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Blumenwiesen und Gärten auf Rädern
Neue Zürcher Zeitung

Das zweite internationale Gartenfestival in Lausanne

4. September 2000 - Suzanne Kappeler
Vor drei Jahren hatte in der Waadtländer Metropole zum ersten Mal ein Gartensommer stattgefunden. Einheimische und Touristen konnten von den Altstadtplätzen mit ihren engen Gassen bis hinunter nach Ouchy Gärten auf Zeit, Eingriffe in bestehende Grünräume oder auch bleibende grüne Rückeroberungen wie das Blumenband entlang der Metrolinie hinunter zum See erforschen. Ermutigt vom damaligen Erfolg, beschloss die veranstaltende Association Jardin urbain zusammen mit der Stadt Lausanne, das Experiment zu wiederholen und unter dem Titel «Lausanne Jardins 2000» im vergangenen Jahr einen Ideenwettbewerb für Landschaftsarchitekten, Künstler und interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaften zu lancieren. Diesmal sollte sich die Veranstaltung auf vier Gebiete konzentrieren, die sich sowohl im Zentrum wie auch an der Peripherie der Stadt befinden. Die gewählten Orte - die parkartige Esplanade de Montbenon, das historische Flon-Quartier mit seiner kleinteiligen Gewerbestruktur, der Hügel von Montriond mit dem Botanischen Garten und der alte Friedhof der Domäne Bois-de-Vaux - sind Zeugen verschiedener Epochen der Stadtentwicklung und gleichzeitig zentrale Orte der heutigen Stadt.


Vier Orte - vier Themen

Wie das Festival du jardin urbain von 1997 zeigt auch Lausanne Jardins 2000, wie sich die traditionelle, vielfältig genutzte Grünzone, der unspektakuläre, bisweilen gar vernachlässigte städtische Lebensraum, die verkehrsumtosten Bebauungen oder heuer erstmals der sensible Ort des Gräberfeldes mit den Mitteln zeitgenössischer Gartenkunst verändern lassen. Zwar sind manche der gestalterischen Eingriffe weniger spektakulär, eher stiller, nachdenklicher als vor drei Jahren. Dennoch vermitteln viele der 29 von Gestaltern aus Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden und der Schweiz entworfenen Gärten einen spielerischen, lustvoll üppigen, kargen, besinnlichen oder verschlüsselt hintergründigen Eindruck. Man wandelt gerne durch die vier mit städtischen Autobussen untereinander verbundenen Orte, lässt sich von den jeweils einem Thema zugeordneten Zentren inspirieren, etwa den städtischen Perspektiven auf der Plate-forme du Flon, dem Garten und dem Tod im Friedhof von Bois-de-Vaux oder dem mit Blick auf See und Berge ausgerichteten Reisethema auf der Esplanade de Montbenon. Am wenigsten vermögen einige der «jardins hors du monde» auf dem Hügel von Montriond zu überzeugen, die mit comicartigen, schwer verständlichen oder kaum sichtbaren Eingriffen aufwarten. Eine Ausnahme bildet am Fuss des Hügels «La chenille» ein hundert Meter langer Tunnel, der mit stark wachsenden afrikanischen Kürbissen bepflanzt ist und am Ende des Sommers die Form einer grüngelben Raupe annehmen wird.

Um den Einsatz für die «Förderung der städtischen Gartenkultur» zu würdigen und andere Städte zu ermuntern, «über ihre grünen Inseln nachzudenken», wird Lausanne Jardins 2000 vom Schweizer Heimatschutz im September den diesjährigen, mit 50 000 Franken dotieren Schulthess-Gartenpreis erhalten.

Einen eigenwilligen Auftakt zur Gartenschau bildet der Beitrag des Künstlers Jean Scheurer, der dreizehn SBB-Güterwagen in rollende Gärten verwandelt hat. Neben Wildgras und Ackerbegleitpflanzen gedeihen auf den Wagen Tabak und Bananenstauden. Während einige der Wagen zwischen verschiedenen Schweizer Städten hin und her rollen, bietet der Bananenwagen auf einem Abstellgleis inmitten des geschäftigen Lausanner Bahnhofs einen erheiternden, leicht versponnenen Anblick. Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung rollte der ganze Gartenzug in den Lausanner Bahnhof ein - man glaubte sich in frühere Zeiten versetzt, als noch unbekannte Pflanzen unter grosser Anteilnahme der Bevölkerung ihren Einzug in die Botanischen Gärten hielten. - Eine der schönsten Installationen in Lausanne erarbeitete das einheimische Büro Paysagestion zusammen mit dem Plastiker Jean-Claude Deschamps. Auf der Esplanade de Montbenon errichteten sie einen auf die Weite des Genfersees ausgerichteten Steg, von dem aus man auf ein wogendes Meer aus Gerstengräsern, Mohn- und anderen Blumen blickt. Der Steg imitiert eine Mole, an deren Ende sich ein Tor öffnet und leises Plätschern ab Tonband zu vernehmen ist. Dieser Gräsergarten nimmt die Weite der umgebenden Landschaft mit See und Bergen auf, verleitet zum Träumen und zeigt die Möglichkeit, inmitten der Stadt ein Stück «ungezähmter» Natur zu haben.


