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Technik als zweite Natur
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Renzo Piano im Pariser Centre Pompidou

Die bis heute umfangreichste Ausstellung über das Werk des Genueser Architekten Renzo Piano bietet einen repräsentativen Überblick von den frühesten Experimenten über Ikonen der Baukunst wie das Centre Pompidou, der Kansai-Flughafen oder das Beyeler-Museum bis zu den jüngsten Projekten. Die facettenreiche Schau zeigt Piano als Ingenieur, Arbeitstier und Humanisten.

10. Februar 2000 - Marc Zitzmann
Der Apfel, heisst es, fällt nicht weit vom Stamm. Im Fall von Renzo Piano, dem italienischen Stararchitekten ohne Starallüren, könnte man die Metapher wie folgt umformulieren: Das Schiff macht weite Reisen, aber es kehrt immer wieder in den Heimathafen zurück. 1937 wird Piano als Sohn eines Bauunternehmers in Genua geboren. Als junger Mann verbringt er viel Zeit auf Baustellen; nach seinem Studienabschluss am Politecnico in Mailand und zwei Jahren im Büro von Franco Albini widmet er sich zusammen mit seinem Bruder Ermanno (bau)technischen Experimenten und «Basteleien» (Piano). In Paris lernt er Jean Prouvé kennen, in London den Ingenieur und Mathematiker Z. S. Makowski, in den siebziger Jahren beginnt seine jahrzehntelange Zusammenarbeit mit den Ingenieuren Peter Rice und Tom Barker - kurz: das, was Piano heute seine «Prähistorie» nennt, steht ganz im Banne des Experimentell-Handwerklichen, Praxisbezogenen.

Wie schon frühere Ausstellungen versucht die Pariser Schau «Renzo Piano, un regard construit», die Arbeitsatmosphäre des Renzo Piano Building Workshop (RPBW) in Genua wiederzugeben, dessen Pariser Ableger wenige hundert Meter vom Centre Pompidou entfernt liegt. Doch nimmt die Schau in der 1500 Quadratmeter grossen Südgalerie des jüngst nach umfangreichen Renovations- und Umbauarbeiten wiedereröffneten Zentrums dreimal soviel Platz ein wie «Out of the Blue» und bietet nicht nur zwei Handvoll ausgewählte Arbeiten, sondern einen repräsentativen Überblick über Pianos Gesamtwerk - ein knappes Dutzend laufende und zum Teil erstmals öffentlich gezeigte Projekte inbegriffen. 22 zwei mal sechs Meter grosse Holzplatten hängen an Metallseilen von der Decke; in Tischhöhe sind darauf Modelle, Skizzen sowie - unter Glas - Photos und von unten beleuchtete, durch eine Lupe zu betrachtende Dias verteilt. Bis auf zwei Platten mit Büchern, kleinen Monitoren und Computern, die man im Sitzen benutzen kann, konzentriert sich jede Platte auf ein Projekt.

Die von Mitgliedern des RPBW in Genua konzipierte «grande mostra», die im Sommer nach Berlin reisen wird, ist professionell bis ins letzte Detail. Gut lesbare Einführungstexte auf englisch und auf französisch, riesige Photos, die schon von weitem das jeweilige Projekt ankündigen, eine Disposition der Elemente, die dicht ist, aber nie gedrängt wirkt, sondern wie eine blitzsaubere, ästhetisch ansprechende Collage - in museographischer Hinsicht ist die a priori nicht unproblematische (weil umfangreiche und mit repetitivem Material arbeitende) Schau unanfechtbar. Dass dem Ganzen laut Katalog drei Themen - «l'invention», «l'urbanité», «le sensible» - zugrunde liegen (sollten), fällt vor Ort nicht ins Auge. Doch die wichtigsten Themen in Pianos Schaffen treten auch so klar hervor.

