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Wem was Recht ist
Der Standard

Die ÖBB suchen sich ihre Bahnhofsarchitekten scheints nach Gutdünken, aber nicht nach EU-Recht aus. Im Falle des Linzer Hauptbahnhofs könnte das zu einer ordentlichen Entgleisung führen.

29. Januar 2000 - Ute Woltron
Mit der EU-Vergaberichtlinie ist es wie mit der Demokratie: Sie stellt keine optimale Lösung dar, aber bisher wurde bedauerlicherweise halt noch nichts Besseres erfunden. An beide müssen sich Bürger, Bettler, Edelmänner, Politiker, Bauherren und Architekten halten. Auch wenn es an manchen Tagen schwerer fällt als an anderen, wer demokratisch gewählt wurde, der ist nun mal am Zug.

Manche Häuptlinge sehen das ein wenig anders. So auch die Lokführer der Österreichischen Bundesbahn. Die ÖBB veranstaltet zwar Architekturwettbewerbe, beauftragt aber die Nicht-Sieger mit der Bauausführung, und irgendwie fühlt man sich dabei zurückversetzt in eine längst vergangene, verfilztere Zeit, als das System der großzügigen freihändige Vergabe etwa die Filetstücke der Bundeshauptstadt einer kleinen Meute der ewig selben Architekturcerberi zum Fraße und der anschließenden Verdauung vorwarf.

Doch zurück in die Zukunft und damit in die Gegenwart: Die ÖBB, die mit vielen Bahnhofsmilliarden ausgestattet einer der potentesten Bauherren der Republik ist, schreitet seit geraumer Zeit zur Freude aller wackerer Bahnfahrer daran, die marode Bausubstanz der heimischen Bahnhofswelt auszuputzen, zeitgemäß zu gestalten und die Architekturen der wichtigsten Knotenpunkten ganz neu und großzügig zu errichten.

Demnächst soll auch der Hauptbahnhof Linz einer solchen Kur unterzogen werden: Man will den alten bestehenden Kasten abreißen und durch einen feschen, modernen und mit allerlei Infrastruktur ausgerüsteten Bau ersetzen. Der dazu notwendige Architekt, so verkündete man im Dezember, sei auch schon gefunden. Helmut Draxler, ÖBB-General und bekannter Architekturfreak, zeigte sich froh gemeinsam mit Architekt Wilhelm Holzbauer hinter dessen Hauptbahnhofmodell den Pressefotografen. Holzbauer, so hieß es, sei als Sieger aus einem Wettbewerb hervorgegangen, und bald würde er sein Werk in Linz errichten. Doch bei näherer Betrachtung hat es den Anschein, als ob es bei diesem dritten sogenannten Wettbewerb nicht so ganz mit rechten Dingen zugegangen sei. Zur Information: Laut EU-Recht muss jede Bauleistung mit anfallenden Baukosten über fünf Millionen Euro (68,8 Millionen öS) sowie jede Planungsdienstleistung ab einem Netto-Honorarbetrag von 200.000 Euro (2,75 Millionen öS) jedes öffentlichen Auftraggebers und jedes staatsnahen Unternehmens europaweit ausgeschrieben werden. Das umstrittene Bahnhofsgebäude ist laut Norbert Steiner von der ÖBB-Bahnhofsoffensive mit rund 650 Millionen Schilling veranschlagt. Martin Platzer, Vergaberechtsexperte der Architektenkammer, spricht angesichts dieser Summe von einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, dass die Planungskosten, die im Schnitt sechs bis acht Prozent der Baukosten betragen, über dem Stichwert liegen“.

Von „europaweit“ kann allerdings wohl kaum die Rede sein, der erwähnte Wettbewerb im Dezember wies gerade einmal zwei geladene Teilnehmer auf, nämlich Wilhelm Holzbauer und Heinz Neumann.

Auch verlor man bei der Präsentation kein Wort darüber, dass Jahre zuvor bereits zwei Wettbewerbe zum Thema stattgefunden hatten und eigentlich schon ein anderes Architektenteam, nämlich Neumann-Steiner, mit diversen Planungsarbeiten beauftragt worden war.

Zur Historie: 1997 schrieben die Realtreuhand, die ÖBB-Bahnhofsoffensive sowie die Naveg (Nahverkehrserrichtungsgesellschaft) gemeinsam einen städtebaulichen Wettbewerb aus, der sich mit dem Linzer Bahnhofsareal befasste und entsprechende Bebauungsvorschläge für den Bahnhof, den man damals noch als erhaltenswert einstufte und lediglich umbauen wollte, eine Nahverkehrsdrehscheibe sowie einen großen Bürokomplex für die Landesregierung hervorbrachte. Das angepeilte Projekt wog insgesamt drei Milliarden Schilling schwer, und als Sieger ging die Wiener Architektengemeinschaft Heinz Neumann und Eric Steiner hervor.

