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System und Sinnlichkeit
Neue Zürcher Zeitung

Verner-Panton-Retrospektive in Weil am Rhein

Eine vorbildliche Retrospektive des Vitra-Design-Museums rehabilitiert den 1998 verstorbenen dänischen Designer Verner Panton als einen der eigenwilligsten und massgeblichsten Gestalter des 20. Jahrhunderts, inszeniert ihn aber auch als Kultfigur der gegenwärtigen Retrowelle.

12. Februar 2000 - Hubertus Adam
Ob in Möbelgeschäften oder Boutiquen: die Farbkombination Orange-Rot-Violett hat neue Aktualität gewonnen. Während sich ein vorwiegend junges Publikum im jüngst eröffneten Londoner Trendlokal «Mash» auf eine Zeitreise in die bunte Plasticwelt der sechziger Jahre begibt, frönt das Architektenteam Future Systems mit Wohnbubbles und Kunststoffinterieurs unverhohlen der Ästhetik der sechziger und frühen siebziger Jahre. Die gegenwärtige Retrowelle gilt dem Sixties- Design und versteht sich als Reaktion auf die Coolness der vergangenen Jahre, als Bars mit dem Charme von Operationssälen chic waren.


Rehabilitation des sechziger Chic

Kein Wunder, dass gerade jetzt jener Designer wiederentdeckt wird, der wie kein zweiter in den sechziger Jahren geschmacksbildend gewesen ist: Verner Panton. Das neu erwachende Interesse an seinem Werk konnte der 1926 auf der dänischen Insel Fünen geborene, 1963 nach Basel übersiedelte Gestalter noch ansatzweise miterleben: Kurz vor seinem Tod im Jahre 1998 entwarf er «Phantom», ein amorphes Polypropylen-Objekt, das sich wahlweise als Hocker, Beistelltisch oder Raumskulptur verwenden lässt, lancierte einige Reeditionen und konzipierte eine Werkschau im dänischen Kolding, die dann unvermutet zur postumen Hommage geriet (NZZ 7. 11. 98). Teile der Ausstellung aus Kolding wurden im vergangenen Jahr in die Panton-Präsentation im Design Museum London integriert. Die dort gezeigten Exponate stammten aus dem Vitra-Design- Museum, das nicht nur eine umfangreiche Sammlung von Werken des Künstlers besitzt, sondern auch dessen Nachlass verwahrt.

Der Firma Vitra war Panton seit den frühen sechziger Jahren verbunden. Auf der Suche nach Herstellern für einen Freischwinger aus Kunststoff war er auf Willi und Rolf Fehlbaum gestossen, die Sitzschalen aus fiberglasverstärktem Polyester für die Stühle von Charles und Ray Eames fabrizierten. Nach langen Jahren der Entwicklung wurde 1967 eine Vorserie des legendären «Panton Chair» produziert, doch erst der neue Werkstoff Polyurethan-Hartschaum erlaubte die Herstellung grösserer Stückzahlen. Da auch dieses Herstellungsverfahren eine aufwendige Nachbearbeitung erforderte, wechselte man 1971 unter leichter Modifikation der Form zum Spritzgussverfahren mit Polystyrol und im vergangenen Jahr zu einer kratzfesten, aber stumpfen Ausführung in Polypropylen. Zu Recht gilt der Panton Chair als eine der Ikonen des modernen Designs. Beine, Sitzfläche, Lehne sind in ondulierendem Schwung vereint: ein Stuhl aus einem Material, aus einem Guss. Binnen kürzester Zeit erlangte der Stuhl eine unglaubliche Popularität. Plastic, so formulierte Roland Barthes, sei «die erste magische Materie, die zur Alltäglichkeit bereit ist».


Vorbildliche Retrospektive

Die Nachwelt verstand Panton vielfach nur noch als Entwerfer des Stuhls, der seinen Namen trägt. Mit der umfassenden Retrospektive, die Mathias Remmele für das Vitra-Design-Museum erarbeitet hat, wird endlich der Blick frei auf das erstaunlich umfangreiche Œuvre des Dänen: In Weil am Rhein ist einer der prägendsten Designer dieses Jahrhunderts wiederzuentdecken. Die nicht allzu üppig dimensionierten Ausstellungsflächen des Gehry-Baus zwangen zu Strukturierung und Akzentsetzung, und da sich lexikalische Vollständigkeit ohnehin verbot, setzte man auf künstlerische Qualität und Werke von designhistorischer Bedeutung. Der missglückte Flirt des Gestalters mit der ihm innerlich fremden Postmoderne in den achtziger Jahren bleibt mit gutem Grund ausgespart; dokumentiert werden vornehmlich die Jahre 1955 bis 1975. Dabei gelingt es Remmele, die wichtigen Werkgruppen und Schaffensstationen exemplarisch und eindrücklich vorzustellen, ohne die Exponate durch didaktische Überfrachtung zu musealen Belegstücken zu degradieren oder eine oberflächlich-publikumsträchtige Zeitgeistshow zu inszenieren.

