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Poetischer Pragmatismus
Neue Zürcher Zeitung

Ein Gespräch mit dem Architekten Michael Schumacher

Die jungen Frankfurter Architekten Till Schneider und Michael Schumacher erregten mit der roten Info-Box am Potsdamer Platz in Berlin international Aufsehen. Gegenwärtig arbeiten sie an Projekten für einen Westhafen-Tower in Frankfurt und für das Museum Sachsenhausen. Mit Michael Schumacher sprachen Andrea Berndt und Christoph Schütte.

1. Oktober 1999 - Andrea Berndt
Vor kurzem sollen Sie die Info-Box als «das Bauwerk des Jahrhunderts» bezeichnet haben. Können Sie das näher erklären?

Natürlich spielt die Info-Box für uns eine wichtige Rolle. Ich würde Sie vielleicht als exotisches Objekt, aber nicht als Bauwerk des Jahrhunderts bezeichnen. Architektur muss für uns nicht unbedingt spektakulär sein, doch dort, am Potsdamer Platz, musste ein auffälliges Objekt entstehen, sonst hätte es sich nicht gegen diesen gigantischen Hintergrund behaupten können. Die Info-Box steht als Symbol für die optimistische Wendezeit und ist ein positives und fröhliches Gebilde.


Heisst das, die Info-Box ist für Sie an einem anderen Ort nicht denkbar?

Die Info-Box ist speziell für Berlin konzipiert. Ihr Platz ist der ehemalige Todesstreifen. Sie war nie geplant als verallgemeinerbares Marketinginstrument für Städtewerbung.


Wie hat sich der Erfolg der Info-Box auf Ihr Büro ausgewirkt?

In erster Linie hat sie uns viel Sympathie und positive Resonanz gebracht. Selbst in der Architektenszene. Sie ist offensichtlich ein Bauwerk, das populär funktioniert, aber auch vor der Fachpresse bestehen kann. Natürlich hat uns dies auch einen hohen Bekanntheitsgrad verschafft. Aber das ist durchaus ambivalent, denn wir wollen nicht einseitig als Architekten verstanden werden, die lustige, aufgeständerte Gebäude bauen.


Gibt es für Sie Projekte, die Sie bevorzugen?

Für uns hat jede Aufgabe ihren Reiz, da gibt es keine Lieblingsprojekte. Wir machen konzeptionelle Architektur, das heisst, die konkrete Problemlösung steht im Vordergrund. Alle unsere Projekte sollen aber auch etwas Neues, einen besonderen Kick erhalten und immer der Vorgabe des menschenfreundlichen Bauens entsprechen.


Sie haben soeben den Wettbewerb für das Museum Sachsenhausen in Brandenburg gewonnen. Wie sind sie an die Arbeit herangegangen? Ein ehemaliges KZ und ein sowjetisches Internierungslager auf demselben Gelände - dies ist ein emotional sehr stark besetztes Thema.

Natürlich. Hier sind weder alberne Attitüden noch Kunstfertigkeiten verlangt, die davon ablenken, wo man sich hier befindet und worüber man nachdenken soll. Für uns war aus architektonischer Sicht wichtig, ein Gebäude zu kreieren, das eine angemessene Stimmung erzeugt.


Wie haben Sie diese Aufgabe gelöst?

Wir haben ein lapidares Rechteck aus Beton entworfen. Der einzige «Detailtrick» hierbei ist, dass die Mauer poliert wird und so leicht die ehemaligen KZ-Baracken reflektiert. Dadurch hebt sich der Bau ab und entmaterialisiert sich. Für dieses Thema wollten wir eine wohldosierte architektonische Antwort finden.


Was halten Sie von den allgemeinen Tendenzen in der Architektur?

Ich halte unsere Zeit für architektonisch nicht sehr dramatisch. Die Tendenz der «Neuen Einfachheit», das Reduzierte, muss sich natürlich immer darum sorgen, dass es nicht ärmlich oder zu sensationslos wirkt. Einfachheit dokumentiert mitunter nur Einfallslosigkeit.


Wie gefällt Ihnen die Frankfurter Skyline?

Ich halte die Frankfurter Hochhauslandschaft für ausserordentlich qualifiziert. Mir als Architekt ist die grosse Liebe der Frankfurter zum Messeturm nicht ganz verständlich: reine Kosmetikarchitektur nach amerikanischem Rezept. Aber als Wahrzeichen funktioniert er ganz gut. Mir gefällt der Foster-Bau, er zeigt den hervorragenden Ansatz, eine neue Raumqualität in den Turm zu übertragen. Allerdings wirkt er etwas gedrungen. Insgesamt weist Frankfurt eine Reihe sehr schöner Hochhäuser auf. Wir würden natürlich gerne unseren «Kleinen» hinzuaddieren.


