Artikel

Die Architektur von Morgen
ORF.at

Roland Schöny sprach bei der 7. Architektur-Biennale von Venedig mit Hani Rashid, einem der bedeutendsten Vordenker im Feld Computer-generierter Architektur.

18. Juli 2000 - Roland Schöny
Max Hollein, der für die Präsentation der USA verantwortlich zeichnet, ließ den amerikanischen Pavillon in ein Labor verwandeln. Gemeinsam mit Studenten erarbeiten dort die Architekten Greg Lynn und Hani Rashid neue Anwendungen computergenerierter Achitektur aus.

Im amerikanischen Pavillon wurde auf den Punkt gebracht, was High Tech in der Architektur zu Beginn des 21. Jahrhunderts bedeutet. Nämlich Feinarbeit, Forschungarbeit und ständiges Experimentieren. Das verdeutlicht der Laborbereich, in dem ein ganzer Stab von Architektur-Studenten an einer Batterie von Hochleistungscomputern sitzt.

Während früher im Atelier eines Courbusier etwa diszipliniert an Zeichentischen gearbeitet wurde, um Visionen der Moderne in die Realität zu übertragen, wird jetzt nach vollkommen neuen Parametern gesucht, aus denen sich Bauformen der Zukunft ergeben könnten.


Messe für Blasen und Plasma

Wie solche Gestaltungsideen aussehen könnten, wird im Ausstellungsbereich des amerikanischen Pavillon illustriert. Da werden einzelne Segmente einer aus dem Computer heraus digital generierten Architektur vorgeführt wie die neuesten Kreationen auf einer Technikmesse. Teilweise sieht man Zeichnungen, teilweise Modelle, die oft nicht viel grösser sind als eine geöffnete Hand. Kaum eines der Schaustücke erinnert an traditionelle Formen wie Kubus oder Säule. Viel eher denkt man an organische Formen, an Blasen, an erstarrtes Plasma oder an Landschaften in einem Science Ficton-Comic.


„Absoluter Paradigmenwechsel“

Der an der Columbia University in New York lehrende Hani Rashid gilt international als einer der wichtigsten Theoretiker computergenerierter Architektur und zeigt sich vom revolutionären Charakter aktueller Entwicklungen überzeugt: „Es handelt sich um einen absoluten Paradigmenwechsel. Ich möchte das nicht zu romantisch oder grossartig sehen. Aber durch den Computer erhalten wir die Möglichkeit zu einer ähnlichen Revolution, wie sie in der Renaisance eingeleitet wurde, als man die Zentralperspektive in die Malerei eingeführt hat. Das war eine radikale Veränderung unserer Wahrnehmung in Bezug auf Raum und Zeit. Jetzt stehen wir vor einer ähnlichen Veränderung der Wahrnehmung wie damals.“


Gebäude wachsen von selbst

Was hier größtenteils zum Einsatz gelangt ist, sind sogenannte autokatalytische Computer-Systeme. Das Grundprinzip ist vergleichbar mit einem chemischen Experiment oder mit einem Versuch im Feld der Gen-Technologie. Aus verschiedenen Komponenten wird eine Matrix, also eine mehrdimensionale mathematische Formel gebildet. Diese wird dann mit den gewünschten räumlichen Parametern eines projektierten Gebäudes verknüpft. Ähnlich wie eine Pflanze oder auch ein Embryo wächst dieses Gebilde dann auf der Festplatte und nimmt seine Form unabhängig von den bis dato üblichen Kriterien für Raumgestaltung an.


[Abbildung]
Columbia/Rashid: Broadcast Architecture Computer Rendering


Realisierbare Science Fiction

Hani Rashid zur Arbeit mit solchen Computerprogrammen: „Diese Tools geben uns vollkommen neue Möglichkeiten, ein Gebäude zu betrachten. Es kann sehr technologisch oder dynamisch-elegant wirken oder in der Architektur können sogar Gefühle zum Ausdruck kommen. Wir führen zum Beispiel gerade Diskussionen darüber, wie man pflanzliche Images herstellen kann. Der andere wichtige Aspekt ist, dass uns der Computer die Möglichkeit gibt, solche Ideen nicht bloss zu entwerfen, sondern sie auch umzusetzen. Das finde ich sehr aufregend.“


Genau im Problem der Umsetzung solcher teils fantastisch anmutender Entwürfe liegt ein entscheidendes Moment, das immer noch zu irritieren vermag. Viele der Formen, die da auf dem Bildschirm Gestalt annehmen, wirken nämlich, als könnte man sie nicht einmal mit Plastilin nachbilden. Im amerikanischen Pavillon wird aber bereits eine Maschine präsentiert, die - computergesteuert - zumindest kleine dreidimensionale Modelle herstellen kann.


Raumvorstellungen jenseits alter Traditionen

Aus verschiedenen örtlichen Beobachtungen kann man Parameter ableiten und in den Computer eingeben. Es entstehen dann Formen als Beispiel für den kulturellen Urbanismus etwa eines Flughafens. Eine Architektur wird kreiert, zu der man eine Art persönliche Beziehung haben kann. Genau an jenen Orten, die oft langweilig sind, wird die Architektur spannend und ist auf die körperliche Präsenz des Betrachters bezogen.

Damit ist eine Vision ein Stück näher gerückt, die in Architekturkreisen schon seit einigen Jahren heiß diskutiert wird. Es geht darum, Raumvorstellungen ganz neu, abseits jahrtausendealter Traditionen zu definieren. Bauten können möglicherweise bald umgesetzt werden, für deren Formensprache es praktisch kein Vorbild in der Realität gibt. Statt dessen kommen die Umrisse aus den endlosen Weiten digitaler Rechner.

Tipp: Die 7. Architekturbiennale in Venedig ist noch bis zum 29. Oktober zu sehen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ORF.at

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: