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Orte der Meditation
Neue Zürcher Zeitung

Neue Tendenzen in der Sakralarchitektur

Gebäude, die religiösen Bedürfnissen dienen, werden nur noch selten errichtet. Gleichwohl bleibt diese Aufgabe für Baumeister eine faszinierende Herausforderung, wie das kirchliche Zentrum in Worb und der Ort der Besinnung an der A 2 im Urnerland bezeugen.

3. Dezember 1999 - Fabrizio Brentini
Die beiden Gotteshäuser, von denen hier die Rede sein soll, scheinen eine wichtige Schwelle anzuzeigen, die den Übergang von einer dezidiert christlichen zu einer religiösen, aber nicht mehr konfessionell determinierten Epoche markiert. Worb, als Pfarrei eine Aussenstation der katholischen Gesamtkirchgemeinde Bern, benötigte schon vor zehn Jahren einen Ersatz für die barackenähnliche Notkapelle. Der Luzerner Architekt Werner Hunziker gewann 1989 den Wettbewerb für ein neues kirchliches Zentrum mit einem Entwurf, der in einer auffallend dekonstruktivistischen Manier gehalten war. Die finanzielle und gesellschaftliche Entwicklung machte den Planern aber einen Strich durch die Rechnung, so dass in mehreren Etappen abgespeckt werden musste. Realisiert wurde nun ein langgezogener Trakt, von dessen Mitte die beiden Haupträume, der Saal und die Kirche, erreicht werden. Vorgelagert sind der Turmpfeiler und ein intimer Hof, der mit seiner gedeckten Laube an mittelalterliche Kreuzgänge erinnert.

Hunziker behielt zwar mit dem Mauerwerk aus Zementsteinen etwas von der Rohbauästhetik bei, gleichwohl isolierte er das Zentrum mit dem weissen Anstrich von der Umgebung, um einen «heiligen Bezirk» auszugrenzen. Die eindrücklichste Idee kommt im Innern der Kapelle zum Tragen, wo die Wand hinter der liturgischen Bühne gänzlich in Glas aufgelöst ist, um den Blick in ein umfriedetes, nicht zugängliches und mit einem Bassin versehenes Geviert zu gewähren. Ein Metallkreuz im Wasser erscheint wie ein enigmatisches Zeichen, welches das Denken über Dies- und Jenseits, die Essenz jeglicher Religion, anverwandelt. Das Schaffen einer transparenten oder diffusen Membran scheint in der religiösen Architektur ein beliebtes Stilmittel zu sein, verwirklicht etwa bei der Kirche in Meggen von Franz Füeg, bei der Kapelle im finnischen Otaniemi von Kaija und Heikki Sirén oder bei der Kirche auf dem Wasser in Hokkaido von Tadao Ando.

Während das ebenfalls von Hunziker gezeichnete Mobiliar in Worb dem Blick auf das geheimnisvolle, magisch anmutende Areal buchstäblich im Wege steht, ist dieses für einen konfessionellen Kultbau notwendige Übel dem jungen Zürcher Architektenteam Pascale Guignard und Stefan Saner beim Bau des neuen Ortes der Besinnung bei der Gotthardraststätte der A 2 im Urnerland nicht auferlegt worden. Anknüpfend an ein in den sechziger Jahren verankertes Postulat, entlang den Autobahnen Oasen der Ruhe und der Meditation anzulegen - die bekanntesten stehen bei Baden- Baden und an der Autostrada del Sole bei Florenz -, initiierte ein konfessionell und parteipolitisch nicht gebundenes Komitee einen ähnlichen Meditationsraum an der Autobahnraststätte bei Erstfeld, die durch das Zeit-Raum-Objekt vom Obwaldner Bildhauer Kurt Sigrist in Kunstkreisen bereits ein gewisses Renommee erlangt hatte.

Auf den ausgeschriebenen offenen Wettbewerb reagierten nicht weniger als 350 Architekten und Architektinnen, aus denen nach einer zweiten Runde schliesslich Guignard und Saner obenausschwangen, die ihr Erstlingswerk mit minimalen finanziellen Mitteln auszuführen hatten. Ein strenger Würfel, der in den oberen zwei Dritteln regelmässige Felder für die Fenster aufweist, schliesst als Vorbereitungszone einen mit einer Betonbrüstung geschützten Hof ein. Einfache symbolische Zeichen zu den wichtigsten Weltreligionen stehen für den intrareligiösen Dialog, wobei die Frage erlaubt sei, ob diese Hinweise, die schon fast pädagogisch wirken, notwendig gewesen wären. Marc Rothko verzichtete in dem berühmten Vorläufer, in der Kapelle in Houston, auf solche Fingerzeige, und gleichwohl käme niemand auf die Idee, im Oktogon etwas anderes als ein religiös definiertes Gebäude zu vermuten. Der Innenraum lebt von einem einzigartigen Lichtspiel. Zwischen den Pfeilern spannen sich holzverkleidete Bänke, während im übrigen der Raum leer bleibt. Kein Mobiliar sollte von der Besinnung ablenken. Für die Fenster erfanden Guignard und Saner ein verblüffend neues Konzept, indem sie zwischen den Klarsichtscheiben Scherben von zerbrochenen grünen und braunen Flaschen auffüllten. Die Quelle für das Glas ist im Äussern leicht zu orten, während im Innern das einfallende Licht die Bruchstücke entmaterialisiert. Zukunftsweisend für die gesamte religiöse Architektur dürfte der Umstand sein, dass kein aufdringliches Emblem zu einem Besuch zwingt. Der Kultbau steht fest und unverrückbar da, aber ohne jede auftrumpfende Geste und ohne falsches Machtgehabe.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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