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Wie imperial sind Achsen?
Spectrum

Land Art, Vorgarten, städtebauliches Verbindungsglied? Die Gestaltung des knappen Bereichs vor dem künftigen Wiener Museumsquartier ist derzeit in Diskussion. Einige Überlegungen zur Aufgabenstellung.

22. Januar 2000 - Walter Zschokke
Schon in der ersten Ausschreibung eines Architektenwettbewerbs aus dem Jahr 1986, der Entwürfe für das neuzuschaffende Wiener Museumsquartier in den ehemaligen Hofstallungen einforderte, war die Durchlässigkeit des Quartiers in Ostwestrichtung - oder, etwas hochtrabender gesprochen, die städtebauliche Verbindung vom siebenten zum ersten Bezirk - verlangt. Nachdem der Sperriegel der Winterreithalle erhalten werden mußte, war diese Aufgabe nicht leichter geworden.

Skeptiker seien jedoch daran erinnert, daß die Gehzeit aus dem siebenten Bezirk bis zum Graben etwa eine halbe Stunde ausmacht. Mit der U-Bahn dauert es samt Anschlußwegen und Wartezeit etwa 15 bis 20 Minuten. Wenn nun ein schönes Stück Weg durch autofreie Anlagen führt, könnte diese doppelte Viertelstunde täglicher Mehrzeit beim Weg zur Arbeit nicht nur gesund, sondern sogar attraktiv sein. Auch wenn viele Bewohner des siebenten nicht im ersten Bezirk arbeiten, ist eine solche Verbindung nicht geringzuschätzen, besonders wenn die zu erwartende Ausstrahlung des Museumsquartiers in die anschließenden Wohn- und Geschäftsgevierte eingerechnet wird.

Das in Bau befindliche Projekt von Ortner & Ortner löst diese Öffnung nach Westen funktional einigermaßen zufriedenstellend. Für die Zahnlücke zur Breiten Gasse können die Architekten nicht verantwortlich gemacht werden, ein Durchgang war offenbar nicht anders zu haben. Und wenn die Passanten einmal um die Rückseite des wiedererrichteten rückwärtigen Halbrundbaus herum sind, ist auch der Weg räumlich wieder attraktiv: Man gelangt auf zwei die alte Reithalle - neu: Veranstaltungshalle - flankierende Terrassen, die zu den Großvolumen Museum Leopold und Museum Moderner Kunst vermitteln. Auf breiten Treppenanlagen steigt man von ihnen hinunter auf den Museumsplatz. Wer nun aus einem der fünf großen Durchgänge unter dem querliegenden Fischertrakt hinaustritt, steht auf einem knappen Vorfeld, dessen städtebauliche Bedeutsamkeit erst vor kurzem ins Bewußtsein getreten ist. Wie immer in solchen Fällen trudeln - wie die Tauben auf das von Rentnerinnen gestreute Futter - allerlei Einfälle herein, was auf dem Restflecken alles gemacht werden könnte.

Typischerweise sind dies fast immer selbstbezogene Konzepte, die auf städtebauliche Zusammenhänge wenig achten. Oder - wie im Fall der mittlerweile wieder abgebauten Kunstinstallation aus orangen Netzen, die im Spätsommer auf das Gelände aufmerksam machen wollte - die Adressaten sind die vorbeifahrenden Autofahrer. Es kommt vor und ist auch durchaus interessant, daß Autobahnen und Überlandstraßen auch nach Gesichtspunkten filmischen Sehens vom Lenkrad aus gestaltet werden. Im urbanen Umfeld dient der Städtebau weniger dem ästhetischen Genuß der Automobilisten - die sollen auf den Verkehr achten, und wenn es grün wird, nicht so lange brodeln -, sondern vor allem den Fußgängern und unter diesen den Flaneuren.

