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Leben im bunten Bereich
Der Standard

Eine Ausstellung lässt die raffinierten Wohlwelten des dänischen Design-Enfant terrible Verner Panton wieder auferstehen

21. Januar 2000 - Ute Woltron
Wo stehe eigentlich geschrieben, pflegte der dänische Architekt, Designer, Farbrabauke und Kunststoffexperte Verner Panton zu fragen, dass die Menschheit ihre Wohnzimmer immer noch mit den ewig gleichen Sofa-Sessel-Tischchen-Kombinationen verunstalten müsse? Dass all diese Langweiligkeiten noch dazu in dezentem Grau, Braun, Beige abgefeiert werden sollten, um vor farblos weißen Wänden öde Stillleben der Bescheidenheit und Ruhe abzugeben? Überhaupt dieses Weiß, verkündete der Mann mit dem Strubbelbart stets laut und von der reinen Abwesenheit Auroras und ihrer Geschwister genervt, Weiß sei eine „Farbe“, die eigentlich besteuert gehöre. Und tatsächlich, Weiß findet sich im Oeuvre des nordischen Wahnsinnsdesigners nicht einmal als Lichtfarbe, denn auch was seine Leuchten anbelangt, operierte der sinnenfrohe Däne stets im bunten Bereich.

Vor zwei Jahren starb Verner Panton 72-jährig, kurz vor der Eröffnung einer seiner ersten wirklich großen Ausstellungen und gerade zu einer Zeit, als seine wildesten Designs aus den 50er- und 60er-Jahren wieder ganz stark Beachtung zu finden begannen. Vor allem das junge Publikum, viele innovative Designer und unkonventionelle Architekten wissen das reiche, dralle Füllhorn seines Werkes zunehmend zu schätzen. Er dachte es sich in einer Zeit aus, als die Kunststoffwelt noch jung und ein Auto nie kleiner als der Vorgarten war, als der Mond im Zentrum des Weltinteresses stand, als schwarze und weiße Musik gemeinsam den Rock'n Roll gebaren und LSD-Trips Farben produzierten, die es eigentlich gar nicht gab.

Die meisten Pflänzchen dieser wilden Blumenkraftzeit sind heute verblüht, nur die wahrhaftigen unter ihnen haben in den Jahrzehnten danach Frucht getragen. Dazu gehören auch die Welten des Verner Panton. Nicht nur seine heute noch bekannten Design-Ikonen und Möbelklassiker haben die Dekaden unbeschadet und ohne altmodisch zu werden überlebt wie etwa der viel gepriesene „Panton-Chair“, die witzigen Tüten-Sessel, die Blumentopfleuchten und einiges mehr. Eigentlich noch wichtiger als diese verdienstvollen Arbeiten ist der Geist fröhlicher Erneuerungswut, der aus all seinen Kreationen abdampft wie die Lösungsmitteldünste aus den noch unausgereiften Kunststoffen der allerersten Plastikzeit.

Neu, ganz neu und aufregend war der künstliche Werkstoff, als Panton sein Architekturstudium in Kopenhagen beendete. Im Jahr 1952 hatten die späteren Nobelpreisträger Natter und Ziegler das erste Polypropylen hergestellt, eine Erfindung, die den Möbelbau revolutionieren sollte. Ungefähr zu dieser Zeit heuerte Panton gerade beim renommierten Entwerfer Arne Jacobsen an und war in dessen Designbüro in der Folge an der Entstehung des Sesselklassikers beteiligt, der heute als „Ameise“ bekannt ist. Der war allerdings noch aus Holz gebaut. Panton dampfte vorerst einmal mit einem VW-Bus quer durch Europa und ließ Design Design sein, bevor er sich 1955 niederließ und selbst zu entwerfen begann.


Was bald darauf in seiner Hexenküche entstand, ließ die meisten Dänen kurzfristig

in Sprachlosigkeit erstarren. Der erste große Auftrag erfolgte in Form eines Ausflugsrestaurants in Langesø, das Panton im Jahre 1958 fast zur Gänze in Knallrot tauchte. Knallrot die Lampen, knallrot die Decke, knallrot die Tischwäsche, knallrot die Kellnerinnenröckchen im „Komigen“. Dazwischen und rundherum Glaswände und Stahlbeton. Nach einer Schrecksekunde zerriss sich halb Dänemark dermaßen das Maul über das extravagante Haus, dass die Besucherströme nicht mehr abreißen wollten.

Bereits mit dieser ersten Design-Architektur verwirklichte Panton all die revolutionären Ansprüche, die er an Raumgestaltung stellte. Für ihn galten alle Elemente des Raumes - Decke, Boden, Wände, Fenster, Lichtquellen, Tische, Sessel, Aschenbecher - als gleichwertige Partner in einem Theater, das zum Zwecke des Erfreuens seiner Benutzer abgehalten wurde.

