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Zig Zag Zaha
Der Standard

Zaha Hadids Architekturen sind Schwerstarbeit. Wer sie verstehen will, muss neue Gedankenschichten übereinandertürmen und anerzogenes Konventionsgeröll abtragen. Was übrigbleibt, ist ein völlig neues Raumempfinden und die Ahnung einer anderen Menschlichkeit in der Architektur. Seit kurzen werden ihre Entwürfe tatsächlich ausgeführt: in Rom und Cincinnati etwa, bald auch in Innsbruck. Und vielleicht sogar in Wien.

22. Januar 2000 - Ute Woltron
Wo ist hier das Haus?" lautet die verzweifelte Frage aller Hadid-Anfänger, wenn sie zum ersten Mal vor Architekturplänen der persisch-britischen Architektin stehen und auch wirklich verstehen wollen, was sie hier sehen: Linien schießen ins Unendliche, Farbpfeile verlieren sich zickzack irgendwo am Blatthorizont. Flächen von Rot, Blau, Grün, Gelb flackern da und dort auf, zerlegen das Bild wie ein Fleckerlteppich und zerschnörkeln alles doch irgendwie zu einer übergelagerten Ordnung. Ebenen liegen übereinander und durchdringen einander da und dort.

Viel Schwarz ist zu sehen, selten ein wenig Weiß. Tja. Eindrucksvoll ist das, was man hier vor sich hat, auf jeden Fall. Und ausgesprochen dekorativ. Aber - wo ist nun wirklich das Haus?

Zaha Hadid hört sich solcherlei Laiengestammel mit großer Ruhe und tief verinnerlichter Würde an. Rabenflügelschwarz ist alles an dieser Frau, und groß. Groß die Nase. Groß die Hände. Riesig vor allem die Augen, und kohlrabenschwarz. Schwarz auch ihre sehr langen Haare, ihre Kleidung, der millimeterschmale aber handflächenbreite Ring, das lederne Zigarettenetui. In Hadids Aura befindet sich nur ein einziger Farbfleck. Er taucht in Form eines knallorangen, nicht zu kleinen Kunststoffkristallfeuerzeugs auf, das sie in Betrieb klackt, bevor sie mit großer Eindringlichkeit ihre Architekturen und damit sich selbst zu erklären beginnt.

Das tut sie oft, auf allen Kontinenten und

in den verschiedensten Gremien, in Universitätshörsälen genau so wie in Rat- und Wirtshäusern. Sie bemüht sich, diese auf den ersten Blick so wirren Planzeichnungen verständlich zu machen. Sie erklärt, warum sie den Raum der rechten Winkel gesprengt und in bizarren Kristallformen wieder zusammengesetzt hat. Sie versucht, die Dynamisierung der Form zu erläutern und ihre Bezüge zu den nicht immer sichtbaren Linien und Strukturen der bestehenden Umgebung, die eine neu zu errichtende Architektur immer mitbestimmen.

„Ich will dem Raum eine neue Qualität geben, ich will die Komplexität dieser neuen Städte erforschen und die öffentlichen Flächen, auf denen die Menschen kommunizieren, neu definieren und aus den vorhandenen Strukturen herauskratzen“, sagt sie. Schichten müssen abgetragen werden, um Strukturen erkennen zu lassen. Den Raum von althergebrachten traditionellen Zwängen zu befreien ist eines ihrer Anliegen. Das Ganze dann feinnervig in den komplizierten Organismus Stadt zu implantieren, ein anderes.

Das zu tun hat sie derzeit Gelegenheit genug. Für Cincinnati plant die 49-jährige gerade ein „Zentrum für moderne Kunst“. In Rom soll bis 2003 ebenfalls ein Museumsneubau für zeitgenössische Kunst entstehen. Einladungen zu internationalen Wettbewerben gibt es sonderzahl, und auch in Österreich buhlt man - mit unterschiedlichen Mitteln und Intensitäten - um die Gunst der Londoner Avantgardistin:

Erst im vergangenen Dezember gewann sie den Wettbewerb um die Neuerrichtung der Berg-Isel-Schanze in Innsbruck mit einem höchst elegant geschwungenen und von einem metallverkleideten Aussichtscafé gekrönten Projekt, das von der Seite betrachtet aussieht wie ein hochnäsiger Elefant. Auch in Wien harrt ein - mittlerweile älteres - Bauvorhaben mit kristallinen Strukturen und in der Donaumetropole bisher nie dagewesenen Formexplosionen an der Spittelau seiner Vollendung.

Zumindest die Sprungschanzenarchitektur aus Stahl und Beton könnte, laut Thomas Posch von der Innsbrucker Stadtpanung, demnächst beauftragt werden. Die Vorarbeiten für das 140-Millionen-Projekt, das von der ÖSV-Tochter ASVG, dem Land Tirol und der Stadt Innsbruck finanziert wird, seien bereits im Gange: „Schließlich soll die Schanze Ende des Jahres stehen und zum nächsten Berg-Isel-Springen fertig sein.“ Ein wenig anders die Situation in Wien: Hier hat die Wohnbaugesellschaft SEG die Architektin vor nunmehr sechs Jahren mit der Planung eines vertrackt schwierigen Gebäudes im Bereich der Stadtbahnbögen an der Spittelau beauftragt, dessen Baubeginn sich von Jahr zu Jahr verzögert.

