Artikel

Künstlerschweiß und Coladose
Künstlerschweiß und Coladose, Foto: Margherita Spiluttini
Künstlerschweiß und Coladose, Foto: Margherita Spiluttini
Spectrum

Stehen wir vor einer Wende in der Architektur? Was nützt das Herbeireden und Herbeischreiben, wenn die Architekten nicht weitertun? Nichtraucher und Nichttrinker debatierten aufs heftigste, wie es mit er Architektur weitergehen soll, und wurden dabei belauscht.

9. Oktober 1999 - Walter Zschokke
Der Berichterstatter konnte sich in letzter Zeit nur selten im Café Museum gemütlich hinsetzen, um dem Nichtraucher und dem Nichttrinker bei ihren Auslassungen zum aktuellen Architekturgeschehen zuzuhören. Weil er ihre Sager nicht ganz aus den Ohren verlieren wollte, hat er sich wieder einmal dazugesetzt, sich kundig zu machen. Wie in Wien nicht unüblich, definieren sich die beiden Kontrahenten dezidiert durch das, was sie ausdrrücklich nicht tun.

Nichttrinker:„Da war doch kürzlich eine Ausstellung über ein halbes Hundert Bauten in Österreich; und wenn ich mich richtig erinnere, lautete der Kommentar eines ernstzunehmenden Vertreters der Wiener Szene: ,Endlich haben wir in Österreich wieder einen Stil.‘ Dabei ist doch das Zeitalter der Stilkunst längst vorbei.“

Nichtraucher:„Da der Betreffende nikotnfrei lebt, schließe ich mich solidarisch seiner Meinung an. Ob eine breite Entwicklung als Stil identifizierbar wird oder ob sogenannte Stararchitekten seit 30 Jahren denselben Personalstil pflegen, ist unerheblich. Kommt eine Entwicklung ins Stadium eines Stils, ist es mit der Innovation vorbei. Stilexegeten verwalten nur mehr ein Schleifen am Ei. Seien dies nun die Neueinfachen mit faden Oberflächen und Lamellenkrankheit oder die High-Tech-Veteranen mit exhibitionistisch verschraubten Konstruktionen – letztendlich macht sich Langeweile breit.“

Nichttrinker:„Du machst die führenden Strömungen bloß aus Neid herunter. Je bekannter ein Baum, desto mehr Hunde lüpfen daran ihr Bein. Die Reinheit, ob in der Geometrie, der Konstruktion oder dem Material,dbildet in der Architektur einen Wert an sich. Das Streben nach absoluter Perfektion hat sie und ihre Schöpfer immer schon geadelt. Am meisten bewundert werden seit jeher jene Gebäude mit der reinsten Ausformulierung ihrer Architektur.“

Nichtraucher:„Interessanter sind allemal die Pionierwerke, weil daran die Entwicklung, quasi das fortschreitende Denken ablesbar ist. Man spürt dahinter die geistige Arbeit und kann das Wesen des Bauwerks besser nachempfinden.“

Nichttrinker:„Du möchtest wohl noch Künstlerschweiß riechen. Nein, diese Art Naturalismus lehne ich ab als schlechte Art, eigenes Unvermögen zu kaschieren. Da lobe ich mir jene Werke,wo die Anstrengung sublimiert ist, die in keiner Weise auf gehabte Mühen verweisen. Nur so ist ein wirkliches Genießen möglich, alles andere verursacht mir schon beim Anschauen Muskelkater.“

Nichtraucher:„Deine Anschauung ist oberflächlich und dringt nicht in tiefere Schichten eines Bauwerks ein. Wenn man die von dir gelobten Bauten befragt, repetieren sie nur Stereotypen. Weder erzählen sie etwas von sich, noch setzen sie Gefühle frei. Ihre Wirkung ist nicht nachhaltig. Erst eine bewegte Geschichte vermöchte sie aus ihrer Endlosschleife zu befreien. Eine vielschichtige Architektur, die mit dem täglichen Leben und Erlebender Menschen verknüpft ist, benötigt keine pathetische Stilisierung, deren Designer nur nach en pawlowschen Hunden in den Redaktionssesseln der Hochglanzmagazine schielen.

