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Rezepte für die Zukunft
Neue Zürcher Zeitung

Das Museum für Kunsthandwerk in Leipzig vor dem Umbau

In den letzten Jahren der DDR wurde das Leipziger Museum für Kunsthandwerk - eines der ältesten und bedeutendsten Deutschlands - zu einem Schatten seiner selbst. Nun endlich soll die Sanierung nach den Entwürfen von David Chipperfield beginnen. Doch die Pläne der Museumsleitung für die Ausstellungsgestaltung wirken unausgegoren und rückwärtsgewandt.

15. Januar 2000 - Hubertus Adam
Das Museum für Kunsthandwerk in Leipzig kann auf eine lange Tradition zurückblicken: Vor 125 Jahren von dem heute vergessenen Bildhauer Melchior zur Strassen gegründet, gilt es als zweitältestes Institut dieser Art in Deutschland. Nachdem man zunächst ein Domizil am innerstädtischen Thomaskirchhof bezogen hatte, entstand 1892 bis 1895 am Königsplatz in der Formensprache der italienischen Renaissance ein Neubau nach Plänen des Stadtbaurats Hugo Licht. Nach der für die Finanzierung verantwortlichen Stiftung des Kaufmanns Franz Dominic Grassi hiess der Komplex, der auch das Völkerkundemuseum beherbergte, fortan Grassi-Museum.


Kleinmut und Betulichkeit

Unter dem Direktorat von Richard Graul erfolgte schliesslich der Umzug in einen östlich des Stadtzentrums gelegenen Neubau, den das ortsansässige Büro Zweck & Voigt unter Mitwirkung von Stadtbaurat Hubert Ritter zwischen 1925 und 1929 errichtet hatte. Der um zwei Höfe gruppierte Komplex vereinte Gestaltungsprinzipien einer moderaten Moderne mit Elementen des Art déco. Aufmerksamkeit erregte das Museum für Kunsthandwerk nicht nur durch seine exquisite Sammlung, sondern durch die in einem Seitenflügel zweimal jährlich parallel zur offiziellen Messe veranstalteten Grassi-Messen - von Graul im Sinne der Werkbund-Idee konzipierte Präsentationen von Kunstgewerbe und Industriedesign. Von den Kriegszerstörungen hat sich das Museum für Kunsthandwerk bis heute nicht erholt. Auch wenn zu DDR-Zeiten einige Ausstellungssäle wiedereröffnet werden konnten, bezogen Fremdnutzer weite Teile der einstigen Saalfolgen. Ein Defekt der Heizung erzwang schliesslich im Jahr 1982 die Schliessung der Dauerausstellung.

Dem Museum für Kunsthandwerk fiel es nach der Wende schwerer als anderen Ausstellungsinstituten der Stadt, ins öffentliche Bewusstsein zurückzukehren. Während das aus dem ehemaligen Reichsgericht ausquartierte Museum der bildenden Künste einen opulenten Neubau auf dem Sachsenplatz erhält und für die neu gegründete Galerie für zeitgenössische Kunst eine noble Gründerzeitvilla nach Plänen von Peter Kulka hergerichtet wurde, konnten im Grassi-Museum 1994 gerade einmal fünf Ausstellungssäle für die ständige Sammlung des Museums für Kunsthandwerk wiedereröffnet werden, nachdem ein mit der Sanierung beauftragtes Architekturbüro an der Komplexität des Vorhabens gescheitert war. Ein daraufhin von David Chipperfield erarbeitetes sensibles Konzept für die Restaurierung und Erweiterung des Baukomplexes (der heute auch das Völkerkunde- und Musikinstrumenten-Museum beherbergt) blieb zunächst ohne Folgen, da sich die Stadt Leipzig und das Land Sachsen nicht über die Finanzierung einig wurden.


Griff in die didaktische Mottenkiste

Mit den nach zähem Ringen bewilligten 60 Millionen Mark lässt sich zwar nur der erste Teil von Chipperfields Konzept realisieren - nämlich die Sanierung und museale Wiederinbetriebnahme des bestehenden Baus -, doch wird in absehbarer Zeit zumindest die nötige Fläche für die ständige Sammlung und für Wechselausstellungen zur Verfügung stehen. Ein gemeinsam mit den Leipziger Gestaltern Heinz-Jürgen Böhme und Detlef Lieffertz erarbeitetes Konzept der künftigen Präsentation, das die Direktion soeben im ersten Band der Jubiläumspublikation der Öffentlichkeit vorgestellt hat, wirkt allerdings wenig inspirierend. Nicht nur, dass die Gestaltung der Räume mit Vitrinen und Podien zuweilen eher plump und bieder anmutet; geradezu absurd wirkt der Vorschlag, den einst von Bruno Paul ausgestatteten und mit Glasfenstern von César Klein versehenen Empfangsraum mit (neu zu erstellenden) Gipsabgüssen antiker Skulpturen auszustatten.

