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Neu, aber nicht fremd
Neu, aber nicht fremd, Foto: Walter Zschokke
Neu, aber nicht fremd, Foto: Walter Zschokke
Spectrum

Hermann Kaufmann mit einem Biomasse-Heizwerk in Lech und Christian Lenz mit einem Apartment-Haus in Warth stellen einfrucksvoll unter Beweis: Auf den falschen Firnis verlogener Heimattümelei kann beim alpinen Bauen mittlerweile verzichtet werden.

11. Dezember 1999 - Walter Zschokke
Nach den elegant ausgebauten Kehren an der Westseite des Arlbergs wenden wir uns kurz vor der Paßhöhe nach Norden, um auf der von zahlreichen Lawinengalerien geschützten Flexenstraße den Wintersportort Lech zu erreichen. Unterwegs taucht vor uns im Windschutzscheibenausschnitt ein großes, holzverschaltes Gebäude auf, dessen Frontseite hoch aufragt, während das Dach pultartig flach nach hinten abfällt.

Der Bau liegt einige hundert Meter vor dem Dorf, an einer Stelle, wo Straße und Flüßchen um den knappen Raum wetteifern und die Talflanken schluchtartig zusammenrücken. Es blieb gerade noch genug Platz, um das Biomasse-Heizwerk für das nahe Lech zu errichten. Die Straße fällt in einer Rechtskurve relativ steil ab. Ihrem äußeren Rand folgt konkav eine über zehn Meter hohe, oben holzverbretterte Wand.

Der als Stützmauer niedrig beginnende, gestockte Betonsockel wird mit fallender Straße höher, übernimmt dann die Funktion der Gebäudebasis, löst sich aber nach halber Länge auf in drei runde Stahlbetonstützen, hinter denen eine offene Vorhalle liegt. Immer höher wird der untere, nun verglaste Teil, während der obere, holzverkleidete, dem Gefälle der Straße folgend, abnimmt. Nach Norden ergibt sich daraus eine klare Teilung 1:1, oben Holz, unten Glas.

Der Baukörper des Biomasse-Heizwerks interpretiert feinfühlig Topographie und Straßenverlauf. Markant bildet er ein künstliches Engnis als Auftakt zum darauffolgenden natürlichen Engnis. Er dialogisiert mit den Mitteln von Volumen, Proportion und Material mit der bestehenden Situation und schafft zugleich einen neuen Ort. Und das alles ziemlich unprätentiös. Wie eine textile Decke scheint der Holzschirm über einem unsichtbaren Gestell zu hängen, an der Attika abgekantet, unten bündig abgeschnitten. Die Stirnseiten sind leicht zurückgesetzt, an der Südseite in Form zweier gebäudehoher Schiebetore, so hoch, daß die Lastwagen zum Entladen mit vorn hochgestemmtem Ladecontainer hinausschieben können.

Doch meist sind sie geschlossen, wirken fast abweisend. Ganz im Gegensatz dazu ist die Nordfassade mit Glaswand und Vorhalle einladend. Eine Besichtigung ist nicht ausdrücklich verboten, Kinder und Jugendliche sollen aber nur in Begleitung Erwachsener hineinschauen, besagt ein Hinweiszettel. Als ökologisch wichtige Maßnahme zur Luftverbesserung im Kurort, wo bei den nicht seltenen Inversionslagen Hausbrand und Autoverkehr die Schadstoffkonzentration unangenehm ansteigen lassen, ist die Anlage Teil einer Basisinfrastruktur zur nachhaltigen Verbesserung des touristischen Angebots. Über diese Nutzfunktion hinaus bildet die von Architekt Hermann Kaufmann gestaltete äußere Hülle eine Station in der Tradition alpiner Baukunst, wie sie Lois Welzenbacher und Franz Baumann für dieses Jahrhundert begründet haben.

