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Sauberes Design: Wie entwirft man nachhaltig?
Spectrum

„Clean Creatives“ lehnen es ab, für Erdölgesellschaften zu arbeiten. Eine aus der Vienna Design Week hervorgegangene Initiative will, dass die Zunft sich ihrer politischen Verantwortung bewusst wird, eine Design-Ausstellung behandelt das Thema Kreislaufwirtschaft.

31. Oktober 2022 - Harald Gründl
In ihrem diese Woche erschienenen „Klima-Buch“ stellt Greta Thunberg eine Frage, mit der sich auch Designer in letzter Zeit vermehrt beschäftigen: „Sind wir imstande, unser Können, unser Wissen und unsere Technologie für einen Kulturwandel einzusetzen, der uns dazu bewegt, uns rechtzeitig zu verändern, um eine Klima- und Umweltkatastrophe abzuwenden?“ Industrial Design folgt der Logik und Dynamik der heutigen industriellen Produktion: Abbau von Rohstoffen unter teils menschenunwürdigen Bedingungen, energieintensive Materialherstellung, industrielle Produktion von Massengütern, verschwenderischer Konsum und ein Abfallwirtschaftssystem, das seine Versprechen (100 Prozent recycel- oder kompostierbar) nicht einlösen kann oder will. „Take – Make – Use – Waste“, so lautet die polemische Kurzformel. Das Problem ist nicht nur die Ausbeutung von billigen fossilen Energien oder die Verwendung von Materialien, die auf fossilen Rohstoffen basieren, sondern auch eine kulturelle Erzählung, die auf der Verschwendung und geplanten Obsoleszenz von Möbeln, Kleidung, Fahrzeugen, Häusern etc. basiert.

Außer wenn es um Autos geht und über den Verbrauch und die CO2-Emissionen berichtet wird, erfahren wir kaum etwas darüber, wie nachhaltig ein Produkt in Herstellung und Betrieb wirklich ist – wir werden im Dunkeln gelassen. Stattdessen findet man meist abenteuerliche Geschichten des Greenwashings: Den Waren wird also einfach ein grünes Mäntelchen umgehängt. Und wir sind allenthalben mit einer Rhetorik konfrontiert, die uns vor allem davon überzeugen soll, dass wir jetzt dringend etwa Neues brauchen: eine Anzeige mit mehr Pixel bei Fernseher, Projektor oder Handy, eine neue Trendfarbe, einen neuen Schnitt, einen neuen Look, einen LED-Scheinwerfer und noch einen Elektromotor drauf im Kombi-Angebot.

Wir sind aber nicht nur anfällig für Werbung, sondern auch für den Spin, den Industrien in die Welt setzen, um nichts ändern zu müssen. Sie erklären uns etwa, warum Elektroautos die Welt nicht retten können – und wir glauben ihnen und reden darüber, dass nicht genug Strom da ist für all die Elektroautos und wir nicht wissen, wie man Batterien recyceln soll.

Welche Geräte sind zukunftsfähig?

Doch das gilt für nahezu alle anderen globalen Konsum- und Investitionsgüter. Nicht nur Elektroautos heutiger Bauweise verunmöglichen die solidarische weltweite Stromversorgung, sondern alle anderen Konsumgüter, für deren Materialgewinnung, Herstellung oder deren Betrieb viel Energie nötig war. Und haben wir schon einmal an der Zukunftsfähigkeit unseres neuen Mobiltelefons, Kühlschranks oder Computers gezweifelt, weil die Recyclingverfahren der heutigen Abfallwirtschaft nur einen Bruchteil der Rohstoffe wieder im Sinne einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft zur Verfügung stellen?

„Das Problem ist, dass sich die derzeit am besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse nach sämtlichen Belegen auf einem Kollisionskurs zu unserem gegenwärtigen Wirtschaftssystem und der Lebensweise befinden, auf die viele Menschen im globalen Norden einen Anspruch zu haben glauben“, schreibt Greta Thunberg. Die Designschaffenden befinden sich in einer historischen Rolle: mitzuhelfen, unsere Lebensweise weltverträglich und weiterhin angenehm und bedeutungsvoll zu machen.

Doch nicht allein, sondern in einer interdisziplinären Zusammenarbeit, wie sie der Designtheoretiker und Designer Viktor Papanek als „Minimal Design Team“ schon 1973 gefordert hat. Im Zentrum des „Big Character Poster No. 1: Work Chart for Designers“ sieht sich der Designschaffende in einer vermittelnden Rolle, umgeben von zahlreichen anderen Disziplinen: Ingenieurwesen, Film, Medizin, Ökologie, Verhaltenswissenschaft, Medien, Mathematik, Anthropologie, Biologie, Bionik, Biomechanik. Heute sind vor allem Letztere wichtig für regeneratives Design: Objekte beispielsweise aus Pilzflechten oder Algen – schnell wachsende Biomasse, die Kohlenstoff bindet, und nicht etwas aus nur langsam wachsendem Holz.

Aktivismus oder Qualitätssiegel

Andere Wissensgebiete, die Papaneks Minimal Design Team ergänzen: Computerwissenschaft, Spieltheorie, Demografie, Ethnologie, Statistik, Ökonomie, Politik, Rechtskunde, Klimatologie, Ergonomie und viele andere. Eigentlich eine schöne Rolle für Designschaffende, in so einem Dreamteam zu wirken, das unsere Wegwerfkultur in eine Kreislaufkultur auf Fakten basierend um-entwirft und alle Akteure, darunter auch Pflanzen und Tiere, als Zielgruppe von Design erkennt.

Derzeit entstehen im Designsektor zahlreiche Initiativen. Die holländische Design-Plattform „What Design Can Do“ entsendet zum Beispiel eine Delegation zu den nächsten internationalen Klimaverhandlungen COP27 in Sharm el-Sheikh. „Clean Creatives“ ist eine Petition von Werbeagenturen, die es ablehnen, für Erdölgesellschaften zu arbeiten. Aber auch in Österreich passiert etwas: In Vorarlberg fanden unter reger Publikumsbeteiligung das erste „Festival zur Entwicklung der Zukunft“ und die Designausstellung „Kreislaufkultur“ statt. In Wien gingen aus der diesjährigen Vienna Design Week die Initiative „Design Revolution Now!“ und ein Thinktank namens „Design-Konvent“ hervor, der sich mit der Rolle von Designschaffenden in der Gesellschaft beschäftigt. Im Sinne Papaneks wäre ein Austausch mit anderen Initiativen der „FridaysforFuture“-Bewegung sicher ein interessanter nächster Schritt – vielleicht mit den Scientists for Future oder den Museums for Future? Ob sich die Bewegung in Richtung Aktivismus entwickelt oder eher in Richtung eines Qualitätssiegels einer Designhaltung, die zukunftsfähig ist, wird sich aus der Dynamik der Diskussionen ergeben.

Der Grund der Klimakrise muss jedenfalls auch aus Sicht des Designs beleuchtet werden. Um es mit Amelie Klein, der Kuratorin der Papanek-Ausstellung im Vitra Design Museum zu formulieren: „Design ist ein politischer Beruf, der mit Verantwortung einhergeht.“

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