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Neue Zürcher Zeitung

Architektonischer Wandel an den Ufern von Manhattan

Mit dem Aufkommen des Containerverkehrs verfielen seit den sechziger Jahren die Piers von Manhattan. Seither stehen in New York etwa 930 Kilometer Uferlinie einer Neudisponierung zur Verfügung und sind eine Herausforderung für die City Planning Commission.

5. November 1999 - Barbara Kutscher
In Manhattan sind die sichtbarsten architektonischen Entwicklungen derzeit am Hudson River zu verfolgen. Der jahrzehntelange Kampf der Anwohner um die Umwidmung der ehemals Transport und Industrie vorbehaltenen Uferzone zu freizeitorientierten Grünanlagen mit Zugang zum Wasser trägt endlich Früchte. Wegweisend war Battery Park, Manhattans erster Uferpark, der die Anfang der achtziger Jahre neu errichtete Wohnstadt Battery Park City auf dem Aushub des World Trade Center säumt und zu einem beliebten Ausflugsziel geworden ist. Im letzten Jahr begannen dann die Bauarbeiten für den Hudson River Park, der sich nördlich anschliesst und am Fluss entlang bis zur 59. Strasse verlaufen soll - laut Governor George Pataki «das wichtigste Grünflächenprojekt in New York seit der Schaffung des Central Park». Kernstück des Projekts wird der Ausbau von 13 ehemaligen Schiffsterminals entlang dieser acht Kilometer langen Uferstrecke sein. Die rechtwinklig vom Ufer in den Fluss ragenden, meist auf Holzpfählen errichteten, bis zu 300 Meter langen Piers sind baufällig. Nach der Renovierung sollen sie als Sport- und Spielplätze sowie als ökologische und historische Lehrparks genutzt oder dem Wassersport gewidmet werden. Der Bau einer Verbindungspromenade zwischen den Piers geht zügig voran.


Grünflächen am Wasser

Der Hudson River Park soll «user-designed and self-supporting» sein und ist daher auf Einnahmen durch die Vergabe von Konzessionen angewiesen, die oft das Misstrauen der Anwohner erregen. «Jeder Pier ist wie ein eigener Kanton», beklagt James Ortenzio, Vorsitzender des Hudson River Park Trust, die lähmenden Auseinandersetzungen mit den zahlreichen Bürgergruppen um die Durchsetzung ihrer Wünsche und vor allem die Limitierung der kommerziellen Nutzung. Seine Behörde zeichnet verantwortlich für Planung, Konstruktion und Unterhalt. «Ohne Kompromissbereitschaft werden wir noch 30 Jahre auf eine Verwirklichung warten können», warnt er. Als erfolgreiches Beispiel präsentiert er dagegen den privat betriebenen Sport- und Unterhaltungskomplex Chelsea Piers. Vier Piers wurden 1995 zu Eisbahn, Schwimmbad, Segelklub, Reithalle, Driving Range und Filmstudios umgenutzt.

Eines der am meisten umkämpften Projekte ist Pier 40 auf der Höhe von Greenwich Village. Auf ihm steht die 1962 nach einem Entwurf von David Billington fertiggestellte, damals weltgrösste Fertigbetonstruktur zur Abfertigung von seetüchtigen Fracht- und Passagierdampfern. 60 000 Quadratmeter Nutzfläche machen den Pier nicht nur für die Anrainer attraktiv. Grosses Aufsehen erregte Ende 1998 das Guggenheim Museum mit seiner Ankündigung, hier eine weitere Dependance nach dem Entwurf Frank Gehrys errichten zu wollen. Dieses Vorhaben wurde vom Trust jedoch nicht unterstützt, der an einer zukünftigen Nutzung als Freizeitanlage festhält. Die Bezirksverwaltung wurde deshalb selbst aktiv und schrieb einen internationalen Wettbewerb aus, aus dem der deutsche Architekt Sebastian Knorr als einer der Sieger hervorging. Sein Entwurf hat zumindest Chancen einer Realisierung: Der Terminal soll bis auf sein äusseres Betongerippe entkernt werden und mit Sportanlagen, Restaurants, Sandstrand, Bootshafen und einem Floating pool den Anrainern Zerstreuung bieten.

Die Verantwortlichkeit des Hudson River Park Trust reicht bis zur 59. Strasse. Dort schliesst sich Trump Place an, die neue Wohnanlage Donald Trumps, der zur Weiterführung der Promenade in diesem Segment bis zur 72. Strasse verpflichtet ist. Auf dem ehemaligen Rangiergelände der Bahn sollen 16 Hochhäuser für rund 15 000 Bewohner entstehen. Für den Masterplan mit variantenreichen Turmbauten am Flussufer und niedrigeren Baumassen auf den Zufahrtsstrassen zeichnen Skidmore, Owings & Merrill verantwortlich. In einer seit Jahren im New Yorker Luxus- Apartment-Bau bewährten Arbeitsteilung dekoriert Philip Johnson die Bauten von Costas Kondylis mit Retro-Fassaden im Stil der zwanziger und dreissiger Jahre. Nach nicht autorisierten Änderungen an den ersten fertiggestellten Häusern distanzierte sich der verärgerte Johnson allerdings und rechnete im «New York Observer» auch gleich mit der Zuständigkeit zeitgenössischer Architektur für den Wohnungsbau ab.

