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Funktionale Ästhetik
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Egon Eiermann als Designer

6. Oktober 1999 - Karin Leydecker
Er war ein Meister des markigen Wortes und ein streitbarer Prophet der «konstruktiven und funktionalen Klarheit». Egon Eiermann (1904- 1970), einer der Grossen in der deutschen Nachkriegsarchitektur. Demonstrative «Haut-und- Knochen-Architektur» war sein Markenzeichen, und funktionale Ästhetik war sein Credo. Gemeinsam mit Sep Ruf schuf er den Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel (1957/58) und schrieb mit Bauten wie der Kaiser- Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin (1957-63), dem «Langen Eugen» in Bonn (1965-69) oder den Olivetti-Türmen in Frankfurt am Main (1972) deutsche Architekturgeschichte.

Dass Eiermann auch ein ganz wichtiges Stück der deutschen Designgeschichte nach 1945 mitgeschrieben hat, zeigt nun das Badische Landesmuseum Karlsruhe in einer reizvollen Möbelschau: Etwa 70 Entwürfe dokumentieren im Museum beim Markt seine unermüdliche Auseinandersetzung mit dem Thema Wohnen. Die Möblierung gehörte für Eiermann zum Gesamtkonzept eines Hauses. Der Zusammenklang von aussen und innen war deshalb Aufgabe des Architekten und keine «Angelegenheit für Dekorateure». So hat Eiermann beispielsweise beim Bau des Hauses Hesse in Berlin-Lankwitz (1931) seine These so überzeugend vertreten, dass das Bauherrenehepaar die alten Möbel kurzerhand verkaufte und sich à la Eiermann einrichtete.

Eiermann entwarf einfach alles: Aschenbecher, Lichtschalter, Kleidungsstücke und Teppichmuster - oft rasch auf Speisekarte und Tischdecken skizziert. Aber sein Lieblingsthema waren Sitzmöbel: sauber und ökonomisch konstruiert, ergonomisch und ganz unprätentiös in der Optik. Die Karlsruher Ausstellung spannt den Boden über sämtliche Entwurfsphasen: von der expressiven «Jugendsünde» (Eiermann) der «Bewag»-Möblierung von 1928 bis zu den erfolgreichen Serienproduktionen der Nachkriegszeit. Ein besonderer Verkaufsschlager war das weltweit vertriebene Stuhlmodell «SE 18»: Allein 4000 Stück dieses hölzernen Klappstuhls bestellte in den fünfziger Jahren die Stadt Bern.

Die ablesbare Konstruktion lag Eiermann am Herzen: Sessel mit sichtbaren Rahmenhölzern und Gurten, auf denen lose Sitzkissen lagen. Und er liebte die «Strippe»: überkreuzte Seilverspannungen, Flechtwerk und dicht verknotete Schnüre. Leicht wirkte das alles, unkompliziert und auf verblüffende Art selbstverständlich. Doch im muffigen Nachkriegsdeutschland, das gerade die martialische «Reichsheimstättenkultur» der NS- Zeit hinter sich gebracht hatte und schon wieder heimlich nach schwellenden Polstergarnituren lechzte, war das absolute Avantgarde.

Auch andere Entwerfer hissten die Fahne der «guten Form». Dennoch war das Gros der neuen deutschen Produkte auf den Möbelschauen in Stuttgart und Köln im Vergleich zu Skandinavien oder den USA dürftig. Um so aufsehenerregender wirkten damals Eiermanns Serienmöbel in Biegeholztechnik: Möbel aus plastisch durchformtem Sperrholz. Möbel für alle aus der Fabrik: «Gut, schön und billig.» Auf der Kölner Möbelmesse von 1952 waren die Klassiker erstmals zu bestaunen: Der dreibeinige Biegeholzstuhl «SE 3», der Klappstuhl «SE 18» und der Kollegstuhl-Evergreen «SE 68» mit Stahlrohrgestell. In unzähligen Varianten bis hin zur Kinderversion wurden diese Modelle immer wieder überarbeitet und optimiert. Auf den ersten Blick sind Ähnlichkeiten mit Entwürfen von Charles Eames nicht zu übersehen, aber der zweite Blick offenbart wesentliche Unterschiede der konstruktiven Details. Es kam Eiermann auch gar nicht darauf an, etwa ganz Neues zu erfinden. Entscheidend war für ihn, das Zukunftsweisende aufzugreifen und weiterzuentwickeln. In diesem Kontext stehen auch seine vom Schweizer Designer Willy Guhl inspirierten Experimente mit Kunststoffsitzen, die damals allerdings an der Tücke des unausgereiften Materials scheiterten.

Ganz charakteristisch für Eiermann ist immer wieder die Liebe zur Farbe und zum ungewöhnlichen Materialmix: Wie die Karlsruher Schau anschaulich dokumentiert, hatte er keine Angst vor Rot, Gelb, Blau! Spielerisch kombinierte er Teakholz mit knallrotem Polyester, verband filigranes Stahlrohr mit Weidengeflecht und montierte hölzerne Stelzbeine unter einen Baumscheibentisch Ganz frei und mutig war das alles, aber es passte immer. Aber Eiermann war nicht nur vom Funktionalismus beherrscht, er erlaubte sich auch seine Luxusgeschöpfe. Das waren die seit 1949 produzierten «Eierkörbe». Organisch weich geformte Korbsessel zum Träumen und Lümmeln. Handgefertigte Unikate, die sich damals zwar nur wenige leisten konnten, aber seine Version von «Form und Material aus einem Guss» als Idealbild verkörperten. (Bis 14. November)


[ Katalog: Egon Eiermann. Die Möbel. Hrsg. Badisches Landesmuseum Karlsruhe. Info-Verlag, Karlsruhe 1999. ISBN 3-88190-236-8. 174 S., DM 44.- (in der Ausstellung). ]

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