Da las ich doch kürzlich ein paar einleuchtende Sätze des Burgtheaterdramaturgen Stephan Müller, der sich als Fan von Schichten bezeichnet: ,Wie Goethe schon sagte, die Verschichtung ist wesentlich. Es gibt immer soundso viele Bedeutungsebenen. Und auch eine Theaterfigur wir immer interessanter, wenn neue Schichten aufgebrochen werden. Mein Credo geht in die Richtung, die Dinge so kompliziert anzuschauen, wie sie in Tat und Wahrheit sind. Theater funktioniert dann, wenn es gleichzeitig etwas Elementares anspricht, das ganz konkrete Alltägliche, und einen Durchstich schafft in etwas Rätselhaftes, Unbekanntes‘ („Schaufenster „Nr.38/ 1999). Damit wird das Ende der ,terrible simplification ‘eingeläutet.“

Nichttrinker:„Warum sollte das Theater der Architektur Erkenntnisse liefern. Architektur ist auf Dauer ausgerichtet. Mit ewigen Werten wie Geometrie und Proportionen sowie langlebigen Materialien wie Naturstein, Beton und Chromstahl, was auch als Ruine noch etwas hergibt. Derartige Bauwerke zu errichten, braucht es Stars, die das verharzte Regelgefüge der Baugesetze überwinden können und deren Personalstil gesicherte Publizität genießt. Nur noch Stars werden den europaweiten Kulturkampf überleben, die Absolventen mittelmäßiger Architekturschulen werden alle als Unselbständige in Großbüros verdümpeln.“

Nichtraucher:„Deine sogenannten Stars kochen doch auch mit Wasser. Besonders außerhalb der Metropolen. Bregenz ist nicht Luzern, und die verquetschten Cola-Dosen am Prager Moldauufer haben mit Bilbao schon gar nichts gemein. Sie sind vielmehr ein eklatantes Beispiel westlicher Überheblichkeit, die meint, für die unterentwickelten Osteuropäer würden zweit- und drittklassige Entwürfe ausreichen.

Vor allem können auch sogenannte Stararchitekten ein verfehltes städtebauliches Nutzungskonzept nicht retten. Das wird sich beispielsweise an den Wiener Gasometern zeigen, die ihre überragende städtebauliche Zeichenhaftigkeit verlieren werden, wenn sie nutzungsmäßig profaniert sind.

Man bedenke nur, was für ein tolles Technisches Museum dort mit Bahnanschluß und U-Bahn-Station möglich gewesen wäre. Dafür baut man daneben ein Kinocenter, was auch eine gescheite Nutzung für einen der Riesenkübel gewesen wäre. Hier liegt es im argen. Hier fehlen tragfähige Konzepte. Der Wille allein, ein besonderes Bauwerk zu errichten, das in den medialen Infight gehen kann, reicht nicht aus. Ohne konzeptionelle Basis können auch die Spin-Doktoren der Architektur nicht weiterhelfen.“

Nichttrinker:„Du weißt nicht, wovon du sprichst. Die neuen Medien und CAD werden die Architektur komplett umkrempeln. Da wird kein Stein auf dem anderen bleiben.“

Nichtraucher:„Gemach, gemach. Was nicht vorher als Konzept durchgdacht wurde, läßt sich auch nicht in den Computer tippen. Und warum sollte ich meine Freude beim Entwerfen ans Gerät abgeben? Wenn die Euphorien verflogen sind, werden die Ideen über die Implikationen des Arbeitsmittels – und mag es noch so dienstbar sein – die Oberhand behalten.“

Vegetarier (hat sich mittlerweile dazugesetzt): „Euer Streiten über gestrige Probleme ist ja rührend naiv. Die jungen Büros sind längst woanders. Sie arbeiten parallel mit Modellen, Zeichnungen und CAD, weil jede Darstellungsmethode im Prozeß der Konzept- und Formfindung ihre spezifischen Vorteile hat. Arbeitsmittel haben seit jeher dazu gedient, die Idee in verschiedenerlei Hinsicht zu überprüfen. Wem nichts einfällt, dem ist auch mit CAD nicht zu helfen.“

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: