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Kreislaufwirtschaft: Laufschuhe aus exotischen Bohnen

Hoffentlich wird es bald normal sein, dass wir gebrauchte Produkte an die Hersteller retournieren – weil Kreislaufwirtschaft nur so funktionieren kann. Das Projekt „Circular Design Rules“ formuliert neun Eckpunkte für ein zukunftsfähiges Design.
26. Oktober 2021 - Harald Gründl
Als Reaktion auf die Klimakrise verändern wir unsere Steuersysteme – CO2 bekommt in immer mehr Ländern einen Preis. Aber wie müssen wir Produktdesign (Industrial Design) verändern, um die Zerstörung und Ausbeutung unseres Planeten zu stoppen? Design lebt von Geschichten und Bildern: Elektroautos werden etwa klimaneutral hergestellt, indem die 14 Tonnen Kohlendioxid aus der Fertigung zum Diskontpreis durch ein Aufforstungsprojekt in Asien reingewaschen werden. Die Autositzbezüge sind aus Plastik, das aus dem Meer gefischt wurde. Bürostühle und Laptop-Gehäuse werden aus grauem, recyceltem Kunststoffmüll mit farbigen Einsprengseln hergestellt. Die Kunststofffasern von Laufschuhen sind aus exotischen Bohnen und werden nur mehr für eine bestimmte Zeit geliehen. Dann gehen sie zurück in die Fabrik, werden wieder zu neuen Fasern verarbeitet. Das Plastik von Vorratsbehältern für den Kühlschrank ist neuerdings aus Zuckerrohr.
Ein Nachfüllbeutel für Seife wird als Ökopionierleistung gefeiert, da vielleicht irgendwann einmal alle Kunststoff-Recyclinganlagen intelligent genug sein werden, um genau diese Verpackungen aus dem bösen anderen Müll rauszufischen und ihnen ein neues Leben einzuhauchen. Aus dem zukünftigen Sondermüll Windradflügel wird dekoratives Plattenmaterial für Möbel. Auf der Autoschau in München diesen Herbst trugen die Standbetreuer:innen eines nicht gerade für einen umweltfreundlichen Fuhrpark bekannten Herstellers weiße Leinengürtel mit der Aufschrift „reduce – reuse – recycle“. Das Show-Car ist wie der Laptop unlackiert und sucht hilflos nach einer Designsprache, die dem dringend notwendigen Paradigmenwechsel im Design gerecht wird. Eine Rundschau in die schöne neue Produktwelt.
Das österreichische Klimaschutzministerium hat mit der Wiener Wirtschaftsagentur ein Projekt unterstützt, das im Rahmen der Initiative New European Bauhaus kreislauffähiges Design (Circular Design) für Designer:innen und produzierende Unternehmen einfach zugänglich macht. In Form von neun Regeln – Circular Design Rules (CDR) – werden Eckpunkte für ein zukunftsfähiges Design formuliert. Die Regeln sind in drei unterschiedliche Bereiche gegliedert, welche unterschiedliche Maßstäbe der Kreislauffähigkeit abbilden: die kreislauffähigen Materialien, aus denen ein Produkt entsteht, die Komponenten, aus denen es zusammengesetzt ist, und das System, in dem kreislauffähige Produkte eingebettet werden müssen.
In den vergangenen Jahren sah man eine Beschäftigung mit dem Thema Material weniger auf dem Markt, mehr dafür im experimentellen Designforschungsumfeld. Material ist und muss zum Gegenstand von Gestaltung werden; nicht nur dessen sorgfältige Auswahl, sondern auch dessen Design: Ausgangsstoffe, Farben, Strukturen und Herstellmethoden. „Gestalte das Produkt aus erneuerbaren Materialien oder Rezyklat“: Die erste Regel gemeinsam mit der zweiten – „Gestalte das Produkt aus wiederverwendbaren oder abbaubaren Materialien“ – haben wir schon internalisiert. Doch Aussagen wie „100 Prozent recycelbar“ sind eher unrealistisch in den vorherrschenden Abfallwirtschaftsszenarien. So gilt der zerkleinerte Dichtschaum von Kühlschränken als recycelbar, weil man damit noch Öl aufsaugen kann. Eine seltsame Definition für Kreislaufwirtschaft. Für Materialien aus erneuerbaren Rohstoffen gilt jedenfalls, eine nachhaltige Bewirtschaftung zu berücksichtigen, und für Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, die Rivalität mit Nahrungsmittelanbauflächen nicht zu vergessen. Für „unverzichtbare“ Einwegprodukte gilt jedenfalls ein extrem hoher Rezyklat- und Wiederverwendbarkeitsprozentsatz.
Regel Nummer drei lautet: „Gestalte das Produkt mit wenigen Materialien.“ Eine einfache Regel mit großer Auswirkung. Am einfachsten kann man Produkte aus nur einem Material wiederverwerten. Vielleicht entstehen so auch interessante neue Designansätze.
