjarke Ingels, dessen „Hey Leute, wir schaffen das!“-Ausstrahlung das Komplizierte ganz leicht erscheinen lässt, auch wenn es sich danach wieder als kompliziert herausstellt.

Ingels’ Büro BIG liefert auch die Visualisierungen für Telosa, die Fünfmillionenstadt in der amerikanischen Wüste, die sich der US-Milliardär Marc Lore ausgedacht hat. Sie verbindet kalifornisches Laissez-faire mit Diversität und Ökologie und nicht uninteressanten Konzepten der Open-Source-Demokratie. „Stadtneugründungen waren bisher immer Immobilienprojekte“, sagt Lore. „Sie beginnen nie mit dem Menschen.“ Das will er anders machen und von vornherein Immobilienspekulation verhindern.

Erstaunlich progressiv für einen Milliardär, doch die Frage, wo eigentlich in der Wüste das Wasser für fünf Millionen Menschen herkommen soll, wird nur vage beantwortet. Manche sprachen von einem grüngewaschenen Las Vegas, noch drastischer urteilte die US-Kritikerin Jessa Crispin, die grundsätzlich infrage stellt, ob ein einzelner Mann entscheiden soll, aus welchen Teilen eine Stadt zusammengebaut ist. „Was würde eine Gesellschaft besser machen? Wolkenkratzer in der Wüste? Oder wäre es vielleicht am besten, wenn Milliardäre weniger Einfluss hätten auf das Funktionieren der Gesellschaft?“

Publikationen

2017

Willst du wirklich wohnen wie deine Mutter?

Willst du wirklich wohnen wie deine Mutter? Die Ausstellung ist ein Plädoyer für den Fortschritt in Architektur, Wohnungsbau und Städtebau. Wie wir wohnen ist nicht unseren Genen geschuldet, wie wir wohnen ist ein über Generationen an gelerntes Verhalten, dessen Weiterentwicklung von der Dauerhaftigkeit
Hrsg: Kristin Feireiss, Hans-Jürgen Commerell
Autor: Maik Novotny, Kristin Feireiss, Kaye Geipel, Anna Popelka, Georg Poduschka
Verlag: PPAG, Aedes Architekturforum

2014

PPAG: Speaking Architecture
Phenomenology / Phänomenologie

Ein Elefantenhaus, ein Wohnberg, ein Dorf am Dach. Eine offene Schullandschaft, ein barockes Parkhaus, ein silbern schimmernder Windkanal. Das Wiener Büro PPAG architects, 1995 von Anna Popelka und Georg Poduschka gegründet, denkt Architektur mit Scharfsinn, Lust und Erfindergeist immer wieder neu. Ihr
Hrsg: Maik Novotny
Autor: Anna Popelka, Georg Poduschka, PPAG
Verlag: Ambra Verlag

2007

Eastmodern
Architecture and Design of the 1960s and 1970s in Slovakia

Eastern modernist architecture of the 60’s and 70’s is moving away from the specialized focus of international architecture debates and becoming a subject of discussion within the broader context of general interest. The excellent photos in the book convey the flair of an era in which planning was obviously
Autor: Maik Novotny, Hertha Hurnaus, Benjamin Konrad
Verlag: SpringerWienNewYork