Der soll ja wohl im Westhafen stehen. Der Bebauungsplan für das geplante Viertel geht auf Ihre Pläne zurück. Was war Ihr Ansatzpunkt?

Unsere Aufgabe war es zunächst, den Übergang vom grünen Uferbereich zum eigentlichen Westhafen zu gestalten. Da sich unser eigenes Büro hier befindet, kennen wir die Gegend sehr gut. Wir haben gesagt, der Übergang bleibt da, wo er jetzt ist, und an diese Stelle gehört ein zylindrischer Turm, der an die Frankfurter Warten erinnert. Gemeinsam mit zwei weiteren kommerziell genutzten Gebäuden bildet er in unserem Entwurf den Übergang zum Hafen, der durch eine Wohnbebauung charakterisiert ist.


Wodurch zeichnet sich Ihr Turm aus?

Der Westhafen-Tower ist ein markanter Entwurf geworden, und das muss ein Hochhaus auch sein. Schliesslich ist das eine eitle Bauaufgabe. Aber darüber hinaus zeichnet sich unser Turm dadurch aus, dass er wirtschaftliche, belüftungstechnische und ökologische Aspekte ohne riesigen Aufwand verbindet. Ob er jedoch realisiert wird, ist ungewiss. Wir würden ihn schon gerne bauen, aber eine Entscheidung kann erst fallen, wenn ein Bauherr feststeht.


Manche befürchten, dass sich das neue Westhafenviertel schlecht mit seiner Umgebung vertragen wird. Es gibt Stimmen, die sagen: «Da ziehen dann die Yuppies hin, und die Alteingesessenen haben das Nachsehen.» Wie sehen Sie das?

Ich denke, das sollte zu keinen grossen Konflikten führen. Der Turm und das Viertel bringen für die Umgebung keine Nachteile, im Gegenteil. Sie sind eigentlich von der ganzen Soziologie her vernünftig. Die Yuppies können vorne auf der Mole wohnen. Warum sollen sie nicht auch hier um die Ecke einkaufen, wen soll das dann stören? Die Entwicklung des Westhafenviertels wird niemanden aus der Gegend vertreiben.


Sie bezeichneten das Hochhaus als eitle Bauaufgabe. Sind Architekten eitel, wenn gesagt wird, jeder Architekt wolle gerne seinen Turm bauen?

Natürlich sind Architekten eitel, auch ein Hochhaus könnte man so charakterisieren, denken Sie an den phallischen Aspekt. Es ist weithin sichtbar, und damit ist von entscheidender Bedeutung, wie es sich darstellt. Wir Architekten sind es, die es in Szene setzen. Und gerade hier in Frankfurt, da denkt man schon, wo kommt denn jetzt unser Turm hin?


Wie verträgt sich diese Eitelkeit mit Ihrem doch eher konzeptionellen Ansatz, für ein spezifisches Problem die optimale Lösung zu finden?

Ich sehe da keinen Widerspruch. Natürlich legen wir Wert auf Gestaltqualität, und der ästhetische Aspekt ist für uns durchaus von Bedeutung, auch was die räumliche Einbettung eines Bauwerks angeht. Aber die Details ergeben sich primär aus der Logik des Materials. Das ist wichtiger als formale oder philosophische Kriterien. Es geht uns nicht so sehr um das Künstlerische, aber es gibt eine Poesie, die man auch mit guten technischen Leistungen erreichen kann. Ich würde das poetischen Pragmatismus nennen. Ein Gebäude zu schaffen, das zu etwas dient und gleichzeitig einen Aspekt zu finden, der dieses Gebäude über das Praktische hebt. Aber so nahe am Praktischen, wie es geht. Je näher, desto besser wird es.


Ein solcher Aspekt scheint uns Ihre Treppenhausgestaltung zu sein. Sie spielt bei Ihren Bauten eine ästhetische Hauptrolle.

Das ist tatsächlich ein Beleg für unsere Philosophie. Ein Treppenhaus ist notwendiger Teil eines Gebäudes, der aber gestalterischen Spielraum zulässt. Dieses so weit zu überhöhen, dass man poetische Elemente erhält, ist eine reizvolle Aufgabe. Aber wir gehen nicht von der künstlerischen Seite an eine Aufgabe heran, auch wenn wir natürlich schöne Räume schaffen wollen.


Was sehen Sie als Herausforderung an, und was würden Sie gerne einmal bauen?

Ich würde gerne einmal eine Kirche bauen. Bei einem solchen Bauwerk kommt es entscheidend auf das Raumgefühl an. Hier werden spezielle gestalterische Leistungen vom Architekten verlangt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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