Die Gärten und der Tod

«Le jardin de Deukalion» nennt der Künstler Daniel Schlaepfer seinen japanisch inspirierten Stein- und Kiesgarten in einer engen Seitengasse des Flon-Quartiers, das nach langem Dornröschenschlaf seit den achtziger Jahren zu neuem Leben erwacht. In den Schattenkonturen von drei grossen Steinen, wie sie sich um die Mittagszeit einstellen, pflanzte der Künstler Sternmoospolster. Dieses spärliche Grün wird nachts von einem virtuellen Garten abgelöst, wenn mittels Filmprojektionen wogende Bäume und Blätter auf den Steinen erscheinen. Die dazugehörenden Töne verwandeln sich nach und nach in Stimmen und Gesang. Auch die auf einer Linie von abfallenden Dächern alter Garagen angelegten Gärten aus Kapuzinerkresse und dunkelroten Duftwicken der Tessiner Landschaftsarchitektin Francesca Kamber Maggiani gehen in besonderer Weise auf den Ort ein, sind sie doch von oben von der parallel dazu laufenden Strasse aus gut einsehbar. Die Idee der barocken Parterregärten, die nicht zum Flanieren, sondern vorab zum Betrachten angelegt wurden, wird hier in origineller Weise für einen etwas heruntergekommenen Ort nutzbar gemacht. - Der vom Architekten Alphonse Laverrière zwischen 1922 und 1954 in strenger Symmetrie realisierte Friedhof von Bois-de-Vaux ist eine der schönsten Gartenanlagen der Stadt. Die hier für das Festival auf Parzellen mit aufgehobenen Gräbern verwirklichten Gärten, die bestehende Bäume, Hecken und kreuzweise angelegte Wege mit einbeziehen, gehören zu den überzeugendsten von Lausanne Jardins 2000. In «La blanche envolée» arbeitet das Pariser Atelier Tangentes mit weissen, im Wind flatternden Tüchern, die über Rasenfeldern und Bahnen aus grünem Tabak, Euphorbien, Fenchel und Salat aufgehängt sind. Die luftige Inszenierung mit Licht- und-Schatten-Spielen auf den transparenten Tüchern und Pflanzen machen diesen Garten der Erinnerung zu einem fröhlichen Ort.

Einen anderen Weg in der Auseinandersetzung mit dem Tod geht der Winterthurer Landschaftsarchitekt Werner Rüeger, der zusammen mit Theo Spinnler und Julie Dové mit den steinernen Einfassungen leerer, grasbewachsener Gräber arbeitet und diese jeweils mit einem innen schwarz lackierten Regenwasserbecken ergänzt. Auf dem grossen Gräberfeld wurden nur einzelne Gräber zur Formung dieses Gartens stehen gelassen, dazwischen wächst wieder Gras. Die zu den Gräbern gehörenden Grabplatten liegen aufgeschichtet in der Mitte des Feldes, von wo Tiergeräusche des Lausanner Duos «Les Nouveau Monstres» nach draussen dringen. Den Schöpfern von «La présence de l'absence» gelingt es, mit wenigen Eingriffen einen Ort zu verfremden und gleichzeitig an seine ursprüngliche Funktion als Friedhof zu erinnern.


[Die Ausstellung Lausanne Jardins 2000 dauert bis zum 17. Oktober. Gleichzeitig finden zahlreiche Begleitveranstaltungen statt: unter anderem eine Ausstellung über die Geschichte der Schweizer Gartenschauen (vom 6. September bis zum 15. Oktober) sowie ein internationales Symposium über Gartenkunst vom 15. bis zum 17. September. Auskünfte über Tel.: (021) 323 07 57 oder Fax.: (021) 323 07 21.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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