Die zweite Regelkategorie appelliert an Designschaffende und Unternehmen, Produkte folgendermaßen zu denken: „Gestalte die Zerlegbarkeit des Produkts“ und: „Gestalte das Produkt modular“. Oft wird die einfache Zerlegbarkeit der einfachen Fertigungsweise geopfert. Ein trauriges Beispiel sind Schnappverschlüsse, die einfach zu fügen sind und beim versuchten Öffnen zu Beschädigungen des Erzeugnisses führen. Die Modularität des Produktaufbaus hilft beim Zerlegen, aber auch beim Reparieren und Wiederaufarbeiten und ist untrennbar mit Forderung Nummer sechs verbunden: „Gestalte Updates und Upgrades für das Produkt.“ Ein langes Leben wird in unserer schnelllebigen Technologiezeit lediglich durch entsprechende Produktverbesserungen und Anpassungen möglich.
Kreislauffähiges Design ist nur denkbar, wenn wir uns von der linearen Wirtschaftsweise verabschieden. Wir müssen gesamte Systeme denken. Es gibt kein Circular Design im linearen Geschäftsmodell „take – make – waste“. Herstellerverantwortung über die Garantiezeit hinaus und das Bereitstellen von Nutzen anstatt des Verkaufs von Produkten müssen die neue Leitlinie für Produktentwicklung und Design werden. Viele Erzeugnisse könnten in die Fabrik zurückgehen und die Hersteller daraus neue fertigen. Das würde sich auch schon heute auszahlen, lange bevor Materialien unleistbar und knapp werden. Mehr Servicedesign ist notwendig, um die folgenden beiden Regeln zu beachten: „Gestalte die Rücknahme des Produkts. Gestalte das Produkt als Service.“ Würden wir vom Design für den individuellen Statuskonsum übergehen zu einer geteilten Nutzung, wären zahlreiche Gegenstände vollkommen anders gestaltet. Nicht nur auf den Erstgebrauch, sondern auf die Nutzungsverlängerung zielt schließlich diese Regel: „Gestalte die Wiederverwendung von Produkten und Komponenten.“
Verkaufsplattformen im Internet helfen heute schon, unsere Verantwortung als Kreislaufgesellschaft wahrzunehmen und für nicht mehr verwendete Güter neue Nutzer:innen zu finden, Zweitmärkte mit „refurbished“-Produkten sind im Entstehen. All das muss aber noch verstärkt und zu Geschäftsmodellen jenseits der privaten Verwertungslogik ausgeweitet werden. Es wird normal werden, dass wir Produkte den Herstellern retournieren: nicht weil sie nicht passen oder gefallen, sondern weil eine Kreislaufwirtschaft nicht anders denkbar ist. Ein großer Möbelhersteller experimentiert schon damit. Die Kreislaufwirtschaft ist einfacher vorstellbar, wenn sie lokal verankert ist – dann schickt man Produkte nicht sinnlos quer über den Erdball. Das erfordert auch eine Denkumkehr vom wirtschaftlichen Erfolgsmodell der Globalisierung. Als Spielkarten gestaltet, wollen die CDR zu neuen Designlösungen inspirieren, die eine Kreislaufwirtschaft ermöglichen.
Ein Nachfüllbeutel für Seife wird als Ökopionierleistung gefeiert, da vielleicht irgendwann einmal alle Kunststoff-Recyclinganlagen intelligent genug sein werden, um genau diese Verpackungen aus dem bösen anderen Müll rauszufischen und ihnen ein neues Leben einzuhauchen. Aus dem zukünftigen Sondermüll Windradflügel wird dekoratives Plattenmaterial für Möbel. Auf der Autoschau in München diesen Herbst trugen die Standbetreuer:innen eines nicht gerade für einen umweltfreundlichen Fuhrpark bekannten Herstellers weiße Leinengürtel mit der Aufschrift „reduce – reuse – recycle“. Das Show-Car ist wie der Laptop unlackiert und sucht hilflos nach einer Designsprache, die dem dringend notwendigen Paradigmenwechsel im Design gerecht wird. Eine Rundschau in die schöne neue Produktwelt.
Das österreichische Klimaschutzministerium hat mit der Wiener Wirtschaftsagentur ein Projekt unterstützt, das im Rahmen der Initiative New European Bauhaus kreislauffähiges Design (Circular Design) für Designer:innen und produzierende Unternehmen einfach zugänglich macht. In Form von neun Regeln – Circular Design Rules (CDR) – werden Eckpunkte für ein zukunftsfähiges Design formuliert. Die Regeln sind in drei unterschiedliche Bereiche gegliedert, welche unterschiedliche Maßstäbe der Kreislauffähigkeit abbilden: die kreislauffähigen Materialien, aus denen ein Produkt entsteht, die Komponenten, aus denen es zusammengesetzt ist, und das System, in dem kreislauffähige Produkte eingebettet werden müssen.
