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Materialverbrauch: Weniger von allem, radikal weniger
Spectrum

In Österreich nützen wir nur zwölf Prozent der wiederverwendbaren Stoffe – das ist leicht unter dem EU-Durchschnitt. Heute werden beim „Circular Economy Summit Austria“ notwendige Veränderungen unseres Wirtschaftens diskutiert.

22. März 2022 - Harald Gründl
Seit neuestem glaubt ja jeder, er kann mitreden beim Müll. Wo die Menschen früher über den eigenen Kreislauf gejammert haben, sprich Kreislaufstörung, geht es heute nur mehr über den Müllkreislauf. Da wird ein Recycling und eine Wiederverwertung heruntergebetet, Müllbuddhismus nichts dagegen. Aber reden kann man leicht. Machen muss man es auch richtig! Wenn du schon am Anfang das Zeug in die falsche Wanne schmeißt, alles umsonst.“ Wolf Haas' Roman „Müll“ erscheint etwa zeitgleich mit der österreichischen Kreislaufstrategie, ausgearbeitet vom Bundesministerium für Klimaschutz (BMK), die etwas sperriger titelt: „Die österreichische Kreislaufwirtschaft. Österreich auf dem Weg zu einer zirkulären und nachhaltigen Gesellschaft.“

Auf der Titelseite sieht man in einer schummrigen Stimmung eine Hand, über der ein Lichtkreis schwebt, ganz wie ein Spezialeffekt aus „Star Wars“. Die bunten Lichtschweife erleuchten das Innere der Hand rot, wahrscheinlich eine symbolische Handstellung des Müllbuddhismus. Schon der Titel lässt erahnen, dass Österreich hier noch einiges vor sich hat. Hierorts liegt die Nutzungsrate wiederverwendbarer Stoffe bei zwölf Prozent, das ist leicht unter dem EU-Durchschnitt. Musterschüler der Kategorie Circular Material Use Rate (CMU) sind die Niederlande mit 30,9 Prozent, gefolgt von Belgien und Frankreich mit je 23 und 22 Prozent CMU. Um die Stakeholder des linearen Wirtschaftens auf den richtigen Weg zu bringen, hat das österreichische Ministerium einen Kreislaufwirtschaftsbeauftragten eingesetzt.

Harald Friedl ist eine Art „Cheerleader“ dieser Form des ökologischen Wandels und wird nicht müde, von den neuen Chancen zu sprechen. Er arbeitet inklusiv und bringt die Zivilgesellschaft, Pionier:innen und große Industriebetriebe an einen Tisch. Er spricht von CEOs, die Wandel geloben, und Mitarbeiter:innen, die ihre Erwerbsarbeit weltverträglich gestalten wollen – eine Einladung zur Revolution von unten.

Zu Alarmisten geworden

Am Dienstag, 22. März, wird der „Circular Economy Summit Austria“ einen ganzen Tag lang die notwendigen Veränderungen unseres Wirtschaftens adressieren und in einer Pop-up-Messe einige Akteur:innen des Wandels vor den Vorhang holen. Harald Friedl wird der Zeremonienmeister der initialen Großveranstaltung des BMK sein, für die sich fast 600 Interessierte angemeldet haben. Die Schwerpunktthemen umfassen Circular Construction, Circular Textile, Circular Mobility und Circular Food.

Ein wichtiger Proponent der Veranstaltung ist Willi Haas vom Institut für Soziale Ökologie an der Boku Wien, das dem Ministerium wichtiges Zahlenmaterial zum Thema Kreislaufwirtschaft liefert. Willi Haas findet für die Kreislaufwissenschaft ähnlich klare Worte wie Helga Kromp-Kolb für die Klimawissenschaft – beide mussten in den jüngsten Jahren zu Alarmisten werden. Für den Baubereich fordert Haas, die Neuerrichtung von Gebäuden radikal zu hinterfragen und nur marode Gebäude schlechter Qualität zu ersetzen. Kein Gebäude auf die grüne Wiese, Flächenversiegelung stoppen; kein Neubau von Straßen, materialeffizientes Mobilitätssystem – die planetaren Grenzen erlauben den unsolidarischen Überfluss unserer Wirtschaftsweise nicht. 19 Tonnen beträgt der Materialverbrauch pro Person und Jahr in Österreich. Wie wir das ändern? Kreislaufwirtschaft und ein Ziel von sieben Tonnen Materialverbrauch – rund ein Drittel des jetzigen. Wo die Kreislaufstrategie in anderen Punkten unkonkret bleibt, ist sie hier sehr eindeutig. Die Antwort des Wissenschaftlers, wie das Ziel erreichbar wäre: Suffizienz. Weniger von allem, radikal weniger. Für die Architekturschaffenden und die gesamte Baubrauche ist das ein Angst-, aber auch Innovationsthema.

