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Die Rundung des Quadrats
Neue Zürcher Zeitung

Der New Yorker Architekt Richard Meier in Paris

9. September 1999 - Marc Zitzmann
Was wäscht weisser als weiss? Eine Zahnpasta? Ein Seifenmittel? Mitnichten. Gemäss «Le Monde» ist es ein Architekt: «L'Américain Richard Meier lave plus blanc que blanc» - so der Titel eines Berichts über eine Ausstellung in der Pariser Galerie nationale du Jeu de Paume. Der Beginn der Schau illustriert diesen Befund. Nachdem man, von der Sonne geblendet, die Stufen zum Obergeschoss der von Antoine Stinco 1991 ansprechend umgestalteten Galerie emporgestiegen ist, gelangt man in einen finsteren Raum. Irritiert bleibt man stehen, lässt Mozart-Sinfonien und grossformatige, zum Teil überbelichtete, zum Teil unscharfe Architekturdias auf sich einwirken. Dann tastet man sich weiter - und siehe da, Erlösung und Erleuchtung zugleich: In strahlendstem Weiss prunkt da ein Modell von Meiers 1992 fertiggestelltem Pariser Sitz des Fernsehsenders Canal Plus. Einen ähnlichen Weg mag etwa, vom Wäschekorb über die Maschine bis zur lichten Leine, ein schmutziges Hemd durchmachen: per aspera ad astra. Wenn hier so viel von Reinheit, von Licht und von der Nichtfarbe Weiss die Rede ist, so deshalb, weil diese Begriffe auch in Meiers Werk eine wichtige Rolle spielen. Die vom Museum of Contemporary Art in Los Angeles initiierte, in Paris erstmals gezeigte Wanderausstellung widerspiegelt diese puristischen Ideale. In zwei Sälen prangen weisse, mit viel Geschick angefertigte Architekturmodelle. Noch das spinnwebfeinste Treppengeländer krümmt sich just so, wie man es auf den grossformatigen Photos und Zeichnungen an der Wand sehen kann. (Verglichen damit wirken die Modelle in der vom Londoner Institute of Contemporary Art derzeit Rem Koolhaas gewidmeten Schau wie amateurhafte Basteleien.) Die Dimensionen der Vitrinen sind den Modellen auf den Leib berechnet; alles wirkt bis aufs letzte durchkalkuliert - und ein bisschen klinisch.


Riesenspielzeug

Kern- und Glanzstück der Ausstellung ist ein Modell im Verhältnis 1:50 des 1997 eröffneten Getty-Komplexes in Brentwood, Los Angeles. Das fast mannshohe, neun Meter lange und ganz aus Holz gefertigte Exponat ist von uneinheitlicher Faktur: Manche Teile sind detaillierter gearbeitet als andere. Dem Original nur entfernt ähnlich, ist es ein Riesenspielzeug für Erwachsene. Wie überhaupt diese erste Architekturschau im bis anhin nur der zeitgenössischen Kunst vorbehaltenen Jeu de Paume eher «entertaining» als «instructive» ausfällt. So erfährt man weder etwas über Meiers Werdegang noch über das Spezifische seiner Bauweise.

Allein die Entwicklung des Formenvokabulars könnte man aus den Modellen ablesen - wenn diese chronologisch geordnet und nicht in zwei Gruppen aufgeteilt wären (Aufträge der öffentlichen Hand und von Privatgesellschaften einerseits, Museen und Privathäuser anderseits). Diese Trennung wäre nur dann sinnvoll, wenn ein stilistischer Unterschied sich ausmachen liesse. Doch verweist der Architekt selbst darauf, dass Privathäuser ihm als Experimentierfeld für grössere Projekte gedient haben - etwa das Ackerberg House in Malibu (1984-86) für das gleichzeitig in Angriff genommene Getty Center. Schade auch, dass nur so wenig über Meiers jüngste Arbeiten zu erfahren ist - etwa über das römische Ara- Pacis-Museum, das TV- und Radiomuseum in Beverly Hills, das Regio-Gebäude in Basel, den nordamerikanischen Sitz der Swissair im Staat New York oder, ebendort, den staatlichen Justizpalast von Islip.

So kauft man sich halt beim Verlassen der Galerie den amerikanischen Ausstellungskatalog, Philip Jodidios dreisprachigen Taschen-Band von 1995 und den soeben erschienenen dritten, die Jahre 1992 bis 1999 abdeckenden Teil der Meier- Summe bei Rizzoli. Obwohl keines der drei Bücher restlos befriedigt, beleuchten sie als Ganzes Aspekte, die in der Ausstellung zu kurz gekommen sind. So entspringt z. B. die Überlagerung zweier Grundraster, denen die Elemente vieler Meier-Bauten untergeordnet sind, kontextuellen Gegebenheiten oder der Topographie, wohingegen die aus dem Kontext gerissenen Modelle dem oft artikulierten Vorwurf der Selbstverliebtheit dieser Bauwerke das Wort sprechen. So ist das Licht ein Mittel, zu nuancieren, zu modulieren und zu erwärmen, wo die Schau lediglich rigide, eher kopflastige Strukturen suggeriert. (Dass Meiers herausragende handwerkliche Beherrschung dieses «Materials» in eine Form von Spiritualität münden kann, zeigt der Altar der Kirche für das Jahr 2000, dessen Kreuz durch einen pyramidenförmigen Schacht mit gekappter Spitze in pfingstliches Licht getaucht wird; der Kunstgriff entstammt übrigens dem 1981 fertiggestellten Hartford Seminary.)


Organische Elemente

In jüngster Zeit hat sich also Meiers absichtlich beschränktes Formenvokabular aus Kreis und Rechteck/Quadrat (bzw. Zylinder/Konus und Kubus) um organischere Elemente bereichert. Seit Mitte der achtziger Jahre gibt es zunehmend Rundungen; mittlerweile sind V-förmige Flügeldächer hinzugekommen (am schönsten wohl im grossartigen Neugebauer House in Florida, 1995/98), amöbenförmige Auswüchse (Hans-Arp-Museum in Rolandseck, 1991-2000) und sogar - im Fall der römischen Kirche - drei schirmartig hintereinander geschuppte Kugelausschnitte. Auch die Rede von der Monochromie der Meierschen Gebäude bedarf der Nuancierung: Schon das Bridgeport Center in Connecticut (1984-89) besitzt neben den typischen weissen auch graue Emailplatten sowie roten Granit, und viele der neueren Gebäude (etwa der Basler Regio-Bau) stehen auf dunklen Steinsockeln. Last, but not least interessiert sich Meier neuerdings für nicht- mechanische Klimatisierung. Und kein Wort verwendet der Schöpfer von Werken, die manche als weltabgewandte Solitäre bezeichnen, in seinen jüngsten Schriften häufiger als das Adjektiv «civic». (Bis 26. September)


[ Katalog: Richard Meier Architect. The Monacelli Press, New York 1999. 304 S., fFr. 285.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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