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Onduliert in den Kerker
Der Standard

aus der Reihe: „Österreicher des Jahrhunderts“

Margarete Schütte-Lihotzky ist die wichtigste österreichische Architektin des ausgehenden Jahrhunderts. Im Jahr 1942 wurde sie von den Nazis zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Gefangene nahm den Schuldspruch mit prächtig onduliertem Haar entgegen. Sie hatte es tags zuvor im Gefängnis sorgfältig mit Papierröllchen eingedreht, denn die Freude wollte sie ihren „Mordrichtern“ nicht bereiten, dass sie geschlagen vor ihnen erscheine, „auch nicht in äusserlich“.

31. Dezember 1999 - Ute Woltron
Grete Schütte-Lihotzky, Kommunistin und Vorkämpferin für eine bessere, gerechtere Welt, NS-Widerstandskämpferin, nach dem Krieg als deklarierte Linke gebrandmarkt und jahrzehntelang vom offiziellen Österreich fast totgeschwiegen, wird im Jänner 2000 ihren 103. Geburtstag feiern - unerschüttert, ungebrochen und lebenslustig wie in jenen Jugendtagen, als sie in Paris mit Architektenkollegen wie Le Corbusier das Tanzbein schwang.

Als blutjunge Studentin bot sie ihren männlichen Kollegen Paroli in einer Zeit, in der man Mädchen lieber am Strickstrumpf sitzen sah als am Zeichenbrett. Das Mädel aus so genanntem gutem Haus debattierte abends mit Arbeitern bei Petroleumlampen an den Wirtshaustischen der Armenbezirke. Sie studierte die katastrophalen Lebens- und Wohnbedingungen der Menschen und setzte sich fürderhin zeitlebens für bessere Lebensumstände ein.


Früchte woanders

Frucht trug dieses Bemühen in der Sowjetunion, wo sie Schul- und Kindergartenanlagen errichtete, oder in Frankfurt, wohin die sozial engagierte junge Architektin 1926 geholt worden war und wo sie die Einbauküche erfand. Diese „Frankfurter Küche“ ist die wohl berühmteste Arbeit der Grete Schütte-Lihotzky.

Obwohl über hundert Jahre alt, tritt die große alte Dame der Architektur immer noch energisch für ein kluges, bewusstes und solidarisches Zusammenleben ein. Vor allem die Frauen, meint sie, müssten sich viel stärker untereinander verbünden, sich gegenseitig Arbeit abnehmen und auch lieber gemeinschaftlich, als jede für sich, auf die Kinder schauen. Die Stadt, das Wohnhaus der Zukunft sollte diesem Anliegen entsprechen und verstärkt auf Gemeinschaftseinrichtungen setzen.

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