Ein Pionier, der eine Keynote zum Architekturschwerpunkt halten wird, ist Thomas Romm. In der Seestadt Aspern bereitete er für 3000 Wohnungen über eine Million Tonnen Material lokal auf; zudem wurde durch Geländemodellierung die Hälfte des Aushubvolumens reduziert, der Rest wurde im Straßenbau als Betonzuschlag verwertet. Kreislaufarchitektur als bewusste Gestaltung von Logistik, Zeit und Abläufen, aber auch Nutzung örtlicher Ressourcen: In Bielefeld schlug Romm die Umnutzung eines „Karstadt“-Kaufhauses vor – die bestehende Kaufhausstatik, ausgelegt für Menschenmassen, könnte leicht eine Aufstockung in Holzbauweise stemmen. In Wien musste ein ähnliches Kaufhaus einem Star-Architekten-Projekt weichen. Gemeinsam mit Querkraft Architekten legte Romm die Umnutzung einer Lagerhalle zum repräsentativen Firmensitz nahe – das Projekt wurde nicht umgesetzt. Wirtschaftliche, technische oder ästhetische Abbruchreife: Wir benötigen dringend eine Neubewertung – und gelingende Kreislaufprojekte in der Architektur größere Aufmerksamkeit.

Designschaffende spielen ebenfalls eine tragende Rolle in der österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie. Sie werden sogar extra erwähnt, da laut dem Europäischen Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft (European Green Deal) in der Entwurfsphase bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen in Produkte eingeschrieben werden; gefordert wird „intelligentes Design“.

Fantasie im Design

Auf dem Summit am Dienstag zeigt die Designerin Alexandra Fruhstorfer ihre Arbeit „Transitory Yarn“ (2016), die 2021 im MoMa in New York zu sehen war. Die zentrale Idee des Projekts ist die mehrmalige Nutzung eines Garns aus Schafwolle. Dazu schlagen Fruhstorfer sowie ihre Kooperationspartner Max Scheidl und Anna Neumerkel einen Ort vor, wo das Ausgangskleidungsstück mit einer händisch bedienten „Auftrennmaschine“ zu neuem Garn aufgewickelt wird, um dann etwa saisonal mit einer Strickmaschine in eine andere Kleidertypologie verwandelt zu werden. Modefirmen und Strickmaschinenherstellern ist das Projekt noch unheimlich – hoffentlich kann Fruhstorfer sie auf dem Summit überzeugen. Systemische Lösungen sind aber nicht nur in der Architektur gefragt, und so forscht die Designerin gerade an einer lokalen Wertschöpfungskette, angefangen beim Schaf. Pro Schaf bekommt man im Jahr gut zehn neue Pullover. Eine Kooperative würde sich als Organisationsform für den lokalen Kreislauf der Mode anbieten, doch es bräuchte zudem Verarbeiter des Rohstoffs, die es hierzulande kaum mehr gibt.

Für den Wandel sind die Fantasie der Architektur- und Designschaffenden und deren Begeisterungsfähigkeit für eine neue Gestaltungspraxis gefragt. Obendrein nötig sind der Protestruf der Zivilgesellschaft (Katharina Rogenhofer ist auch dabei) sowie die Bereitschaft der Industrie, ihre Geschäftsmodelle zu ändern. „Recycling hin, Kreislauf her, sprich Zukunft gestalten“, wie es beim Brenner heißt.

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