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Neue Zürcher Zeitung

Abschluss der Restaurierung in der Sixtinischen Kapelle

8. Januar 2000 - Axel Christoph Gampp
Fast zeitgleich mit dem Pontifikat des seit 1978 amtierenden Papstes begannen die Restaurierungsarbeiten in der Cappella Sistina. 1979 hatte man an der Eingangswand angefangen; fortgesetzt wurden die Arbeiten 1980-84 an den Lünetten mit den Sibyllen und Propheten Michelangelos, bevor 1985-1989 die Decke folgte. Den Abschluss der Restaurierungen der Michelangelo-Fresken bildete die Reinigung des Jüngsten Gerichtes 1990-1994. Im Laufe dieser Arbeiten wurde immer deutlicher, dass die obere Zone der Kapelle mit ihren in neuem Glanz erstrahlenden Farben in einem zu starken Kontrast zu den Fresken aus dem 15. Jahrhundert in der unteren Zone stünde. Deswegen entschloss man sich beizeiten, nach Abschluss der Arbeiten an Altarwand und Decke auch die Restaurierung der Seitenwände in Angriff zu nehmen. 1995 konnte damit begonnen werden. Nun, nach Beendigung, ist die Kapelle erstmals seit 20 Jahren von Gerüsten frei.


Malerwettstreit im Quattrocento

Die aufgefrischten Fresken des späten 15. Jahrhunderts werden in der Wahrnehmung gerne von denjenigen Michelangelos überstrahlt. Doch muss in Erinnerung gerufen werden, dass sie von den bedeutendsten Meistern ihrer Zeit stammen. Die Hauptprotagonisten sind Sandro Botticelli, Raffaels Lehrer Pietro Perugino, Michelangelos Lehrer Domenico Ghirlandaio und Cosimo Rosselli. Die Mitarbeit Luca Signorellis ist ebenfalls bekannt. Verträge wurden 1481 abgeschlossen, schon im folgenden Frühjahr waren die Fresken ausgeführt. Zwei Zyklen stehen sich gegenüber: auf der Evangelienseite (linke Wand vom Eingang aus) sechs Szenen aus der Moses-Vita, auf der Epistelseite sechs Szenen aus der Vita Christi. Obwohl sämtliche Künstler aus umbrisch-toskanischem Ambiente stammten, brach - glaubt man der Schilderung Vasaris - sofort ein Konkurrenzkampf aus, als sie sich alle auf derart engem Raum vereint sahen.

Verschärft wurde er durch eine von Papst Sixtus IV. in Aussicht gestellte Siegesprämie für den besten Künstler. Der schwächste unter ihnen sei Cosimo Rosselli gewesen, bei dem die «Anbetung des Goldenen Kalbes», die «Bergpredigt» und das «Abendmahl» in Auftrag gegeben wurden. Weil er um seine Unbeholfenheit bei Bildfindung und Zeichnung wusste, glaubte er, diese Mängel am besten durch den Auftrag teuren Materials kaschieren zu können. Dazu verwendete er in reichem Masse Ultramarin, viel Gold und kräftige Farben, «so dass kein Baum, kein Kraut, kein Gewand, keine Wolke war, die nicht leuchtete» (Vasari). Obwohl er damit den Spott seiner Kollegen auf sich zog, konnte er doch den Papst mit dem Farbglanz überzeugen und erhielt die Prämie zugesprochen.

