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Von der Überheblichkeit malerischer Bilder
Der Standard

Der Sommer ist nicht nur Urlaubszeit, sondern auch Hochsaison von Villen, Chalets und luxuriösen Kleinoden in unberührter Natur. Doch was reizt uns bloß so daran, Monumente in die Landschaft zu setzen? Ein innerer Dialog mit Adolf Loos.

21. Juni 2025
Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne. „Das Wesentliche an diesem Projekt ist die Verschiebung von Horizonten, was den Betrachter in Erstaunen versetzt“, heißt es auf der Website des Südtiroler Büros Network of Architecture, kurz NOA. „Ein Gefühl der Fremdheit, es fühlt sich an wie ein Abstieg ins Erdinnere, bei umgekehrten Polen.“ Mit dem Projekt „Hub of Huts. The Village Upside Down“ mit drei Satteldachhäuschen nach oben und fünf, die kopfüber hängen, hat das Hotel Hubertus in Olang einen neuen Spa-Bereich mit Pool und Sauna dazubekommen – und eine Instagram-Ikone noch dazu. Das Bild ging tausendfach um die Welt.

Achte auf die Formen, in denen der Bauer baut. Denn sie sind Urväterweisheit, geronnene Substanz. „Der Bauherr meinte, wir sollen uns so richtig was trauen und gerne was ganz Verrücktes vorlegen“, erinnert sich Barbara Runggatscher, Partnerin bei NOA. „Und das tun wir gerne, denn wir wollen mit jedem neuen Projekt eine Geschichte erzählen. Das Weiterdenken und Weitererfinden von Traditionen, das Ausreizen von Grenzen ist die DNA von uns Architektinnen, das ist unser Job. Gerade in einer Welt, die voll von jederzeit konsumierbaren Bildern ist, braucht es Wahrzeichen mit Wiedererkennungswert.“

Baue so gut als du kannst. Nicht besser. Überhebe dich nicht. Die Natur zu überbieten, sich mit ihr zu messen, dramatische Sehenswürdigkeiten in die unberührte Landschaft hineinzusetzen oder zumindest auf jene letzten Grundstücksreserven, die auf Fotos und Renderings im gezeigten Blickwinkel unangetastet scheinen, ist zum jüngsten Wettbewerb innerhalb der planenden Zunft geworden. Sehr oft – so wie im Fall des Hotels Hubertus in Südtirol – auf dezidierten Wunsch der Bauherrschaft.

Der Mensch, der sich malerisch kleidet, ist nicht malerisch, sondern ein Hanswurst. Neben dem Steirereck am Pogusch hat das Salzburger Büro Studio Precht unter dem Titel Bert schicke, schindelverkleidete Baumhäuser in den Wald hineingebaut. Im Hotel Krallerhof in Leogang hat der Hamburger Architekt Hadi Teherani ein Wellness-Resort namens Atmosphere errichtet, das sich wie eine schwangere Auster aus der Topografie herauswölbt. Und in Kitzbühel plant der Mailänder Architekt Peter Pichler echt schöne, wenngleich viele Fragen aufwerfende Vertical Chalets, die sich auf Fachwerk-Stümpfen über die Baumwipfel erheben.

Menschenwerk darf nicht mit Gotteswerk in Wettbewerb treten. „Die Bergwelt ist so groß und so mächtig, dass es lächerlich wäre, sich mit welcher Architektur auch immer dagegenzustellen“, sagt Peter Pichler im Gespräch mit dem ΔTANDARD und schlussfolgert: „Man muss sich unterordnen. Doch die richtige Balance zu finden, irgendwo zwischen Anpassung und Neuinterpretation, das ist eine Gratwanderung. Wenn das gelingt, dann gelingt uns auch eine Evolution der Tradition.“

Die Ebene verlangt eine vertikale Baugliederung; das Gebirge eine horizontale. Dass eine nicht überschwängliche Weiterentwicklung der lokalen Bautradition bestens gelingen kann, beweist die von ihm geplante Oberholz-Berghütte in Obereggen in den Dolomiten. Von innen eine hölzerne Kathedrale, die sich Richtung Tal dreischiffig auseinandergabelt und schließlich über die Hangkante hinausschießt, von außen eine großteils unterirdische Struktur, die zwischen Stein und Geröll als flacher, blechverkleideter Dachfirst in Erscheinung tritt.

Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Hoch oben auf der Hungerburg wiederum, mit einem imposanten Ausblick auf Innsbruck, haben Delugan Meissl Associated Architects (DMAA) ein futuristisches Wohnhaus entworfen, das sich in den Hang hineinduckt und mit seinen kantigen, geböschten, steinverkleideten Flächen an eine kalifornische John-Lautner-Villa aus den Siebzigerjahren erinnert. Die Studie im Auftrag eines lokalen Projektentwicklers ist kein Bauen auf der grünen Wiese, sondern ein Ersatzneubau anstelle eines bereits bestehenden Hauses.

Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten. „Und wir finden, dass wir mit diesem Projekt die Landschaft nicht zerstören, sondern eigentlich sogar reparieren“, sagt Martin Josst, Partner bei DMAA. „Die Kubatur ist gering, das Haus verschwindet in der Topografie, von der Entfernung aus betrachtet wird es sich unsichtbar in die Vegetation hineinschmiegen.“ Im Internet wartet das Projekt Elysion als „Insel der Seligen“, als „Ort der Glückseligkeit“, wie es auf der Homepage des Developers heißt, schon seit 2021 auf finanziell potente Bau- und Wohnwillige.

Die Wahrheit, und sei sie Hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr innere Zusammenhänge als die Lüge, die neben uns schreitet. „Im alpinen Raum hat sich über lange Zeit eine Typologie spezifischer Bergbauten entwickelt, die heute unter neuen Vorzeichen fortgeschrieben wird“, sagt Anita Aigner, Assistenzprofessorin für Gestaltung an der TU Wien. „Standen früher Erschließung und alpine Infrastruktur im Vordergrund, so geht es heute um Exklusivität, um das Privileg am unverbauten Ausblick, um die Kapitalisierung der wenigen noch unverbauten Landreserven.“

Sei wahr! Die Natur hält es nur mit der Wahrheit. „Interessant bei alledem ist, wie das alpine Bauen heute an die fotografische Praxis geknüpft ist“, so Aigner. „Nicht mehr die Landschaft, sondern die aufmerksamkeitsheischende Architektur selbst wird zum Motiv. Auch das Naming ist wichtiger denn je. Global Luxury Language soll den Wunsch nach Veraußeralltäglichung befeuern, frei nach Max Weber, man soll sich nach dem Himmel, nach dem Elysium, nach der Insel der Seligen sehnen.“ Die 2024 errichtete Villa Cloud P am Faaker See, namentlich geadelt nach den Initialen von dessen Erbauer Peter Pichler, wartet auf Willhaben.at immer noch auf Käufer. Drei Wohnungen sind noch zu haben, die billigste für 1,97 Millionen Euro, die größte für knapp 4,4 Millionen Euro.

[ Die Zitate von Adolf Loos stammen aus dem Text „Regeln für den, der in den Bergen baut“, erschienen 1913. ]

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