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Eine Parkgarage für Dreiräder
Eine Parkgarage für Dreiräder, Foto: G.G. Kirchner
Eine Parkgarage für Dreiräder, Foto: G.G. Kirchner
Spectrum

Schon ihre Vorstudien setzen sie in reizvolle plastische Objekte um; auch ihre Bauten beeindrucken durch skulpturale Qualitäten. Mit ihrem Kindergarten in Bettembourg bleibt das österreichisch-luxemburgische Architektenduo Hermann & Valentiny seiner Linie treu.

13. November 1999 - Liesbeth Waechter-Böhm
Für den Architekturtouristen ist Luxemburg ein Reiseziel, das er so nebenbei abhakt. Denn was hat es an zeitgenössischer Baukunst schon zu bieten? Ein sehr schönes Einfamilienhaus von Rob Krier aus den siebziger Jahren und aus den Neunzigern ein paar Banken – von „Arquitectonica “,von Richard Meier, von Gottfried Böhm. Ein Bürohaus des „Team 4“ wäre möglicherweise der Erwähnung wert. Außerdem baut Ieoh Ming Pei dort gerade ein Museum. Und sonst? Ach ja, es gibt Hermann & Valentiny, jenes österreichisch-luxemburgische Architektenteam, das mit seinem Standbein an der Mosel steht und mit seinem Spielbein an der Donau. Oder ist es umgekehrt? Oder überhaupt ganz anders? Denn nicht gerade ihre kleinsten Bauten realisier(t)en die beiden ja in Deutschland (Berlin,Köln,Halle).

Nein, in den städtebaulichen Dimensionen der Planung für Halle – mit Wohntürmen, Hotel, Büros, Shopping-Center et cetera – läßt sich im Luxemburgischen tatsächlich nichts aufspüren. Aber man wird auch dort fündig. Da reckt sich etwa aus den Weinbergen an der Mosel ein „Betonpilz“ frech in die Höhe – eine Art offene Pavillonarchitektur, die gleichzeitig als das weithin sichtbare Zeichen für ein höchst sensibel auf den Hang komponiertes Weingut fungiert. Und da beharrt so mancher kleine Betonkörper mit allem Nachdruck nicht nur auf seinem architektonischen Stellenwert, sondern auch auf seinem ganz besonderen Wohnwert im ansonsten dicht und banal verhüttelten Umfeld.

Aber ganz so ist es auch wieder nicht. Die baukünstlerischen Kleinjuwelen haben im Lauf der Jahre so manches Karat zugelegt. Der heuer fertiggestellte viergruppige Kindergarten in Bettembourg zum Beispiel hat eine durchaus stattliche Größe. Dabei war für das geforderte Programm das Grundstück eher knapp bemessen.2000 Quadratmeter sind nicht viel, wenn es Freibereiche für die Kinder geben soll, einen separaten Zugang zu einem Veranstaltungssaal im zweiten Obergeschoß, eine Abfahrt in die kleine Tiefgarage und obendrein das Grundstück einer gewissen „Fassung“ bedarf, einer Definition gegenüber dem disparaten Wohnumfeld mit seinen etwas höhergelegenen Gemüsegärtlein im Hinterhof.

Die Architekten haben den schwungvoll gebogenen Baukörper so hinter ein altes Gemeindehaus gestellt, daß er nur mit einer Schmalseite direkt in die Seitenstraße schaut, von der er erschlossen ist. Hier geht es zwischen Gemeindehaus und Kindergarten hinein auf eine Vorplatzsituation, die trotz aller Nähe der Baukörper zueinander überaus einladend und großzügig ist. Dieser Vorbereich ist spektakulär, vor allem deswegen, weil die Architekten die Gebäudeerschließung aus dem Haus herausgeschält und ihr so eine ganz spezifische Bedeutung zugemessen haben. Ein Turm aus blauen Glasbausteinen enthält den Lift und ist durch Stege mit den einzelnen Geschoßen verbunden; ebenso die Freitreppe, die leicht schräg und in ziemlichem Abstand vor das Gebäude gestellt wurde. Darüber ist, wie ein mächtiger Baldachin, das fast acht Meter auskragende Vordach aufgespannt.

Diese Lösung ist ungewöhnlich, aber sinnvoll. Sie bietet den Kindern die Möglichkeit, auf dem Holzboden dieses Vorplatzes wettergeschützt zu spielen. Sie erlaubt aber auch die externe Nutzung des Saals im zweiten Obergeschoß, ohne daß der Kindergarten davon unmittelbar berührt wird.

In der Wahl der Materialien geben sich Hermann &Valentiny nach außen hin teilweise recht hart: Da gibt es viel Streckmetall – etwa als gebäudehoher semitransparenter Schirm vor der Nottreppe an der Schmalseite zur Straße; da ist viel signifikant gestreifter, weil in eine Bretterschalung gegossener Beton an den Außenfassaden, bei der einfassenden Pergola und der Garagenabfahrt, aber auch bei der Mauer zu den Nachbarn; und es gibt sehr viel Glas.

