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Auf der Suche nach der Identität
Neue Zürcher Zeitung

2. Internationales Architektur-Symposium in Pontresina

21. September 1999 - Hubertus Adam
Der Versuch, dem Kultur- und Kongresszentrum Rondo in Pontresina durch ein jährliches Internationales Architektur-Symposium Leben einzuhauchen, könnte in Zukunft zum Erfolg führen: Nach dem Debakel der konzeptionell unausgereiften Veranstaltung im Vorjahr fanden jetzt bis zu 300 Besucher den Weg ins Engadin. «Bigness and Velocity - die Stadt zwischen Traum und Trauma» lautete das diesjährige Thema. Dabei war es ein geschickter Schachzug der Veranstalter, nicht alle Referenten selbst auszuwählen, sondern die Gestaltung eines Tages und die Auswahl der Mitstreiter jeweils an einen prominenten Architekten zu delegieren: an Rem Koolhaas, Norman Foster und Jacques Herzog. Das verhinderte nicht nur programmatische Inkonsistenz, sondern bewahrte das Publikum auch - ausser im Falle Norman Fosters - vor konventionellen Werkvorträgen.

Wie kaum anders zu erwarten, gab Koolhaas - der den kanadischen Graphiker Bruce Mau und den englischen Politologen Mark Leonard eingeladen hatte - mit seinen Ausführungen gleichsam den theoretischen Rahmen vor: den Begriff der Identität, der im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung stetig an Bedeutung gewinnt. Ins Zentrum seiner Betrachtung stellte der Architekt das Projekt der Verlagerung des Flughafens Schiphol auf eine künstliche Insel im Ärmelkanal. Der Mega-Airport erlaubte es nicht nur, die Luftverkehrsströme über Europa neu zu ordnen und zu optimieren, sondern liesse im Zentrum Hollands eine Freifläche entstehen, die zum Ausgangspunkt für eine konzeptionelle und urbanistische Neudefinition der Niederlande werden könnte. Ausgehend von Leonards Studie «Branding Britain» und ihrem Postulat eines «Cool Britannia» liessen Koolhaas und Mau die Symposiumsteilnehmer in einem Outdoor-Workshop anschliessend nach einem neuen Selbstverständnis der Schweiz suchen. Sollte sich die Schweiz als Zentrum der Kultur oder als liberale Institution, als Think tank, Entrepreneur oder Archiv verstehen? Postkarten mit (künstlerischen) Antworten auf diese Fragen werden von Koolhaas gesammelt und zu einer Publikation zusammengestellt.

Die Frage nach einem neuen «Branding» für die Schweiz stellte auch Jacques Herzog am letzten Tag. Denn in der Tat scheinen viele der traditionellen Bilder nicht mehr mit der Realität kompatibel, die durch Verstädterung bestimmt ist, während die Landschaft - um einen Gedanken von Raoul Bunschoten aufzugreifen - längst vor dem Horizont eines städtischen Denkens operationalisiert wurde. Avancieren vielleicht die neuen Fussballstadien, die - von privaten Investoren finanziert - als hybride Mischung aus Arena, Shopping Mall und Entertainment Center geplant werden, zu neuen Orten der Identifikation? Nach Antworten darf gesucht werden - nicht zuletzt auf dem nächstjährigen Architektur-Symposium, das mit «Global City - Local Identity» einem ähnlichen Thema gewidmet ist.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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