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Im Glasschatzhaus der Kunstzeitalter
Der Standard

Star-Architekt Jean Nouvel baut bis 2004 das Pariser „Museum der Künste und Zivilisationen“

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac möchte seinem Vorgänger Mitterrand nacheifern, indem er einen architektonischen Markstein setzt: das künftige Museum der Künste und Zivilisationen (Musée des arts et civilisations) am Quai Branly, ganz nahe dem Eiffelturm.

28. Dezember 1999 - Olga Grimm-Weissert
Nach Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs wurde der französische Stararchitekt Jean Nouvel mit dem Bau beauftragt. 14 Tage nachdem Nouvel den Wettbewerb für den Ausbau des Madrider Museums Reina Sofia gewonnen hatte, kürte eine Jury das durch Grünflächen luftig erweiterte Museumsprojekt des 55-jährigen Franzosen.

Die Bauarbeiten, für die umgerechnet 2,2 Milliarden Schilling vorgesehen sind, sollen 2001 beginnen; die Eröffnung des Museums ist für 2004 vorgesehen. Nouvels preisgekröntes Projekt sieht zum Quai Branly hin eine seiner erprobten Glaswände vor, auf die er Bäume serigraphieren lässt, um der Ökologie zu genügen. Auch soll die Glasfront den Straßenlärm abwehren. Hinter der Wand pflanzt Gartenarchitekt Gilles Clément hohe Eichen, die die Besucher in andere Welten versetzen. In einer Stahl- und Glaspassage wird man mit den ersten Objekten konfrontiert.

Jean Nouvel wählte dunkles Holz, Stuck, Stahl und Glas, gedeckte Farben wie Ocker, Dunkelbraun und Schwarz, um die Präsenz ferner „Kulturen“ physisch spürbar zu machen. Insgesamt verfügt Nouvel über 2,5 Hektar Gesamtfläche, wovon auf den Museumsbau 30.000 Quadratmeter entfallen, 7500 Quadratmeter auf Grünflächen vor und hinter dem Gebäude.


Vier Kulturkreise

Das Musée des arts et civilisations, derzeit auch Musée du Quai Branly genannt, soll vier Kulturkreise thematisieren: Afrika, Nord- und Südamerika, Ozeanien. Seine Aufgaben (sowie seine Finanzierung, Leitung und politische Strukturierung) schließen traditionelle Museumsarbeit (Konservierung und Pflege der Sammlungen, Ausstellungen auf den 2000 Quadratmetern im Untergeschoß) und Forschungsarbeit ein. Das Kultur-und das Unterrichtsministerium teilen sich die Gesamtkosten zu gleichen Teilen. Die Wahl einer Mediathek, eines Auditoriums, aber auch eines Restaurants in einem abgeflachten Kuppelbau sind die logische Konsequenz dieser Doppelfunktion.

Die baulichen Vorgaben für das Museum wurden unter der Leitung des 43-jährigen Generaldirektors Stéphane Martin gemeinsam mit Kurator Germain Viatte und dem Ethnologen Maurice Godelier erarbeitet. Martin, der 2000 über ein Jahresbudget von 42 Millionen Schilling disponiert, stellte auch die Jury zusammen, die er präsidierte und deren Wahl er „seinem“ Präsidenten Chirac vorlegte, der sie genehmigte.

Die politische Konstellation an der Spitze des Teams ist proporzgemäß: Martin und Viatte sind Mannen von Chirac, Godelier, den Unterrichtsminister Claude Allègre ernannte, sowie Nouvel sind Sozialisten.

Dem Museumsprojekt ging eine langjährige und für Frankreich ziemlich heftige Polemik voraus. Die Ursprungsidee eines schicken Völkerkundemuseums geht auf Chirac-Intimus Jacques Kerchache zurück. Da Kerchache Händler und Sammler war, kam sofort der Verdacht auf, er würde seine höchstpersönlichen Interessen via Präsident vertreten.

Seit der Ernennung von Stéphane Martin vor einem Jahr glätteten sich die Wogen. Derzeit bereitet Kerchache einen „Ableger“ des zukünftigen Museums im Louvre vor, wo 140 von ihm ausgesuchte Objekte aus den staatlichen Sammlungen des Musée de l'Homme bzw. dem Musée national des Arts d'Afrique et d'Océanie ab April 2000 ausgestellt werden. Da er die mit 300 Millionen Schilling veranschlagten Ankäufe für die Sammlung des Musée du Quai Branly ohne Funktion „überwacht“, nennt ihn Stéphan Martin den „politischen Pfadfinder der Ankäufe“.

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