Wien ist in dieser Hinsicht eine außerordentlich attraktive Stadt, aber auch sie kann sich noch verbessern. Wir fragen daher, in welchem städtebaulichen Kontext dieser Vorgarten steht, dieser verschwindend kleine Rest des ehemals ausgedehnten Glacis. Ein Blick auf die Stadtkarte zeigt, daß er ein kleiner Bestandteil der gewichtigsten städtebaulichen Querachse zum Ring ist, wie sie im Kern von Gottfried Semper formuliert wurde. Sie wurzelt am Kohlmarkt in der Innenstadt und streckt ihre Fühler aus, sagen wir einmal, bis zum Siebensternplatzl unterhalb der Neubaugasse. An dieser Abfolge öffentlicher Räume gibt es Großartiges und Kleinteiliges, Älteres und Jüngeres zu ergehen und zu erschauen.

In Gedanken vom Kohlmarkt her kommend, empfängt uns der Michaelerplatz mit seinem klar definierten Rund. Die weich ausschwingenden Flügel des Michaelertrakts und das innere Burgtor nehmen den Betrachter auf und belohnen ihn mit dem hohen Kuppelraum. Einige Schritte weiter folgt ein weiterer Tordurchgang. Nun tangiert man den platzartigen Hof „in der Burg“, von dem kleine Durchgänge den Leopoldinischen Trakt unterfahren. Nach diesem neuerlichen Engnis, wo auch meistens ob der Düsenwirkung ein starker Wind weht, öffnet sich die Weite des Heldenplatzes. Nach den Gassen und Straßen der Innenstadt mit ihren mittelgroßen Plätzen ist diese Größe etwas Besonderes. Der Horizont senkt sich ab, der Himmel kommt zur Geltung und wird wichtig wie nirgends sonst im dichten Stadtgebiet. An klaren Abenden steht die Venus über dem Burgtor, später ist es zuweilen der Mond, als Sichel oder voll.

An diesem Platz zeigt sich, daß Kapitalmangel nicht selten ein guter Städtebauer ist. Hätte man, wie von Semper geplant, nicht nur im Süden, sondern auch im Norden einen konkaven Gebäudeflügel errichtet, wäre das Ganze ein pathetischer, aber steriler, weil stark gebundener Platzraum geworden. Durch das Ausfließen nach Norden gewinnt der Platz seine großartige, befreiende Weite; der Blick gleitet über Volksgarten und Rathauspark zur Front des neugotischen Rathauses, die uns in ihrer Schrägsicht die Biegung des Rings vermittelt.

Beim Weitergehen bündeln die fünf Unterkolumnien des Burgtors die aufgefächerten Sehstrahlen, bevor wir den Ring, die identitätsstiftende städtebauliche Figur der Stadt des 19. Jahrhunderts, überqueren. Die doppelten Baumreihen sind kurz unterbrochen, das Vorfeld des Burgtors reicht räumlich über den Ring hinüber, die Bewegung auf dem großartigen Boulevard wird - ein weiteres Mal - durch eine Querachse gebremst. Semper wollte dies durch flankierende Triumphtore noch verstärken. Auch hier wirkt der Verzicht auf das akademistische Muster meines Erachtens nach subtiler.

Der nun folgende Maria-Theresia-Platz ist eigentlich kein Platz, sondern ein Garten. Beherrscht von den beiden Mittelrisaliten der Museen und dem Denkmal, das die Mitte besetzt hält, vermag sich kein integrales Raumgefühl zu entwickeln, der Raum gliedert sich auf in Zonen, die ihrerseits nach beiden Seiten ausfließen. Die eher unattraktiven, kaum raumbildenden Schwarzkiefern vor der Lastenstraße bieten wenig Halt, stören aber den Raumfluß. Nun folgt die rein funktionale Achse der Lastenstraße, die in keiner Weise mit dem Ring vergleichbar ist. Da in beiden Richtungen doppelspurig befahren, bildet sie für Fußgänger eine unangenehmere Sperre als der Ring, auch wenn wir dort auf zwei Straßenbahngeleise zu achten hatten. Es versteht sich von selbst, daß eine Unterführung - nicht möglich wegen der U 2 - oder gar eine Überführung lächerlich wirken würde. Am ehesten diente ein breiter Zebrastreifen, auf das uns beschäftigende Vorfeld hinüber zu gelangen. Dahinter erhebt sich der Fischertrakt, in der Breite ausgreifend, aber nicht angemessen hoch. Als ältestes Bauwerk der näheren Umgebung ist ihm daraus kein Vorwurf konstruierbar.