Ein gleichfalls am Hudson in Midtown liegendes Brachgelände in der Grösse von 12 Häuserblocks war Gegenstand des Ende Juni entschiedenen internationalen Wettbewerbs IFCCA-Prize for the Design for the Cities, der provozierende Alternativen zum Mittelmass der Investorenarchitektur diskutierte. Etabliert von Phyllis Lambert, der Gründungsdirektorin des Canadian Centre for Architecture in Montreal, soll der Preis künftig weltweit alle drei Jahre desolate urbane Situationen analysieren. New York - eine Stadt, die nach der Skyscraper-Ära immer noch ihre architektonische Identität sucht, ist erste Station. Lambert hatte sich bereits früher um New York verdient gemacht, als sie ihren Vater Samuel Bronfman überzeugte, Mies van der Rohe als Architekten des Seagram-Gebäudes zu wählen. Das zur Entwicklung ausgeschriebene Areal zwischen 30. und 34. Strasse, das gegenwärtig als Eisenbahngelände genutzt wird, bietet den Planern Tabula rasa. Peter Eisenmans Siegerprojekt deckt eine Gruppe von öffentlichen Gebäuden mit einer komplex ins Strassenraster verwebten Parkanlage ab und gliedert diesen west-östlichen Park in die Entwicklung am Hudson ein. Das Modell schliesst mit einem in den Fluss hinein gebauten Sportstadion ab. Es gibt noch keinen Realisierungsauftrag, aber Stadtplaner Joseph Rose signalisierte zumindest Gesprächsbereitschaft.

Auch in Brooklyn, gegenüber von Manhattans Financial District, wird derzeit ein Konflikt zwischen kommerzieller Erschliessung und Anwohnerinteressen ausgetragen, der Jean Nouvels ersten Auftrag in den Vereinigten Staaten zum Scheitern zu bringen droht. Dumbo (Down Under Manhattan Bridge Overpass), ein Dreieck am East River zwischen Brooklyn Bridge und Manhattan Bridge, war bis in die dreissiger Jahre ein Gewerbegebiet mit Fährverkehr nach Manhattan. Die seitdem weitgehend leerstehenden Gebäude wurden später von Künstlern entdeckt und mit Studios belegt, nicht immer legal. «So war SoHo vor 25 Jahren. Ich folge immer den Künstlern», zitiert die «New York Times» den Investor David Walentas, der in Erwartung einer Zonenänderung zahlreiche Altbauten aufkaufte.


Jean Nouvel in Dumbo-Land

Auf städtische Anregung hin legte Walentas seine elaborierte Neukonzeption des Bezirks vor. Für den geplanten Main Street Pier, einen Neubau mit Hotel, Kinos und Geschäften unter der Manhattan Bridge, konnte er Nouvel gewinnen. Das Multiplexkino nutzt die hollywoodeske Kulisse der Skyline: zwischen den Vorführungen geben die hochgezogenen Projektionsleinwände durch Panoramafenster den Blick hinüber auf Manhattan frei. Nouvels spektakulärer Bau würde die Fläche eines ganzen Häuserblocks einnehmen. Einer massiven Sockelstruktur ist über verglaste Zwischengeschosse wie freischwebend ein vierstöckiger Container aufgesetzt, der etwa 40 Meter weit in den East River auskragt. In ihm sollen 250 Hotelzimmer untergebracht werden. Von Nouvel als Brücke zwischen den Brücken bezeichnet, ist das Hotel vor allem eine Brücke nach Manhattan. Die reflektierenden Fassaden transzendieren die industrielle Umgebung und halten der narzisstischen Insel den Spiegel vor: «Look at yourself, and love it.» In Herbert Muschamp, dem Architekturkritiker der «New York Times», hat der Main Street Pier einen begeisterten Advokaten. Hier habe die Stadt endlich Gelegenheit, sich ein zeitgemässes Selbstbild zu errichten.

Das Ausmass der Erschliessung von Dumbo ist jedoch noch nicht entschieden. Die Anrainer fürchten um ihren uneingeschränkten Zugang zum Wasser, die Verstellung der Sichtachsen und opponieren gegen Walentas' erklärte Absicht, ein Gebäude mit der Signalwirkung der Oper von Sydney vor ihrer Tür zu errichten. Da Walentas keine öffentliche Förderung erwarten kann, hat er dichte kommerzielle Nutzungen eingeplant, etwa den Umbau der auf dem Gelände befindlichen denkmalgeschützten Lagerhäuser zur Shopping Mall. Zwar wird die jüngst durch ihre Arbeit am Grand Central Terminal weithin bekannt gewordene Firma Beyer Blinder Belle deren Renovierung vornehmen, die Präsentationszeichnungen leugnen jedoch eine sensible Handhabung: Gefällig aufgeputzt mit Fahnen und Vordächern, scheinen sie sich an Disneylands Mainstreet zu orientieren. Das East-River-Ufer soll schliesslich als ein mit Eisbahn, Karussell, Bootshafen und ökologischem Lehrgarten vollgestellter Freizeitpark mit den Neonschriftzeichen «Brooklyn DUMBO» nach Manhattan grüssen. Die Anrainer möchten im Namen der mächtigen Denkmalpflegebewegung den Status quo erhalten und favorisieren einen Grüngürtel, der sich über die ganze Uferfront Brooklyns erstrecken soll.

Getragen von günstigen Wirtschaftsbedingungen, wird die in Gang gesetzte Entwicklung innerhalb der nächsten fünf Jahre New Yorks Ufer verändern. Früher haben meist ökonomische Zwänge die Lösungen bestimmt, und es ist ungewiss, wie weit architektonisch anspruchsvolle Pläne durchsetzbar sind. Es bleibt aber zu hoffen, dass die Grösse des Areals den Mut zu zukunftsweisenden Visionen freisetzen wird.

Barbara Kutscher

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