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Das Ziegeljopperl ist ein Auslaufmodell
Der Standard

Der Stoff prägt die Architektur, die daraus gemacht wird. Ein Kongress in Salzburg stellte neue Materialien und Kleider für Häuser vor.

5. Februar 2000 - Ute Woltron
Wenn Gebäude eine Art dritte Haut des Menschen darstellen, dann sind die Baustoffe, aus denen die Häuser gemacht werden, ihrerseits sozusagen die Gewänder der Architektur. Hierzulande liebt man es als Haus vor allem solide und geht zumeist zur Sicherheit in Ziegel - der verputzte Hohlloch-38er stellt quasi das traditionelle Lodenjopperl der Einfamilienvilla dar. Größere, öffentlichere Objekte hüllen sich bevorzugt in gediegenen Beton mit zurückhaltend bedeckter Stahlbewehrung - sie sind so etwas wie die grauen Büroarchitekturanzüge von der Stange, mitunter variieren die Krawatten. Bleibt noch das Stahl-Glas-Outfit als Trend-Markenzeichen der schrägeren, cooleren unter den Baukubaturen.

In Salzburg geht heute ein Kongress mit Namen „Thin Skin“ zu Ende, der sich mit dem Thema Material und Architektur auseinander gesetzt hat und aufzeigen will, was Häuser anderswo so tragen. Internationale Baufachleute haben im Kongressauditorium in der Salzburger Messe ihre Kreationen aus verschiedensten Materialien vorgestellt und über neue Kollektionen berichtet, die die Couturiers der Branche, also die Architekten, mit hochtechnologischem Material wie Titanblech, aber auch mit unaufregend Herkömmlichem wie Pappendeckel in letzter Zeit produziert haben.

Ganz konnte sich die Veranstaltung mit dem Untertitel „Das Textile in der Architektur“ zwar nicht entscheiden, ob sie sich nun dem Thema „Textil“ oder doch den „Neuen Materialien“ hingeben sollte, aber egal. Interessante Vortragende hat der Veranstalter, die „Initiative Architektur Salzburg“ gemeinsam mit der Reed Messe und dem Architektur und Bauforum, allemal herangekarrt. Ihre Namen sind mittlerweile durchwegs bekannt, denn Architekturvorträge erfreuen sich zurzeit erstaunlicher Beliebtheit, und der große Vortragszirkus rollt nonstop quer über die Lande, sodass man sich fragt, wie manche dieser referierfreudigen Architekten überhaupt noch zum Entwerfen kommen. Frank Gehrys Leute, zum Beispiel, berichten nimmermüde und natürlich stets hochinteressant über die Mühen, die ihnen die Errichtung des titanbeschuppten Guggenheim-Gebäudes für Bilbao bereitet hat. Wenn das Thema schon „Thin Skin“ lautet: Welches Haus der jüngeren Vergangenheit kann sich einer aufregenderen Robe rühmen als das seidenschillernde Museumsprachtstück des Kanadiers? Jedes Zentimeterchen seiner ausladenden schaligen Hülle wurde computergerechnet, jedes in sich verwundene Steinverkleidungsstückchen computergefräst.

Die wahrscheinlich feinste der hier geforderten dünnen Häute haben Katsu Umebayashi und Thomas Daniell in Form eines Membrandaches aus Tokio mitgebracht, das jeden Bauordnungshüter Österreichs herzinfarktgefährden würde: Sie stellten ein zwanzig Meter langes, drei Meter schmales Haus aus zwei parallelen, oberkantig geschwungenen Betonscheiben vor, über die sich ein lichtdurchlässiger Hauch von Membran sattelartig spannt. Dazwischen Aussteifungen aus Betonzylindern, viel Luft und keine Einrichtung. Das Material des Daches ist eine hochtechnologische Teflon-Abart, die sich leicht dehnt und sich - wie ein Nylonstrumpf ans Wadel - perfekt an die formbildenden Elemente anschmiegt.

Nach gerade in sich zusammenstürzenden Kaugummiluftprodukten sieht aus, was Jacob + MacFarlane für das soeben wieder frisch gemachte Centre Pompidou, eine Art frühe Drag Queen der Architekturlaufstege, entworfen haben. Im vierten Geschoß des Pariser Gebäudes werfen sich vier Gebilde blasenartig zu einer Restaurantzone auf. Gemacht sind sie aus gebürstetem Aluminium, weil der solcherart bearbeitete weiche Metallstoff das Licht so schön in mattem Schimmer einfängt. Selbstverständlich war auch hier der Computer Schneidermeister, er rechnete die bestehenden strengen Gebäuderaster des Museums zu kleineren Einheiten und spielte so lange mit ihnen herum, bis sie sich der amorphen Form beugten und darin verschmolzen. Das Centre Pompidou war dazumals das erste Haus, das keck seine Strapse in Form von Rohren und Kabeln unverhüllt zur Schau trug.

Das neue Restaurant - es wird soeben errichtet - könnte ein zeitgemäßes Accessoire am Busen der alten Dame werden. Und noch ein Computerprodukt macht Furore und zeigt auf, welch eigenartige Optiken den Blechkisten innewohnen. Die Franzosen Patrick Beauce und Bernard Cache, zusammen unter dem Namen „Objectile“ bekannt, bedienen sich der Maschine, um aus schichtgeklebten Materialien verschiedenste Topographien auszufräsen, die in ständiger Wiederholung dünenartige Muster ergeben. Hier ist nicht der Stoff die Neuigkeit, sondern seine Bearbeitung. Ob solcherlei moderne Ornamentik gefällt oder nicht, und wozu geriffelte Türblattoberflächen dienen sollen, das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Der Französischen Bundesbahn hat es jedenfalls zugesagt, sie bestellte bei den beiden eine Reihe maßgeschneiderter Schalterbereiche.

Eine Menge Rechnerei steckt auch im Londoner „Millennium Dome“, dessen stahlseilgebändigte Kräfte und Membranen von Ian Liddell erläutert wurden. Der 2000er-Dom ist eine temporäre Architektur besonderen Aufwands. Vergleichsweise luftig leicht präsentiert sich da das neue Häubchen der Prophetenmoschee in Medina, das der deutsche Architekt und Frei-Otto-Schüler Bodo Rasch angefertigt hat. Eine Reihe hoch aufragender Schirme aus feinem weißem Stoff entfalten sich bei Bedarf wie die Flügel soeben geschlüpfter Schmetterlinge und bedecken in den Hofgevierten den Himmel über den Betenden. Einnäher und Zwickel im High-Tech-Stoff nehmen traditionelle Muster auf und passen die Erscheinungsform der hochmodernen Materialien ihrer Umgebung an, ohne sich anzubiedern.

Einen uralten, immer neuen Stoff hat sich zu guter Letzt der britische Künstler Peter Jones zunutze gemacht. Er baut flüchtige Architekturen aus Licht und Farbe und schickt die Besucher wie bunte Kaleidoskopkörnchen durch seine „Farblandschaften“. In schlauchartigen Gebilden wabert da das Licht, spaltet sich in seine Farben und geht die interessantesten Koalitionen ein. Die Betrachter wandeln durch rot-grüne Harmonien und kühlblaue Atmosphären. Nur Schwarz kommt nicht vor.

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