Viele dieser Raumdesigns, die der Däne verwirklichen konnte, sind heute - man muss es schon sagen dürfen - in ihrer Intensität kaum mehr erträglich. Die tausenden flirrenden Spiegelpyramidchen an den Wänden, die bizarren Kunststoffstalaktiten in Lilarot an den Decken, die klingelnden Muschelplättchenwälder im Luftzug - sie alle waren in einer Zeit gut und schön, die einfach vorbei ist. Was gültig blieb, ist der damals ungeheuer fortschrittliche Ansatz, all diese Elemente als Ganzes zu betrachten und zu behandeln. Vitra-Chef Rolf Fehlbaum, der sich seine Wohnung von Panton einrichten ließ, meint heute: „Es ist für alle, die nicht dabei waren, schwer nachzufühlen, wie irritierend neu die Wohnlandschaften, die Interieurs, die Boden, Decke, Wände, Möbel und Leuchten integrierten, für die meisten Zeitgenossen waren.“

Nachzulesen ist dieses Zitat im Katalog zu einer Ausstellung, die ab 5. Februar im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen ist, und die mit großem Aufwand und mit zahlreichen Exponaten Pantons Welten wieder erstehen lässt. Zu sehen sind alle seine wichtigen Möbelentwürfe, seine Licht- und Lampenkonstruktionen, viele der grandiosen Textildesigns und - vor allem - ein acht mal sechs Meter großer Nachbau der „Phantasy Landscape“, die er 1972 im Auftrag des Kunststoffriesen Bayer für die Möbelmesse Köln ersonnen hatte. Dort gerinnt alle Materie, Kunststoffschaum samt Stoffbespannung und Unterkonstruktion, zur Wohnlandschaft, selbst das Licht trägt seinen Teil in Spektralfarben zerfranst dazu bei. Der Originalraum war zudem von Wohlgerüchen und Soundeffekten erfüllt, alles Maßnahmen und Kniffe, die heute hochmodern sind, damals aber völlig neu und revolutionär waren. Die Installation erregte natürlich Aufsehen ohne Ende und ist auch heute nicht vergessen.


Zu Vitra, wo all diese bunten Herrlichkeiten nun zu sehen sind, hatte Panton

zeitlebens ein ganz spezielles Verhältnis, fand er doch in Firmenchef Rolf Fehlbaum und seinen Produktionsmenschen die kongenialen Partner für die Verwirklichung einer langgehegten, speziellen Sesselidee: Einen Freischwinger wollte er bauen, ohne traditionelle Sesselbeine und zur Gänze aus Kunststoff gefertigt. Über viele Jahre hinweg hatte er sich daran immer wieder versucht, stets war er gescheitert. Dieses Schicksal teilte er allerdings mit kaum weniger prominenten Kollegen wie Charles Eames und Eero Saarinen, die sich ebenfalls verbissen an einem solchen Stück versuchten, doch eingestehen mussten, dass sie nie ohne Unterkonstruktion, also ohne Schummeln, auskamen. Mit Vitra gelang es Panton schließlich doch, seinen Sessel in elegantem S-Schwung und zur Gänze aus Kunststoff zu bauen. Der „Panton Chair“ ist sein bekanntestes Stück und war lange Zeit ein Verkaufsschlager, dann schlief das Interesse ein wenig ein, doch nun ist es plötzlich wieder erwacht. Der Designklassiker wird von Vitra neu aufgelegt, es soll bereits Wartelisten dafür geben.

Mit ein wenig Glück wird die Ausstellung ihren Weg auch nach Wien finden, sie soll jedenfalls in den nächsten Jahren mit ihren bunten, freundlichen Panton-Räumen und Panton-Möbeln quer durch Europa touren. Auch aus dem dazugehörigen Katalog weht den Leser ein Hauch Pantonschen Geistes an. Zahlreiche Designkollegen und Freunde wie Pierre Paulin, Jasper Morrison oder Alessandro Mendini nehmen dort in schriftlicher, persönlicher Form quasi Abschied vom verstorbenen Künstler.

„Wenn Verner ein neues Material in die Hand bekam“, erinnert sich da etwa ein Kollege, „konnte er innerhalb von fünf Minuten veranschaulichen, wie das Material in einer besseren Weise als das bisherige ein bestimmtes Problem lösen kann.“ Ein ehemaliger Mitarbeiter denkt fröhlich-nostalgisch an die Verwirrung der Besucher zurück, die erstmals das Baseler Atelier Pantons betraten, wo die Türen unsichtbar in einer „Farbschlucht“ hinter knallfarbenen Vorhängen versteckt waren. Und auch der allerletzte Tag im Leben des Designers findet Würdigung: „Er hat die Erde mit Stil verlassen, sein Bauch gefüllt mit großartigem Wein und Essen, an einem sonnigen Spätsommertag in Kopenhagen.“ Ute Woltron []

„Verner Panton“, vom 5. Februar bis 12. Juni 2000 im Vitra Design
Museum, Charles-Eames-Strasse 1, D-79567 Weil am Rhein
Tel. 0049 / 7621 / 702 3200

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