Die jahrhundertealte Schmutzschicht hat bislang die Anekdote wenig nachvollziehbar gemacht, doch auf den frisch restaurierten Fresken lässt sich nun einiges davon unmittelbar erkennen. Der etwas dürftigen Pressemitteilung zum Abschluss der Restaurierung ist etwa zu entnehmen, dass Rosselli hellgelbes «giallorino» (Neapelgelb), Botticelli hingegen das goldgelbe Schwefelaresenik, sogenanntes Rausch- oder Königsgelb (Auripigmentum) verwendete. Die letztgenannte Farbe lässt aufhorchen: ihr Gebrauch war schon von Plinius in der Antike beschrieben worden, der ausdrücklich die Empfehlung beifügte, man möge sie auf Kreidegrund und nicht auf nassen Grund auftragen. Tatsächlich haben die chemischen Untersuchungen zutage gefördert, dass die Fresken der unteren Zone nicht auf normalem Putz gemalt wurden, sondern auf einem ebenfalls aus antiken Beschreibungen bekannten und hier in der Neuzeit erstmals wieder angewandten Malgrund aus Kalk und Pozzolanerde, der offenbar viel feiner ist. Von blossem Auge lässt sich erkennen, dass sich der «schwächere» Rosselli durch den besonders reichen Einsatz von Goldhöhungen hervortut, namentlich etwa in der «Anbetung des Goldenen Kalbes», wo er sogar bis in die Himmelssphäre hinein ausgedehnt wird und zur tatsächlich einzigen leuchtenden Wolke im gesamten Zyklus führt. Demgegenüber fällt die Flusslandschaft im Hintergrund, die nun wieder in feinsten Nuancen zu erkennen ist, gegenüber jenen von Botticelli oder Ghirlandaio in der «Versuchung Christi» oder der «Apostelberufung» merklich ab.

Auch hier deckt sich Vasaris Aussage mit der Wirklichkeit. Die Feinheit der chromatischen Abstufungen hängt übrigens wiederum unmittelbar mit dem Malgrund und der Technik zusammen. Wie man bei der Restaurierung hatte erkennen können, wurden nur einige Pigmente auf den nassen Grund gemalt («al fresco»), andere hingegen später darübergelegt («mezzo fresco»), um den Arbeiten schliesslich mit trockenen Farben oder Goldhöhungen den letzten Schliff zu geben. Die differenzierte Vorgehensweise steht an sich der Tafelmalerei näher als der traditionellen Wandmalerei und stellte in ihrer Zeit eine absolute Novität dar.


Diskrete Eingriffe

Nach der Reinigung sind alle zwölf Fresken wieder von jener kristallinen Klarheit durchdrungen, die auch die Tafelmalerei der Zeit auszeichnet. Die Restaurierung ist offenbar sehr behutsam erfolgt. Insbesondere haben diesmal die Restauratoren auf eine unerträgliche Eitelkeit verzichtet: Während an der Decke und im Jüngsten Gericht immer wieder dunkle Stellen belassen wurden, um den Vorzustand zur Schau zu stellen, hat man hier solchen überflüssigen Schnickschnack weggelassen. Zwei Schäden wurden behoben: Zum einen hatte man auch schon bei früheren Auffrischungen Wasserschäden von den Fenstern zu beseitigen versucht, teilweise durch Übermalungen. Sie wurden behutsam rückgängig gemacht. Die anderen Schäden an den unteren Bildrändern stammten von den Leitern, die immer wieder zu liturgischen Festtagen angelegt wurden, um in der Kapelle die Teppichserie Raffaels aufzuhängen. Auch hier konnte Abhilfe geschaffen werden.

Der Gesamteindruck ist bestechend: Über alle künstlerischen Unterschiede hinweg verbindet eine sanfte Harmonie die gesamte Zone, die ihr einen hohen Eigenwert verleiht und eine Eigenständigkeit gegenüber den Fresken Michelangelos, welche mit viel stärkeren Effekten arbeiten. Wo nun alles in einem neuen Lichte erscheint, vermögen sich die Quattrocento-Malereien durchaus gegenüber der oberen Zone zu behaupten.

Im Zuge der Restaurierungsarbeiten wurden auch die unter den Szenen gemalten Vorhänge, das marmorne Chorgitter sowie die Brüstung der Sängertribüne gereinigt. Auf der Tribüne kamen unter späteren Übermalungen über 200 Graffiti hervor, darunter das einzige bekannte Autograph von Josquin Desprez sowie dasjenige von Carpentras, dem Chorleiter unter Leo X. Beide lassen die Ahnung aufsteigen, wie herrlich der Raum erst gewesen sein muss, wenn er noch zusätzlich mit ihrer Musik angefüllt war.

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