Nach den erforderlichen Vorentwürfen, die laut Neumann alle rechtmäßig bezahlt und abgegolten wurden, beschloss die ÖBB, ein EU-weites Verhandlungsverfahren einzuleiten, um zur Sicherheit noch einmal und nach allen vorgeschriebenen Regeln und Gesetzen einerseits den besten Architekten, andererseits den trefflichsten Generalplaner aus dem reichen Potte des europäischen Architekten- und Baupools zu fischen. Den Zuschlag für die Generalplanung erhielt eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus Vamed und Realtreuhand. Und was die Architektur anbelangt, gewannen neuerlich Neumann und Steiner, nachdem sie ihre Preisnachweise erbracht hatten, verschiedene Pönalevereinbarungen eingegangen waren, ihre Bürositzplätze aufgelistet, bereits abgewickelte Projekte aufgezählt, diverse weitere Angaben geleistet und damit die üblichen Architektenschikanen im Dienste der Europäischen Union überwunden hatten.

Doch die EU scheint in Österreich mitunter weit weg. Dem architekturversessenen Generaldirektor Draxler, der die Geschicke der Bahn hinter einem elegant-kühlen Norman-Foster-Schreibtisch lenkt und sich ein sehr schönes Privathaus von Architekt Johannes Spalt in den Hang hoch über dem Attersee setzen ließ, missfiel - so hört man aus ÖBB-Kreisender Ende 1998 - neuerlich prämierte Neumann-Steiner-Bahnhofsentwurf. Der stellt zwar nur einen Teil des Gesamtprojektes dar, ist zugleich aber der architektonisch interessantere, prominentere Auftrag. Draxler setzte also einen ÖBB-Gestaltungsbeirat bestehend aus den Architekten Hermann Czech, Klaus Kada und Johannes Spalt ein. Der qualifizierte das Projekt als unrentabel ab, worauf hin die ÖBB Mitte November vergangenen Jahres zu besagtem Zwei-Architekten-Wettbewerb einluden. Zur Entwurfserarbeitung gab man den Baumannen übrigens gerade vier Wochen Zeit, denn irgendwann muss man zu einer Lösung kommen, wenn der Bau wie geplant 2003 stehen soll. ÖBB-Mann Steiner: „Neumann-Steiner haben diese vier Wochen nicht genutzt und uns in die Situation getrieben, eine andere Entscheidung zu fällen, wenn wir den Fahrplan nicht verlieren wollen.“

Heinz Neumann empfindet sich nun ein wenig ratlos in der misslichen Lage des Gelackmeierten, will sich aber nicht näher äußern. Er meint nur: „Ich habe zwei Wettbewerbe gewonnen, ich habe zwei Jahre lang an diesem Projekt gearbeitet, es ist nur logisch, dass ich es jetzt auch bauen will.“ Kollege Holzbauer kontert: „Es ist ganz einfach: Die ÖBB will einen Bahnhof mit gewissen Funktionen und hat mein Projekt als das funktional bessere befunden. Außerdem brauche ich mich nicht zu verteidigen, wenn mich jemand dazu auffordert, etwas zu tun, und es mir gefällt, es zu machen.“ Keine Frage, jedem ist das Hemd näher als der Rock, doch keiner lässt sich gern pudlnackert ausziehen.

Auch die jungen Kollegen Elke Delugan und Roman Meissl behalten gerne zumindest die Schuhe an. Im Wettbewerb des Jahres 1997 waren sie als Dritte gereiht gewesen und sind nun der Meinung, „dass diese Vorgangsweise gegen die Vergabegesetzgebung verstösst“. Schließlich hätte man die damals involvierten Architekten zumindest zu Rate ziehen müssen. Eine Anfrage bei der Rechtsabteilung der Kammer ergab eine vorläufige Einschätzung: „Der Auftraggeber ÖBB hat dadurch, dass er ein Verhandlungsverfahren mit nur zwei Teilnehmern des ursprünglichen Wettbewerbs durchgeführt hat, von denen einer nicht Gewinner war, während er andere nicht teilnehmen ließ, gegen fundamentale Grundsätze des europäischen und des österreichischen Vergaberechts verstoßen. Er wäre daher im Falle einer bereits erfolgten Auftragserteilung gegenüber den übergangenen Teilnehmern schadenersatzpflichtig.“

Erst vergangenen Oktober hatte der Europäische Gerichtshof die österreichischen Vergabepraktiken betoniert und unter anderem die Zuschläge für das St. Pöltener Regierungsviertel als rechtswidrig verurteilt, was benachteiligten Anbietern nun ebenfalls Schadenersatzklagen ermöglicht. Norbert Steiner, seit Herbst vergangenen Jahres für die Bahnhofsarchitektur-Offensive der ÖBB zuständig, war Leiter der NÖ-Plan, er hatte in St.Pölten also genug Gelegenheit, die Gesetzeslage gründlich zu studieren. Trotzdem ist er der Ansicht, da kein „Vergabeakt“ an Neumann direkt sondern nur an den Generalplaner stattgefunden habe, sei alles rechtens gelaufen. Neumanns Projekt müsse lediglich „unter Umständen entschädigt werden“.

Der Linzer Gestaltungsbeirat hat in dieser Woche jedenfalls vorerst seinerseits das brandneue Holzbauer-Projekt abgelehnt und einer zweimonatigen Überarbeitung empfohlen. Holzbauer, dem Wettbewerbe sowieso deklariertermaßen auf die Nerven gehen: „Also ehrlich gesagt wird es mit jedem Projekt immer schwieriger. Die Franzosen und die Engländer machen das einzig Richtige, indem sie nach wie vor direkt vergeben. Dieses vielzitierte EU-Recht wird in Österreich falsch ausgelegt. Aber eigentlich ist mir eh schon alles wurscht.“

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