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Die Geschichte einer anderen Idee
Neue Zürcher Zeitung

Eine Monographie über das Schaffen Aldo van Eycks

18. Januar 2000 - Hubertus Adam
Im Hinblick auf den 80. Geburtstag des holländischen Architekten Aldo van Eyck im März 1998 wurde eine Monographie über sein Schaffen geplant, die jetzt - zehn Monate nach seinem Tod - unter dem Titel «Aldo van Eyck. Werke» gleichsam als postume Darstellung seines Lebenswerks vorliegt. Betreut wurde diese erste deutschsprachige Publikation über den grossen Holländer seit dem 1976 erschienenen und längst vergriffenen Katalog der Dortmunder Ausstellung vom ehemaligen Van-Eyck-Schüler Vincent Ligtelijn, der heute selber an der Technischen Universität in Delft lehrt. Zusammen mit dem 1998 auf holländisch und englisch erschienenen grundlegenden Van-Eyck-Buch von Francis Strauven dokumentiert sie sein Œuvre umfassend.

Das Buch ist in zwei sich ergänzende Teile gegliedert: Zuerst wird van Eycks Werk von mehreren Autoren eingekreist, beschrieben und gewürdigt. Dann werden in chronologischer Reihenfolge alle wichtigen Projekte eingehend dargestellt. Der zweite Teil ist das eigentliche Herzstück dieser Publikation, was bereits das Layout verdeutlicht: Herrscht im ersten Teil eine objektivierende Nüchternheit vor, entwickeln die dargestellten Bauten, Entwürfe und Theorien im zweiten Teil dank den neu überarbeiteten Begleittexten van Eycks und der collageartigen Gestaltung ein faszinierendes Eigenleben. Hier ergänzen sich Texte, Photos, Pläne und Skizzen zu einer kaleidoskopartigen Gesamtschau. Das Layout, das teilweise noch auf van Eycks eigenen Ideen beruht, setzt dessen Vorstellung von Architektur um.

Aldo van Eyck beschäftigte sich mit Architektur auf mehreren Ebenen gleichzeitig: Praxis und Theorie gingen in seinem Werk ineinander über. Die meisten theoretischen Artikel entstanden als Ergänzung zu ganz bestimmten Entwürfen. Van Eyck war Mitglied der holländischen CIAM- Gruppe sowie Mitbegründer des Team X, das sich aus Unzufriedenheit mit den Zielen des CIAM formierte. Zudem gab er während mehrerer Jahre die holländische Architekturzeitschrift «Forum» heraus. Bereits Ende der fünfziger Jahre profilierte sich van Eyck als vehementer Kritiker eines einseitig verstandenen Funktionalismus. Er wehrte sich gegen den weitverbreiteten Schematismus der Nachkriegsmoderne und stellte diesem seine «Geschichte einer anderen Idee» gegenüber. Van Eyck propagierte damit ein alternatives Verständnis von Modernität, deren Einfachheit nicht schematisch, sondern vielschichtig - oder eben poetisch - sein sollte. Er berief sich auf Le Corbusier, Picasso, Joyce und Brancusi.

Für sein Verständnis der Moderne war das Konzept der Relativität entscheidend. Relativität meint, dass die Dinge nicht hierarchisch geordnet und von einem zentralen dominanten Prinzip abhängig sind, sondern auf ihren wechselseitigen Beziehungen beruhen. Damit sind Standpunkte relativ und als solche gleichwertig. Das Ideal der Gleichwertigkeit prägte bereits van Eycks sogenannte Otterloo-Kreise von 1959: Hier sind nicht nur die Macher und Nutzer gleichwertige Partner; ebenso sollen sich die verschiedenen Epochen und Kulturen ergänzen und nicht konkurrenzieren. Dieses umfassende Geschichtsverständnis unterscheidet van Eyck ebenso entschieden von den Funktionalisten wie von den Postmodernisten - die er als «Rats, Posts and other Pests» beschimpfte. Das Zusammenfügen von gleichwertigen Einzelteilen zu einer Gesamtkomposition bezeichnete er als konfigurative Entwurfsmethode. Berühmtestes Beispiel dafür ist das mit vielen Kuppeln überwölbte Waisenhaus in Amsterdam von 1960, das wie eine kleine Stadt oder Kabash organisiert ist. Auf der gleichen Methode basiert der Entwurf für das Hubertushaus in Amsterdam von 1981, wo er erstmals jene Farbigkeit anwandte, die sein Spätwerk auszeichnet.

Die vorliegende Publikation dokumentiert auf umfassende und sorgfältige Weise van Eycks architektonisches Schaffen. Dagegen wirkt die Auswahl der einführenden Texte etwas beliebig. So wurden die Beiträge der Architektenkollegen Peter Smithson und Herman Hertzberger bereits anderweitig publiziert. Insgesamt entsteht jedoch ein vielfältiges Bild von van Eycks Werk. Dank der chronologischen Ordnung lassen sich unterschiedliche Entwurfsphasen über einen Zeitraum von 55 Jahren verfolgen: Da erkennt man im Wettbewerbsbeitrag für die Modissa in Zürich einen Vorläufer des Hubertushauses. Und gleich neben dem Waisenhaus baute van Eyck von 1990 bis 94 einen Bürokomplex. Damit entstand ein reizvoller Kontrast zwischen Früh- und Spätwerk auf engstem Raum, den es zweifellos zu besichtigen lohnt.


Christoph Wieser

Aldo van Eyck. Werke. Hrsg. Vincent Ligtelijn. Birkhäuser- Verlag, Basel 1999. 312 S., Fr. 108.-.

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