Auch wenn selten eine Designausstellung die Besucher derart direkt anspricht - die von der Decke abgehängten zitronengelben Sitzschalen der «Flying Chairs» wirken auf die Besucher ebenso verführerisch wie die «Living Tower» genannten Wohnelemente -, widersteht man in Weil der Versuchung, Panton zum modischen Designguru zu stilisieren: Die Ausstellung setzt ein mit grossformatigen Reproduktionen eines Panton- Sonderheftes der dänischen Zeitschrift «mobilia» (1961), mit dem sich der junge Designer in die Nachfolge von Eames, Saarinen oder Bertoia stellte. Ein Auftritt mit Aplomb, denn mit dem «Modular Chair», dem tütenförmigen «Cone Chair» und den ersten aufblasbaren Möbeln überhaupt hatte sich Panton dezidiert von der kunsthandwerklich bestimmten Tradition des dänischen Nachkriegsdesigns verabschiedet. Der Systemcharakter, der sein Schaffen fortan prägen sollte, zeigt sich vielleicht am deutlichsten in den Stoffentwürfen, die seit 1971 für den neugegründeten Schweizer Textilverlag Mira-X entstanden. Die erste Kollektion beruhte auf acht Farben (Orange, Hellrot, Dunkelrot, Aubergine, Lila, Violett, Blau, Türkis) und fünf Formen (Kreis, Streifen, Quadrat, Schachbrett, Kurve). Mit Raumtextilien, Hängelampen, beleuchteten Wandelementen und modularen Möbelsystemen war eine Grammatik entstanden, die alle Bereiche des Interior Design umfasste. Er habe nur einen Rahmen gesteckt und den Käufern «die Möglichkeit gelassen, sich gestalterisch zu entfalten», meinte Panton 1970.


Im Rausch der Farben

Die beiden Hauptausstellungssäle sind in den Panton-Farben Türkis und Orange gehalten. Als Einbauten finden sich Regale (auf denen die Entwicklungsstufen des Panton-Stuhls und eine Auswahl von Leuchten präsentiert werden) sowie zylindrische Tonnen, in denen mit Hilfe von Modellen und Objekten stimmige Ensembles unter anderem zum Thema mobiles Wohnen und modulare Systeme arrangiert sind. Umfassende Einblicke in die zerstörten Raumgestaltungen für das «Spiegel»-Verlagshaus in Hamburg, das Restaurant Varna in Århus oder Pantons eigenes Wohnhaus in Binningen vermitteln Informationsterminals. Selten hat der Einsatz von neuen Medien in Ausstellungen derart überzeugt wie diese Computerstationen, die am Studiengang für Visuelle Kommunikation der Hochschule für Gestaltung Basel programmiert wurden. Zeichnungen, Dokumente und zeitgenössische Photographien ergänzen die Präsentation und zeugen von der akribischen Recherche des Ausstellungsteams. Bedauerlich ist einzig, dass der Katalog, der alle Bereiche von Pantons Schaffen berücksichtigt und mit seinem umfangreichen Werkverzeichnis zum Standardwerk werden dürfte, noch nicht vorliegt.

Den Höhepunkt der Ausstellung bildet der begehbare Nachbau der auf der Visiona-Ausstellung gezeigten «Phantasy Landscape», mit der der Chemiekonzern Bayer während der Kölner Möbelmesse 1970 auf einem umgebauten Schiff die Anwendung synthetischer Werkstoffe präsentierte. Die höhlenartige Sitz- und Liegelandschaft, aus buntfarbig gepolsterten Elementen bestehend, veranschaulicht Pantons Vorstellung eines raumgreifenden Totaldesigns, das Boden, Wand und Decke zu einer einzigen Form verschmilzt. Im psychedelischen Farbrausch des Panton-Kosmos scheint noch einmal die Sehnsucht nach der Vereinigung aller Künste auf, und zwar - frei von expressionistischem Pathos - als Gesamtkunstwerk für alle.


[ Bis 12. Juni, danach in Berlin. Der Katalog erscheint im Mai. ]

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