Einige wenige Kilometer von Lech entfernt liegt das Bergdorf Warth. Doch trennt ein unverbauter Lawinenhang die beiden Wintersportorte. Am südöstlichen Siedlungsrand, mit Blick gegen Lech hat der Vorarlberger Architekt Christian Lenz ein Apartment-Haus an die Hangkante gebaut, das dieser Tage in Betrieb geht. Zwölf kleine und zwei etwas größere Einheiten sind in einem liegenden Prisma versammelt, vor dessen Südostfassade sich dreigeschoßig Balkone hinziehen, die an den Stirnseiten keck über das Gebäudevolumen hinausstehen.

Die übrigen drei Fassaden sind horizontal mit Lärchenbrettern verschalt. Noch strahlen sie hell und schnittfrisch, während die nahen landwirtschaftlichen Nutzbauten von Sonne und Wetter längst dunkelbraun gegerbt sind und dennoch den warmen Grundton nicht verloren haben. In der kühlen und trockenen alpinen Höhenlage hält Holz länger, kann es unbedenklicher bezüglich Feuchtigkeit eingesetzt werden, weil die organischen Zerfallsprozesse langsamer ablaufen. Holz ist daher ein ideales Material fürs Bauen in den Bergen.

Doch wissen gerade die Vorarlberger Holzbauspezialisten um die Brandgefährdung des Materials Holz. Das Innere des Apartment-Hauses ist daher durch Schotten aus Stahlbeton unterteilt, die auch die drei Stiegenhäuser umschließen. Die Apartments weisen zwei Zimmer, Bad und Kochnische auf. Der breite Balkon würde selbst bei Wintersonne zum vergnüglichen Frühstücken einladen – wenn nicht die weißen Pisten wirksamer lockten.

Das knapp kalkulierte, rational konzipierte Bauwerk erscheint nicht als Fremdkörper, weil es sorgfältig in die Topographie eingefügt wurde. An der Rückseite entsteht zwischen der zweieinhalbgeschoßigen Hausfassade und dem in den Hang eingegrabenen, erdüberdeckten Carport eine Gasse, die durch die drei Eingänge mit ihren kurzen, kragenartigen Wetterschutzvorbauten belebt wird.

Die mittlere Größenordnung des Gesamtbaukörpers wird durch diese Dreiteilung angenehm relativiert. Die Vorderfront,als Ganzes auf Fernwirkung bedacht, erhält mit der luftigen Balkonstruktur eine schleierartige Raumschicht vorgelagert, die das kantige Volumen weicher macht.

Dem Entwerfer gelingt es damit, in einer zeitgenössischen Formensprache zur nahen und ferneren Umgebung zu vermitteln, das Bauwerk zwar neu, aber in struktureller Hinsicht nicht fremd erscheinen zu lassen. Dies wird sich insbesondere als Qualität erweisen, wenn das Gebäude später mit wettergebräunter Hülle in schneefreier Landschaft steht. Da Schnee die Konturen weich werden läßt und vieles zudeckt, wirken Bauwerke im Winter meist „idealer“ und präziser von der Umgebung abgesetzt. Der Anblick im Sommer bildet daher eine härtere Prüfung.

Hermann Kaufmann und Christian Lenz arbeiten schon seit längerer Zeit in Ateliergemeinschaft. Meistens bearbeiten sie ihre Bauten individuell, bei komplexeren Aufgaben aber auch gemeinsam, da das Gespräch Eindringtiefe und Qualität steigert und Christian Lenz nach einem Jahr Designpraxis in Italien zusätzliche Aspekte einbringt.

Doch stehen sie in Vorarlberg nicht allein. Andere Büros arbeiten vergleichbar. Gesamthaft zeigt sich, daß zeitgenössische Architektur auch für die Tourismusindustrie selbstverständlicher geworden ist.

Auf den falschen Firnis verlogener Heimattümelei kann mittlerweile verzichtet werden. Die Kriterien verschieben sich hin zu zeitgenössischer architektonischer Qualität.

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