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Kann Papier die PET-Flasche ablösen?

Der Countdown läuft: Wer wird die erste Papierflasche auf den Markt bringen und damit die Verpackungsrevolte anführen? In einem Jahr wissen wir mehr – wenn die ersten Produkte in Pulp (Holzstoff) statt in Plastik oder Glas erhältlich sein werden.
29. Dezember 2021 - Harald Gründl
„Pulp Fiction“ sind billige Schundromane über eine spekulative Zukunft. Ihre Gattungsbezeichnung Pulps haben sie von dem faserigen, grauen Papier, das als günstiges Trägermaterial von Genres wie Liebesroman bis Science-Fiction diente, die vor allem von den 1930er- bis 1950er-Jahren Verbreitung fanden. Der billige Verkaufspreis führte zur deutschen Gattungsbezeichnung Groschenroman, das Ausgangsmaterial ist Holzstoff (engl. mechanical pulp). Es entsteht durch mechanische Zerfaserung von Holz und ist der Rohstoff, um kostensparend Papier, Karton, Pappe herzustellen.
Das Material der Schundhefte ist jetzt zur Zukunftshoffnung der großen globalen Konzerne geworden: Sie sehen die Zukunft in der ökologischen Papierflasche, aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gefertigt und einfach im Papierrecycling zu entsorgen. Natürlich FSC-zertifiziert, das versteht sich von selbst. Wir beobachten einen Wettlauf, wer die erste Papierflasche auf den Markt bringen und damit die selbst ausgerufene Verpackungsrevolution anführen wird. Es sind die ganz großen, weltweit bekannten Marken, die sich hier im Wettkampf befinden. Nächstes Jahr soll es endlich so weit sein: Da sollen erste Produkte nicht mehr in Plastik oder Glas, sondern im Zukunftslook Pulp verpackt werden.
Der Eierkarton ist in gewisser Weise der Vorgänger dieser neuen grünen Verpackungsrevolte, er ist ebenfalls aus Holzbrei geformt. Die Plattenform des Eierkartons ist sicher als Designklassiker zu bezeichnen, er beschützt 30 Eier und ermöglicht eine Stapelung bis zu 20 Stockwerke. Der Grundriss ist in der eleganten Proportion 6:5 gehalten. Technisch herausfordernder ist die Klappform, die zehn oder ein halbes Dutzend Eier mit einem mitgeformten Deckel transportsicher macht. Der Eierkarton war bislang ästhetisch gesehen eher die Ausnahme im Warenangebot. Grau, faserig, rau und schlecht bedruckbar. Wer seinen Eiern etwas mehr Warenästhetik verpassen wollte, hat ein bedrucktes Papier aufgeklebt. Die Haptik des Eierkartons wirkt fast handwerklich und könnte Assoziationen zu handgeschöpftem Büttenpapier hervorrufen.
Es waren nicht die großen Verpackungskonzerne, die auf die Idee mit der Papierflasche gekommen sind. Die ersten Prototypen stammten von zwei Start-ups, und schnell scharten sich die Multis um die Technologieprojekte: Hersteller von Spirituosen, Flüssigwaschmittel, Medikamenten, Bier, Softdrinks und Motoröl. All diese Produkte wollen möglichst bald im neuen Gewand die umweltverträgliche Agenda der globalen Konzerne illustrieren. Es ist auch einfacher, die Verpackung zu wechseln, als über das Produkt nachzudenken. Das Prinzip des Eierkartons findet sich schon in vielen Elektronikverpackungen; Bier, Flüssigwaschmittel oder Motoröl konnte man bislang nicht damit transportieren. Es scheint im ersten Moment etwas kontraintuitiv, in eine Papierflasche Cola einzufüllen – unser Alltagswissen würde darauf tippen, dass der Flasche kein langes Leben beschert wäre.
Bei technologischen Umbrüchen kann eine Dramaturgie beobachtet werden, die es ebenso bei Übergangsriten gibt. Die eine Technologie ist noch nicht ganz abgelöst, der neuen vertraut man noch nicht ganz. Das Ergebnis ist ein verstörender Zwischenzustand des Überganges. Ein schönes Beispiel ist die Ablöse der Segelschiffe durch Dampfschiffe. Im transitorischen Zustand fuhren seltsame Schiffe herum, die sowohl Rauchfänge als auch Segelmasten hatten. Als sich die neue Technologie als verlässlich und überlegen herausstellte, bekamen die Dampfschiffe auch ein neues Aussehen.
Die sogenannten Papierflaschen haben außen einen Mantel aus geformtem Holzbrei und schauen schon recht ökologisch aus. Innen jedoch befindet sich immer noch eine PET-Flasche. Das hat auch einen österreichischen Hersteller, der weltweit mitmischt in der Herstellung von Kunststoffverpackungen und PET-Flaschen, dazu veranlasst, in eine der beiden Papierflaschenfirmen einzusteigen. Das sei aber auch nur eine Übergangslösung, bis der heilige Gral in Form einer magischen Innenbeschichtung gefunden ist; diese sei dann angepasst an das abgefüllte Produkt.
