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Eine Theke aus Marmor für die Grazer

Wie soll ein Lokal für Imbisse eigentlich gestaltet werden? Weder die elegante Atmosphäre eines Restaurants noch die plüschige Opulenz eines klassischen Cafés wäre angebracht. Das Loop in der Grazer Annenstraße zeigt, wie es gehen kann.
7. November 2025 - Sigrid Verhovsek
Die Geschichte des Loop, eines neuen Döner-Kebab-Lokals in Graz, ließe sich aus vielen Perspektiven erzählen. Ihnen gemeinsam sind ungewöhnliche Funde: Nach langer Suche fanden sich ein ehemaliger Bankangestellter und ein Kreuzgewölbe aus dem 17. Jahrhundert, fand sich eine Kärntner Familie heute in einem Gewerbe wieder, das seit den 1970er-Jahren türkischstämmigen Gastarbeitern vorbehalten war, fand sich ein neugieriges Architektenduo vor die Frage gestellt: Wie soll eine Imbiss-Bude eigentlich aussehen?
Um gleich zu Beginn kulinarischen Missverständnissen vorzubeugen: „Street food“, beispielsweise in Form der römischen Garküchen, hat eine wesentlich ältere Tradition als klassische Restaurants, die erst um 1800 entstanden. Kebab als „geröstetes Fleisch“ ist eine ursprünglich teure und ehemals für den „Normalverbraucher“ nur an Festtagen leistbare Mahlzeit. Imbiss heißt kleine Zwischenmahlzeit, steht aber genauso für die Lokalität selbst, die wiederum keine Gaststätte sein darf. Bude liest sich heute noch versteckt im kleinen Ge-Bäude. „Döner“ (wie im Übrigen das griechische „Gyros“) bedeutet drehen, auch um sich selbst.
Worum dreht es sich hier also? Im November 2024 fragte Neo-Lokal-Pächter Florian Lenz befreundete Architekturschaffende, Katharina Hohenwarter und Michael Hafner von Studio Bonfim, nach einem Ausstattungskonzept für ein Dönerkebap-Imbiss-Lokal in der Annenstraße 9.
Die Annenstraße verbindet die Altstadt mit dem Bahnhof
Dieser Ort bedeutet an sich schon Spannung: In Verlängerung der Murgasse und der Hauptbrücke verbindet die Annenstraße die Altstadt mit dem Bahnhof, und durchschneidet anfangs wackelig, dann schnurgerade das Stadtgefüge von der bürgerlichen „linken“ Murseite bis zu den ehemaligen Arbeitervierteln, wo ein bunteres, heterogeneres Milieu mit hohem Migrant:innenanteil vorherrscht.
Dazwischen hat sich, im Niemandsland der Grenze, quer zur früher hochherrschaftlichen Straße, ein Zwischenraum gebildet, der Energie aus dem Gegensatz zieht: In der Murvorstadt rund ums Kunsthaus ordnet man sich der „kreativen Szene“ zu. Am Weg in Richtung Bahnhof lässt man die Schaufenster hochpreisiger globaler Ketten hinter sich, passiert kurz kleine, hippe Läden, um sich dann in einem Gemenge von Barbershops, Carla-Läden, asiatischen Lebensmittelkiosken und kleinen Traditionsbetrieben wie dem Café Wolf oder dem Nähmaschinengeschäft wiederzufinden.
Am Beginn dieser Zone befindet sich ein langgestrecktes, dreigeschoßiges Wohn- und Geschäftsgebäude, das im Kern aus dem 17. Jahrhundert stammt. Die auffällige Travertin-Fassade in Teilen des Erdgeschoßes kleidete nach einem Umbau in den 1960er-Jahren die Korbbogen zum Schaufenster eines „gehobenen“ Herrenausstatters um. Trotz späterer wechselnder Besitzer, die das Innere oftmals umgestalteten, und Fassade und Fenster verklebten, blieb der Travertin unbeirrt ein Anspruch auf Qualität.
Die Ästhetik des Geschäfts
Genau hier beginnt eine neue Geschichte in der alten: Das Konzept von Loop zielt nicht nur auf die Qualität des Essens, sondern ebenso auf die Ästhetik des Ladens. Die Fassade samt Schaufenstern gab die Ambition vor und war bis auf kleinere Reparaturen selbstverständlich unantastbar. Im Inneren, im geometrisch komplexen Geflecht aus drei nebeneinanderliegenden, teilweise verbundenen Tonnengewölben, die sich von der Straße weg in Richtung Innenhof graben, waren nur mehr Elektrik und Lüftung vorhanden. Wie sollte die angestrebte kleine, feine Qualität verortet und transportiert werden? Dabei war nicht nur das sehr überschaubare Gesamtbudget eine Herausforderung, sondern vor allem auch die Frage, was das denn jetzt wäre, ein „gehobener“ Imbiss, eine feine Bude?
