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Vom Kunstgewerbe zur Baukunst
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Oswald Haerdtl in einer Wiener Ausstellung

Seit seiner Teilnahme an der Wiener Werkbundsiedlung und dem Bau des Pariser Weltausstellungspavillons zählte Oswald Haerdtl (1899-1959) zu Österreichs Architektenprominenz. Nach dem Krieg feierte man die raffinierte Innenraumgestaltung seiner Bauten. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm widmet sich nun dem lange Zeit fast vergessenen Architekten und Designer.

10. August 2000 - Gabriele Reiterer
Wien im Jahr 1950: Am Kohlmarkt, an prominenter Adresse, eröffnet das «Arabia-Espresso», das sofort zum Stadtgespräch wird: Mit seiner Umgestaltung des Erdgeschosses eines Gründerzeithauses in ein Café leitete der Architekt Oswald Haerdtl (1899-1959) eine Zäsur in der Geschichte des österreichischen Kaffeehauses ein: Italienische Eleganz, Flair und eine neue Form- und Farbenwelt belebten seither das graue Nachkriegs-Wien, denn Haerdtl zeichnete für die gesamte Ausstattung bis hin zu den Speisekarten, zum Geschirr und zur Kleidung des Personals verantwortlich.

1899 in Wien geboren, besuchte Haerdtl die Graphische Lehranstalt und absolvierte eine Tischlerlehre. Seit 1916 studierte er bei Kolo Moser an der Wiener Kunstgewerbeschule Malerei und schliesslich Architektur bei Oskar Strnad. Gleichzeitig hörte er Vorlesungen bei Josef Frank, mit dem er bald freundschaftlich verbunden war. Die Lehrzeit bei Strnad und Frank, den für ihre gestalterische Freiheit bekannten «Humanisten» der Wiener Moderne, bildete Haerdtls künstlerische Grundlage. Architektur und Formgebung wurden anhand der jeweiligen Aufgabenstellung definiert. Strnads Credo der Individualisierung und Josef Hoffmanns ästhetizistischer «Gestaltungswille» fielen bei Haerdtl auf fruchtbaren Boden. Der junge Architekt entwickelte seine Sprache aus dieser Verschiedenheit der Einflüsse, die er mit einer ihm eigenen Leichtigkeit annahm und umsetzte: Weder ein Theoriegerüst noch ein orthodoxes Moderneprogramm leiteten sein Schaffen.

Mit der Teilnahme an der Wiener Werkbundsiedlung unter der Leitung von Josef Frank positionierte sich Haerdtl 1932 innerhalb der österreichischen Architektenprominenz. In den Jahren 1935 und 1937 gestaltete er in Brüssel und Paris die Ausstellungspavillons der österreichischen Republik. In Paris präsentierte er ein Gebäude mit einem effektvollen, schaufensterartigen Kopfbau, in dem eine riesige Fotomontage von drei Alpenstrassen das Publikum beeindruckte. Der in mehrere Bereiche gegliederte Pavillon beherbergte - auf Haerdtls Vorschlag - auch eine «Kaffee-Konditorei», die «in amüsanter Art das Ausstellungsgut hochqualifizierten österreichischen Kunstgewerbes aufnehmen» sollte. Mit der Dramaturgie des Pariser Pavillons begründete Haerdtl wohl auch das auf Weltausstellungen inzwischen fragwürdig gewordene Image von Österreich als heiterem Land der Berge. Seine Inszenierungskünste waren unübertroffen. Mehrfach wurde Haerdtl denn auch für seinen äusserst medienwirksamen Bau ausgezeichnet.

Haerdtls Schaffen fusste tief in der handwerklichen Kultur. Mit Josef Hoffmann verband ihn ab etwa 1930 eine Büro- und Arbeitsgemeinschaft. Dabei wahrte er stets Distanz zum L'art pour l'art der Wiener Werkstätte. Mit Leichtigkeit schlug er Brücken vom Kunstgewerbe der Jahrhundertwende zum Industriedesign. Er selbst verkörperte das Neue und gab sich kühl, dynamisch und motorbegeistert. Haerdtls enge Beziehungen zu Italien hatten nicht zuletzt biographische Gründe, arbeitete doch seine Frau Carmela unter anderem als Kostümbildnerin an der Scala. In Mailand holte er sich Anregungen für seine Entwürfe. Doch es war auch umgekehrt: Gio Ponti, der mit ihm und seiner Frau befreundet war, hatte bereits in den dreissiger Jahren seine Begeisterung über die Innenausstattungen von Frank, Strnad und Haerdtl ausgedrückt.

Die Kriegsjahre verbrachte Haerdtl in Wien, wo er bereits seit 1935 an der Kunstgewerbeschule als Nachfolger Strnads eine Professur innehatte. Ab 1938 leitete er die Fachklasse für gewerblichen und industriellen Entwurf, die er später in «industrielle Formgebung» umbenannte. Zu den Nationalsozialisten verhielt sich Haerdtl indifferent bis ablehnend. Er zählt zu den wenigen österreichischen Architekten, die auch in dieser dunklen Zeit kontinuierlich modern arbeiteten. Nach dem Krieg kam Bauten wie dem Messepavillon Felten & Guilleaume eine wichtige Vorbildfunktion zu. Während sich die Architektur des Werkbundmitglieds und CIAM-Vertreters formal sachlich orientierte, spiegelte die raffinierte Innenraumgestaltung seiner Bauten den Geist der fünfziger Jahre. Sein Schaffen brachte mit der Vereinigung von Kunstgewerbe und Design konträre Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts zur gesamtkünstlerischen Symbiose: Noch immer besitzen seine Ringstrassencafés - etwa das Café Prückel - Gültigkeit; und der ehemalige Milchpavillon Volksgarten ist heute wieder Treffpunkt der jungen Wiener Szene.

Des nahezu vergessenen Architekten und Designers nimmt sich nun eine Ausstellung im Wiener Ringturm an. Die von Adolph Stiller gestaltete Schau und die Begleitpublikation, die das erste umfassende Verzeichnis von Haerdtls Werk enthält, erfüllen ein Desiderat der österreichischen Architekturgeschichtsschreibung. Die lückenhafte Historiographie der Wiener Moderne hat damit einen wichtigen Beitrag erhalten. Die Schau präsentiert erstmals Bestände aus dem im Besitz des Architektur-Zentrums Wien befindlichen Nachlass. Zusätzlich zur Präsentation der Hauptprojekte bietet eine Bilddatenbank eine Vielzahl weitere Dokumente.


( Die Ausstellung im Wiener Ringturm dauert bis zum 1. September. Katalog: Oswald Haerdtl. Architekt und Designer. 1899-1959. Hrsg. Adolph Stiller. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2000. 285 S., Fr. 81.- (S 620.- in der Ausstellung). ]

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