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Die Baukunst und der Cyberspace
Neue Zürcher Zeitung

Die vierte Biennale für Medien und Architektur in Graz

2. Dezember 1999 - Andres Janser
Das wechselseitige Interesse von Baukunst und Filmkunst hat verschiedene konjunkturelle Phasen erlebt. Lange Zeit waren es vor allem die Filmleute, die sich in ihren Arbeiten mit der Architektur beschäftigten, ja beschäftigen mussten. Mit Hilfe der filmischen Mittel der Montage und der Bewegung, die eine dynamische visuelle Wahrnehmung von Raum zu vermitteln vermögen, entstanden so im Spielfilm zahlreiche Darstellungen architektonischer Bestände von grosser atmosphärischer Dichte. Auf der anderen Seite, in der Architektur, ist das bewegte Bild erst in jüngerer Zeit ein wesentliches Thema geworden, nicht zuletzt auf Grund der elektronischen Medien. Wieder geworden, um genau zu sein, hatte doch Bruno Taut schon in den zehner Jahren - als einer der ersten, aber beileibe nicht als der einzige seines Fachs - die Instrumentalisierung des Films für die Zwecke des Bauens gefordert und in der Folge auch betrieben.

Diesem heterogenen, historisch gewachsenen Feld von Wechselbeziehungen geht die Grazer Biennale seit ihrer ersten Ausgabe 1993 nach. In einem umfassenden Verständnis wurden von Anfang an beide Blickwinkel berücksichtigt: jener der Medien auf die Architektur und jener der Architektur auf die Medien. Im Laufe der vergangenen sechs Jahre hat sich der Schwerpunkt der Biennale vom Film auf die neuen Medien verlagert. Ein angesichts der aktuellen Entwicklungen sinnvoller Entscheid, dessen theoretische Bewältigung wiederum einen Hauptantrieb der Veranstaltung ausmacht.

Bei der diesjährigen vierten Tagung stand der soziokulturelle Aspekt städtischen Raums im Zentrum. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die mit den elektronischen Medien einhergehende Ablösung des bewegten Bildes von der Kinoleinwand nicht zuletzt dessen Öffentlichkeitsgehalt verändert. Die optimistische politische Erwartung, dass die neuen Medien - und insbesondere das Internet - einen demokratischen Umgang mit Architektur und Stadt fördern werden, blieb heftig umstritten. Die von Architekten vorgestellten Ansätze reichten von computergestützten Bewegungssequenzen zur Inszenierung neo-funktionalistischer, gestapelter Stadtentwürfe (Winy Maas / MVRDV) über die CD-ROM als Kommunikationsinstrument, mit dem einem breiten Publikum die eigene planerische Arbeit in verständlicher Form zugänglich gemacht werden soll (Raoul Bunschoten), bis zum zwanghaft anmutenden Festhalten an einer dereinst allgegenwärtigen interaktiven Architektur (Kas Oosterhuis).

Wohltuend traditionell war demgegenüber eine Videodokumentation, in der die alltäglichen Reaktionen der Vorbeigehenden auf einen ebenso präzisen wie minimalen architektonischen Eingriff in den Stadtraum von Neapel festgehalten wurde (Stefano Boeri und Francesco Jodice). Irritierend blieb, wie wenig Fragen der Form, sowohl jene der Bilder als auch jene der Architektur, ein Thema waren. Und wenn, dann wurde oft in scheinbar zeitgemässer Selbstverständlichkeit Form mit Struktur gleichgesetzt. Etwa wenn aus dem Architektonischen abgeleitete Begriffe herhalten mussten, um den inneren Aufbau der Informationen auf einer CD-ROM oder einer Internet-Suchmaschine verständlich zu machen.

Festeren Boden unter den Füssen bot da der Wettbewerb, das zweite wichtige Standbein der Biennale. Zu sehen waren sowohl kurze als auch abendfüllende Videoarbeiten, des weiteren CD- ROM, Internet-Seiten und einige wenige Filmwerke. Der formal kaum gegebenen Vergleichbarkeit dieser Arbeiten begegnete die Jury, die um ihre Aufgabe nicht zu beneiden war, mit rigoroser Selektion: Prämiert wurden mit einer Ausnahme nur Videos. Bedauerlicherweise liess die Forderung nach einer kritischen Auseinandersetzung mit der gebauten Wirklichkeit jene Ansätze ausser acht, die eine Innensicht auf Bauwerke oder das Werk einzelner Architekten zu vermitteln suchten. Diesem pseudo-aufklärerischen Anspruch der Jury fiel etwa Christoph Schaubs «Die Reisen des Santiago Calatrava» zum vorneherein zum Opfer. Der Hauptpreis ging schliesslich nicht überraschend (und zum zweiten Male nach 1995) an den Belgier Peter Brosens. Zusammen mit Dorjkhandyn Turmunkh legte er mit dem bereits andernorts prämierten «State of Dogs» (1998) eine lyrische Erzählung aus den peripheren Räumen der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator vor: In einer offenen, traumähnlichen Struktur wird eine Vorstellung eines Ortes vermittelt, den kaum ein Zuschauer je selber sehen wird.

Organisatorische und technische Unzulänglichkeiten, der anarchischen Tradition der Biennale durchaus entsprechend, behinderten wiederholt die Beschäftigung mit der Sache selber. Hier bleibt für kommende Ausgaben noch einiges zu tun. Angesichts der bisweilen überbordenden Themenfülle ist den Verantwortlichen aber vor allem die Einsicht ans Herz zu legen, dass weniger mit Sicherheit mehr wäre.

Andres Janser


[ Zur Grazer Biennale erscheint eine Katalog-Publikation, die auf Januar 2000 angekündigt ist. Enthalten wird sie Textbeiträge aus der Tagung und eine Dokumentation der im Wettbewerb gezeigten Arbeiten. Die Publikation wird über den Buchhandel zu beziehen sein oder direkt bei art.image in Graz, den Veranstaltern der Biennale. ]

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