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Die Arena ruft
Neue Zürcher Zeitung

Münchens Olympiastadion soll dem Fussball geopfert werden

Nach jahrelangem Tauziehen verdichtet sich, was Auguren längst ankündigten: München erhält eine Fussballarena anstelle des alten Olympiastadions. Was einst Austragungsort der «fröhlichen Spiele» von 1972 war, die massgeblich dazu beitrugen, ein neues Bild Deutschlands in die Welt zu tragen, hat ausgedient. König Fussball übernimmt die Regie. Dabei gab es Versuche genug, das einzigartige Ensemble zu retten.

15. Juli 2000 - Oliver Herwig
Doch selbst ein Sturmlauf von Architekten und Denkmalschützern (NZZ 22. 12. 98) zeitigte wenig Wirkung. Mehr noch: Günter Behnisch, Vater des weltberühmten Olympiadachs, wird nun selbst den Umbau durchführen. Was nach gezielter Selbstdemontage klingt, entbehrt nicht einer gewissen Tragik: Nach dem Bonner Plenarsaal von Behnisch, in dem sich künftig zahlende Kongressgäste einfinden werden, droht nun auch seinem Hauptwerk, dem zur Ikone stilisierten Olympiastadion, ein gravierender Identitätsverlust. Denn wie auch immer das Ergebnis des Umbaus ausfällt, das Alte wird irreversibel zerstört sein: Die Leichtathletikbahnen verschwinden, und das Stadionrund wird abgesenkt. Den beiden Münchner Bundesligavereinen schwebt ein moderner Fussball-Hexenkessel vor, vollständig überdacht und perfekt auf das 90-minütige Spiel abgestimmt. Die Kosten dafür bewegen sich mit 300 bis 400 Millionen Mark in der Höhe eines Stadion-Neubaus, auf den man damit freilich verzichtet. Mit bis zu 140 Millionen ist die Stadt München im Gespräch.

Drei Umbauvorschläge stehen zur Wahl: der sogenannte «Ring», der für das Olympiastadion einen zweiten, hohen Rang vorsieht, die «Schüssel»-Lösung mit neuen Tribünen sowie die «Westrang»-Variante, gemäss der unter dem bestehenden Olympiadach eine gewaltige Schräge errichtet werden soll. Schon die Namen lassen Schlimmes ahnen. Computersimulationen zeigen, dass sich der Charakter des Stadions durch das neue, transparente Runddach nachhaltig verändert. Eine Hälfte wird künftig unter zwei Dächern verschwinden, was Behnischs ursprüngliche Konstruktion weitgehend funktionslos macht. Das Stadion insgesamt gleicht einem Hybrid-Bau, hinter dessen Fassade die neuen Einbauten sichtbar werden. Was vom alten Stadion bleibt, der Name, passt nicht mehr zu der neuen Arena. Angesichts der gewaltigen Investition und der unwiderruflichen Zerstörung eines Architekturensembles von Weltgeltung darf Münchens Fussball gar nichts anderes als erstklassig bleiben. Sonst wäre die Arena die zweite Investitionsruine nach dem fehlgeschlagenen Umbau der Olympischen Radrennhalle zum Freizeitpark «Olympic Spirit».

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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