Der Prospekt, der von Fischer auf Fernsicht über das Glacis hinweg entworfen wurde, hat für die Kurzdistanz an Wirkung eingebüßt. Immerhin bieten sich insgesamt fünf Tore als Durchgänge zu den dahinterliegenden Höfen und Platzräumen an. Er bildet daher keine wirkliche Sperre. Die Gestaltung der davorliegenden Fläche sollte aber mehrere Ansprüche einlösen: Unabhängig von historischen Animositäten ist der städtische Raum des Maria-Theresia-Platzes im Westen wirkungsvoll abzuschließen, das heißt, alles, was die städtebauliche Wirkung der mittleren Gebäudeteile - das sind das Palais und die anschließenden Ovalställe - schwächen könnte, ist zu unterlassen. Zugleich sollen die Wege zu allen fünf Tordurchgängen sich entfalten können. Überhaupt sollte der Fischertrakt in seiner städtebaulichen Präsenz unterstützt werden. Ein Wiedererrichten der 1809 - anläßlich der französischen Belagerung - heruntergeschossenen turmartigen Dachaufsätze auf den Außenrisaliten würde ihm effektvoll unter die Arme greifen, die äußersten Durchgänge betonen und die auslaufenden Flügel gegenüber den Nachbarbauten stärken. Mit der differenzierten Dachlandschaft und den betonten seitlichen Abschlüssen, wie dies in der Darstellung von J. Ziegler gut erkennbar ist, gewänne der Fischertrakt jenes städtebauliche Gewicht, das er in seiner künftigen Funktion dringend nötig hätte.

Die Fläche davor ist als mehrfache Überlagerung zu interpretieren. Einerseits greift, wie gesagt, der Stadtraum zwischen den Museen über die Lastenstraße; andererseits sollten aber die Hof- und Platzflächen im Inneren des Museumsquartiers sich durch die Tore hindurch bemerkbar machen, den Fischertrakt nicht als Barriere interpretierend, sondern als notwendiges Dazwischen zum nächsten städtischen Außenraum.

Nach ausführlichen Besprechungen mit den zuständigen Magistratsabteilungen, dem Bundesdenkmalamt, Gartendenkmalpflegern und Grünraumgestaltern liegt vom Atelier Ortner & Ortner ein Projekt vor, das nicht schlecht ist, das aber auch noch nicht wirklich begeistert, weil es irgendwie unentschieden bleibt. Die Bezirksvorsteherin von Wien-Neubau, Gabriele Zimmermann, erwartet sich für den Ort eine qualitative Steigerung. Für eine eigenständige Gestaltung ist die Fläche aber zu knapp und ihre städtebauliche Stellung zu schwach. Die Aufgabe ist daher viel schwieriger: Mit weitgehender gestalterischer Zurückhaltung soll die Verbindung von hinten nach vorn, von der „Vorstadt“ zur „Stadt“ und umgekehrt, von den Museen des 19. zu jenen des ausgehenden 20. Jahrhunderts geschaffen werden. Das hat mit der Fertigstellung einer angeblich imperialen Achse wenig zu tun - wie lange die Habsburger nicht mehr regieren in Wien, kann sich jede und jeder an den Fingern abzählen -, sondern mit stadträumlicher Sensibilität.

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