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Einfügung als Prinzip
Neue Zürcher Zeitung

Arbeiten von Andreas Galli und Rudolf Moser

Heute gehen die Zürcher Architekten Andreas Galli und Rudolf Moser ihre eigenen Wege, doch sind in den Jahren gemeinsamer Arbeit zwei bemerkenswerte Bauten entstanden: ein Doppelhaus in Busswil und eine Schulhauserweiterung in Bülach. Weniger die Architektur als Objekt interessiert sie als vielmehr die Möglichkeit, «den Neubau so zu modellieren, dass die neu geschaffene Situation durch eine bewusst erzeugte Spannung bereichert wird».

3. September 1999 - Hubertus Adam
Einen unspektakulären Altbau durch Formenopulenz oder architektonische Invention zu übertrumpfen und in den Schatten zu stellen, ist kein Kunststück. Als weitaus schwieriger stellt sich der Versuch dar, das Neue einzufügen, denn der Grat zwischen dem Abgrund der Selbstverleugnung und der Untiefe der Anpassung ist schmal. In Bülach haben die Zürcher Architekten Andreas Galli und Rudolf Moser den rechten Weg gefunden: ein winkelförmiger Baukörper - bestehend aus einem zweigeschossigen Klassentrakt und der Turnhalle mit vorgelagerter Eingangshalle - greift die orthogonale Struktur der bestehenden Bauten auf und arrondiert das Areal, so dass ein grosszügiger Pausenbereich entsteht. Auch wenn die Proportionierung der hinzugefügten Volumina auf die Schulgebäude der fünfziger Jahre abgestimmt ist, setzten die Architekten hinsichtlich der Materialwahl und Farbgebung auf Kontrast: dem rotbraunen Klinker antwortet nun eine klare, deutlich zeitgenössische Betonstruktur, die umlaufend mit grossformatigen blaugrünen Faserzementplatten verkleidet wurde.

Einen bestimmenden Akzent verleiht dem Gebäude überdies die überzeugende Intervention des Kölner Künstlers Stefan Steiner. Dieser färbte die beiden hinter der Glasfassade des Sporthallen- und Eingangstraktes sichtbaren Wände rot. Beim näheren Hinsehen lassen die nachts magisch strahlenden Farbflächen den Pinselstrich des lasierenden Farbauftrags erkennen. In weitausholenden, ondulierenden Gesten übermalte Steiner den rigiden Raster der im Sichtbeton abgedrückten Verschalungsplatten und rückt ihn dadurch verfremdet ins Licht. Die in kontrastierenden Farbtönen gehaltenen Füllungen der Bundlöcher - Steiner nennt sie «Korallen» - gaben der Arbeit den Namen «Korallenrot», der auch in grossformatigen Versalien in die Fensterzone des Erdgeschosses eingeätzt wurde. Architektur und Kunst treten in einen spannungsvollen Dialog.

Wettbewerb (1991) und Fertigstellung (1997) der Schule in Bülach markieren auch die Eckpunkte der sechsjährigen Zusammenarbeit von Andreas Galli und Rudolf Moser, die beide 1958 geboren wurden und ihr Diplom an der ETH Zürich absolvierten. In dieser Zeit entstand auch das Doppelhaus in Busswil. Der 1995 realisierte Bau behandelt das Thema der Einpassung. Der Kontext bestand in diesem Fall aus einer nicht unbedingt attraktiven, aber gleichwohl typischen ländlichen Einfamilienhaussiedlung in der sanften Hügellandschaft des Thurgaus. Reizvoll wurde dieses Ambiente dadurch, dass das zur Verfügung stehende Grundstück am Rand der Bebauungszone lag und den Architekten somit die Möglichkeit bot, an der Schnittstelle zwischen Natur und Zivilisation zu operieren. Die Vorgaben der Gestaltungssatzung - Anordnung der Gebäude parallel zu den Höhenlinien, Satteldach - mussten befolgt werden, und so wirkt das zweigeschossige, ziegelgedeckte Volumen mit seinen Dachüberständen bewusst unspektakulär und durchaus kompatibel mit der ländlichen Gegend. Ein kleiner Knick, der auf den etwas hangabwärts fliessenden Bach zu reagieren scheint, trennt die beiden Teile des Hauses, die analog aufgebaut sind: unten ein von einem grossen Fenster belichteter Wohnbereich, oben zwei oder drei private Räume; vorgelagert im Norden Erschliessungs- und Funktionsräume. Nichts Aufregendes, keine Architektur, welche die Blicke der Passanten erzwingt, und doch, nicht zuletzt dank der Detaillierung und Qualität der Verarbeitung, ein Gebäude, welches das übliche Einerlei der Einfamilienhausquartiere mühelos aussticht.

Im Jahre 1997 beendeten Galli und Moser ihre Zusammenarbeit. Moser betreibt seither ein eigenes Büro in Zürich und gewann zuletzt den 4. Preis im Projektwettbewerb Ecole Cycle d'Orientation de la Gruyère in Tour-de-Trême; Galli, seit 1995 Dozent an der Fachhochschule beider Basel in Muttenz, gründete ein ebenfalls in Zürich ansässiges Büro gemeinsam mit Yvonne Rudolf. In diesem Jahr gewann das Team den Wettbewerb für die International Primary School of Zurich; das Baugesuch ist derzeit in Bearbeitung.


[ Galli und Moser stellen im Rahmen eines Vortrags ihre Arbeiten am 8. September im Architekturforum Zürich vor. ]

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