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Windnester und Pavillonatolle
Der Standard

Eine erste Vorschau auf die Ländergebäude der Expo 2000 in Hannover, die ihre Besucher ab Juni mit viel Holz, viel Natur und noch mehr Ökologie empfangen wollen.

8. Januar 2000 - Ute Woltron
Erst am 1. Juni dieses Jahres eröffnet in Deutschland die Expo 2000. Noch wird auf -dem weiträumigen Weltausstellungsgelände in Hannover gebuddelt, betoniert und geschraubt, doch ist es an der Zeit, einen ersten Blick auf die entstehenden Architekturen zu tun, mit denen die einzelnen Nationen in Form ihrer jeweiligen Länderpavillons ein halbes Jahr lang Millionen von Besuchern zu verblüffen beabsichtigen.

Soweit es Pläne, Computerrenderings und Architekturmodelle bisher verraten, wird auch diese Weltausstellung wieder einen überwältigenden Misthaufen der üblichen nichtssagenden Ethno-Kitsch-Streu präsentieren, in dem sich aber das eine oder andere Architektursamenkorn findet. Rund 200 Nationen gehen an den Expo-Start, nicht alle leisten sich diese Pavillonsolitäre. Viele Nationen treten mit bescheideneren Hallenbeiträgen auf.

So auch Österreich. Das Wiener Architektenteam Eichinger oder Knechtl hat der Republik eine intelligente multimediale Architekturlandschaft gewidmet, die im Gegensatz zu den nachgerade genannten Älplerauftritten der Vergangenheit in Sevilla oder Lissabon eine Wohltat an Fortschritt, Idee und Umsetzung darstellt. Wir werden Näheres berichten.

Doch nun zu den internationalen Pavillons: Soweit sich Architekturen, wie gesagt, über Papier, Modelle und Bilder vermitteln können, stechen einige Projekte deutlich vor. Am deutlichsten im Beitrag der Länderbeitrag der Niederlande. Sein Anblick brennt sich in Augenblinzelschnelle unauslöschlich ins Betrachtergehirn ein, und was lässt sich über Selbstpräsentationsarchitektur in der heutigen, die Gehirne höhlenden Eindrucksflut eigentlich Besseres sagen? Holland, das Land, das großteils in das Meer gebaut wurde, serviert den Expobesuchern seine markantesten Landschaften übereinandergestapelt auf einer fünfgeschossigen Architekturetagere. Das Gustieren beginnt auf dem obersten Tablett mit einer künstlichen Gegend aus Wasser und Windmühlen, wohin sich der Schaulustige zuerst per Lift verfügt, um in weiterer Folge durch artifizielle Wälder, Blumenschichten und Dünengegenden abzusteigen. Zuunterst kehrt er dann wieder auf den Asphaltboden der Expotatsachen zurück.

Holland nimmt mit diesem schnippisch-hochtechnologischen Landschaftsandwich das diesjährige Expo-Motto „Mensch, Natur und Technik“ einigermaßen wörtlich und macht sich selbst und seine dem Wasser abgerungenen Lande gleich in Häppchenform zum Beitrag. Die Gestalter des aufsehenerregenden Konstruktes sind die momentan bestbesprochenen Architektur-Querköpfe der Niederlande, Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries, in den vergangenen Jahren unter MVRDV zum Trademark für verblüffende, erfrischende und gewagte Architektur avanciert.

Xmal ist der nüchterne Schweizer Peter Zumthor zum Liebling der Architekturkritik erklärt worden, vor allem der ganz strengen, ernsten. Der Architekt hat seinerzeit das Handwerk des Möbeltischlers erlernt und bringt diese Kunst in Hannover nun großdimensional zur Anwendung. Er türmt 3000 Kubikmeter Massivholz von Lärchen und Föhren in rechten Winkeln zu einem 50 mal 60 Meter Block von neun Metern Höhe und füllt die diversen Gänge und Hohlräume, Höfe und Atrien (die durch die gekonnte Balkenschichtung mittels Stahlseilen und Schifthölzern als Abstandhalter entstehen) mit nichts anderem aus als mit Licht, Luft, Klängen und den Besucherströmen, die sich durch die Gebäudeskulptur wälzen werden. Die einzelnen Holzpfosten bleiben unbeschadet, sie können nach Abbau der begehbaren Skulptur - die heisst übrigens ein wenig hölzern und unsexy „Klangkörper Schweiz“ - wiederverwendet werden. Dieser handwerklich gekonnte und ökologisch verantwortungsvolle Beitrag hat seinem Autor Zumthor bereits vor Fertigstellung den Hiag-Holzpreis 99 eingebracht.

Einen ähnlichen offensichtlichen Öko-Ansatz verfolgt auch Japan mit seinem Pavillion, doch der präsentiert sich weit spektakulärer inszeniert und noch dazu zur Gänze aus Papier und Textil konstruiert. Als Architekt hat man hier Recyklierpapierspezialist Shigeru Ban verpflichtet, der mit der vermeintlich wert-und gehaltlosen Materie die erstaunlichsten Bögen zu spannen vermag. Die sind nicht nur konstruktiv intelligent, sondern auch wirtschaftlich interessant gemacht - im Auftrag der Vereinten Nationen entwarf Shigeru Ban etwa schnell errichtbare Billig-Notunterkünfte für Flüchtlinge aus standardisierten Papierrollen.