Für den kleinen Sitzbereich wäre weder die elegante Atmosphäre eines Restaurants noch die plüschige Opulenz eines klassischen Cafés angebracht; ebenso wenig sollte die Palettenromantik eines Zeltfestes bedient werden. Billige Plastiksessel waren budgettechnisch verführerisch, aber konzeptuell undenkbar. Tatsächlich machten die Tische den Anfang. Aufgrund eines anderen Projektes gab es bereits den Kontakt zu Steinmetz Hasenkopf in Hollabrunn, der einen „Steinfriedhof“ mit Reststücken besitzt. Ein Haufen von tonnenförmigen, verschiedenartigen und- farbigen Steinen erregte die Aufmerksamkeit von Katharina Hohenwarter: Es waren Abfälle, die durch den kreisrunden Ausschnitt aus Urnengrab-Platten entstanden waren.
Der Bauherr schluckte kurz und fragte dann: „Glänzend oder matt?“
Hier wurden nun nochmals Viertel-Kreissegmente ausgenommen, und als Basis der Bistrotische tragen sie nun Edelstahl-Röhren mit naturfarbenem Holzkreuz, das wiederum die karminroten kreisrunden Holztischplatten stützt. Karminrotes Holz wurde ebenfalls für die umlaufende, immer wieder mit Kreisformen spielende Sitzbank benutzt. Nichts wird versteckt: Lüftung und E-Kasten in Karminrot wirken wie monochrome Bilder an der Wand. Kontrastiert wird alles durch den Epoxidharz-Boden in knallig leuchtendem Verkehrsorange. Der Bauherr hat angeblich kurz geschluckt und dann gefragt: „Glänzend oder matt?“ Auch für die Wandbekleidung wurde man in Hollabrunn fündig: smaragdgrüner Marmor aus einem früheren Messestand, schwarzer Granit, der als Trägerplatte für Carrara-Marmor benutzt worden war, und – sparsam eingesetztes Glanzlicht – weißer Marmor, der ursprünglich für ein Juweliergeschäft in Doha bestimmt war, am Transportweg aber zu Bruch ging.
Im streng geometrischen Muster bilden diese „Rest“-Platten eine saubere Grafik, die die Wand kleidet und horizontal gelegt die Theke. Herzstück des Indoor- und Gassenverkaufes bildet Take-Away vom Marmor, das war zuletzt wohl nur für (junge?) Römer selbstverständlich. Die Frage nach Hoch- oder Trivialkultur erübrigt sich aber, da Essen sowohl biologische Notwendigkeit wie auch hochentwickeltes soziales Ritual ist. Auch dessen Zubereitung wird gefeiert: Die Vorbereitungsküche befindet sich hinter einem dreiflügeligen Portal aus rotem Holzrahmen mit semitransparenten Stegplatten, das sich unter dem Kreuzgewölbe der Tonne wegduckt.
„Das Material geht gegen null“
Überhaupt bildet das Spiel mit den Unregelmäßigkeiten des Bestandes eine wichtige Komponente: Man akzeptiert, dass es keine scharfen Kanten, keine „gleichbleibenden“ Höhen gibt, sondern macht die Brüche deutlich, geht bewusst darüber hinaus oder weicht vor ihnen zurück. „Die Ecke ist der Moment in der Architektur, wo das Material gegen null geht, die Belastung wird aber unendlich: Wenn man im Entwurf nicht darüber nachdenkt, kommt irgendwann ein Edelstahl-Kantenschutz zum Einsatz“, meint Architekt Michael Hafner.
In diesem auf so kleinem Raum verwirklichten großen Konzept gibt es unzählige Anspielungen oder bewusste Verneigungen: Die Farbkombi Orange-Karminrot stammt aus der Abkehr vom „white cube“ im Museum Abteiberg Mönchengladbach von Hans Hollein, die elementaren Farben und Formen wie die großen Sitzrollen weisen aber auch auf die Memphis-Gruppe um Ettore Sottsass hin, und eine Hommage an Hermann Czech sind die sich zart wegbeugenden Spiegel unter den kreisrunden Leuchten.
