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Bauwerke der faschistischen Ära: Roms Kolosseum zum Quadrat
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Die Faschisten wussten um die Wirkmacht von Architektur, ein Glanzpunkt sollte die Weltausstellung 1942 werden – zu der es aber nie kam. In einem damals eigens errichteten Gebäude sitzt heute eine Modefirma: im Palazzo della Civiltà Italian.

30. Juli 2025 - Harald A. Jahn
Vor exakt hundert Jahren, 1925, begann in Italien die Einparteiendiktatur, Vorbild für Hitlerdeutschland, aber auch für Österreichs Ständestaat. Während dieser bei den Versuchen, historische Legitimität zu konstruieren, Berufsstände und die Kirche heranzog, schöpfte Benito Mussolini „aus dem Vollen“: Ein drittes Rom sollte entstehen, nach dem imperialen Rom der Antike und dem Rom der Päpste sollte es nun das Rom des Faschismus werden.

Die Architektur war das Fundament, auf dem die neue „politische Religion“ gebaut werden sollte. Wie beim Bau der Kathedralen sollte damit die Volksgemeinschaft überhaupt erst geschaffen werden. Während die Architektur des Dritten Reichs aber vor allem schwerfällig wirkt, schufen die Rationalisten in Italien modernistische, reduzierte Varianten des antiken Erbes. Und während die Nazis gegen die Neue Sachlichkeit polemisierten, baute Giuseppe Terragni 1936 mit der „Casa del Fascio“ in Como ein Meisterwerk: vier unterschiedliche asymmetrische Stahlbeton-Rasterfassaden, transparent und luftig. Heute werden die verbliebenen grauen Nazibauten in Deutschland als ungeliebte Altlast empfunden, in Italien dagegen die Bauwerke der faschistischen Ära gefeiert.

Auftakt für den Abessinienkrieg

Früher als Hitler hat Mussolini nicht nur die Wirkmacht der Architektur, sondern auch die des Städtebaus erkannt. Er ließ das Forum Romanum von späteren, „parasitären Bauten“ befreien und neue Straßenachsen anlegen; zugleich wurden einige im Weg stehende antike Baudenkmäler entsorgt. Der Glanz des römischen Imperiums sollte aus den Jahrhunderten des Verfalls herausgeschält werden, in ganz Italien wurde abgerissen wie noch nie, die Städte wurden umgebaut: glatt, modern, autogerecht, monumental.

Einen Höhepunkt sollte der faschistische Urbanismus mit einer Weltausstellung im Süden von Rom finden. Ab 1938 wurde an der Esposizione 1942 gearbeitet, als Bezeichnung ist heute EUR (Esposizione Universale di Roma) gebräuchlich. Der Grundriss beruft sich auf antike Stadtgründungen, mit Hauptachsen in annähernder Nord-Süd- sowie Ost-West-Orientierung. Entworfen wurde das urbanistische Gesamtkonzept von Marcello Piacentini, dem wichtigsten Architekten Mussolinis. Anders als bei früheren Weltausstellungen sollten die Gebäude dauerhaft genutzt werden, die Planung vergab man nach Wettbewerben an Stararchitekten.

In der ersten Bauphase begannen die Arbeiten am Kongresspalast, am Staatsarchiv, an der Basilika St. Peter und Paul, am Museum der römischen Zivilisation und am symbolischen Hauptgebäude, dem Palazzo della Civiltà Italiana. Dieser Palast der italienischen Zivilisation ist das spektakulärste Objekt des Viertels: das „quadratische Kolosseum“, von Piacentini als ikonisches Symbol des Faschismus entworfen. Die Anzahl der Bögen (sechs Geschoße, neun Achsen) entspricht den Buchstaben im Namen Benito Mussolini; das letzte Geschoß hat keine Öffnungen, um Platz für ein eingemeißeltes Zitat aus einer Rede zu zeigen, die den Auftakt für den Abessinienkrieg markierte: „Ein Volk der Dichter, der Künstler, der Helden, der Heiligen, der Denker, der Wissenschaftler, der Seeleute, der Wanderer“. Verkleidet ist der Palast mit Travertin, ein bewusster Bezug auf das traditionelle Baumaterial der Tempel im antiken Rom.