Konzeptionell fallen die offenkundig überforderten Verantwortlichen damit deutlich hinter Richard Graul zurück, welcher die Kleinkunst der Antike gleichberechtigt mit Kunstwerken anderer Epochen und Kulturen innerhalb des von ihm erdachten, weitestgehend chronologisch gegliederten Ausstellungsrundgangs zeigte. Da nun endlich die Möglichkeit zum Aufbruch besteht, wäre die Museumsleitung gut beraten, sich nicht mit dem Griff in die didaktische Mottenkiste auf den Weg in die Zukunft zu begeben. Etwas mehr Phantasie, etwas mehr Vision täte not - wann sonst bietet sich schon die Möglichkeit, eine völlig neue Konzeption für eine hochkarätige Sammlung zu entwickeln? Es wäre schade, wenn Kleinmut und Betulichkeit den Sieg davontrügen, obwohl gerade in Leipzig die Chance bestünde, die aus dem 19. Jahrhundert stammende Idee des Kunstgewerbemuseums zu überdenken. Anstatt Grauls Präsentation unter heutigen Bedingungen zu adaptieren, könnte gerade die bewusste Überlagerung vergangener und dezidiert zeitgenössischer Präsentationsstrategien zum eigentlichen Reiz der Ausstellung werden. Damit gelänge es nicht nur, die Kunst ins rechte Licht zu rücken, sondern auch die Sammlungsgeschichte selbst zum Thema zu machen. Anzumahnen wäre in diesem Zusammenhang eine Ausstellung über Graul, dessen Bedeutung als Kunst- und Kulturreformer immer noch weit unterschätzt ist.


Insel der künstlerischen Qualität

Mit der anlässlich des Jubiläums erarbeiteten, unter dem irreführenden Titel «Wettbewerb der Moderne» präsentierten Ausstellung zur Geschichte der Grassi-Messen, die zwischen 1920 und 1956 stattfanden, wurde zumindest ein Schritt in die richtige Richtung unternommen. Schliesslich waren es gerade diese Veranstaltungen, die den Ruf des Museums international festigten und es der Leitung ermöglichten, Spitzenerzeugnisse des zeitgenössischen Kunsthandwerks und Industriedesigns zu günstigen Konditionen zu erwerben. Graul sei es gelungen, hielt einst der Architekt Fritz Schumacher fest, «in den geschmacklosen Hexensabbat der Leipziger Messe . . . eine Insel wirklicher künstlerischer Qualität hineinzubringen».

Allerdings konnte der Qualitätsanspruch der 1927 durchgeführten Schau «Europäisches Kunsthandwerk» nicht dauerhaft aufrechterhalten werden; internationale Beteiligungen waren eher die Ausnahme, und das Bauhaus war nur an zwei Grassi-Messen mit von der Partie. Gewiss, die Wiener Werkstätten zählten zu den wichtigen Ausstellern, ebenso die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein, die Karlsruher Majolika-Manufaktur, die Porzellanmanufaktur Meissen und Firmen wie Thonet oder Villeroy & Boch. Dass die Erzeugnisse jedoch wirklich immer der von Graul postulierten Qualitätsauslese entsprachen, mag man beim Rundgang durch die chronologisch gegliederte und ansprechend inszenierte Schau bezweifeln. Indes gelang es auch nach 1933, moderne Akzente zu setzen, wie der von Lilly Reich entworfene Stand für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke (Frühjahr 1936) beweist. Das elegante Präsentationssystem aus Stahlrohr und Rauchglastablaren für die Arbeiten von Wilhelm Wagenfeld wurde rekonstruiert und bildet zweifellos den Höhepunkt der jetzigen Ausstellung in Leipzig. (Bis 30. Januar)


[ Begleitpublikation: 125 Jahre Museum für Kunsthandwerk Leipzig / Grassi-Museum. Teil 1. Hrsg. Olaf Thormann. Passage-Verlag, Leipzig 1999. 68 S., DM 25.-. (Teil 2 mit einer Dokumentation der Grassi-Messen soll im Frühjahr 2000 erscheinen.) ]

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