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An Haupt und Gliedern runderneuert
Neue Zürcher Zeitung

Bauten der Max-Planck-Gesellschaft

Die Max-Planck-Gesellschaft steht für solide Grundlagenforschung. Unter ihrer Federführung entstanden in den letzten Jahren aber auch mehrere Institutsneubauten mit oft anspruchsvollen Architekturkonzepten. Diese Gebäude sind nicht nur eine Investition in die Zukunft der Wissenschaft, sie bestimmen auch immer stärker den Auftritt der Institution nach aussen hin.

4. September 1999 - Oliver Herwig
Der Grösse nach ist sie ein Gigant. Dem Alter nach aber eine Dame in den besten Jahren. Über 11 500 Mitarbeiter, 80 Institute und ein Etat von etwa zwei Milliarden Mark machen aus der 1948 gegründeten Max-Planck-Gesellschaft einen Forschungsriesen. Und zugleich ein unabgeschlossenes Projekt, das sich stets erneuern muss, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Um so mehr, als Hochtechnologie hohe Investitionen bei immer kürzeren Verfallszeiten bedeutet. Deshalb wurden in den letzten Jahren zahlreiche Institute mit neuen Gebäuden ausgestattet oder bestehende Einrichtungen renoviert. Modernste Technik in zeitgemässen Gehäusen - keine schlechte Aufgabe für Architekten, mit der Vorstellung des einsam vor sich hin brütenden Forschers aufzuräumen und den Instituten ein ansprechendes Erscheinungsbild zu verleihen. Wie etwa bei der Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotonstrahlung (Bessy II) in Berlin-Adlershof, wo direkt neben dem Teltow- Kanal ein futuristisches Ensemble entstand. Das Stuttgarter Architekturbüro Brenner & Partner schuf auf dem Gelände der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR für 196 Millionen Mark ein glänzendes Ufo mit 120 Metern Durchmesser. So überzeugend die Verpackungskunst hier ausfiel, so modisch-poppig gibt sie sich beim Institut für Physik in Dresden. Drei geschlossene Kuben wetteifern mit einem zackig in den Raum ausgreifenden, teilweise aufgeständerten Baukörper. Ocker und Violett dominieren, und Materialien prallen hart aufeinander. Eines jedenfalls steht fest: Die fast 130 Wissenschafter am physikalischen Institut zur Erforschung komplexer Systeme haben ein passendes Zuhause gefunden.


Münchner Kopfgeburt

Bei so viel Aufbruch in der Grundlagenforschung darf es nicht verwundern, dass auch der Überbau, die Münchner Zentrale, ein neues Haus verlangte. Es sollte ein krönender Abschluss werden, ein Zeichen modernen Wissenschaftsmanagements. Im historischen Ensemble von Hofgarten, Residenz und Marstall geriet der Bürokomplex freilich schnell zwischen alle Fronten der Kritik. 81,4 Millionen Mark liess man sich die Zentrale im Zentrum Münchens kosten. Nun füllen ihre Glasfassaden eine der prominentesten, gleichwohl jahrzehntelang vernachlässigten Baulücken der Altstadt. Umstritten war die Wahl von Anfang an. Schliesslich ging es um historischen Grund, um beste Innenstadtlage und den guten Geschmack. So offen und transparent die Glasfronten auch angelegt sind, dem Betrachter scheint es, dass sich das Gebäude förmlich einigelt und den in Beton gefassten Stadtgrabenbach zu einem veritablen Schanzwerk ausbildet. Selbst der Haupteingang heisst die Besucher nur bedingt willkommen. Schliesslich wacht davor Minerva selbst. Die göttliche Kopfgeburt hat der Peruaner Fernando de la Jara aus südafrikanischem Granit getrieben und als Profilstele samt Negativform beidseits des Eingangs postiert. Skylla und Charybdis könnten kaum abschreckender wirken.

