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Architekten sollen kommunizieren
Der Standard

Im Gespräch mit Franziska Leeb äußert sich der Architekt Ben van Berkel über sein Berufsbild, sein Vereinigtes Netzwerk und die „tiefe Planung“ als Ping-Pong zwischen digitaler, virtueller und greifbarer menschlicher Information.

25. September 1999 - Franziska Leeb
Seit 1988 realisierte das Amsterdamer Architekturbüro Ben van Berkel und Caroline Bos zahlreiche international beachtete Projekte wie die Erasmusbrücke in Rotterdam, das Umspannwerk im niederländischen Amersfoort oder die Architekturgalerie Aedes Ost in Berlin. In Österreich haben Van Berkel & Bos die Wettbewerbe für das Grazer Musiktheater und das Umspannwerk in Innsbruck gewonnen. Ende letzten Jahres gründeten sie das UN Studio (United Network) und diesen Sommer stellten sie die dreibändige Publikation MOVE (siehe Kasten) vor. Die bereits fix scheinende Berufung Ben van Berkels an die Grazer Architekturfakultät wurde überraschenderweise von der Universität noch nicht bestätigt. Bleibt abzuwarten, wann und woher sich die steirische Architekturschule nun frischen, internationalen Wind holen wird.

DER STANDARD: Van Berkel & Bos ist mittlerweile ein architektonisches Markenzeichen. Wollen Sie das nun durch das neue UN Studio ersetzen?

Ben van Berkel: Van Berkel & Bos existiert weiterhin. Mit dem UN Studio haben wir eine neue Firma, besser gesagt ein Netzwerk, gegründet, das nach völlig neuen Grundsätzen operiert. Unter Van Berkel & Bos laufen andere Aktivitäten, wie zum Beispiel unsere publizistische Arbeit oder Ausstellungen. Als wir UN Studio gründeten, hatten wir etwas Angst, dass die Namensänderung vielleicht nicht akzeptiert werden würde, merken nun aber, wie gut sie aufgenommen wird. In einem Jahr gibt es möglicherweise nur noch das UN Studio.

Weist der neue Name auch auf eine neue Interpretation von Autorenschaft hin?

BvB: Ja, zumindest in dem Sinn, dass wir an ein Konzept des Berufes glauben, das sich von der klassischen Arbeitsweise abhebt. Natürlich ist es weiterhin der Architekt, bei dem alle Fäden zusammenlaufen und der entscheidet, wie ein Projekt im Detail bewältigt werden muss. Unsere Strategie ist ein kooperativer Prozess, in dem ich ähnlich einem Dirigenten agiere, der sich innerhalb des Orchesters bewegt - wie zum Beispiel John Cage - und nicht davor steht. UN Studio funktioniert ein bisschen so wie die DreamWorks Studios von Steven Spielberg. Wir möchten auch Leute anderer Disziplinen in unser Netzwerk aufnehmen. Wir haben bereits Grafikdesigner, die bei uns zusätzlich ihren eigenen Aktivitäten nachgehen und nicht von mir abhängig sind.

Wie groß ist bei dieser Bürostruktur die Gefahr, die Kontrolle zu verlieren?

BvB: Unserer Meinung nach eröffnet sie dem Architekten einen tieferen Zugang zu seinem eigenen Beruf und zu anderen Disziplinen. Der Architekt wird zum Mediator, zu einem public scientist, der im Spannungsfeld von Politik und Öffentlichkeit agiert und gegebenenfalls vermittelt.

Ihr neues Buch MOVE wird als Manifest betrachtet. Ist es ein Manifest für eine neue Architektur oder für einen neuen Architekten?