Die Weltausstellung wurde nach dem Kriegseintritt Italiens allerdings abgesagt, ab 1943 ruhten die Bauarbeiten, ein Areal unfertiger Bauruinen blieb zurück. Erst in den 1950er-Jahren wurden die Arbeiten wieder aufgenommen – konsequenterweise erneut unter der Leitung von Piacentini. Mit den Olympischen Spielen von 1960 wurde das Stadtviertel populär. Seither wuchs es zum Finanz- und Wirtschaftszentrum der Hauptstadt, neue Hochhäuser kamen hinzu, und hier entstand zuletzt das größte römische Gebäude seit Jahrzehnten: Das vom Studio Fuksas entworfene Konferenzzentrum „The Cloud“ übernimmt die Dimensionen und Proportionen von EUR, eine gigantische Freitreppe führt unter das Straßenniveau und mündet in einem fast 50 Meter hohen Glaskubus, in dem eine transluzide Wolke schwebt.

Schwächen der Reißbrettarchitektur

Heute hat das EUR-Viertel einen guten Ruf, um den künstlichen See sind Wohnbauten entstanden, die Nachbarschaft wirkt lebendig, die Erdgeschoßzonen sind belebt. Der Kontrast zum faschistischen Stadtplanungsideal einige Blocks weiter nördlich offenbart die Schwächen der Reißbrettarchitektur: Die Geometrie der Plätze ist beeindruckend, aber erbarmungslos. Die Freiräume dienen hauptsächlich als Parkplatz, für den Fußgänger wird die Wiederholung der immer gleichen detailarmen Architekturmotive rasch eintönig. Dabei hat die Bevölkerung, im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum, ein anderes Verhältnis zur faschistischen Vergangenheit. Eine Hitlerbüste im öffentlichen Raum wäre in Berlin undenkbar, am Flachrelief des Palazzo degli Uffici stößt sich niemand: Hier wird die Geschichte Roms von der Gründung bis zum Faschismus dargestellt, ein reitender Mussolini wird von Arbeitern bejubelt. Vor dem Gebäude grüßt die Bronzestatue „Il Genio dell’Fascismo“, mit einigen Bronzebändern notdürftig zum „Il Genio dello Sport“ umdekoriert.

Spricht man mit den Menschen im Viertel, stößt man auf gelassenes Desinteresse. „Das ist eben die Vergangenheit, das römische Imperium, und die Päpste waren auch nicht zimperlich. Wir haben damit kein Problem. Hin und wieder kommt es zu Kontroversen, die im Keim ersticken, aber im Grunde wissen wir, dass es Teil unserer Geschichte ist, auch wenn sie nicht gerade erfreulich ist“ – das ist der Grundtenor, den man im Caffè an der Viale Europa hört. Derweilen flirren die Bögen des Palazzo della Civiltà Italiana wie in einem Bild von Giorgio de Chirico; heute ist das „quadratische Kolosseum“ ganz banal an die Modefirma Fendi vermietet. Vom Markennamen angelockt, versucht eine einsame Influencerin, etwas für ihren Insta-Kanal zu finden, ein Arbeiter in grellbunter Funktionskleidung zupft Unkraut von der Freitreppe. Durch ein offenes Fenster ist ein Blick ins Erdgeschoß möglich, hinter den pathetischen Bögen stehen Flipcharts und billige Büromöbel: Hinter den Fassaden ist die Welt der Mode wenig glamourös, und Mussolinis Architektur, seinerzeit Kulisse für die Eroberung der Welt, wirkt plötzlich erstaunlich banal.

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