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Bauen und Schauen
Neue Zürcher Zeitung

Vom Glanz und Elend der Architekturinstitute

Die International Confederation of Architecture Museums zählt heute 108 Mitglieder: Museen, Zentren, Archive, Stiftungen, Galerien, Bibliotheken oder Universitätsabteilungen. Ein Kolloquium in Paris hat die Bandbreite der Profile und Bestimmungen dieser Institutionen aufgezeigt.

6. Dezember 1999 - Marc Zitzmann
Die Idee, Bauwerke «auszustellen», also dauerhafte oder zeitweilige Sammlungen von Architekturmaterialien anzulegen, ist relativ neu. Die Ausnahme der seit 1837 zugänglichen Modellkollektion im einstigen Londoner Wohnhaus des grossen Klassizisten John Soane bestätigt die Regel, dass Privatsammlungen selten und viele Institutionen erst in den letzten dreissig Jahren gegründet worden sind. Anlässlich eines zweitägigen Kolloquiums, das in Paris vom Louvre, dem Institut français d'architecture (IFA) und dem Team der im Entstehen begriffenen Cité de l'architecture et du patrimoine (NZZ 29. 11. 99) organisiert wurde, haben rund 20 Vertreter europäischer und amerikanischer Architekturmuseen und -zentren ihre Institutionen vorgestellt. Interessant ist, welch breites Spektrum museographischer und gesellschaftspolitischer Sujets hier abgedeckt wurde. Mehr noch als in Sachen Grösse und Finanzierung unterscheiden sich die Institutionen nämlich hinsichtlich ihrer Bestimmung und ihrer Antwort auf die Frage: «Wozu dient Architektur?»


Kleines Rad im Kunstgetriebe

Zwar war das Kolloquium gut, aber nicht wirklich repräsentativ besetzt. Bezieht man freilich die wichtigsten fehlenden Institutionen mit ein, ergibt sich ein (grober) Überblick von eher traditionalistisch bis hin zu avantgardistisch ausgerichteten Häusern. Fest in der Historie wurzelt etwa das 1834 gegründete Royal Institute of British Architects (RIBA) in London, das mit 750 000 Zeichnungen (darunter 250 von Palladio), über 650 000 Photos, Tausenden von Manuskripten, Drucken und Skizzen eines der ältesten und grössten Institute seiner Art ist. Seit 1972 haben im alten Gebäude am Portland Place über 130 Ausstellungen stattgefunden. Diese Tätigkeit soll auch nach dem Umzug der Depots ins Victoria & Albert Museum fortgesetzt werden. Noch weiter geht die Integration anderer Architekturmuseen in grössere Strukturen. So denkt Dietmar Steiner vom kleinen, ehrgeizigen Architektur-Zentrum Wien etwa an eine «Konföderation» der unabhängigen Kulturinstitute im Wiener Museumsquartier zwecks gemeinsamer Nutzung von Infrastrukturen.

Das Arkitekturmuseet Stockholm, das mit einer Million Zeichnungen und 700 000 Photos über einen der weltweit reichsten Bestände verfügt, wurde von Rafael Moneo als Annexbau des 1997 auf der Insel Skeppsholmen eröffneten Moderna Museet geplant und verfügt über eine Nutzfläche von 5000 Quadratmetern. Das Pariser Centre de création industrielle (CCI), vor dreissig Jahren im Louvre als ein Teil des Musée des Arts décoratifs gegründet, übersiedelte hingegen 1974 ins drei Jahre später eröffnete Centre Pompidou. Seit seiner Fusion (1992) mit dem Musée national d'art moderne (MNAM) funktioniert es wie eine «normale» Architekturabteilung in einer thematisch breiter gefächerten Institution - gerade das Gegenteil also der meist privaten Stiftungen, die einem einzigen Architekten gewidmet sind: etwa Le Corbusier in Paris, Frank Lloyd Wright in Scottsdale oder James Stirling in London.

Ein gemeinsames Merkmal der «integrierten» Architekturdepartemente ist der pluridisziplinäre Ansatz. Alain Guiheux, Konservator am MNAM, behauptet gar: «L'architecture et les objets fabriqués forment un ensemble». Auch die Sammlung des 1932 gegründeten Department of Architecture and Design des New Yorker MoMA hütet neben dem Mies-van-der-Rohe-Archiv Objekte vom Essbesteck bis zum Hubschrauber. Die seit 1984 angelegte Architektursammlung des Getty Center in Los Angeles versteht sich ihrerseits als Teil eines Dokumentationskomplexes, der primär Forschungszwecken dient. Neuerwerbungen werden weniger durch den architektonischen oder historischen Wert eines Stücks motiviert, als durch seine Auswertbarkeit im Gesamtarchiv. Der Leiter der Spezialsammlungen, Wim de Wit, beruhigte denn auch seine weniger finanzkräftigen Kollegen: «We won't buy every interesting sketch or model to be found on the market.»