Vielleicht liegt es an diesem Entrée, dass man kaum einen Blick auf die (an dieser Seite ohnehin von altem Baumbestand verdeckte) zweischalige Fassade wirft und gleich ins Innere stürmt. Dort folgt eine Überraschung. Das Gebäude öffnet sich zu einem grossen, alle Stockwerke durchmessenden Atrium, zu einem langgezogenen Dreieck, das noch dramatischer wirkt durch die perspektivisch verkürzte Freitreppe. Eine filmreife Inszenierung, die ein wenig an Hauptquartiere von Bond-Schurken erinnert. Tatsächlich ist das Spiel der vorgeschalteten Fassaden und schwebenden Plattformen wohlkalkuliert, eine Reminiszenz auch an die Kulissen des schräg gegenüberliegenden Nationaltheaters.


Gespiegelte Historie

Die drei Lichthöfe des Gebäudes wirken autark. Dabei antworten sie präzise auf die auseinanderstrebenden Baulinien des historischen Umfelds. Um den Marstallplatz wirksam abzuschliessen und doch nicht aus dem Raster von Residenz und Staatskanzlei zu fallen, entwickelten die Münchner Architekten Angelika Popp, Michael Streib und Rudolf Graf zwei unabhängige, gegeneinander versetzte Strukturen. Dem äusseren «U», das den monumentalen Fronten direkt gegenübersteht, wurde ein weiteres, um einige Grade versetztes «U» einbeschrieben. Eine formal bestechende Lösung. Was freilich als sanfte Umarmung von Klenzes Hofreitschule gedacht war, riegelt das Areal ab. Da helfen keine transparenten Fassaden, die das Ensemble je nach Tageszeit spiegeln, also auf sich zurückwerfen, oder ihm als dunkle Front gegenüberstehen. In dem Kokon aus Glas hingegen mag man noch vom Glanz der Residenz träumen, wo Teile der Hauptverwaltung jahrelang untergebracht waren.

Ein rechtes Gegengewicht zur Historie ist mit dem Neubau nicht entstanden. Dabei wurde hart um diesen Ort gerungen. Schliesslich hatte die Grossforschungseinrichtung mit der Rückkehr zu ihren Ursprüngen nach Berlin gedroht, wo einst die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft residierte, oder - weit weniger glaubwürdig - mit einem Umzug nach Bonn. 1992 sprang der Freistaat Bayern ein und bot das urbane Filetstück als zinsfreies Grundstück in Erbpacht. Das vom Krieg gezeichnete Areal sollte durch einen städtebaulichen Ideenwettbewerb und ein «zukunftsorientiertes» Verwaltungsgebäude erlöst werden. Prompt kam es zu einem Interessenkonflikt, als das Preisgericht den Architekten Graf, Popp und Streib zwar den ersten Preis des Realisierungsteils verlieh, sein städtebauliches Konzept aber auf Platz fünf verwies. Umgekehrt erging es den Berliner Architekten Hufnagel & Pütz, die den städtebaulichen Teil gewannen und beim Verwaltungsbau nur Dritte wurden. Beide Entwürfe erwiesen sich als grossenteils inkompatibel, und die angestrebte Einheit des Ensembles ging verloren. Dass gegen die gläserne Fassade heftig polemisiert und der Wettbewerbsentwurf schliesslich in einigen Punkten geändert wurde, mag dagegen nur noch als Episode innerhalb des ewigen Streits um das Bauen im historischen Kontext erscheinen.

«Abenteuer Forschung» heisst eine beliebte Sendung des ZDF. Früher lautete ihr Titel schlicht «Aus Forschung und Technik». Der kleine Unterschied macht deutlich, wie schwer die Vermittlung trockener Fakten geworden ist. Denn gefragt ist weniger der stille Forscher, der womöglich jahrelang an einem Detailproblem arbeitet. Vielmehr steht der geniale, exzentrische Macher im Mittelpunkt des Interesses. Und mit ihm griffige Formeln, die aus den Wirrnissen der Welt eine verständliche Ordnung ableiten. Da solche Vermittlung auf Bilder und Zeichen statt auf mathematische Grössen und Spezialterminologie setzt, erhalten die Phänomene eine ungleich grössere Bedeutung, als ihnen in der Theorie zukommt. Um so wichtiger wird das Gewand der Forschung, das Architekten ihrer Auftraggeberin Minerva umhängen.

Oliver Herwig

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