Diese Leuchten rhythmisieren den Raum, und weil die alte Einfachverglasung am Eingang ebenso blind, aber in wesentlichen Dingen dennoch ebenso verlässlich spiegelt wie der am gegenüberliegenden Raumende aufgebrachte kaltgeglühte Stahl, verlängert sich besonders in der Dämmerung und zu späterer Stunde der kleine Raum ins Unendliche, entgrenzt sich solange, bis dann wieder eine Straßenbahn mitten hindurchfährt.
Um gleich zu Beginn kulinarischen Missverständnissen vorzubeugen: „Street food“, beispielsweise in Form der römischen Garküchen, hat eine wesentlich ältere Tradition als klassische Restaurants, die erst um 1800 entstanden. Kebab als „geröstetes Fleisch“ ist eine ursprünglich teure und ehemals für den „Normalverbraucher“ nur an Festtagen leistbare Mahlzeit. Imbiss heißt kleine Zwischenmahlzeit, steht aber genauso für die Lokalität selbst, die wiederum keine Gaststätte sein darf. Bude liest sich heute noch versteckt im kleinen Ge-Bäude. „Döner“ (wie im Übrigen das griechische „Gyros“) bedeutet drehen, auch um sich selbst.
Worum dreht es sich hier also? Im November 2024 fragte Neo-Lokal-Pächter Florian Lenz befreundete Architekturschaffende, Katharina Hohenwarter und Michael Hafner von Studio Bonfim, nach einem Ausstattungskonzept für ein Dönerkebap-Imbiss-Lokal in der Annenstraße 9.
Die Annenstraße verbindet die Altstadt mit dem Bahnhof
Dieser Ort bedeutet an sich schon Spannung: In Verlängerung der Murgasse und der Hauptbrücke verbindet die Annenstraße die Altstadt mit dem Bahnhof, und durchschneidet anfangs wackelig, dann schnurgerade das Stadtgefüge von der bürgerlichen „linken“ Murseite bis zu den ehemaligen Arbeitervierteln, wo ein bunteres, heterogeneres Milieu mit hohem Migrant:innenanteil vorherrscht.
Dazwischen hat sich, im Niemandsland der Grenze, quer zur früher hochherrschaftlichen Straße, ein Zwischenraum gebildet, der Energie aus dem Gegensatz zieht: In der Murvorstadt rund ums Kunsthaus ordnet man sich der „kreativen Szene“ zu. Am Weg in Richtung Bahnhof lässt man die Schaufenster hochpreisiger globaler Ketten hinter sich, passiert kurz kleine, hippe Läden, um sich dann in einem Gemenge von Barbershops, Carla-Läden, asiatischen Lebensmittelkiosken und kleinen Traditionsbetrieben wie dem Café Wolf oder dem Nähmaschinengeschäft wiederzufinden.
Am Beginn dieser Zone befindet sich ein langgestrecktes, dreigeschoßiges Wohn- und Geschäftsgebäude, das im Kern aus dem 17. Jahrhundert stammt. Die auffällige Travertin-Fassade in Teilen des Erdgeschoßes kleidete nach einem Umbau in den 1960er-Jahren die Korbbogen zum Schaufenster eines „gehobenen“ Herrenausstatters um. Trotz späterer wechselnder Besitzer, die das Innere oftmals umgestalteten, und Fassade und Fenster verklebten, blieb der Travertin unbeirrt ein Anspruch auf Qualität.
Die Ästhetik des Geschäfts
Genau hier beginnt eine neue Geschichte in der alten: Das Konzept von Loop zielt nicht nur auf die Qualität des Essens, sondern ebenso auf die Ästhetik des Ladens. Die Fassade samt Schaufenstern gab die Ambition vor und war bis auf kleinere Reparaturen selbstverständlich unantastbar. Im Inneren, im geometrisch komplexen Geflecht aus drei nebeneinanderliegenden, teilweise verbundenen Tonnengewölben, die sich von der Straße weg in Richtung Innenhof graben, waren nur mehr Elektrik und Lüftung vorhanden. Wie sollte die angestrebte kleine, feine Qualität verortet und transportiert werden? Dabei war nicht nur das sehr überschaubare Gesamtbudget eine Herausforderung, sondern vor allem auch die Frage, was das denn jetzt wäre, ein „gehobener“ Imbiss, eine feine Bude?