Ein kalifornisches Unternehmen hat in den papierummantelten Ökoplastikflaschen Pionierstellung. Die Abbildung links zeigt eine mittlerweile nicht mehr erhältliche Verpackung für Flüssigwaschmittel dieses Unternehmens, die auch in Österreich in einem Drogeriemarkt erhältlich war. Mittlerweile ist das Waschmittel noch „ökologischer“ verpackt: Die Papierhülle ist weg, das Plastik hat auf einer Seite eine Papierhaptik. Was noch fehlt, ist der Hinweis, wie viel Papier diese Verpackung einspart. Der etwas zerknautschte Nachfüll-Look wird wohl das vorherrschende Verpackungsparadigma bleiben – bis die revolutionäre Papierflasche aus dem Versuchsmarkt in Brasilien dann auch in Europa ausgerollt wird.
Eine Whisky-Marke hatte mit der Ästhetik der kartongrauen Verpackung ein Problem und beschloss, den Brei möglichst schwarz zu färben. Mit dem silbernen Plastikverschluss sieht die Verpackung aber eher wie eine Motorölflasche aus. Wahrscheinlich der Grund, warum sich der Erdölkonzern für die Verpackungslösung zu interessieren begann. Die sozialen Medien sind nach der Ankündigung, den Whisky in eine Papierflasche zu füllen, auch sehr reaktiv geworden; der Tenor war ablehnend bis schockiert. Ein großer Bierabfüller folgte dem Eierkartonvorbild und wickelte bunt bedrucktes Papier auf die schlichte Kartonflasche, deren Ästhetik vergleichbar ist mit einer Kartonrolle, wie wir sie vom Klopapier kennen. Der Prototyp der Softdrinkflasche aus dem Werbevideo sieht überhaupt so aus wie eine Kindergarten-Bastelarbeit. Wir nehmen eine Kunststoffflasche und umwickeln sie mit in Leim getränktem Klopapier. Der Chief Technology Officer hält sie stolz in die Höhe und spricht von Weltrevolution. Wir werden uns somit auch auf eine ästhetische Revolution vorbereiten müssen und fiebern der Zukunft entgegen.
Ist eine Papierflasche ökologischer als eine Plastikflasche? Die beiden Antipoden repräsentieren fast idealtypisch die beiden möglichen Kreislaufarten: biologische und technische Kreisläufe. Für beide gilt allerdings, dass das eingesetzte Material, selbst im Fall einer konsequenten Sammlung, nicht zu 100 Prozent wieder für die Herstellung einer gleichwertigen Flasche verwendet werden kann. Lebensmittelechtes PET wird teilweise als Rohstoff für Textilien (Downcycling) verwendet, die Holzfasern brechen in der Aufarbeitung und werden immer kürzer und damit weniger stabil. Es entsteht eine Materialkaskade, die immer weniger wertvolles Material für den nächsten Kreislauf bereitstellt. Bleibt noch der Trost, dass sich die Papierflasche vielleicht auf dem Weg ins Meer auflöst.
Das Material der Schundhefte ist jetzt zur Zukunftshoffnung der großen globalen Konzerne geworden: Sie sehen die Zukunft in der ökologischen Papierflasche, aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gefertigt und einfach im Papierrecycling zu entsorgen. Natürlich FSC-zertifiziert, das versteht sich von selbst. Wir beobachten einen Wettlauf, wer die erste Papierflasche auf den Markt bringen und damit die selbst ausgerufene Verpackungsrevolution anführen wird. Es sind die ganz großen, weltweit bekannten Marken, die sich hier im Wettkampf befinden. Nächstes Jahr soll es endlich so weit sein: Da sollen erste Produkte nicht mehr in Plastik oder Glas, sondern im Zukunftslook Pulp verpackt werden.
Der Eierkarton ist in gewisser Weise der Vorgänger dieser neuen grünen Verpackungsrevolte, er ist ebenfalls aus Holzbrei geformt. Die Plattenform des Eierkartons ist sicher als Designklassiker zu bezeichnen, er beschützt 30 Eier und ermöglicht eine Stapelung bis zu 20 Stockwerke. Der Grundriss ist in der eleganten Proportion 6:5 gehalten. Technisch herausfordernder ist die Klappform, die zehn oder ein halbes Dutzend Eier mit einem mitgeformten Deckel transportsicher macht. Der Eierkarton war bislang ästhetisch gesehen eher die Ausnahme im Warenangebot. Grau, faserig, rau und schlecht bedruckbar. Wer seinen Eiern etwas mehr Warenästhetik verpassen wollte, hat ein bedrucktes Papier aufgeklebt. Die Haptik des Eierkartons wirkt fast handwerklich und könnte Assoziationen zu handgeschöpftem Büttenpapier hervorrufen.
