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Die Welt ist überfüllt von schlechtem Design
Der Standard

Designer und Architekt Paolo Piva über die Zukunft des Designs, die Zukunft des Designers und sein neues Arbeitsmittel Computer. Ute Woltron sprach mit ihm.

18. Dezember 1999 - Ute Woltron
Standard: Die vergangenen Jahrzehnte haben uns einen Designboom beschert. Wo steht die Disziplin heute?

Paolo Piva: Das Design der 60er-, 70er- und 80er-Jahre war großteils von Architekten beherrscht und dadurch vom Konzept von Form und Funktion. In den 80er-Jahren ist man davon wieder abgekommen. Plötzlich war Design wieder alles. Das hat zu einer gewissen Banalität geführt. Die Zukunft des Designs muß also der Versuch sein, die Disziplin wieder zu präzisieren.

STANDARD: Wie könnte das vor sich gehen?

Paolo Piva: Hilfestellung könnte vor allem die Industrie dabei geben. Die zwei Technologiemotoren sind die Waffenindustrie und die Chemische Industrie. Sehen sie sich die Komplexität eines Stealth-Bombers an. Mit den hier entwickelten neuartigen Materialien wären hochinteressante Wohnkonzepte möglich. Auch die neuen Stoffe, die den Forschungen der Chemischen Industrie entstammen, haben großen Einfluss auf die Wohnkultur gehabt. Letztlich ist Design Verantwortung was Ökologie und Ökonomie der Mittel anbelangt, sobald ein Objekt in großen Auflagen produziert wird. Man kann nicht nur entwerfen um zu entwerfen. Nicht ein Mangel an Design ist das Problem, sondern das Gegenteil. Wir sind von schlechtem Design überschüttet.


Neues Bewusstsein

STANDARD: Was verstehen Sie unter schlechtem Design?

Paolo Piva: Das ist die unendliche Wiederholung derselben Suppe. Das Design der Zukunft muss sich auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren und darf nicht mehr die Wiederholung der Wiederholung sein. Der Beruf braucht ein neues Bewusstsein, einen tieferen Kontakt zu dem, was er tut.

STANDARD Betrifft das ausschließlich Produktdesigner?

Paolo Piva: Dieselbe Gefahr besteht natürlich auch in der Architektur. Ich trenne diese Disziplinen nicht, weil sie beide nach dem selben Mechanismus funktionieren. Natürlich ist Architektur nicht in großer Serie wiederholbar, aber Details sind es leider Gottes doch. Es wär sehr schade, würden sich irgendwann einmal dieselben Städte auf der ganzen Welt ständig wiederholen.

STANDARD: Wie und mit welchem Instrumentarium wird der Designer künftig arbeiten?

In den 90ern wurde das Konzept banalisiert, Design wurde sehr einfach. Es ist heute oft das Proukt eines Renderings, aber nicht das Resultat eines sorgfältigen Entwurfswegs. Der Computer ist Zukunft und Grenze zugleich. Er produziert sehr rasch ein Bild, das sofort befriedigt. Doch diese Sofortbefriedigung birgt die Gefahr der Banalisierung. Es ist etwas anderes, wenn man an ein Produkt durch konsequente Prototypisierung herangeht. Der Computer kann ein guter Freund sein, er kann aber auch ein Feind sein, w eil er eine Beschleunigung verschafft, die nicht immer angebracht ist. Trotzdem ist er natürlich eines der zentralen Mittel der neuen Designer. Doch als Instrument und nicht mehr, sonst laufen wir Gefahr, dass irgendwann einmal alles gleich aussieht.

STANDARD: Das Computerdesign wird so ablesbar wie die Computerarchitektur?

Paolo Piva: Natürlich, man kann sofort sehen, mit welchen Programmen die Entwürfe gemacht sind. Der Mensch wird Sklave seines Werkzeugs? Gute Architektur und gutes Design sind Resultate eines langen, wohldurchdachten Entstehungsprozesses und nicht eines Computerentwurfs oder einer Skizze. Das reicht nicht. Auch eine Stadt muß wachsen. Wenn man ihr diese Möglichkeit nimmt, dann verarmt unsere Umgebung, dann bewegen wir uns nur noch in virtuellen Welten.

STANDARD: Wie wird der Entwerfer mit seinem Arbeitsmittel also künftig umgehen?

Paolo Piva: Das erste Material des Designers ist seine Erfahrung. Je tiefer man in der Analyse geht, desto besser und neuer wird das Produkt. Ich hoffe, dass die Zukunft einer Banalisierung dieses Prozesses entgegensteuert, denn im Design und in der Architektur ist es ein bisschen so wie in der Kunstszene. Da gibt es ein paar Standardmoves, die macht man, und dadurch wird man ein Künstler. Allerdings ist man dadurch keineswegs automatisch ein guter Künster.

STANDARD: Was zeichnet den guten Designer der Zukunft aus?