Für den kleinen Sitzbereich wäre weder die elegante Atmosphäre eines Restaurants noch die plüschige Opulenz eines klassischen Cafés angebracht; ebenso wenig sollte die Palettenromantik eines Zeltfestes bedient werden. Billige Plastiksessel waren budgettechnisch verführerisch, aber konzeptuell undenkbar. Tatsächlich machten die Tische den Anfang. Aufgrund eines anderen Projektes gab es bereits den Kontakt zu Steinmetz Hasenkopf in Hollabrunn, der einen „Steinfriedhof“ mit Reststücken besitzt. Ein Haufen von tonnenförmigen, verschiedenartigen und- farbigen Steinen erregte die Aufmerksamkeit von Katharina Hohenwarter: Es waren Abfälle, die durch den kreisrunden Ausschnitt aus Urnengrab-Platten entstanden waren.
Der Bauherr schluckte kurz und fragte dann: „Glänzend oder matt?“
Hier wurden nun nochmals Viertel-Kreissegmente ausgenommen, und als Basis der Bistrotische tragen sie nun Edelstahl-Röhren mit naturfarbenem Holzkreuz, das wiederum die karminroten kreisrunden Holztischplatten stützt. Karminrotes Holz wurde ebenfalls für die umlaufende, immer wieder mit Kreisformen spielende Sitzbank benutzt. Nichts wird versteckt: Lüftung und E-Kasten in Karminrot wirken wie monochrome Bilder an der Wand. Kontrastiert wird alles durch den Epoxidharz-Boden in knallig leuchtendem Verkehrsorange. Der Bauherr hat angeblich kurz geschluckt und dann gefragt: „Glänzend oder matt?“ Auch für die Wandbekleidung wurde man in Hollabrunn fündig: smaragdgrüner Marmor aus einem früheren Messestand, schwarzer Granit, der als Trägerplatte für Carrara-Marmor benutzt worden war, und – sparsam eingesetztes Glanzlicht – weißer Marmor, der ursprünglich für ein Juweliergeschäft in Doha bestimmt war, am Transportweg aber zu Bruch ging.
Im streng geometrischen Muster bilden diese „Rest“-Platten eine saubere Grafik, die die Wand kleidet und horizontal gelegt die Theke. Herzstück des Indoor- und Gassenverkaufes bildet Take-Away vom Marmor, das war zuletzt wohl nur für (junge?) Römer selbstverständlich. Die Frage nach Hoch- oder Trivialkultur erübrigt sich aber, da Essen sowohl biologische Notwendigkeit wie auch hochentwickeltes soziales Ritual ist. Auch dessen Zubereitung wird gefeiert: Die Vorbereitungsküche befindet sich hinter einem dreiflügeligen Portal aus rotem Holzrahmen mit semitransparenten Stegplatten, das sich unter dem Kreuzgewölbe der Tonne wegduckt.
„Das Material geht gegen null“
Überhaupt bildet das Spiel mit den Unregelmäßigkeiten des Bestandes eine wichtige Komponente: Man akzeptiert, dass es keine scharfen Kanten, keine „gleichbleibenden“ Höhen gibt, sondern macht die Brüche deutlich, geht bewusst darüber hinaus oder weicht vor ihnen zurück. „Die Ecke ist der Moment in der Architektur, wo das Material gegen null geht, die Belastung wird aber unendlich: Wenn man im Entwurf nicht darüber nachdenkt, kommt irgendwann ein Edelstahl-Kantenschutz zum Einsatz“, meint Architekt Michael Hafner.
In diesem auf so kleinem Raum verwirklichten großen Konzept gibt es unzählige Anspielungen oder bewusste Verneigungen: Die Farbkombi Orange-Karminrot stammt aus der Abkehr vom „white cube“ im Museum Abteiberg Mönchengladbach von Hans Hollein, die elementaren Farben und Formen wie die großen Sitzrollen weisen aber auch auf die Memphis-Gruppe um Ettore Sottsass hin, und eine Hommage an Hermann Czech sind die sich zart wegbeugenden Spiegel unter den kreisrunden Leuchten.
Diese Leuchten rhythmisieren den Raum, und weil die alte Einfachverglasung am Eingang ebenso blind, aber in wesentlichen Dingen dennoch ebenso verlässlich spiegelt wie der am gegenüberliegenden Raumende aufgebrachte kaltgeglühte Stahl, verlängert sich besonders in der Dämmerung und zu späterer Stunde der kleine Raum ins Unendliche, entgrenzt sich solange, bis dann wieder eine Straßenbahn mitten hindurchfährt.
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