Zum Thema «Ausstellungen» gibt es die verschiedensten Meinungen. Ist die monographische Präsentation nun Lobbying für einen Architekten oder publikumswirksamer Köder? Was die Ausstellungstechnik betrifft, sind die Fachleute hin und her gerissen zwischen interaktiver Darstellung (wie im MoMA) und weiterhin auf der Schrift basierender Vermittlung (wie im Pariser Pavillon de l'Arsenal). Bei der Inszenierung finden sich bald Vitrinen, bald riesige Raumkonstruktionen (wie im Nederlands Architectuurinstituut [NAI]). Und wie ist's mit der «Aura» von Originalen, der Schwierigkeit für Laien, Pläne zu lesen, der Tatsache, dass eine Architekturschau die Werke meist nur mittelbar zeigen kann?

Grössere Probleme als die Inszenierung macht die Finanzierung: Während amerikanische Institute mit Begriffen wie «Fundraising» und «Marketing» bestens vertraut sind - das unabhängige Chicago Athenaeum wirbt z. B. mit «Buy the Good-Design T-Shirt» -, tun sich viele europäische Museen schwer mit den teilweise massiven Subventionskürzungen. An erster Stelle ist hier das von Ungers in Frankfurt erbaute Deutsche Architektur-Museum zu nennen, dessen Ausstellungsbudget trotz wichtigen Veranstaltungen innert zehn Jahren von 1,5 Millionen Mark auf null geschrumpft ist (NZZ 20. 11. 99). Manche Institutionen, etwa das Architekturmuseum Basel, werden sogar ganz von privater Hand finanziert, während das riesige, seit 1989 in einem Gebäude von Peter Rose untergebrachte Centre canadien d'architecture in Montreal, das derzeit unter der Leitung des Zürchers Kurt Forster steht, und das geplante Pariser Architekturzentrum (mit einem Jahresbudget von 14,2 Millionen kanadischen Dollar bzw. 80 Millionen Francs und 150 bzw. 110 Mitarbeitern) über bedeutende - auch öffentliche - Ressourcen verfügen.

Eine andere Frage ist die nach der Bestimmung von Architekturmuseen. Während viele grössere Institutionen sich ans herkömmliche Konzept «Sammeln, Forschen, Zeigen» halten, formulieren der Ausstellungsbeauftragte des NAI, Bernard Colenbrander, und Jean Dethier vom CCI Gedanken, die sich mit denen einer Handvoll kleiner, dynamischer Architekturzentren decken. Colenbrander, der das Konzept eines national zentrierten Museums (wie das seine) als «anachronistisch» bezeichnet, träumt von einem «Outlook Tower» im Sinne von Patrick Gaddes um die Jahrhundertwende eingerichteten «soziologischen Laboratorium» in Edinburg. Die Ganzheit der Gesellschaft sei zu reflektieren, der Architekt habe sich mit Anthropologie, Geographie, Geschichte usw. auseinanderzusetzen. Eine ähnliche Bereitschaft zur produktiven Öffnung wünscht sich Dethier: Der westliche Ethnozentrismus sei zu überwinden; das Mitbestimmungsrecht der Bürger in Sachen Stadtbau zu erweitern. «Mehr Demokratie!» lautet die Losung - eine Forderung, die nächsten Juni auch die von Massimiliano Fuksas unter den Titel «Less aesthetics, more ethics» gestellte Architekturbiennale in Venedig erheben wird.


Bürgernahe Zentren

Mehrere Architekturzentren setzen das Prinzip der Partizipation schon heute in die Tat um. So hat die von Richard Rogers präsidierte Londoner Architecture Foundation 1996 sieben Monate lang öffentliche Diskussionen veranstaltet, bei denen Politiker, Stadtplaner, Architekten und rund 15 000 Bürger über die Erschliessung der Themse, den öffentlichen Wohnungsbau und urbanistische Verbesserungen debattiert haben. Das Arc en rêve centre d'architecture in Bordeaux hat 1989 ein Brainstorming initiiert, bei dem Büros wie Calatrava, Chaix et Morel, Zaha Hadid, Koolhaas, Nouvel und Portzamparc Alternativen zu einem - ebenso wie die späteren Pläne von Dominique Perrault - nicht verwirklichten Projekt von Ricardo Bofill zur Gestaltung des Flussufers konzipiert haben. Insbesondere in Holland und in Grossbritannien sind militante, bürgernahe Zentren (etwa das jüngst in Glasgow eröffnete Lighthouse) aktiv am Stadtbau mitbeteiligt: als beratendes, kritisches und unterstützendes Organ. Manch grosses Haus wirkt dagegen selbstbezogen und realitätsfern - eben museal.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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