Es waren nicht die großen Verpackungskonzerne, die auf die Idee mit der Papierflasche gekommen sind. Die ersten Prototypen stammten von zwei Start-ups, und schnell scharten sich die Multis um die Technologieprojekte: Hersteller von Spirituosen, Flüssigwaschmittel, Medikamenten, Bier, Softdrinks und Motoröl. All diese Produkte wollen möglichst bald im neuen Gewand die umweltverträgliche Agenda der globalen Konzerne illustrieren. Es ist auch einfacher, die Verpackung zu wechseln, als über das Produkt nachzudenken. Das Prinzip des Eierkartons findet sich schon in vielen Elektronikverpackungen; Bier, Flüssigwaschmittel oder Motoröl konnte man bislang nicht damit transportieren. Es scheint im ersten Moment etwas kontraintuitiv, in eine Papierflasche Cola einzufüllen – unser Alltagswissen würde darauf tippen, dass der Flasche kein langes Leben beschert wäre.
Bei technologischen Umbrüchen kann eine Dramaturgie beobachtet werden, die es ebenso bei Übergangsriten gibt. Die eine Technologie ist noch nicht ganz abgelöst, der neuen vertraut man noch nicht ganz. Das Ergebnis ist ein verstörender Zwischenzustand des Überganges. Ein schönes Beispiel ist die Ablöse der Segelschiffe durch Dampfschiffe. Im transitorischen Zustand fuhren seltsame Schiffe herum, die sowohl Rauchfänge als auch Segelmasten hatten. Als sich die neue Technologie als verlässlich und überlegen herausstellte, bekamen die Dampfschiffe auch ein neues Aussehen.
Die sogenannten Papierflaschen haben außen einen Mantel aus geformtem Holzbrei und schauen schon recht ökologisch aus. Innen jedoch befindet sich immer noch eine PET-Flasche. Das hat auch einen österreichischen Hersteller, der weltweit mitmischt in der Herstellung von Kunststoffverpackungen und PET-Flaschen, dazu veranlasst, in eine der beiden Papierflaschenfirmen einzusteigen. Das sei aber auch nur eine Übergangslösung, bis der heilige Gral in Form einer magischen Innenbeschichtung gefunden ist; diese sei dann angepasst an das abgefüllte Produkt.
Ein kalifornisches Unternehmen hat in den papierummantelten Ökoplastikflaschen Pionierstellung. Die Abbildung links zeigt eine mittlerweile nicht mehr erhältliche Verpackung für Flüssigwaschmittel dieses Unternehmens, die auch in Österreich in einem Drogeriemarkt erhältlich war. Mittlerweile ist das Waschmittel noch „ökologischer“ verpackt: Die Papierhülle ist weg, das Plastik hat auf einer Seite eine Papierhaptik. Was noch fehlt, ist der Hinweis, wie viel Papier diese Verpackung einspart. Der etwas zerknautschte Nachfüll-Look wird wohl das vorherrschende Verpackungsparadigma bleiben – bis die revolutionäre Papierflasche aus dem Versuchsmarkt in Brasilien dann auch in Europa ausgerollt wird.
Eine Whisky-Marke hatte mit der Ästhetik der kartongrauen Verpackung ein Problem und beschloss, den Brei möglichst schwarz zu färben. Mit dem silbernen Plastikverschluss sieht die Verpackung aber eher wie eine Motorölflasche aus. Wahrscheinlich der Grund, warum sich der Erdölkonzern für die Verpackungslösung zu interessieren begann. Die sozialen Medien sind nach der Ankündigung, den Whisky in eine Papierflasche zu füllen, auch sehr reaktiv geworden; der Tenor war ablehnend bis schockiert. Ein großer Bierabfüller folgte dem Eierkartonvorbild und wickelte bunt bedrucktes Papier auf die schlichte Kartonflasche, deren Ästhetik vergleichbar ist mit einer Kartonrolle, wie wir sie vom Klopapier kennen. Der Prototyp der Softdrinkflasche aus dem Werbevideo sieht überhaupt so aus wie eine Kindergarten-Bastelarbeit. Wir nehmen eine Kunststoffflasche und umwickeln sie mit in Leim getränktem Klopapier. Der Chief Technology Officer hält sie stolz in die Höhe und spricht von Weltrevolution. Wir werden uns somit auch auf eine ästhetische Revolution vorbereiten müssen und fiebern der Zukunft entgegen.
Ist eine Papierflasche ökologischer als eine Plastikflasche? Die beiden Antipoden repräsentieren fast idealtypisch die beiden möglichen Kreislaufarten: biologische und technische Kreisläufe. Für beide gilt allerdings, dass das eingesetzte Material, selbst im Fall einer konsequenten Sammlung, nicht zu 100 Prozent wieder für die Herstellung einer gleichwertigen Flasche verwendet werden kann. Lebensmittelechtes PET wird teilweise als Rohstoff für Textilien (Downcycling) verwendet, die Holzfasern brechen in der Aufarbeitung und werden immer kürzer und damit weniger stabil. Es entsteht eine Materialkaskade, die immer weniger wertvolles Material für den nächsten Kreislauf bereitstellt. Bleibt noch der Trost, dass sich die Papierflasche vielleicht auf dem Weg ins Meer auflöst.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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