In den vergangenen Jahren sah man eine Beschäftigung mit dem Thema Material weniger auf dem Markt, mehr dafür im experimentellen Designforschungsumfeld. Material ist und muss zum Gegenstand von Gestaltung werden; nicht nur dessen sorgfältige Auswahl, sondern auch dessen Design: Ausgangsstoffe, Farben, Strukturen und Herstellmethoden. „Gestalte das Produkt aus erneuerbaren Materialien oder Rezyklat“: Die erste Regel gemeinsam mit der zweiten – „Gestalte das Produkt aus wiederverwendbaren oder abbaubaren Materialien“ – haben wir schon internalisiert. Doch Aussagen wie „100 Prozent recycelbar“ sind eher unrealistisch in den vorherrschenden Abfallwirtschaftsszenarien. So gilt der zerkleinerte Dichtschaum von Kühlschränken als recycelbar, weil man damit noch Öl aufsaugen kann. Eine seltsame Definition für Kreislaufwirtschaft. Für Materialien aus erneuerbaren Rohstoffen gilt jedenfalls, eine nachhaltige Bewirtschaftung zu berücksichtigen, und für Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, die Rivalität mit Nahrungsmittelanbauflächen nicht zu vergessen. Für „unverzichtbare“ Einwegprodukte gilt jedenfalls ein extrem hoher Rezyklat- und Wiederverwendbarkeitsprozentsatz.
Regel Nummer drei lautet: „Gestalte das Produkt mit wenigen Materialien.“ Eine einfache Regel mit großer Auswirkung. Am einfachsten kann man Produkte aus nur einem Material wiederverwerten. Vielleicht entstehen so auch interessante neue Designansätze.
Die zweite Regelkategorie appelliert an Designschaffende und Unternehmen, Produkte folgendermaßen zu denken: „Gestalte die Zerlegbarkeit des Produkts“ und: „Gestalte das Produkt modular“. Oft wird die einfache Zerlegbarkeit der einfachen Fertigungsweise geopfert. Ein trauriges Beispiel sind Schnappverschlüsse, die einfach zu fügen sind und beim versuchten Öffnen zu Beschädigungen des Erzeugnisses führen. Die Modularität des Produktaufbaus hilft beim Zerlegen, aber auch beim Reparieren und Wiederaufarbeiten und ist untrennbar mit Forderung Nummer sechs verbunden: „Gestalte Updates und Upgrades für das Produkt.“ Ein langes Leben wird in unserer schnelllebigen Technologiezeit lediglich durch entsprechende Produktverbesserungen und Anpassungen möglich.
Kreislauffähiges Design ist nur denkbar, wenn wir uns von der linearen Wirtschaftsweise verabschieden. Wir müssen gesamte Systeme denken. Es gibt kein Circular Design im linearen Geschäftsmodell „take – make – waste“. Herstellerverantwortung über die Garantiezeit hinaus und das Bereitstellen von Nutzen anstatt des Verkaufs von Produkten müssen die neue Leitlinie für Produktentwicklung und Design werden. Viele Erzeugnisse könnten in die Fabrik zurückgehen und die Hersteller daraus neue fertigen. Das würde sich auch schon heute auszahlen, lange bevor Materialien unleistbar und knapp werden. Mehr Servicedesign ist notwendig, um die folgenden beiden Regeln zu beachten: „Gestalte die Rücknahme des Produkts. Gestalte das Produkt als Service.“ Würden wir vom Design für den individuellen Statuskonsum übergehen zu einer geteilten Nutzung, wären zahlreiche Gegenstände vollkommen anders gestaltet. Nicht nur auf den Erstgebrauch, sondern auf die Nutzungsverlängerung zielt schließlich diese Regel: „Gestalte die Wiederverwendung von Produkten und Komponenten.“
Verkaufsplattformen im Internet helfen heute schon, unsere Verantwortung als Kreislaufgesellschaft wahrzunehmen und für nicht mehr verwendete Güter neue Nutzer:innen zu finden, Zweitmärkte mit „refurbished“-Produkten sind im Entstehen. All das muss aber noch verstärkt und zu Geschäftsmodellen jenseits der privaten Verwertungslogik ausgeweitet werden. Es wird normal werden, dass wir Produkte den Herstellern retournieren: nicht weil sie nicht passen oder gefallen, sondern weil eine Kreislaufwirtschaft nicht anders denkbar ist. Ein großer Möbelhersteller experimentiert schon damit. Die Kreislaufwirtschaft ist einfacher vorstellbar, wenn sie lokal verankert ist – dann schickt man Produkte nicht sinnlos quer über den Erdball. Das erfordert auch eine Denkumkehr vom wirtschaftlichen Erfolgsmodell der Globalisierung. Als Spielkarten gestaltet, wollen die CDR zu neuen Designlösungen inspirieren, die eine Kreislaufwirtschaft ermöglichen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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