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Doppelt runde Sachen
Doppelt runde Sachen, Foto: Walter Zschokke
Doppelt runde Sachen, Foto: Ringhofer
Spectrum

Architektur gestaltet Raum. Diesen an sich banalen Sachverhalt lassen zwei Objekte in Niederösterreich zur beeindruckenden Erfahrung werden: Max Pauly baute in Mitterretzbach, „the Poor Boys Enterprise“ in Hof am Leithagebirge.

4. März 2000 - Walter Zschokke
Wir sind es gewohnt, der Baukunst abzufordern, daß sie nützlich sei. Der „Nebeneffekt“ architektonischer Erfahrungsmöglichkeiten wird oft drittrangig behandelt, obwohl gerade darüber ausgiebig gestritten wird. Zwei neue Objekte im Überschneidungsgebiet von Kunst und Architektur lohnen derzeit die Fahrt ins periphere Niederösterreich. Dort sind in den vergangenen Jahren über 200 Kunstprojekte im öffentlichen Raum mit Landesgeldern gefördert und realisiert worden. Die Werke decken ein breites Spektrum ab, das von bildender zu Konzeptkunst und neuen Medien reicht, aber auch Aspekte des Design, der Architektur und manchmal sogar der Ingenieurkunst umfaßt.

Meist sind es kleine Wettbewerbe unter drei bis sechs Kunstschaffenden, aus denen ein Projekt hervorgeht, das vom siebenköpfigen Gutachtergremium für Kunst im öffentlichen Raum empfohlen wird. Vertreter der örtlichen Behörden und engagierte Vereine sind in das Verfahren eingebunden. Demokratiepolitisch ist diese Art der Vergabe nach Qualitätskriterien sicher eine der besten.

Bei Mitterretzbach im Weinviertel befindet sich auf einer Anhöhe ein „Schalenstein“ aus vorgeschichtlicher Zeit, der die Menschen immer wieder faszinierte. Es gibt Berichte aus der frühen Neuzeit über spontane Heilungen durch Wasser aus den eigenartigen Vertiefungen. Eine Kapelle wurde errichtet und eine vorhandene Quelle gefaßt. Im 18. Jahrhundert kam es zu Wallfahrten, für die man in der Folge eine größere Kirche errichtete, durch deren Fundamente das Heilung versprechende Quellwasser eingeleitet wurde. Joseph II. und seine Verwaltung, denen die populistisch aufwallende Volksfrömmigkeit und vor allem damit verbundene Scharlatanerien und Geschäftemacherei zuviel wurden, ließen jedoch den Bau 1785 abtragen.
Seither überwucherten Buschwerk und Bäume die Fundamente. Der Ort blieb jedoch Anziehungspunkt für viele, nicht zuletzt auch deshalb, weil er eine herrliche Aussicht ins Retzer Land und bis nach Mähren hinein bietet. 1995 bis 1997 wurden die Grundfesten archäologisch ergraben und gesichert, wobei Retzbacher Bürger tatkräftig mitarbeiteten.

Der Wunsch, der Anlage eine wie auch immer geartete architektonische Fassung zu geben, führte die Antragsteller zur Abteilung Kultur und Wissenschaft der niederösterreichischen Landesverwaltung. Der kleine Wettbewerb zur künstlerisch-architektonischen Gestaltung wurde von Max Pauly gewonnen, er ist Absolvent der Kunsthochschule Linz und führt heute ein Architekturatelier in Wien.

Die im Spätsommer vorigen Jahres fertiggestellte Anlage interpretiert die Topographie des Ortes: Der niedrige Hügelzug fällt nach Südosten ab. Das architektonische Objekt, ein einfach gehaltener Steg, schwingt sich von der Kuppe weg, umrundet in elliptischem Bogen die spirituell aufgeladene Zone mit dem Schalenstein, den Kirchenfundamenten und der Kapelle sowie einigen Bäumen und kehrt zur Hügelkuppe zurück. Er rahmt die aus verschiedenen Zeiten stammenden Artefakte, bietet aber zugleich einen breiten Ausblick auf die sanftwellige Landschaft. Zur Verstärkung des Effekts steigt die Ebene des Stegs, die Hangneigung konterkarierend, leicht an, wobei sich aber Ellipsenscheitel und Kulminationspunkt nicht decken.

Dieses eher unbestimmte Verschleifen entspricht der dienenden Rolle des Stegs: Rahmen nach innen, Ausblick bieten nach außen. Eine exakte geometrische Zuordnung hätte sich vielleicht zu wichtig genommen. Auch ist eine Ellipse unbestimmter als der Kreis, der in herrischer Weise einen Punkt zentriert, während erstere ein Feld umschreibt. Die leichte Neigung bewirkt ein Verschneiden der Stegfläche mit dem Hang, sodaß nur die halbe Ellipse real existiert. Eine zweite, virtuelle Hälfte bewegt sich in der Geometrie unserer Vorstellung unter der Erde, sodaß der auratische Ort nach hinten ungestört ins Gelände übergehen kann.