Paolo Piva: Er hat Respekt vor der Vergangenheit, vor den großen Veränderungen dieses Jahrhunderts, und er hat die Vision einer möglichen positiven Zukunft. Aus diesem riesigen Materialkampf werden die Ideen entstehen.

STANDARD: Welche Aufgabengebiete werden vorrangig sein?

Paolo Piva: Präzise ökologische Denkweise wird Priorität haben. Das ist die zukünftige Entwurfwissenschaft. Gleichzeitig werden Materialien ganz präzise genutzt werden, wie etwa Holz, mit dem man künftig sparsam umgehen wird. Holz ist ein wunderschönes Material, das aber dort eingesetzt werden soll, wo man nicht riesige Mengen braucht. Überhaupt sollte sich das Design der Zukunft auf jene Themen konzentrieren, die für den Menschen wirklich notwendig sind und nicht in Parallelthematiken vertiefen, die viel Energie wegne hmen und nichts geben.

STANDARD: Gibt es ein Design, das Ihren besondern Unwillen erregt?

Paolo Piva: Man sieht es einem Objekt sofort an, ob es gelungen ist, oder nicht. Es ist gelungen, wenn es nicht mehr und nicht weniger vorgibt zu sein, als es ist.

STANDARD: Wie werden dabei Industrie und Designer zusammenarbeiten?

Paolo Piva: Sie müssen eine Symbiose eingehen, sich gegenseitig herausfordern. In dem Moment wo diese Symbiose funktioniert, wo es auch Respekt zwischen den beiden gibt, haben Sie die neue Definition dieses Berufes. Dabei ist dieser gegenseitige Respekt ein ganz wichtiger Faktor.

STANDARD: Ist eine solche Zusammenarbeit aber nicht schon lang der Fall?

Paolo Piva: Wir sind erst auf dem Weg dorthin. Wo es bereits jetzt gelungenes Design gibt, dort existiert auch schon diese Symbiose.

STANDARD: Was hat Design den vergangenen hundert Jahren gebracht?

Paolo Piva: Das vergangene Jahrhundert hat die Definition eines neuen Berufs gebracht, der vielleicht immer präsent war, sich aber in den letzten hundert Jahren zu einer neuen Disziplin entwickelt hat. Heute ist der Designer eine erkennbare Figur. Das hat viele Positivaspekte, doch zugleich hat eine falsche Interpretation dieses Berufes zu Plagiatbildung und unendlich vielen langweiligen Wiederholungen geführt. Unsere Welt ist ein wenig überfüllt mit schlechtem Design, davon müsste man ein bisschen wegnehmen.

STANDARD: Wie zum Beispiel?

Paolo Piva: Nehmen sie die Autoindustrie her. Früher gab es ein paar Automarken mit jeweils ein paar Autotypen. Heute gibt es eine enorme Anzahl verschiedener Unternehmen mit einer noch gewaltigeren Zahl von Typen. Man fragt sich wirklich, wie das weitergehen soll.

STANDARD: Wozu es vor allem dient.

Paolo Piva: Ja, wenn man bedenkt, dass ein alter VW-Käfer eigentlich schöner war als der neue, beginnt man die Notwendigkeit zu hinterfragen, warum man eigentlich einen neuen machen musste. Scheinbar braucht die welt dieses tempo, aber man kann doch nicht nur produzieren um zu produzieren. Man sollte schon vorher wissen, was für welche Menschen, für welche Notwendigkeiten hergestellt werden soll.

STANDARD: Sie meinen also, die Designmenge müsse zurückgehen, die Designqualität sich dafür verbessern?

Paolo Piva: Genau das ist der Kern: Weniger designen, aber dafür präzise. Daraus ergibt sich automatisch Respekt vor Nutzung und Material und man schadest seinem Kosmos nicht.

STANDARD: Sehen Sie ein bestimmtes Feld das besonders des Designers bedarf?

Paolo Piva: Nur ein verschwindender Prozentsatz der Bevölkerung ist überhaupt an Design interessiert. Ich glaube, dass es wichtig wäre, die Konsumenten dazu zu erziehen, zu erkennen, was gut und was schlecht ist. Heute kaufen die Leute schlechte Produkte die von guter Werbung vermarktet werden. Diese Diszipline sollten zusammenarbeiten, denn es ist wichtig, dass die Menschheit in eine Richtung geht, und nicht in tausend.

STANDARD: Wer sollte hier aber als Erzieher auftreten?

Paolo Piva: Die Medien. Die müssen endlich verstehen, dass ihr Publikum nicht aus Dummen besteht. Die Ausstattung der TV-Ambiente ist oft ungeheuer bieder, nur weil man meint, mit extravaganterem Design die Zuseher zu überfordern. Die Medien, Radio, TV, Zeitungen, sie alle sollten die Latte wirklich ein wenig höher legen, damit ein bisschen mehr Kultur aufkommen kann.

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