Hadid hatte damals einen Entwurf geliefert, der seither jeden Obersenatsrat in den diversen Wiener Bau-Magistraten zwischen Ungläubigkeit und Verzweiflung hin und her schleudert und an allen Regeln der Architektur zweifeln lässt. Vitruv, der allererste Architekturgesetzgeber, hat für diese Frau nie gelebt. Mit einem kristallen schroffen Baukörperzickzack überzieht und durchdringt ihr Entwurf die seit hundert Jahren Wiener Identität stiftende Rundlichkeit der Stadtbahnbogenarchitektur im Bereich der Spittelau. Vierzehn geförderte Eigentumswohnungen und ebensoviele Büros sind auf drei Ebenen untergebracht, mit der durchbrochenen, offenen untersten Etage will sie eine Verbindung schaffen zwischen Kanal und Stadt, mit Durchgängen und Durchblicken, mit Geschäften und Lokalitäten.

Rund 70 Millionen Schilling werden die Herstellungskosten des Gebäudes betragen. Noch spießt es sich an Kinkerlitzchen wie Autostellplätzen. Politische und womöglich auch pekuniäre Unterstützung signalisiert Zukunftsstadtrat Bernhard Görg, der sich für den Bau stark macht. In der SEG ist man guten Mutes und hofft auf einen Baubeginn Anfang nächsten Jahres.

Zaha Hadids Auftragsbücher sind also nach einer geräumigen Epoche der Leere voll, und mit dieser Anhäufung von Projekten wird zugleich eines der Hadid-Bilder verschüttet, das lange Zeit ihr publicityträchtigstes und markantestes war: Hadid, die geniale, vielgepriesene Architektin, die abgesehen von dem kleinen Feuerwehrhaus für Vitra in Weil am Rhein nichts gebaut hat. Doch ist das nur eines ihrer vielen Images. Hadid ist als Person ebenso Vexierbild wie die Bilder ihre Architekturen. Alles, was man sieht, stimmt, doch jede Schicht dieser Persönlichkeit zeigt einen anderen Menschen.

Da ist einmal die Araberin, die in einer intellektuellen, weltoffenen Moslemfamilie in Baghdad aufwuchs, nach London kam und an der renommierten Architectural Association School of Architecture studierte. Da ist die Avantgardekünstlerin, die ihre Entwürfe in Form großflächiger Gemälde zu Papier bringt. Da ist die Möbel- und Interieurdesignerin. Da ist das Vollweib, das seine barocken Rundungen stets von schwarzen Miyake-Kreationen umflattern lässt und mit seiner Erscheinung die Atmosphäre ganzer Ballsäle füllt.

Da ist vor allem die erste Frau in der Geschichte, die neben einer Handvoll Männern ganz oben an der Avantgardespitze steht und in die Richtung schaut, in die sich die Architektur der Zukunft bewegen wird. „Wir müssen uns vom Gedanken entfernen, dass es Leben und Existenz nur in der herkömmlichen Form gibt. Alles verändert sich, und die Architektur muss diesen Veränderungen entsprechen.“

In Rom, wo sie auf 26.000 Quadratmetern Zeitgenossen moderne Kunst nahebringen will, ortet sie „zwei drei Leben der Stadt, die sich überlagern“. In ihrem Entwurf legt sie denn auch „verschiedene Schichten übereinander, die sich in Ausschnitten und Durchdringungen überraschend vernetzen“. Der Weg durch das Gebäude mit seinen sich vergrößernden, verkleinernden Räumen wird „wie eine Reise sein“.

Ihr soziales Anliegen zeigt sich wohl am deutlichsten im prämierten Wettbewerbsentwurf für ein Opernhaus in der Bucht von Cardiff, das unter anderem deshalb nicht realisiert wurde, weil sich der ewig gestrige Moorhuhnjäger und Fassadenarchitekturbefürworter Prinz Charles öffentlich dagegen aussprach. Das Gebäude ist so transparent angelegt, dass jeder von aussen ablesen kann, was innen gerade passiert. „Es ist doch nur recht und billig“, sagt Hadid, „wenn alle da draussen den Proben da drinnen zuschauen können“.

Vor allem die großen öffentlichen Gebäude, meint sie, müssten eine Menge Energie in die Stadt zurückstrahlen und nicht wie die Blöcke, die man heute so gerne in die Stadtstruktur knallt, alles Leben unter sich ersticken. Deshalb sind auch die Erdgeschosse ihrer Gebäude stets offen und durchgängig, damit sich neue Foren und Kommunikationsplätze entwickeln können, damit es Interaktion zwischen Gebäude, Mensch und Stadt gibt.

Das gilt ihrer Ansicht nach für alle Städte, seien sie nun in Europa, in Asien oder in in ihrer alten Heimat, dem Irak, gelegen. Sie selbst fühle sich keineswegs als Europäerin, sagt Hadid, sie sei als Araberin geboren und Araberin geblieben: „Sieht man von gewissen anerzogenen Verhaltensmustern ab, sind alle Menschen doch ziemlich gleich.“ Im Gegensatz zu Europa sei „die Last der Vergangenheit“ im Irak mit seiner uralten Geschichte nicht so präsent. „Es gibt hier eine lange Tradition einer Wahrnehmung unsichtbarer Dinge, wie der Strukturen von Loyalität, gegenseitigem Verstehen und enormer zwischenmenschlicher Freundlichkeit.“ Aus all diesem setzten sich Menschen, ihre Biosphären und in letzter Konsequenz ihre Städte zusammen.

Ihre Häuser machen einen Teil davon sichtbar, deshalb sind sie als „Haus“ auf ihren Zeichnungen nur so schwer erkennbar. Auch in gebauter Form werden viele wohl ihre Schwierigkeit mit Hadids Konstrukten haben. Das konventionelle „Haus“, das man auf ihren Plänen vergebens sucht, wird auch in dreidimensionaler Form in dieser Architektur der Zukunft nirgendwo mehr zu sehen sein.

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