Gerade diese großflächigen Verglasungen im Bereich der Gruppenräume oder beim Veranstaltungssaal sorgen für lichtdurchflutete, freundliche Räume – atmosphärisch wird hier also etwas geboten, was den Bedürfnissen der Nutzer entspricht. Und dann ist ja auch sehr verschwenderisch Holz eingesetzt, und das sogar in einer besonders edlen Variante: nämlich Eiche. Und es gibt die blauen Glasbausteine als durchgängiges Motiv in diesem Haus, das ganz gezielt wiederkehrt.

Hermann &Valentiny haben sich nicht gescheut, auch „kindliche“ Motive einzuführen: Sterne zum Beispiel, die sich als äußerst reduziertes Statement schon auf der Untersicht der Vordaches finden und die dann im Haus – unter anderem auch als verglaste Elemente in den Türen – auftauchen. Das war wahrscheinlich eine besonders prekäre Gratwanderung. Aber sie wurde gewissermaßen abstrahiert, also tatsächlich unter Anführungszeichen bewältigt.

Zusätzlich erwähnenswert: Unter der Freitreppe, die bis hinauf zum Veranstaltungssaal führt, wurde der Raum durch Streckmetallgitter ebenfalls semitransparent abgeschirmt. Hier ist die Parkgarage für die Kleinen. Hier parken sie ihre Dreiräder und Roller. Dieser Anblick ist bezaubernd.

Das Haus ist durch und durch überlegt und städtebaulich ein Gewinn für die Umgebung. Es hat auch einen skulpturalen Stellenwert, wie das den Bauten von Hermann & Valentiny meistens zu eigen ist. Die beiden – jeder für sich, aber dann auch im Dialog – haben immer schon gezeichnet, gemalt,Skulpturen entworfen und vor allem Vorstadien ihrer architektonischen Überlegungen und konkreten Planungen in ungemein reizvolle plastische Objekte umgesetzt. Von diesem – für Architekten in der Regel eher ungewöhnlichen – Ansatz her erklärt sich vieles, was man bei einer Spurensicherung des Büros Hermann & Valentiny in Luxemburg ausfindig machen kann.

Die wunderbare Photogalerie in Luxemburg-Stadt ist im kleinsten Rahmen die wahrscheinlich überzeugendste Umsetzung solcher künstlerischer Ansätze. Sie ist, wie gesagt, nur klein und in ein Altstadthaus eingebaut. Und sie ist, jenseits aller modischen Assoziationen mit Minimalismus, ein überaus komprimiertes, auf das unumgänglich Wesentliche reduziertes Statement. Sie ist Haut und Wand und Präsentationsfläche für Photographie. Wunderbar beleuchtet durch eine intelligente, in die Decke integrierte Kunstlichtlösung, die eine wirklich überzeugende Alternative zu den üblichen Strahlern und damit einer lauten, aufgeregten Raumdecke darstellt. In dieser Galerie gibt es nur einen einzigen deutlichen räumlichen Akzent: die rote Stirnwand, gegen die sich die Besitzerin der Galerie lange gewehrt hat und die jetzt doch den optimalen Präsentationshintergrund für Photographie darstellt.

Möglicherweise sollte man über Handschrift reden. Hermann & Valentiny haben zumindest keine vordergründig-formale. Sie denken über Körper nach, über Objekte. Und über deren Materialisierung, aber immer auch unter den Aspekten der Ökonomie und der Brauchbarkeit. Und sie gehen strategisch vor. Der in Luxemburg übliche Wohnbau ist ein architektonisches Trauerspiel. Vor diesem Hintergrund leuchtet dann eine Lösung besonders ein, die einem „normalen“ Geschoßwohnungsbau ein mächtiges Stahlgerüst vorlagert, an dem aber die Balkone hängen. So wurde nicht nur die Balkonzone durchgebracht, sondern auch eine Art raumbildende Pergola, die für die Bewohner einen Mehrwert schafft.

Auf den Spuren von Hermann & Valentiny: Da gibt es das kleine, schwarz gefärbte Betonhäuschen für die Gemeinde Bech-Kleinmacher, das schon an sich ein überzeugender Körper in einer ungemein reizvollen Materialisierung ist. Wenn man aber Gelegenheit hat „hineinzuschauen“, dann wird man erst so richtig fündig. Denn ganz oben gibt es einen Saal, in den die Betondecke eingehängt ist wie ein Leintuch. Ein geradezu klassisches Beispiel für manieristische Irritationsmuster: Man glaubt schräge Wände vor sich zu haben, wiewohl sie doch gerade sind.

Hermann & Valentiny haben ihre Karriere jung und in Berlin begonnen. Im Rahmen der IBA, Mitte der achtziger Jahre, haben sie zum ersten Mal gebaut. Es war die Blüte der Postmoderne. Und Hermann & Valentiny – auch dadurch begründet, daß Francois Valentiny Luxemburger ist – sind irgendwie, durch ihre künstlerischen Ambitionen wohl auch bewußt – ins Fahrwasser von Rob Krier geraten. Krier hat ihnen geholfen. Aber die Architekturszene ist gnadenlos und –windig. Krier ist derzeit abgehakt. Hermann & Valentiny hat man ihren „postmodernen“ Stadtvillenbau an der Rauchstraße und noch ein paar andere Arbeiten, die an einer historischen Bezugnahme festzumachen sind, nicht verziehen.

Die Szene reagiert schnell, wenn es um Aburteilungen geht –und ist sehr träge, wenn einfühlsames Differenzieren angesagt ist.

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