Am Anfang steht die Beherrschung der Technik, nicht als Selbstzweck, sondern im Sinne eines Savoir-faire, das die Werkzeuge bereitstellt, mit denen jedes Projekt individuell angepackt werden kann. Pianos frühe Arbeiten - Ausstellungspavillons und Prototypen für Werkstätten, Fabriken, sogar für ein Auto, den Fiat VSS - sind von Filippo Brunelleschis pragmatischem, materialbezogenem und empirisch-experimentellem Ansatz geprägt (auf den Renaissance-Architekten beruft sich der Genuese immer wieder). Von Richard Buckminster Fullers Leitsatz «more is less» ausgehend, erforscht Piano leichte und flexible Materialien wie Plastic, Aluminium oder Polyester. Louis Kahns Unterscheidung zwischen «served space» und «servant space» schlägt sich wiederum in Werken nieder wie dem Verwaltungsgebäude für die Firma B & B bei Como (1971-73), dem während der Partnerjahre mit Richard Rogers (1971-78) entstandenen Centre Pompidou oder der 1990 fertiggestellten Thomson-Fabrik bei Paris, deren Röhren und Strukturelemente z. T. nach aussen verlegt und in lebhaften Farben (gelb, rot, blau, grün . . .) angemalt sind. Das mag an die funktionale Farbverwendung in vielen Fabriken erinnern, entspringt hier aber rein ästhetischen Beweggründen und zeigt zudem, dass der vielzitierte High-Tech-Charakter, der vor allem Pianos frühen Werken eignet, nicht immer ganz ernst zu nehmen ist. Ein parodistisches Augenzwinkern schwingt oft mit, freilich temperiert durch eine für einen Genuesen wohl typische introvertierte Ernsthaftigkeit.

Auch sind Pianos ungebrochene Faszination für (kunst)handwerkliche «Haute Couture»-Bautechniken und seine Detailbesessenheit durch Aspekte bereichert worden, die weniger den Stil seiner Arbeiten betreffen (ein eigentlicher «Piano- Stil» lässt sich kaum ausmachen), als deren Konzeption. Vom «Aussenskelett» der obengenannten Gebäude ist der Architekt zu einem Konzept der «zweiten Haut» gelangt, das vor allem die Dächer und Fassaden betrifft. Das Problem der Kühlung war in den Lowara-Büros (1984/85) bei Vicenza noch recht mechanisch mit einem Sprinklersystem auf dem geschwungenen Wellblechdach gelöst worden. Seit dem Bau des Museums für die Sammlung De Menil in Houston (1982-86) gilt Piano als eine Art Spezialist für Gebäude, deren Hülle als thermischer Puffer wirkt und zugleich das Tageslicht filtert (insbesondere die für Kunstwerke schädlichen UV-Strahlen) und gleichmässig verteilt.

Besonders gelungene Resultate in puncto (Ober-)Licht erzielen die 1993-95 dem De-Menil- Gebäude zur Seite gestellte Cy Twombly Gallery und das grossartige Beyeler-Museum in Riehen bei Basel: Beider Dächer bestehen aus mehreren, z. T. durch dezimeterhohe Hohlräume getrennten Schichten aus Glas, Metallgittern und horizontalen Jalousien. In Sachen Lüftung sind der Kansai- Flughafen (1990-94) bei Osaka hervorzuheben, dessen 1,7 Kilometer lange, mit 82 000 schimmernden Metallschuppen bedeckte wellenförmige Silhouette so konzipiert wurde, dass ein am einen Ende des durchgängigen Gebäudes initiierter Luftstrom bis ans andere geleitet wird, und ein im Entstehen befindlicher zweihundert Meter hoher Wolkenkratzer in Sydney, der - wie schon das 1998 in Neukaledonien fertiggestellte Centre culturel Jean-Marie-Tjibaou (NZZ 19. 5. 98) - die Seebrise nutzen soll.

Doch am wichtigsten ist es für Piano, dass das technische Raffinement seiner Gebäudehüllen die Menschen nicht von der Natur abschirmt, sondern sie im Gegenteil wie eine zweite Haut am sich wechselnden Wetter und am Lauf der Jahreszeiten teilhaben lässt. Die 1986 in Angriff genommene «Cité internationale» in Lyon, ein «project in progress», umhüllt die für jüngere Arbeiten des RPBW typische Terracotta-Fassade mit einer Jalousienwand aus Glas: So können die Fenster dahinter auch bei Regen oder starkem Wind offen bleiben. In den Sozialwohnungen an der Pariser Rue de Meaux (1987-91) bildet der zentrale Birkengarten zusammen mit der strengen Geometrie der Fassaden aus Glas, Terracotta und weissen Jalousienrastern ein leicht vibrierendes, pointillistisches Tableau, das Piano gern «von Seurat gemalt» sähe. Die Zauberformel des Meisterarchitekten und Humanisten aus Genua könnte demnach lauten: «Technik + Natur = Kunst im Dienste der Menschen».


[ Renzo Piano, un regard construit. Bis zum 27. März im Centre Pompidou, vom 2. Juni an in der Berliner Nationalgalerie. Katalog: Renzo Piano, un regard construit. Editions du Centre Pompidou, Paris 2000. 160 S., fFr. 199.-. ]

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