Die hannoveranische Behausung hat mit Bescheidenheit und Sparsamkeit allerdings nichts am Hut. Sie spannt sich als riesiges gekrümmtes Flächentragwerk auf 89 Metern Länge über 35 Meter Breite und überdeckt mit ihren textilbespannten Papierrippen eine mehrgeschossige Ausstellungshalle. Der Pavillon zählt zu den größten und sensationellsten der gesamten Schau, die Japaner werfen sich mit ihrem diesjährigen Beitrag besonders ins Zeug, weil sie den Besuchern die geplante Weltausstellung des Jahres 2005 schmack haft machen wollen: Die findet bei ihnen zuhause in Aichi statt.

Pappe- und Papierelemente des eleganten Konstrukts sind allesamt wiederverwertbar, sie werden nach Ende der Expo zu Papiermachee verarbeitet und dürfen als Zeitungen, Bücher, Toiletteartikel ihren Weg durch die Wohnzimmer der Menschheit fortsetzen.

Die ZERI-Foundation (Zero Emissions Research Initiative) setzt ebenfalls auf ökologisch sinnige Architektur, sie stellt ein riesiges Bambus-Holz-Schwammerl auf's Gelände und will unter anderem zeigen, dass der natürliche Werkstoff Bambus als Beton-Bewehrung dem Stahl gleichwertig sein kann, wenn er richtig eingesetzt wird. Und auch in Spanien, dem Land der Oliven- und Eukalyptusmonokulturen beteuert man neuerdings Ökodenken: Die Iberier verkleiden ihren Pavillonkubus rundherum mit Kork - dass der selbstver ständlich ebenfalls wiederverwertbar ist, versteht sich von selbst.

Einige Gestaltungs- beziehungsweise Themenelemente finden sich auf dem Gesamtgelände gleich ein paar mal. So grünt in den Pavillons der Franzosen und der Finnen je ein Wäldchen. Das eine hat sich die Pariserin Francoise-Hélène Jourda ausgedacht. Sie stellt ihre Rundholz-Baumkonstruktionen in einen durchscheinenden Glaskubus, versteckt alle erforderlichen Leitungen und Verkabelungen in den Stämmen und hält so einen schönen, stimmungsvollen Innenraum für ihren Auftraggeber, die Sportartikelfirma Decathlon, zur beliebigen Selbstdarstellung frei.

Die Finnen mögen es noch natürlicher. Sie transportieren gleich ein ganzes lebendes Birkenwäldchen an, durchziehen es mit Brücken und umbauen es mit der gediegenen handwerklichen und gestalterischen Qualität finnischer Holzarchitektur. Der Wald wird von zwei Scheiben vor Witterungsunbill geschützt, weshalb das Gebäude der Architektengruppe SARC, Sarlotta Narjus und Antti-Matti Siikala, „Windnest“ genannt werden darf.

Neben dem großzügigen Gebrauch von Hölzern und Wäldern ist es heuer ebenfalls in, mit viel Wasser und den sich dadurch ergebenden, so prächtig spiegelnden Flächen zu spielen. Ganze Pavillonatolle ruhen inmitten diverser Seen und Wasserozeane. Schweden zeigt sich etwa umwassert und auch die Southern African Development Community-Staaten, Kroatien und Dänemark, die karibischen Inselstaaten sowieso. Und Norwegen protzt gar mit einem 15 Meter hohen Wasserfall, durch den der Besucher einen „Raum der Stille“ betritt. Neben Naturgüter wie Holz und Wasser setzten die Teilnehmer zumeist auf High-Tech und Multimedia, doch über die Qualität der geplanten virtuellen Welten darf man naturgemäß erst nach der Expo-Eröffnung und nach dem Durchwandeln derselben urteilen.

Zu guter Letzt gibt es noch zwei Pavillonschlappen zu berichten. Die eine betrifft den Gastgeber Deutschland. Der hatte für sein Großgebäude zwar zwei Wettbewerbe ausgerufen, die beide hintereinander Architekt Florian Nagler gewinnen konnte, doch der stieg wegen ständiger Forderungen und Entwurfsänderungen schließlich entnervt aus dem Projekt aus. Gebaut wird nun in Windeseile der sehr stahlintensive, megatonnenschwere Entwurf des Investors Josef Wund. Und auch den Amerikanern ist nicht alles so gelungen, wie geplant. Sie brachten es zwar immerhin auf einen Pavillonentwurf, doch Sponsor wollte sich dafür keiner finden.

Ob die Jubiläums-Expo des Jahres 2000 die Architektur voranbringen wird, wird man erst sehen können, wenn alles eins zu eins fertiggestellt ist. Joseph Paxtons Kristallpalast in London, wo die allererste Weltausstellung 1851 stattgefunden hatte, ist jedenfalls ebenso in die Geschichte eingegangen wie Mies van der Rohes Deutschland-Pavillon für Barcelona 1928.

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