BvB: In erster Linie geht es um eine neue Auffassung des Berufes, es ist also eher ein Manifest zur Praxis, wobei wir nicht dogmatisch vorgehen. Wir sagen vielmehr, dass wir unsere eigene Politik, Architektur zu machen und Projekte zu organisieren, überdenken müssen. Wenn wir mit großen städtebaulichen oder öffentlichen Projekten beauftragt werden, haben wir mit unterschiedlichen Kunden zu tun. Der Einsatz neuer Kommunikationstechniken kann beitragen, Auftraggebern und Politikern Projekte besser zu veranschaulichen und Zusammenhänge zu verdeutlichen. Wir sind sehr daran interessiert herauszufinden, wie neue Technologien die Projektorganisation beeinflussen können. Es geht also nicht nur darum, Stimulator für eine andere Position des Architekten zu sein oder Dinge einfach neu zu benennen.

Drei Arbeitstechniken werden in MOVE besonders hervorgehoben: Diagramme, Hybridisierung und Mediation.

BvB: Die Mediation ist am wichtigsten, weil sie alle anderen Techniken und Disziplinen miteinbezieht. Wir haben nur die Bereiche der diagrammatischen Darstellung (die losgelöst von linearer Darstellung oder Sprache präzise Aussagen zu funktionalen Anforderungen zulässt) und die Hybridisation (Anm.: die Fusion von Konstruktion, Materialien, Wegführung, Raum) im Buch näher ausgeführt. Wir könnten noch über fünf andere Techniken reden.

Zu den Slogans des UN Studio zählt auch „Deep Planning“. Was bedeutet das?

BvB: Ein Deep Plan beinhaltet Infrastruktur, Städtebau, Ökonomie, Konstruktion und den Faktor Zeit. Vereinfacht ausgedrückt veranschaulicht der Deep Plan, wie das Leben, das Schlafen und das Arbeiten innerhalb von Städten funktioniert, und er läßt Untersuchungen zu, welche Infrastruktur welche Auswirkung auf das gesamte Programm hat. Wichtig ist, dass es ein ständiges Ping-Pong zwischen digitaler, virtueller und greifbarer menschlicher Information bleibt. Wir möchten uns nicht auf die völlig abstrakte Computerebene beschränken.

Das Bild, das Sie vom Architekten zeichnen, ist das eines Generalisten.

BvB: Wir arbeiten in so vielen Bereichen, auch sozial und politisch. Wie die wunderbare Situation in Holland zeigt, hat Architektur großen Einfluss auf das Alltagsleben. Jede Art von Lifestyle, bestimmte Rituale, das Alltagsleben stehen in enger Beziehung zu Architektur und Städtebau und sollten analysiert und verstanden werden.

Ist dieses Selbstverständnis von Architektur spezifisch für die Niederlande?

BvB: Wahrscheinlich ist die Situation hier sehr gut, weil wir die Unterstützung der Politik haben. Die Stadtpolitiker gehören meiner Generation an und trachten nach zeitgemäßen Veränderungen. Aber ich fürchte, dass in Holland vieles zu sehr nach ökonomischen Gesichtspunkten gesehen wird. Die soziale Situation ist gut, und es herrscht eine unglaubliche Dynamik. Doch wir betreiben zu wenig Forschung, und das ist meine Kritik an den Architekten hier in Holland. Sie produzieren nur Produkte. Im UN Studio wenden wir fünfzig Prozent unserer Arbeit für Forschung auf.

Das ist aber alles unbezahlte Arbeit.

BvB: Das meiste davon, ja. So gesehen sind wir eine Non-Profit-Organisation. Ein Architekt muss natürlich auch überleben, und wir wissen eigentlich ganz gut, wie.

Was beabsichtigten Sie mit der Publikation von MOVE?

BvB: Es ist vor allem ein Tagebuch, über das wir in einen Kommunikationsprozess treten und unsere Arbeitsweise darlegen möchten. Architekten sollten mehr kommunizieren und eine offene Diskussion über ihr Tun zulassen. Ein Architekt ist wie ein Politiker. Wir verantworten eine Menge an Geldern, haben Einfluss auf den öffentlichen Raum und sollten uns daher in einem kritischen Feld bewegen. Ich schätze Kritik. Das schärft die Positionierung und bringt uns weiter.