Der Steg ist gestalterisch abstrahiert, Art und Weise des Tragens sind sublimiert. Dieselbe flache Bretterschalung deckt Ober- und Unterseite; betont wird die dünne Scheibe des Gehwegs, nicht das Konstruiertsein. Das luftige Geländergitter stört diesen Eindruck kaum. Und die runden Stützen aus Stahl sind nicht lotrecht, sondern stehen „normal“, das heißt orthogonal zur geneigten Ebene. Damit wird angedeutet, daß sie zum System des Stegs gehören, auch wenn keine konstruktiven Hinweise auf eine Einspannung zu sehen sind. Die reine architektonisch-geometrische Form bleibt künstlich und abstrakt. Sie eignet sich gut als Rahmen der historischen Zeugnisse in dem durch sie exponierten Feld. Aber als Steg hat sie eine zweite Seite: Die Aussichtsplattform verweist vom Inneren auf das, was außen ist, auf die Welt.

Ebenfalls ein lineares begehbares Objekt ist kürzlich in Hof am Leithagebirge vollendet worden. Nach dem gleichen Verfahren - kleiner Wettbewerb, Auswahl durch das Gutachtergremium - erhielt die Gruppe „the Poor Boys Enterprise“ aus Wien den Auftrag zur Ausführung ihres Entwurfs. Die Aufgabe hatte gelautet, die regionale Kulturwerkstätte vom Gelände des kommunalen Bauhofs abzutrennen. Die Architektengruppe, das sind Marie-Therese Harnoncourt, Florian Haydn und Ernst J. Fuchs, schlug einen langen, gekrümmten Gang aus Brunnenringen von zweieinhalb Meter Durchmesser vor, der als Zugang, Durchgang und Erlebnisraum sowie als Abgrenzung zum Bauhof dient.

Das heterogene Gewerbegebiet an einer in die Weite hinauszielenden Landstraße ist nicht eben attraktiv, vordem dienten die Hallen der Produktion von Betonsteinen, heute sind sie für die Zwecke der Kulturwerkstätte adaptiert, vor allem in Raumakustik wurde einiges an Arbeit - auch Fronarbeit - investiert, denn es wird gern, viel und unterschiedlich musiziert in Hof.

Die alte Nutzung bildete einen Ansatzpunkt: Brunnenringe aus armiertem Beton definieren den Zaun-Gang. Die um sprachlich doppeldeutige Formulierungen selten verlegenen Poor Boys nennen ihn „Blindgänger“. Zwischen den einzelnen Ringen ist ein etwas mehr als handbreiter Zwischenraum offen, weniger um durchzuschaun, denn um Licht einzulassen. Das verändert auch die Akustik, die anders ist als in einer geschlossenen Röhre, was man in einem Abschnitt, wo die Elemente dicht an dicht gesetzt sind, schnell merkt.

Die Innenseiten sind weiß gestrichen, außen ist der Beton roh und paßt zur Umgebung des Gewerbegebiets. Zwei Durchlässe mit Schiebetüren erlauben den Ausstieg in den platzartigen Hof der Kulturwerkstätte, der vom bogenförmigen Verlauf der Rohrteile erst definiert wurde. Doch die eigentliche Sensation ist der Weg durch den „Blindgänger“. Rhythmisch fällt das Licht ein, der gekrümmte Raum läßt offen, ob das Ende nicht geschlossen ist. (Ist es nicht.) Der Weg ist lang genug, um die sinnlichen Empfindungen beim Durchschreiten auszuloten. Es macht Freude, sich darin zu bewegen, die akustischen Nebeneffekte wahrzunehmen und den Licht-und-Schatten-Spielen zu folgen. Ein listiger Erlebnisraum, eine doppelt runde Sache.

Abgesehen von der außerordentlichen Qualität beider Arbeiten ist ein weiterer Aspekt wesentlich: Die Globalisierung zeigt hier ihre positiven Seiten für den ländlichen Raum. Es entstehen Werke in Dörfern, die man dort nicht vermuten würde. Internationale Vergleiche mit Großstadtprodukten brauchen sie aber nicht zu scheuen. Nicht daß deswegen schon ein Bilbao-Effekt entstünde, aber sie sind dem Ort angemessen, ohne einer falsch tönenden Ländlichkeit nachzuhängen. Sie sind frisch zeitgenössisch und entsprechen einem von den heutigen Medien noch in die entfernteste Stube transportierten Erfahrungshintergrund. Aber in Hof und in Mitterretzbach sind sie real und unmittelbar erfahrbar.

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