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Endlose Utopien
Neue Zürcher Zeitung

Das ungebaute Wien - Projekte aus zwei Jahrhunderten

Eine Ausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien präsentiert nicht realisierte Projekte des 19. und 20. Jahrhunderts für Österreichs Hauptstadt. Trotz einer Fülle von Exponaten, die vom frühen Stadterweiterungsprojekt über Entwürfe für das Kaiserforum und verschiedene Museen bis hin zur Uno-City reichen, ist das Ergebnis inhaltlich nicht wirklich überzeugend.

17. Januar 2000 - Gabriele Reiterer
Die Donaumetropole sähe ganz anders aus, wären alle städtebaulichen Projekte realisiert worden. Diese Erkenntnis ist auf viele Orte übertragbar, denn schubladisierte Entwürfe gab es in jeder grösseren Stadt und zu allen Zeiten. Ungebaute Konzepte für die österreichische Hauptstadt aus der Zeit von 1800 bis heute werden nun im Historischen Museum der Stadt Wien vorgestellt. Mit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bahnte sich in der Hauptstadt des Kaiserreichs ein grosser Strukturwandel an. Der Vormärz brachte den Übergang von der Manufaktur zur Fabrik. Mit diesen Veränderungen zerbrach das ständisch geordnete Sozialsystem, an dessen Stelle die aufkeimende Industriegesellschaft trat. Die Umwälzungen der industriellen Revolution waren grundlegend und betrafen nahezu alle Bereiche. «Ausbruch aus dem Mittelalter» nennt daher die Schau jenen frühen Zeitabschnitt, in dem in Wien Grundlagen für die späteren städtischen Erweiterungsprojekte gelegt wurden.


Ringstrasse und Rotes Wien

Den offiziellen Beginn der städtebaulichen Planungen markierte 1857 das Handschreiben Kaiser Franz Josefs I., das die «Erweiterung der innern Stadt» sowie die «Verbindung derselben mit den Vorstädten» mit Bedacht auf «die Regulierung und Verschönerung» der Residenz anordnete. Diese Phase bezeichnet die Ausstellung wortspielerisch als «Ringen um die ideale Ringstrasse» und präsentiert unter anderem eine Auswahl der 85 im Rahmen einer internationalen Konkurrenz eingereichten Projekte. Die aufkeimende Städtebaudiskussion als Folge der veränderten Anforderungen an die Stadt findet hingegen kaum Erwähnung.

Die Wiener Prachtstrasse wurde schliesslich, wie Schorske schreibt, zum «Amboss für zwei Vorkämpfer des modernen Städtebaus, Camillo Sitte und Otto Wagner». Während Wagners Stadtplanung mit ihrer funktionalen Orientierung an Verkehr, Technik und Transport das «Verhüllen» hinter der Geschichte kritisierte, befasste sich Sitte vor allem mit Fragen von Raum und Wahrnehmung. Sittes «Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen» zählte zu den erfolgreichsten urbanistischen Publikationen jener Zeit. Um so bedauerlicher ist es, dass der Wiener Städtebautheoretiker, der sich für Kontinuität, Kontext und Organizität einsetzte, in der Schau über eine Erwähnung nicht hinauskommt.

Die Zeit um die Jahrhundertwende und das frühe 20. Jahrhundert werden unter einem sehr vereinfachenden Blickwinkel dargestellt. Gerade im städtebaulichen Zusammenhang erscheint das immer wieder beschworene Bild von Modernisten contra Traditionalisten als eher fragwürdig. Die weiteren Abschnitte der Schau berühren im Eiltempo Aspekte der ungebauten Stadt des 20. Jahrhunderts. Auf Wagners «unbegrenzte Grossstadt» folgen Projekte des Roten Wien, zusammengefasst unter dem Thema «modernisierte Traditionalität». Von den Plänen des Ständestaats und Hitlers für die Donaumetropole über die Ideen der Nachkriegszeit bis hin zu Hans Holleins Guggenheim-Projekt von 1994 reichen die vorgestellten Entwürfe. Doch die Kommentare dazu sind grossteils knapp, ja beschränken sich auf die Grundinformationen.


Verpasste Selbstbeschränkung

Die Gliederung der Ausstellung in 13 Zeitabschnitte erweist sich als problematisch. Kurze einleitende Textinformationen zu den einzelnen Kapiteln bilden die einzige Verbindungsklammer der umfangreichen Schau mit ihren oft anspruchsvollen Exponaten. Das Motto des Was-wäre- Wenn zieht sich als kraftloser Argumentationsstrang durch die Schau. Im kompilatorischen Kontext geht manch ungewöhnliches und interessantes Projekt nahezu unter. So etwa Adolf Loos' Plan für Wien aus dem Jahre 1909 oder die architektonische Auseinandersetzung mit dem Hochhaus als Thema der klassischen Moderne.

Ganz allgemein wäre weniger mehr gewesen. Die Beschränkung auf einen kürzeren Zeitabschnitt hätte die Möglichkeit geboten, auf kritische Positionen und auf das Thema Metropole vor dem Hintergrund der jeweiligen Epoche einzugehen. Die Vorstellung der Kuratoren, die ungebauten Projekte würden insbesondere «den zur Zeit ihrer Entstehung präsenten Diskurs städtebaulicher und architektonischer Probleme reflektieren», könnte einen Kern des Themas treffen. Ihn wirklich zu berühren ist aber der Wiener Ausstellung nicht gelungen. Immerhin wird die Ausstellung aber von einem umfangreichen Katalog begleitet, der die einzelnen Projekte zusammenfassend dokumentiert.


[ Bis zum 20. Februar im Historischen Museum der Stadt Wien. - Katalog: Das ungebaute Wien. 1800 bis 2000. Projekte für die Metropole. Hrsg. Historisches Museum der Stadt Wien, Wien 1999. 526 S., S 420.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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