Soll das neue Rollenbild auch in die Lehre an den Universitäten eindringen?

BvB: Meiner Ansicht nach sollte sich die Ausbildung mit den aktuellen Veränderungen des Marktes, mit neuen Bautechnologien und Produktionsbedingungen intensiv auseinandersetzen. Studenten und angehende Architekten müssen über alle neuen Planungsstrategien unterrichtet sein, um zu verstehen, wie sie den Beruf in Zukunft ausüben können.

Worauf würde sich Ihre Lehre konzentrieren?

BvB: Wichtig ist, dass die Studenten begreifen, was es bedeutet, für die Öffentlichkeit zu bauen. Ein anderer Schwerpunkt ist das Wissen über Materialien und ihre Eigenschaften. Studenten sollten auf einer Ebene ausgebildet werden, auf der es ihnen möglich ist, selbst forschend aktiv zu werden. Durch diese Art der Ausbildung können sie im Gegensatz zu den üblichen Lehrmethoden ihre individuellen persönlichen Fähigkeiten ent- decken. Traditionelles Basiswissen ist wichtig, aber noch wichtiger als technische Fähigkeiten ist das Wissen um die umfassende Qualität von Architektur.

Es geht also darum, neue Herangehensweisen an den Entwurf aufzuzeigen?

BvB: Ja, besonders wie die Vorstellungskraft durch neue Methoden stimuliert werden kann. Ich bin auch sehr an Prototypen von Raum-Zeit-Modellen interessiert. Die Art, wie Raum sich formt und artikuliert, muss völlig neu konzipiert werden. Wir sollten mehr in topologischen Organisationen, wie ich das nenne, denken, in denen Aspekte von Landschaft, Städtebau, Ingenieurbau und Architektur vereint werden.

Wie wichtig ist die bildende Kunst für Sie? Es fiel mir auf, dass Sie in Publikationen sehr viele Ihrer Projekte und Ideen mit Werken von Künstlern illustrieren.

BvB: Ich finde Künstler manchmal inspirierender als Architekten. Wenn ich nach architektonischen Vorbildern gefragt werde, antworte ich immer, dass ich nie welche hatte. Natürlich waren einzelne Aspekte wichtig, zum Beispiel, wie Le Corbusier in dieser Wechselbeziehung zwischen Malerei und Architektur agierte. Was ich an den guten Künstlern mag, ist ihr unglaubliches Vorstellungsvermögen, bestimmte Denkrichtungen zu verbinden. Sie konstruieren mental anders als Architekten.


Was ist der Stand der Dinge bei Ihren Projekten für Graz und Innsbruck?

BvB: Das Innsbrucker Umspannwerk, schätze ich, wird in einem Jahr so gut wie fertig sein. Das Musikhaus und Musiktheater Graz geht auch gut voran, und ich bin optimistisch, dass es wie geplant Ende 2002 fertig ist. Ich bin sehr am Baugeschehen in Österreich interessiert. Die Detailqualität ist sehr gut. Das Interesse am Handwerk scheint höher zu sein als in Holland, wo man im Bereich der Organisation und Bauproduktion glaube ich erfinderischer ist.


Sie zählen mittlerweile zu den international anerkanntesten Architekten. Sind Sie so etwas wie der Kronprinz Ihres holländischen Kollegen Rem Koolhaas?

BvB: Ja, natürlich (lacht). Nein, um ernst zu bleiben: Wir sehen uns beide nicht als holländische Architekten. Wir haben mehr Möglichkeiten in Amerika denn je und fühlen uns total international. Es ist sehr beliebt, uns zu vergleichen, die Zeitschrift A+U hat uns unter dem Titel „Rem and Ben“ eine Ausgabe gewidmet. Aber wir haben keine familiäre Beziehung.

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